»Fest sei der Bund!«

[308] Gewehre rechts – Gewehre links – das Christkind in der Mitten . . . Gibt es einen greulicheren Anblick? Es gibt keinen.

Soweit man die Inschrift auf dem Altar dieser Veranstaltung lesen kann, steht da irgend etwas wie »Richtet euch immer nach Jesum Christum!« Der immerhin gesagt hat: »Du sollst nicht töten« – und wenn ein verkleideter Mordhetzer mir erzählen will, jener habe auch gesagt: »Seid untertan der Obrigkeit«, so kann doch nach tausend und aber tausend Bibelstellen kein Zweifel sein, auf welcher Seite einer[308] der mutigsten Revolutionäre gestanden hat: auf der Seite derer, die da töten, oder auf der Seite der Opfer.

Was für Gedanken unter protestantischem Himmel diese Gemeinde durchwehen mögen, was sie an diesem feierlich gebürsteten Sommersonntagvormittag wohl für ›Weihe‹ halten – ich weiß es nicht. Es ist unergründlich. Es wird wohl eine vage Mischung von verblasener Metaphysik und der Freude sein, einen Zylinder zu tragen, etwas von Verdauungsstimmung zwischen Frühstück und Hunger nach dem Mittagessen. Fest sei der Bund.

Und ob der Bund fest ist –!

Alle die rührenden Versuche junger, echt gläubiger Christen, die ursprünglich sittlichen Forderungen ihrer Religion mit den unsittlichen Forderungen des Staates zu vereinen, scheitern an den geborenen Konsistorialräten, die diesen Verein beherrschen. Es gibt eine Tinktur aus Dreistigkeit und Gottvertrauen, mit der sie sämtlich am 1. August 1914 gesalbt waren. Noch am 26. Juli hatten sie keine Ahnung, was da vorging; sie wußten am 27. noch nicht, welche Verbrechen die Regierung hinter dem Rücken aller zukünftigen Frontsoldaten anzettelte; am 28. war ihnen kein Aktenstück bekannt; am 29. und 30. lasen sie gefälschte Telegramme; am 31. ließen sie die Kirchenglocken nachsehen –

und am 1. August war der liebe Gott preußisch, die Pfarrer beteten, daß sie sich Beffchen umbinden mußten, um sich nicht zu bepredigen, und ihnen allen war eine Sache heilig und gerecht, von der sie bis auf den heutigen Tag noch nicht wissen, wie sie eigentlich zustande gekommen ist. Fest sei der Bund.

Dergleichen hat so etwas Kleines, Kleinliches . . . es ist nicht einmal großartig, wie es die Verbrechen der katholischen Kirche unter den Medicis gewesen sind. Die da sind wirklich das, als was sie sich bezeichnen: Kultusbeamte. Der Tod ist ihnen eine Matrikeleintragung, der Staat auf alle Fälle im Recht, die Weihe satzungsgemäß garantiert, Sonntag vormittags zwischen zehn und zwölf Uhr. Und ein Land läßt sich diese ›Sonntagsruhe‹ gefallen, die keineswegs nur angeordnet ist, um die Arbeitnehmer zu schützen – sondern die auf der Fiktion beruht, alle Leute gingen sonntags in die Kirche. Was nachgewiesenermaßen weder die meisten noch die besten tun. Die andern rühren aber nicht daran und werden auf einmal fromm, wenn man von dieser Albernheit spricht, um halb zehn Kuchen verkaufen zu lassen, um halb eins auch, aber nicht um drei Viertel zwölf. Welch preußisch-exakte Frömmigkeit! Schlechtes Gewissen aber ist noch kein Glaube.

Doch statt sich um ihre Religion zu kümmern, werden nun zwei Konsistorialräte und ein Oberkonsistorialrat zusammenhocken und sich ausknobeln, ob man wegen dieses Kapitels nicht vielleicht den Staat bemühen könnte. § 166 . . . Gotteslästerung . . . Beschimpfung der Einrichtungen einer Landeskirche . . . Na, da kommt mal an! Fest sei der Bund.


  • [309] · Kurt Tucholsky
    Aus: Deutschland, Deutschland.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 7, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 308-310.
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