Eisenbahner

[309] Im Stellwerk wachen in der Nacht –

Marsch – Marsch! Zehn Stunden Dienst gemacht!

Die schweren Hebel an der Hand,

Hitze und Zugwind am Führerstand.

Im Bauch kalten Kaffee, im Kopf das Signal,

die Strecke abgehen, hundertmal –:

das macht das Unterpersonal.


Hingegen:

Verfügungen schmieren, wie die dienstlichen Mützen

auf dem Proletenkopf sollen sitzen;[309]

nur die eigene Behörde kennen;

sich gegenseitig zum Geheimrat ernennen;

vom grünen Tisch den gemeinen Haufen

regieren, daß alle in Akten versaufen;

auf Wersalljes schimpfen, aufs Material –:

das tut das Oberpersonal.


Den Kopf hinhalten vor Gericht;

Maul halten, wenn der Richter spricht;

die Brust hinhalten, wenn es sprüht,

undichtes Rohr . . . der Dampf verbrüht . . .

ein heißer Strahl . . . weg, ins Spital . . .

So fünfzig–, hundert–, tausendmal –:

das macht das Unterpersonal.


Hingegen:

Intrigieren und organisieren –

paragraphieren und reglementieren.

Geht es bei Katastrophen ans Leben,

sich »persönlich auf den Schauplatz begeben«;

an Vorschriften und Verfügungen polken,

(wie ein Mond leuchtet Dorpmüller aus den Wolken).

Für die andern: Kommiß. Für sich selber: sozial.

Das macht das Oberpersonal.

Wir rufen ihm zu, so wie es da ist,

ein Signal, das kein Proletarier vergißt:

Abfahren! Abfahren! Abfahren –!


  • · Theobald Tiger
    Arbeiter Illustrierte Zeitung, 1930, Nr. 20, S. 389, wieder in: Lerne Lachen, auch u.d.T. »Die Reichsbahn«.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 9, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 309-310.
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