Der verspielte Mann

[134] Man sagt immer, Frauen seien so unlogisch. Das ist gar nicht wahr. Die einzig wirklich logischen Wesen, die es gibt, sind die Frauen – sie sind so ernst. Sie haben freilich eine ihnen eigene Logik – aber sie nehmen alles ernst, sogar den Mann. Wenn der ganz dumm ist, tut er das auch; der Rest ist verschämt verspielt. Er traut sich nur nicht damit heraus.

Es gibt wohl keinen verständigen Herrn, der nicht ganz und gar unverständige Riten hätte: wenn er sich rasiert; wenn er die Pfeife[134] stopft; wenn er Manschettenknöpfe ins Hemd zieht . . . vom Bad zu schweigen. Es ist wie eine ausgleichende Ausspannung – je ernster und aufreibender der Tageslauf, desto verspielter die kleinen Riten seiner Alltagsgebräuche.

Der männlichen Riten gibt es mehrere Arten – man muß sie nicht ›Angewohnheiten‹ nennen, dazu ist die Sache zu ernst . . .

Man lese die Werke Lévy-Bruhls über die Seele der Primitiven, und man versteht diese Riten mühelos: jene, die den Menschen und die Dinge in ein absonderliches, mit der rationalen Vernunft nicht zu fassendes Verhältnis setzen. Streichholzschachteln müssen längs auf dem Nachttisch stehen – quer dürfen sie das nicht, dann gibt es . . . wie? Ein Unglück? Nein, ein Unglück eigentlich nicht; mit ›Aberglauben‹ soll man dem Herrn Mann nicht kommen. Er ist nicht abergläubisch. Aber die Streichholzschachteln müssen längs stehen. Weil sie immer längs gestanden haben. Oder doch in jenem glücklichen Jahr, als die Abschlüsse so gut waren. Hier verheddern sich die Gedanken . . . und nun stehen die Schachteln längs. Das muß so sein.

Beim Rasieren muß erst der Pinsel abgewaschen werden, und dann darf der Apparat gesäubert werden. Kehrt man diese Reihenfolge um, dann . . . man kann sie nicht umkehren. Man darf sie nicht umkehren. Das ist unmöglich. Sehr gut ist es auch, wenn man mit dem Rasierapparat einmal kurz an die Schachtel klopft, in der er wohnt. Das weckt den Geist, der . . . nein, natürlich wohnt da kein Geist, was sind denn das für Dummheiten! Aber gut ist es doch, auf alle Fälle.

Und was manche Männer treiben, wenn sie sich anziehen . . . ich habe mir von Damen, die es wissen müssen, sagen lassen: das wäre unbeschreiblich. Daher kann ichs nicht beschreiben. Das soll ja ganz toll sein. Warum ist das alles so –?

Weil sie uns nicht lange genug mit unserer Eisenbahn haben spielen lassen.

Da haben wir Griechisch lernen müssen (leider nicht genug) und Geschichtszahlen (leider zu viele) – und die Eisenbahn stand in der großen Pappschachtel und langweilte sich, und nun tragen wir zeit unseres Lebens die Sehnsucht mit uns herum, uns einmal richtig auszuspielen – und nun müssen wir uns mit Grammophonen trösten, mit Radiobasteln, mit den Brückenbaukästen unserer Neffen und, wenn wir Glück haben, mit der Organisation einer Kommunalbehörde. Es ist ein Jammer.

»Im Manne ist ein Kind versteckt, das will spielen . . . «, sagte Nietzsche. »Kinder hab ich alleine«, sagte Lottchen, als ich ihr das Zitat vorhielt.

Männer können auch ein Spiel spielen: ›Ernst des Lebens‹ heißt das. Das muß man gesehen haben! Haben Sie das mal gesehen?

Im Kriege regierten mich einst zwei Hauptleute; beide waren im[135] Zivilberuf, den sie halb vergessen hatten, Baumeister, aber nun waren sie Hauptleute, und was für welche! Sie machten sich die Kompetenzen strittig, sie zankten sich den lieben langen Tag miteinander, und eines Tages schlossen sie Frieden, und ich war dabei. Sie gingen aufeinander zu wie zwei große Berberlöwen, hoch aufgerichtet, feierlich brummend, sie schüttelten die Mähnen, und es war ein schier majestätischer Anblick. Hätte ihnen in diesem Augenblick einer gesagt: »Aber meine Herren . . . so wichtig ist euer Kram ja gar nicht . . . «, sie hätten ihm das Gesicht zerkratzt, etwa wie ein kleiner Junge, dem ein böses Dienstmädchen plötzlich sagt: »Dein Helm ist ja aus Papier!« Und an diese beiden löwischen Hauptleute muß ich oft denken, wenn ich ernste Männer in ernster Berufsarbeit ernst spielen sehe. Aber ich sags ihnen nicht, denn ich mag mir nicht das Gesicht zerkratzen lassen.

Wieviel Spiel ist im männlichen Ernst! wieviel Pose! wieviel Spiegel! So ernst aber wie eine Frau zum Beispiel ihre Arbeit nimmt – so ernst können wir Männer sie gar nicht nehmen. Das ist schade.

Und alles das darf man gar nicht sagen – es macht furchtbar suspekt. Man muß dran glauben. Man darf nicht spielen. Man muß den Ernst des Lebens hochhalten . . . bei Brille und Bart! Mancher lernts nie. Mensch, lach nicht – es gibt so wenig Leute, die dein Lachen ernst nehmen! Sie wollen etwas Ernstes haben, etwas, woran sie sich festhalten können. Und nicht mal dieser Artikel scheint ernst zu sein . . . Und so beschließe ich ihn denn mit den fingierten ›letzten Worten‹ des sechzigjährigen Franz Blei, die er sich notiert hat, um sie bei seinem Tode zu notieren:

»Ich nehme alles zurück.«


  • · Peter Panter
    Vossische Zeitung, 19.02.1931, Nr. 84.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 9, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 134-136.
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