Die Dame im Vorzimmer


[321] Die Privatsekretärin als Gouvernante,

Bollwerk und Amme


Jedes Unternehmen hat einen Generaldirektor. Jeder Generaldirektor hat ein Vorzimmer. In jedem Vorzimmer sitzt eine Privatsekretärin.

Die Privatsekretärin will nicht ihren Chef heiraten. Das haben die Romanschreiber erfunden. Die Privatsekretärin ist verlobt, wird sich verloben, hat sich gerade entlobt und entledigt sich überhaupt ihrer Gefühlsüberschüsse außerhalb des ›Ladens‹. Jede kluge Privatsekretärin weiß, daß man mit dem Mann seines, sagen wir, Herzens nicht zusammenarbeiten soll: darunter leiden die Arbeit, der Teint und die Liebe.

Was aber ist nun die Privatsekretärin in Wirklichkeit –?


a) Die Gouvernante.

Eine gute Privatsekretärin ist streng, aber gerecht. Unmerklich schwebt die Rute der Frau Damokles über dem Haupt des nichtsahnenden Chefs – ahnt er etwas, so ist es eben keine gute Privatsekretärin. Ist der Chef artig, dann strahlt die Privatsekretärin und belohnt ihn mit doppelt spitz geschärften Bleistiften, mit wenig Post und angenehmen Nachrichten; ist er unartig, dann strahlt die Privatsekretärin auch, aber es ist ein eigenartiger Glanz in ihrem Strahlen. Und hier beginnt ihre Erziehungsarbeit.

Eine gute Privatsekretärin (abgekürzt: ›PS‹) lenkt die Fäden und die Arbeitseinteilung so, daß der Chef und sie selber abends um fünf Uhr fix und fertig sind. Denn jeder Chef ist zu ziehen und zu erziehen – er darf es nur nicht merken. Er muß sanft und unter Gestreichel dahin gebracht werden, wohin man ihn haben will – auch, wenn er rauhborstig ist. Es gibt da so kleine Tricks, die der Verfasser, der selbst in diesem Feuer geglüht hat, gegen Zahlung eines kleinen Betrages oder gegen Naturalien gern verrät.

Manche Chefs verlangen morgens um zehn die unterschriftsfertige[321] Post; das kann man ihnen abgewöhnen. Manche verschwatzen die Zeit, statt zu arbeiten, denn wenn manche Frauen wüßten, was manche Männer so unter ›arbeiten‹ verstehen, so ließen sie sich nie mehr wegen ihrer zu langen Telefongespräche Vorwürfe machen. Manche Chefs machen eine zu kurze Mittagspause, manche eine zu lange. Es kommt für die gute PS nur darauf an, sich so unentbehrlich, so notwendig, so im besten Sinne des Wortes wichtig zu machen, daß sich der Chef an ihre unmerklich leise Herrschaft gewöhnt. Man lasse dem Erziehungsprodukt nicht zu viel freien Willen; dann schlägt er leicht über die Stränge. Die PS ist aber auch


b) das Bollwerk.

Man glaubt gar nicht, wer alles einen Chef sprechen möchte. Nun weiß jeder Einsichtige, daß diese Besucher in den meisten Fällen höchst unnütz sind – sie halten nur sich und andere auf und stören das Geschäft. Die Besucher zerfallen in drei Klassen: die einen wollen etwas haben, was sie doch nicht bekommen; die zweiten wollen daran erinnern, daß sie etwas nicht bekommen haben, und die dritten wollen überhaupt nichts, sondern sie wärmen sich beim Chef nur die Füße auf dem guten Teppich. Die Summe dieser Besucher ergibt das Geschäft. Diese Besucher sind fernzuhalten.

Die abgebrauchte Ausrede: »Der Herr Generaldirektor ist nicht da«, tuts selten. Das haben die Besucher zu oft im Film gesehen, um noch daran zu glauben. Besser ist schon, Unerfahrene warten zu lassen, bis ihnen schwarz vor Augen wird. Die gute PS wird aber natürlich noch andere Auswege zur Verfügung haben. Da ist jene ›Konferenz‹, die nur zu diesem Zwecke erfunden worden ist – etwa drei Viertel aller Geschäftsleute halten sich bekanntlich in Konferenzen auf, weil sie ihre Besucher satt haben. Die Privatsekretärin lege sich zu diesem Zweck ein wichtiges Konferenz-Gesicht zu; sehr wirksam ist auch ein Telefongespräch mit einer nicht bestehenden Stelle, die dann bestätigt, daß der Herr Generaldirektor leider vor neun Uhr abends nicht zu sprechen sein wird.

Die Privatsekretärin lasse sich nicht bestechen – es gibt Besucher, die sich nicht entblöden, ihr Schokolade mitzubringen. Sie biete vielmehr ihrerseits Zigaretten an, in ganz schweren Fällen auch einen Kognak; dergleichen entwaffnet selbst den verhärtetsten Warter völlig. Kurz: die Privatsekretärin sei der Riegel an der Tür des Chef-Büros, denn was kommt schon aus solchen Besuchen heraus? Angenehmes gewiß nicht – höchstens Arbeit.

Die PS ist endlich


[322] c) die Amme

ihres Chefs.

Nur sie kennt den Chef wie eine Mutter ihr Kind. Sie weiß, wann das Kind morgens zu schreien anfängt; wann es auf das Töpfchen der Arbeit gesetzt werden will, und wann es genug hat. Sie achte darauf, daß sich das Kind nicht übernimmt, daß es alles tut, was der Onkel Doktor verordnet hat, und daß es nicht mit andern Kindern spielt, die nicht aus feinen Familien stammen – sie hege dieses Kind an ihrer (allegorischen) Brust, auf daß es wachse, blühe und gedeihe. Dazu gehört natürlich, daß auch die Amme einen gescheiten Lebenswandel führt, denn es gibt zwischen Chef und PS geheime, unsichtbare, niemals wahrnehmbare Fäden: schlechte Laune springt von einem zum andern über, gute auch, es entsteht so eine Art Symbiose, was leider nichts Unanständiges ist. Wie das Gescherr, so der Herr, heißt es da, und man sieht ja noch manchem Jungen von vierzehn Jahren an, ob er mit der Flasche oder mit der Amme groß geworden ist. So auch die PS.

Ich schließe:

Niemand lernt einen Mann so genau kennen wie eine kluge Frau, die mit ihm täglich zusammenarbeitet – ja, ich behaupte, daß diese Vereinigung dauerhafter, klarer und fester sein kann als eine eheliche oder eine voller Liebe. Ein Mann kann sich nämlich sehr oft verstellen (meist macht er das sehr dumm) – aber in zwei Situationen kann er sich gar nicht verstellen: die eine davon ist seine Arbeit am Schreibtisch, Da ist er ganz er selber: in seiner Unbeherrschtheit, in seinem Ehrgeiz, in seinen nachlassenden Pausen, in seinem Zorn und in seiner Nervosität.

Merke: Eine gute PS ist unsichtbar, unhörbar, nur wahrnehmbar, wenn sie einmal nicht da ist.


  • · Peter Panter
    Uhu, 01.12.1928, Nr. 3, S. 64.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 321-323.
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