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[295] Erinnerung – du Gold- und Silberschmied!
Dr.Owlglaß
Ich kannte einmal eine Frau, die ließ sich von jedem ihrer Freunde zur Erinnerung eine Handtasche schenken. Und sie hatte deren etliche.
Und dann kannte ich eine – die machte das viel hübscher: sie ließ sich von jedem eine Grammophonplatte schenken – die Grammophonplatte ihrer Liebe, jene, die sie um den Mann oft gespielt hatte . . . Daraufhin habe ich mir meine Grammophonplatten einmal angehört.
Hat das Ohr ein gutes Gedächtnis –? Das beste Gedächtnis hat bekanntlich die Nase; es ist gradezu ungeheuerlich, was einem alles einfällt, wenn man einen alten, vertrauten Geruch wieder wahrnimmt. Dann kommt alles wieder, aber auch alles: Ort, Zeit, Farben, Personen, Kolorit von damals . . . alles. Nun, ein Nasen-Grammophon gibt es noch nicht . . .
Da müssen doch noch alte, ganz alte Platten in der Kammer liegen . . . die habe ich hervorgeholt. Und habe sie gespielt. Wie war das –?
Es war ein akustischer Kostümball der Erinnerung. Ich hatte diese Lieder, Tänze, Märsche, Pfiffe, Saxophone, Chöre und Arien so lange nicht gehört – nun war auf einmal alles wieder da, genau wie damals, als ich sie gekauft hatte. Denn was hatte ich mit der Platte gemacht, als sie neu war? Das, was sicherlich so viele meiner Brüder und Schwestern in Grammophone tun: ich hatte sie bis zum Überdruß laufen lassen. Man soll das nicht, ich weiß. Aber die Platte ist doch dann so schön neu . . . Und da tut mans doch. (Sie nicht? Ehrlich! Hand aufs Grammophon! Na also.) Und dann war mir die Platte über geworden, wie sie uns allen über wird . . . und dann hatte ich sie weggelegt, und jetzt holte ich sie hervor – und da war alles, alles wieder da: das Ohr gab den Klang ans Gehirn weiter, dort traf er auf die schlummernden Nachbarkästen, da regte sichs, der Inhalt wachte auf, kam ans Licht . . . Besinnst du dich? sagte die Musik . . . und ich besann mich . . . Aus diesem schwarzen Kasten kann allerhand kommen.
Das Merkwürdigste, was mir je daraus gekommen ist, sind die Stimmen der Toten. Ich habe einmal bei dem Schauspieler Ernst Proeckl alte Giampietro-Platten gehört . . . da lief es einem aber kalt über den Rücken. Diese verknarrte, verrostete, immer ein wenig heisere Stimme – »Donnerwetter, Donnerwetter, wir sind Kerle« – mit langen, rutschenden Rrs . . . er war doch da!, und er war nicht mehr da. Und daß er nicht mehr da ist, dieser große Schauspieler, der Schmarren gespielt hat und so unendlich viel mehr konnte . . .
Die Stimmen der Toten . . . Fragson habe ich gehört, den pariser[295] Chansonnier, den sein Vater erschossen hat, die beiden waren in dieselbe Frau verliebt; und Paul Deschanel, den verstorbenen französischen Präsidenten . . . sie haben da in Paris ein ähnliches Phonogramm-Archiv wie in Berlin, Tausende und Tausende von Platten liegen dort. Da kann man sie hören, die, die nicht mehr da sind.
Und wenn sie dann ausgesprochen haben, ausgesungen, ausgeredet – dann rauscht es noch ein wenig im Apparat. Still . . . ! Es ist eine Stille . . . die Stille von 1910.
Wie lange noch, und unsere Kinder werden sich selber auf dem Grammophon haben. »Dann rückte er auch den Stuhl zum Tisch«, hört ›Immensee‹ auf, »nahm eins der aufgeschlagenen Bücher und vertiefte sich in Studien, an denen er einst die Kraft seiner Jugend geübt hatte.« Das wird ja dann wesentlich anders aussehen. »Pappi!« wird dann der Enkel sagen, »laß doch mal die Platte gehen, wo du so ulkig drauf sprichst!« Und Pappi läßt die Platte gehen. Es ist seine Rede zum 25. Stiftungsfest seiner Partei. Da bleibt kein Auge trocken: dem Alten fließen die Zähren, und die Kinder haben sich lange nicht so gut amüsiert.
Und denken Sie doch: wenn wir erst die Stimmen aller unserer Lieben auf dem Grammophon haben! »If I had a talking picture of you- hou –« singen Layton und Johnstone . . . Das kann ja heiter werden.
Inzwischen laßt uns die Platten der Erinnerung spielen.