|
[131] Wenn hier untersucht werden soll, warum es kein modernes Witzblatt mehr gibt, so ist das kein Angriff gegen die beiden, die Deutschland hat: die ›Jugend‹ und den ›Simplicissimus‹. Bei diesem tue ich mit, und jene hat sich aus ihren schrecklichen Kriegs- und Nachkriegszeiten so gut herausgerappelt, wie das im Hause möglich ist. Hier gehts nicht um diese beiden – hier gehts um den Typus.
Die Technik, unter ein Bild einen ›Witz‹ zu setzen, ist erledigt – das war einmal sehr frisch, ist es aber nicht mehr. Die Zusammensetzung: malerischer Scherz, Plakat-Scherz oder Karikatur mit obligaten Worten ist überholt, weil es alte Schläuche und altes Wasser ist, das da verschenkt wird. Das ist nicht nur eine Formenfrage.
Merkwürdigerweise weist keines dieser Witzblätter etwas auf, was die ›Arbeiter-Illustrierte‹ einzuführen bemüht ist: die Verwendung der Fotografie. Wir glossieren so viel: Artikel, Zeitungsfehler, Schwupper der Kritiker und Romane – aber die größte Wirkung geht kaum noch vom gedruckten Wort aus. Eher vom gesprochenen: dem Rundfunk, und vor allem: vom Bild.
Ganz abgesehen von den ›Kulturdokumenten‹, wie sie zuerst Karl Kraus in die Literatur gebracht hat: jene unsterbliche Henkerszene von der Hinrichtung Battistis, das Bildnis Berchtolds, das ganz allein, ohne jede Unterschrift erklärt hat, warum die habsburgische Monarchie rechtens untergegangen ist – das allein ließe sich tausendfach verwenden. Wenn man mit ein paar Worten Text nachhilft, die allerdings, wie jede gute Bild-Unterschrift, sehr, sehr schwer zu finden sind, dann werden die Augen der Leser geschult, das Bild fängt an, zu sprechen, und die stumme Kritik der Zeit ist da – nur an Hand eines fotografischen[131] Dokuments. Das wird in den Witzblättern nicht gemacht, sehr zum Schaden ihrer Wirkung, die sich immer mehr verringert.
Man sehe sich etwa so ein Bild Hindenburgs vom Empfang des braunen Königs Aman Ullah-Chan an: mißtrauisch und leicht sauer sieht der alte Präsident auf seinen braunen Kollegen, in seinen Augen ist so etwas wie: »Und mit so etwas muß ich nun hier spazieren gehen!« und: »Der sah doch früher ganz anders aus?« Man nehme jenes alte Bild, auf dem der Präsident der Deutschen Republik den Großherzog von Mecklenburg begrüßt: stramm, leicht gebückt steht er vor dem leutseligen Abgefundenen. Dergleichen wirkt überzeugender als die stärkste Satire – da kann kein geschriebenes Wort mitkommen.
Was man mit Gegenüberstellungen und Klebe-Bildern von Fotografien anfangen kann, braucht nicht gesagt zu werden, seit John Heartfield gezeigt hat, wie man das auf Bucheinbänden macht. Als ich vor Jahren hier einmal die ›Tendenz-Fotografie‹ gefordert habe, brach ein Sturm in der Provinzpresse aus; die Brüder tobten so, daß gleich zu merken war: diese Tendenzfotografie, richtig angewandt, ist eine gefährliche Sache.
Da ist aber wohl noch ein andres.
Um ein radikales Witzblatt zu machen, braucht man nicht Kommunist zu sein. Aber man muß draußen stehen, man darf nicht dazugehören – und solche Leute scheints wenig oder gar nicht zu geben. Wir gleiten sanft in eine Zeit der Frères und Cochons-Brüderschaft hinein, wo jeder jedem versippt ist, wo keiner mehr etwas zu sagen wagt, wo sich eine harmlose Satire und blechern polternder Angriff gegen so harmlose Objekte wie Poängkareh und ›die Reaktion‹ richtet, gegen Frau Meier und Herrn Huber und Frau Pollack, die die Fremdwörter verwechselt. So wird das nichts.
Die Leute, die solche Satire machen, stehen andrerseits dem tätigen Leben merkwürdig fremd gegenüber – ihre Satire sitzt nicht, ihre Hiebe sitzen nicht, weil ihre Schilderungen nicht echt sind. Um ein Milieu zu verspotten, muß man a) Mut haben, b) nicht abhängig sein, auch nicht innerlich und c): man muß dieses Milieu kennen. Sie kennens aber nicht. Wie blaß ist das alles, wie allgemein, wie wenig hat es vom Humor einer Bierzeitung, die zwar nur Milieuhumor und Anspielungen gibt, aber wenigstens einen Humor von drinnen repräsentiert! Die Herren sind mehr fürs allgemeine – es stellt sich leichter her, und man hat auch weniger Kummer.
Die maßlose Eitelkeit aller Berufsgruppen, die ihren Kram am liebsten heilig sprechen lassen möchten, die ihren ›Dr. mus.‹ haben und eine eigne Universität, und von der uns jeder ihrer Vertreter glauben machen will, daß sein Beruf am allerschwersten von allen sei, am allernützlichsten für die Allgemeinheit und am allerreinsten – diese Berufsreligiosität hat es glücklich dazu gebracht, daß wir keine Witzblätter[132] mehr haben. Man kann freilich nicht mit den Leuten Satire machen – man kann es nur über sie und gegen sie.
Wozu starke Gesinnung gehört, eine graziöse Frechheit, Mut, Unabhängigkeit und schärfste Milieukenntnis.
Der Typus, den heute die deutschen Witzblätter – wie übrigens die französischen auch – repräsentieren, ist überholt und wird sich nicht halten. Es ist schade, daß es noch keine neuen gibt; das lebensfähige neue Witzblatt wird von einer Gruppe gemacht werden. Denn es ist so hübsch, den Leuten lachend die Wahrheiten zu sagen, wie sie gebacken und gebraten sind: Industriellen, Leuten aus der Wilhelmstraße, Diplomatensnobs, Chefredakteuren und feldwebelnden Generaldirektoren. Das wäre also der Schrei nach der Satire?
Keine Zeit schreit nach der Satire, so masochistisch ist keine. Nur die Ohren des Satirikers gellen, weil die Zeit schreit, er will sie peitschen, sie hats nötig. Da ist die Fotografie, ihr wahrer Lügenspiegel – aber kein Publikum, kaum ein Blatt, kein Führer. Lasset uns auf das Grab Albert Langens und seiner Leute einen Kranz niederlegen: aus Gewürznelken, Rosmarin und dem bitter schmeckenden, dunkelgrünen Lorbeer.