Holder Friede

[195] (Versmaß 1911)


Nun senkt sich auf die Fluren nieder

der süße Tran der Vorkriegszeit;

es kehren Ruh und Stille wieder,

getretener Quark wird weich und breit.

Und alle atmen auf hienieden:

Jetzt haben wir Frieden.


Nun ist es Herbst. Die Storchenpaare

stehn klappernd, und der Eichbaum schwankt.

Das ist ja wohl die Zeit im Jahre,

wo Engel sich mit Brechten zankt.

Die Ehe wird noch oft geschieden.

Jetzt haben wir Frieden.[195]


Wir wollen nur das eine wissen,

weil uns das wirklich interessiert:

Premierenknatsch in den Kulissen –

ob Kortner Jeßner engagiert?

Baut Laemmle pappene Pyramiden?

Jetzt haben wir Frieden.


Wir geben einer müden Masse

zum Ansehn, was sie niemals hat.

»In Schiffskabinen erster Klasse

gibt es jetzt Radio, Turnsaal, Bad . . . !«

Vergessen sind die Invaliden –

jetzt haben wir Frieden.


Verrauscht ist Lärm und Trommelfeuer,

verweht das Leid der Inflation.

Wir hassen jedes Abenteuer –

wir wollen nicht mehr. Wir haben schon.

Wir pfeifen auf dem ersten Loche.

Nun liegt schon alles weit entfernt . . .

Wir spielen Metternich-Epoche

und haben nichts dazugelernt.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 24.09.1929, Nr. 39, S. 490.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 7, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 195-196.
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