|
[301] Ein Neunzehnjähriger ist von der Feme ermordet worden. Der Leichnam ist im Walde verscharrt. Wildernde Hunde haben an der Stelle gegraben und den Kopf freigelegt. Der Kopf spricht:
Hinter Buckow, etwas westlich vom Alten See,
liege ich, dreißig Schritte von der Chaussee.
Meine Kleider sind schon ganz verfault und welk wie Zunder.
Bei dem hiesigen Boden ist das kein Wunder.
Hier ists moorig.
Ich kenne das recht gut.
Ich war doch hier Freiwilliger . . . ich hatte einen Südwestafrikaner-Hut,
und wir hatten Abzeichen und waren national.
Wie kam das doch so auf einmal?[301]
Ja, der Lübecke hatte aufgebracht, daß ich ein Spitzel wäre.
Das ging gegen meine Ehre,
und das war von ihm eine große Gemeinheit.
Er war bloß eifersüchtig auf meine Reinheit.
Denn er machte immer was mit Völckner hinter der Scheune.
Und eines Sommerabends, so gegen halb neune,
da faßte er mich an und wollte mit mir auch einmal.
Aber ich sagte: »Ich melde es dem Korporal –!«
Denn seit zwei Monaten war ich anständig geworden.
Ich war fast der einzige im ganzen Orden . . .
Mir war gleich so komisch . . .
Da! – Wie sie mich wieder umkreisen:
die Ameisen! Die Ameisen!
Mir war gleich so komisch . . . Denn Lübecke wußte das von Bern . . .
(der hat damals bei Rathenau mitgemacht – mit Fischer und Kern),
und Lübecke war furchtbar mächtig in unserm Bund.
Und was er mal gesagt hatte, das tat er auch, und
da habe ich beim nächsten Appell gefehlt.
Und da hat der Lübecke sicher was Gelegenes erzählt.
Und Bröder, unser Kompanieführer, war leider nicht hier –
der war nämlich früher Offizier –
der war nicht da. Das war sehr schade.
Aber der war in Halle auf Parade.
Und da haben sie eine Übung angesetzt im Wald,
damit es nicht auffällt, wenn eine Patrone knallt.
Und da waren auf einmal vier da.
Lübecke nicht. Und sie haben kein Wort gesagt. Und sie kamen ganz nah
auf mich zu und sahen mich bloß an
und sagten: »Du bist kein deutscher Mann –!
Du bist ein Verräter –!« Und dann kam ein Schlag.
Und einer rief: »Das wird dein letzter Tag,
du Hund!« Und dann waren sie ganz stumm.
Und ich fiel hin, und sie trampelten noch auf mir herum.
Und dann weiß ich nichts mehr. Doch. Einer hat gerufen: »Was kann da sein?
Wir fallen ja doch nicht rein!«
Herrgott, ich bin mein ganzes Leben lang fromm gewesen.
Laß mich doch hier nicht ungerächt verwesen!
Laß es doch herauskommen! Sicher steckt der Lübecke dahinter.
Jetzt war schon einmal Sommer, und nun kommt Winter.[302]
Meine Mutter weiß nicht, wo ich geblieben bin . . .
Sie lassen mich sicher suchen, in Amerika oder Tientsin.
Lieber Gott, dir kann ichs sagen:
Wos zu spät ist, weiß ichs jetzt:
Siegreich wolln wir Frankreich schlagen –
alle haben so gehetzt!
Das Hakenkreuz, Gott, ich umkrall es!
Lieber Gott, mein Rufen gellt:
Deutschland, Deutschland über alles!
Über alles in der Welt –!
Buchempfehlung
Nach zwanzig Jahren Krieg mit Sparta treten die Athenerinnen unter Frührung Lysistrates in den sexuellen Generalstreik, um ihre kriegswütigen Männer endlich zur Räson bringen. Als Lampito die Damen von Sparta zu ebensolcher Verweigerung bringen kann, geht der Plan schließlich auf.
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro