Schnipsel

[289] Wenn die Maschinen, die die Menschen so im Lauf der Zeit erfunden haben, nun auch noch funktionierten: was wäre das für ein angenehmes Leben –!


Langweilig ist noch nicht ernsthaft.


Er trug sein Herz in der Hand, und er ruhte nicht, bis sie ihm aus der Hand fraß.


Die beste Übersetzung für puella publica, die mir bekannt ist, heißt: Vorfreudenmädchen.


Erwarte nichts. Heute: das ist dein Leben.


Es gibt Zeiten, wo es für den Schriftsteller, der da wirken will, nicht gut ist zu schreiben. Wo das Geklapper der Schreibmaschine nicht so wichtig ist wie das Tick-Tack des Maschinengewehrs. Doch tackt dieses nur nach, was jene ihm vorgeschrieben hat.


Man stelle sich vor, Friedrich Nietzsche wäre gestorben, ohne Angehörige zu hinterlassen. Und man stelle sich vor. Freunde hätten sein Werk in Obhut genommen. Und es käme nun eine Frau gegangen, eine Frau Förster, Lieschen Förster, die sagte: »Ich möchte das Nietzsche-Archiv verwalten. Und eine Einleitung zu seinen Werken[289] will ich auch schreiben!« – Was hätten die Freunde gesagt? Nichts hätten sie gesagt. Man hätte die Achseln gezuckt und geschwiegen: eine arme Person . . .

Nun aber ist Lieschen die Schwester. Und nun darf sie. Sie darf die Werke Nietzsches einleiten, sie darf den Nachlaß Nietzsches, seine Briefe und seine Zettel verwalten, und sie verwaltet sie so, wie wir wissen. Genutzt hat es ihr nichts. Nietzsche, nicht das Brüderchen, der wahre Nietzsche ist, hauptsächlich durch Andler, bekannt geworden – trotz dieses Archivs.

Aber ist dieses Urheberrecht nicht eine Schande, ein Recht, das geistige Werte wie alte Socken vererbt? Es ist eine Schande.


Wenn einer einen Tintenklex auf dem Kinn hat und damit ernste Sachen redet, dann färbt die Tinte auf das Ernste ab, und alle seine Argumente werden lächerlich. So kindisch sind wir Menschen.


Wenn einer nichts gelernt hat –: dann organisiert er.

Wenn einer aber gar nichts gelernt und nichts zu tun hat –: dann macht er Propaganda.


Das wird im nächsten Krieg ein reizvolles Schauspiel sein: die Rotarier-Klubleute der gegnerischen Länder zu sehn, wie sie als gute Patrioten treu zu ihren Fahnen stehn, bedauernde, aber grundsätzliche Erklärungen loslassen, und dennoch – und das tröstet ungemein – auch fürderhin gute Rotarier sein und bleiben werden.

Aber machen das schließlich die Katholiken anders –?


Wer lobt, wird selten nach seiner Aktivlegitimation gefragt.


Greift einer den Militarismus, eine große Zeitung oder Moskau an, dann wird unter den Schlägen der Verteidigung ein Stöhnen hörbar: »Er hat Gott gelästert!« Vorwurfsvolle Augenklappen zum Himmel auf: Eigentlich brauchten wir uns ja gar nicht zu wehren . . . denn er hat Gott gelästert.


Merk: Wer sich so mit dem Nebel des Mysteriums umgibt, wie alle diese, die es mehr oder minder begabt der katholischen Kirche nachmachen, der zeigt, daß seine Position bei voller Klarheit viel zu fürchten hat.


Der Amerikaner hält sich für den ersten Mann der Welt, weil er kein Farbiger ist.

Der Engländer hält sich für den ersten Mann der Welt, weil er Engländer ist.

[290] Der Deutsche hält sich für den ersten Mann der Welt, weil er die Juden und die Franzosen haßt; was er selber ist, weiß er nicht genau.

So verschieden ist es im menschlichen Leben.


  • · Peter Panter
    Die Weltbühne, 15.09.1931, Nr. 37, S. 416.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 9, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 289-291.
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