Ersatz


[77] Aman Ullah-Chan in Berlin


Einen richtigen König? Wir haben keinen

und daher borgen wir uns einen.


Sei gegrüßt, du schöne Gelegenheit!

Alles ist wie in alter Zeit:


Straßenabsperrung und Schutzmannsgäule,

Neugier der Kleinbürger, Hurra-Geheule,

Monokel-Kerle die Kreuz und die Quer

und: Militär! Militär! Militär!

Endlich wissen die deutschen Knaben,

wozu sie eine Reichswehr haben!

Dazu.[77]

Denn wenn Deutschland was feiert,

kommt immer die Reichswehr angemeiert,

als der vollendete Ausdruck des Landes

und zur Erfrischung des Bürgerverstandes.

Im Spalier aber steht bei Aman Ullah-Chan

Er: der deutsche Untertan.


Wo wird denn der fremde König wohnen?

Er kann doch nicht auf dem Bahnhof thronen . . .

Ein Palais? Ja, es tut uns furchtbar leid:

aber die Palais gehören zur Zeit

der republikanischen Fürstlichkeit.

Da mieten wir schon – laß die Arbeiter kollern! –

bescheiden ein Haus von den Hohenzollern.

(Von deinen Steuern.)

Und mit mächtigem Getos

gehts los:


Generale und Admirale.

Bürgermeister und Ehrenpokale –

oben, auf dem Brandenburger Tor,

lugt eine richtige Feldwache vor

– sie spielen Krieg – als ob sie drauf lauern,

vor der Macht eines Königs zu erschauern.

Und in allen Augen ein Glanz:

Heil Aman Ullah im Siegerkranz!

(Unsrer ist leider – Gott seis gepfiffen –

leise weinend ausgekniffen.)


Und wer tommt denn da –?

Der liebe gute republikanische Kronprinz ist auch noch da!

Mit dem Geschmack von Papa

und mit Tatü und Tata

fährt er im Auto durch die Linden,

um in den Pferdeäppeln eine verlorene Krone zu finden.

Das gute Kind –! Wie die Rücken sich beugen

wie die Fräcke sich demutsvoll verneigen!

Uniformen blitzen ordensbesternt!

Das können sie. Das haben sie gelernt.

Lacht da einer? Da lacht keiner drüber.

Die Zeitungen schwappen vor Schwachsinn über,

belichten vom Präsidenten-Salon,

von Gala-Oper und Hühnerbouillon,

Der braune König wird Ehrendoktor . . .[78]

Und nur ein vaterlandsloser, verstockter

Roter sieht in der ganzen Musik

den schönen Traum einer Republik.


  • · Theobald Tiger
    Arbeiter Illustrierte Zeitung, 1928, Nr. 12, S. 12.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 77-79.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon