[310] »Es ist ein Irrtum zu glauben«, habe ich neulich bei einem hochfeinen Schriftsteller gelernt, »daß die Arbeiter die Türme erbaut haben; sie haben sie nur gemauert.«
Nur – ›nur‹ ist gut.
Es ist immer wieder bewundernswert, daß nicht viel mehr Türme einstürzen, Eisenbahnbrücken zusammenkrachen, Räder aus den Gleisen springen . . . auf wem ruht das alles? Auf einem Zwiefachen.
Auf dem Geist, der es ersonnen hat – und auf der unendlichen Treue, die es ausführte. Der geistige Mitarbeiter hat, manchmal wenigstens, noch mehr als eine innerliche Befriedigung von seinem Werk; er ist an den Überschüssen beteiligt, er kann sich Aktien kaufen, er hat den Ruhm, er macht seinen Namen bekannt . . . manchmal. (Obgleich[310] die großen Konzerne es verstanden haben, auch den Ingenieur, den Erfinder, den geistigen Bastler in ein trostloses Angestelltenverhältnis hinabzudrücken – der Arbeiter überschätze ja nicht den weißen Kragen: der täuscht.) Aber was hat der Arbeiter –?
Den unzulänglichen Lohn. Wenig Befriedigung. Im allerbesten Fall das verständnisvolle Lob des Werkmeisters, der seine Leute kennt und der von Schulze IV weiß: »Der Junge ist richtig. Wo ich den hinstelle, da klappts.« Das ist denn aber auch alles.
Um so beachtlicher, mit welcher Lust, mit welcher Treue im kleinen, mit welcher ernsten Fach- und Sachkenntnis dennoch alle diese Arbeiten ausgeführt werden. Es ist natürlich in erster Reihe die Überlegung: Mache ich das hier nicht gut, fliege ich auf die Straße . . . und dann –? Aber daneben ist es doch auch der Stolz des Fachmannes; die Freude an der Sache, trotz alledem, obgleich sich so viele bemühen, sie dem Arbeiter auszutreiben. Er vergißt mitunter, für wen er da eigentlich arbeitet, denn der Mensch ist schon so, daß ihn die Arbeit gefangennehmen kann, und er zieht die Schrauben an, als wären es seine eigenen, und als bekäme er es bezahlt. Er bekommt es nicht bezahlt; er bekommt nur seinen Wochenlohn.
Da hängen sie auf den Türmen, da liegen sie auf den Brücken, da lassen sie sich an Stellings herunter und pinseln auf schwanken Gerüsten – ich vergaß hinzuzufügen: nur. Sie mauern nur. Sie sorgen nur dafür, daß sich die geistige Vision des Erbauers auch verwirkliche – was ist denn das schon, nicht wahr, das kann doch jeder . . . Ob es auch der feine Schriftsteller kann, der dieses ›nur‹ hingeschrieben hat, das möchte ich bezweifeln. Daher ich der Meinung bin:
Der Handarbeiter ist dem Kopfarbeiter gleichzusetzen. Der eine ist unfähig, einen Turm auf dem Papier zu konstruieren, kennt nicht die heißen Nächte, wo das Werk, noch in den Wolken schwebend, nach Erfüllung ruft; der andere kann nicht jeden Morgen um fünf aufstehen, bei jedem Wetter zur Stelle sein, schwindelfrei arbeiten, seine Körperkraft drangeben . . . jeder seins.
›Nur‹? – Das Überflüssigste auf der Welt ist ein kleinbürgerlicher Philosoph.