Rundfunkzensur

[104] Die Zensur des Rundfunks ist einer der Ausflüsse uneingestandener bürgerlicher Diktatur. Kurt Hiller hat hier einmal ausgeführt, daß gegen die Diktatur Mussolinis vor allem das zugrunde liegende Ziel einzuwenden sei – und sicherlich gibt es zwar nur eine Diktatur, aber tausend Zwecke, die man durch sie erreichen kann. Unter allen Arten solcher Diktaturen aber ist eine, die stets hassenswert erscheint, wo immer sie auftaucht: das ist die heimliche.

Was im Rundfunk und, etwas abgeschwächt, im Kino getrieben wird, würde, geschähe es in der Presse, alle Verwalter des unbesetzten Anzeigenraumes auf die Umbruchbarrikaden rufen; unter einer gleichen Knebelung, wie sie sich Rundfunkhörer und Kinozuschauer glatt gefallen lassen, litte nämlich der Absatz der Zeitungen, mithin das Inseratengeschäft, mithin der Verleger, und da pflegt denn meistens etwas zu geschehen. Beim tönenden Rundfunk bleibt fast alles stumm. Was geht da vor –?

Der Rundfunk befindet sich heute noch in der Lage der Presse vor dem Jahr 1848; weil er aber neu ist, fühlt die deutsche Öffentlichkeit die ungeheure politische Gefahr nicht genügend, die in der lächerlichen Bevormundung steckt, oder aber sie bejaht diese Zensur, Alle typisch deutschen Bedenken, die die Freiheit karikieren, um sie unmöglich zu machen (»Da könnten ja dann – «) sind falsch: das vorhandene, reichlich reaktionäre Strafgesetz genügt durchaus, um Beleidigungen, Hoch- und Landesverrat, und was man sonst so sagt, wenn man Polizeiherrschaft meint, unmöglich zu machen. Daß das Rauchen auf den vormärzlichen Straßen in Berlin verboten war, wird von den Demokraten heute schmunzelnd angemerkt – daß es im Rundfunk nicht rauchen darf, obgleich es daselbst heftig räucht, wird, von wenigen Ausnahmen abgesehen, schamhaft verschwiegen.

Im Rundfunk kann nicht ein Wort gesprochen werden, das nicht eine unkontrollierbare, unverantwortliche und fast geheim wirkende Schar von beamteten und freien Reaktionären, mittleren Bürgern, braven Geschaftlhubern verstanden und gebilligt hat. Mithin kann der Rundfunk niemals ein gewisses mittleres Maß übersteigen, was nicht allzuschlimm wäre – aber großen Volksteilen ist dadurch die Möglichkeit genommen, ihre Lebensformen, ihre politischen Forderungen, ihre Ideale, Wünsche, Anschauungen so zum Ausdruck zu bringen, wie das in einer Republik, die Demokratie plakatiert, der Fall sein[104] müßte. Die Zensoren verstecken ihre wahren Ziele hinter zwei Ausreden: erstens, der Rundfunk solle unpolitisch sein; zweitens, der Hörer beschwere sich über zu krasse und radikale Vorträge.

Einen ›unpolitischen‹ Rundfunk kann es deshalb nicht geben, weil es etwas Unpolitisches auf der Welt überhaupt nicht gibt. Es gibt es das so wenig wie etwa ein Mensch ›unmedizinisch‹ sein kann – jeder unterliegt den Gesetzen der Natur, der Anatomie, der Biochemie; auch Goethe, auch Stefan George, auch Edison. Vernünftige Anschauung der Welt fordert, daß der Anschauende nicht alle Sparten des Lebens mit einem Mal betrachtet; untersucht jemand also das Lebenswerk Schopenhauers, so kann er dabei dessen ökonomische Lebenslage wohl als einen der Gründe für seine Arbeit anführen, aber dabei kann er nicht stehen bleiben; während gewisser Partien dieser Untersuchung wird er den wirtschaftlichen Befund beiseite lassen müssen. Damit schafft er ihn nicht aus der Welt. Auch der Rundfunk schafft seine politische Grundierung damit nicht aus der Welt, daß er sie scheinbar ignoriert. Sie besteht.

Sie besteht sogar so deutlich, daß der Rundfunk, weit entfernt, politisch neutral zu sein, was ihm offenbar vorschwebt, politisch durchaus Partei ist. Die leisen Revanche-Töne, die Reichs-Archiv-Töne, die Lebensanschauung von Grundbesitzern, ehemaligen Offizieren, jetzigen Richtern, Großindustriellen, ihre Moral und ihre sittlichen Überzeugungen –: sie finden im Rundfunk mit einer Selbstverständlichkeit Gehör, die eben aufzeigt, welcher Klasse die Zensoren angehören. Versucht ein Freidenker, ein radikaler Arbeiter, ein Gegner der Abtreibung, solchen Anschauungen, die uns zum Beispiel ebenso selbstverständlich sind wie den andern ihre eignen, Ausdruck zu verleihen, so kann er sicher sein, zensuriert zu werden. Das ist eine häßliche Ungerechtigkeit.

Der zweite Einwand für die Zensur ist, der Hörer wolle solche Vorträge nicht. Hier hat nun – grade wie beim Kino – eine Erziehung des deutschen Volkes einzusetzen, die ihm so sehr fehlt: nämlich die Erziehung zur Toleranz. Es gibt nur zwei Wege. Entweder übt eine herrschende Kaste eine klare, eingestandene und allen erkennbare Diktatur aus –: dann ists gut. Oder aber wir leben in einer Demokratie.

In solcher Demokratie hat jeder die Pflicht, den Gegner wirken und die Kraft der Argumente sprechen zu lassen, die Geschicklichkeit der Argumentierenden, die Umstände, die Kraft der Propaganda, bei gleichen Startmöglichkeiten. Ich halte kriegsverherrlichende Filme für ein Verbrechen; solange das gänzlich unzulängliche und verbrecherische Strafgesetzbuch, das wir bekommen werden, solches Delikt nicht vorsieht, habe ich kein Recht, die Vorführung derartiger Filme mit Gewalt zu verhindern. Ich kann in die Vorstellung hineinpfeifen, und ich tue es gewiß; ich kann den Film verreißen, ihn tadeln,[105] gegen ihn arbeiten – aber ich darf seine Vorführung nicht verhindern. Will ein Pazifist einen Kriegsfilm nicht sehen –: dann soll er nicht hineingehen.

Genau so aber liegt es umgekehrt. Will jemand die Verhöhnung seines Heiligsten im Rundfunk nicht mitanhören, so soll er abstellen; er hat kein Recht, seine Anschauung mit Gewalt durchzudrücken. Eine Rundfunkverwaltung, die sich dem randalierenden Spießer fügt, und zwar mit größtem Vergnügen fügt, ist nicht unpolitisch, nicht einmal politisch neutral, sondern sie ist einfach die Vertretung der herrschenden Klasse und ihrer Moralanschauungen. Diese Zensur hat gänzlich zu fallen. Es ist nicht damit getan, daß etwa der Schutzverband Deutscher Schriftsteller seine Leute in die Kommissionen delegieren darf; daß die Dichterakademie, die merkwürdig einflußlos bleibt, diesen oder jenen Übelstand abstellt; daß ein schlechter Schriftsteller, aber ein im geistigen zweifellos so reinlicher und ehrlicher Mann wie Wolfgang Goetz zufällig Gelegenheit hat, in einer Zensurstelle besonders üble Streiche zu verhindern: die Rundfunk- und die Kinozensur müssen fallen.

Die künstlerischen Folgen dieser Zensuren sind bei Kino und Rundfunk gleich merkwürdig.

Da es unmöglich ist, im Rundfunk das durchzudrücken, was der mittlere Hörer in seinen Beschwerdebriefen als ›verstiegen‹ ansieht; weil man wohl ein Buch für achthundert Leser drucken, nicht aber einen Film für achthundert Zuschauer inszenieren kann, von einem seltenen Mäzenatentum abgesehen, so bleiben Kino und Rundfunk stets auf einer mittleren Stufe stehen. Gelingt es einem so seltenen Ausnahmemenschen wie Chaplin, auf der Basis der Allgemeinverständlichkeit sein Genie zu entwickeln, so stellt das eben einen Einzelfall dar. Als Hans Siemsen vor Jahren als erster eine anständige und gebildete Kinokritik forderte, war ihm beizustimmen; er wird inzwischen selber eingesehen haben, wo die Grenze der Kinokunst liegt. Sie liegt eben an der Stelle, wo – nicht etwa die Phantasie des Zuschauers –, sondern die Phantasie des Herstellers versagt: es kommt nichts auf die Leinwand, wenn es Herr Generaldirektor Klitzsch nicht versteht, und so sieht das dann auch aus. Die beteiligten Künstler ziehen den Film nach oben – den Grund, auf dem er steht, können sie nicht heben. (Gegenbeispiel: ›Potemkin‹.)

Daher fehlen im Film fast alle Feinheiten, deren man in der Literatur Tausende finden kann. Daher fehlen im Rundfunk fast alle neuen, bunten, zarten, haardünnen Experimente, kaum ein Ton geht da hinaus, der in die Höhe gelangt. Ganz abgesehen davon, daß das Ohr, wenn es sich nicht um Musik handelt, gröber aufnimmt und vor allem langsamer als das Auge, braucht der Rundfunkzensor, damit er nachts gut schlafen kann, die Anerkennung des Seltsamen: er läßt also wohl aus den Werken Stefan Georges vortragen, weil ›man‹ den kennt[106] – niemals aber würde ein junger Stefan George dort zu Wort kommen, was andrerseits folgerichtig und sogar zu begrüßen ist. So, wie er ist, stellt der Rundfunk ein geistiges Zwischendeck vor.

Die Rundfunkzensur ist eine halb offen zur Schau getragene Waffe der Reaktion im schlechten und niedrigsten Sinne. Diese Kommissionen, Gremien, Instanzen und Ämter sind überflüssig, weil sie – wie ein großer Teil der deutschen Beamtenschaft – keine produktive Arbeit leisten, sondern die Arbeit andrer Leute hindern. Die Rundfunkzensur drückt auf das geistige Niveau des Volkes, es darin einem Teil der Presse gleichtuend: beide lenken tobend vom Wesentlichen ab. Die Rundfunkzensur muß fallen.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 17.04.1928, Nr. 16, S. 590.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 104-107.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon