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[147] Je kleiner die Leute, je größer der Klamauk. Horchen Sie mal in die Tür – die Kneipe liegt dicht beim Gerichtsgebäude.
»Da hat er jesacht, eine Hebamme is noch keen Korkenzieher!« – »Wie der Richter mit den Kopp jewackelt hat, da wußt ick schon: nu is ocke!« – »Wenn du dämlicher Ochse man so jeschworn hättst, wie ick dir det jesacht habe, aber nee – du mußt ja imma nach dein Kopp machen . . . « – »Ich ha die janze Sseit nachsimmeliert, woher daß diß kommt, daß die Jejenpachtei jeht niemals auf diesen Punkt ein . . . nu weeß ick et: der Ssahlungsbefehl is nämlich . . . « – »Un wenn ick soll bis nacht Reichsjericht jehn, ick will – mir nochn Bier – ick will mein Recht, diß wern wa ja mal sehn.« – »Diß kann a jahnich! diß kann der Mann ja jahnich! Nach die Ssivilprozeßordnung muß erscht der Sachvaständje sein Jutachten abjehm, und denn wern wa ja mal sehn,[147] wer hier hat schlechte Stiebeln abjeliefert!« – »Siehste, der Herr Rechtskonsulent sacht auch« – »Ein Augenblick mal: bessüchlich des Wertes des Streitjejenstandes is noch keine Entscheidung jetroffn worn, hier, lesen Se selbst inn Jesetz . . . « – »da hat er jesacht, ne Hebamme is noch kein – –«
Die übrige Welt ist versunken: die Leute haben nur noch Ohren und Augen für die ›Jejenpachtei‹, es ist derselbe Geist, der aus der Anzeige einer kleinen Provinzzeitung spricht, in der zu lesen stand:
Bitte den Verleumdungen aus dem Keller kein Ohr zu schenken.
Hochachtungsvoll A. Grimkasch.
Der Mann hatte vergessen, daß es noch mehr als einen Keller in der Stadt gab, er sah nur den einen, seinen: den Keller. In diesem Lokal hier sehen alle nur den Keller.
Denn wenn der kleine deutsche Mann ›vor Jericht‹ geht, dann ist er nach zwei Sitzungen romanistisch gefärbt, und das ist bei der sinnlosscholastischen Art, in der diese Prozesse gegen den gesunden Menschenverstand, aber streng nach den Regeln eines eigentlich ganz und gar undeutschen Rechts abgehandelt werden, kein Wunder. Längst geht es nicht mehr um die Stiefel, längst nicht mehr um die angetane Beleidigung: der Gegner soll ausgerottet werden, dem Erdboden gleich gemacht, mit Stumpf und Stiel vernichtet – auf ihn mit Gebrüll! Das ganze Individuum ist in zitternde Schwingungen versetzt, Köpfe laufen rot an, und Tausende von Kohlhaasen treiben um die Gerichte ihr Wesen – denn Recht muß doch Recht bleiben! Es ist soviel Rechthaberei dabei.
Nicht nur das Gesetz ist halbirre, genügt nicht den wirtschaftlichen Erfordernissen, schützt nicht die Schwachen . . . die Leute erwarten auch zu viel vom Gesetz. Sie erwarten erst einmal ein Gesetz, das ›genau auf ihren Fall paßt‹, und sie glauben immer – oh, du holder deutscher Irrtum! – daß sie ganz und gar recht hätten und der andere ganz und gar unrecht habe . . . »Na, det is doch klar wie Kloßbrühe!« Und noch im Himmel, beim ewigen Gericht, werden sie bestimmt gegen das Verdikt des lieben Gottes Berufung einlegen, denn in nichts setzt der gesetzestreue kleine Mann so viel Hoffnung wie in die letzte Instanz.