§ § § §

[46] In der Großstadt, auf dem Lande, in den Städtchen

gibt es schöne, aber tugendhafte Mädchen.

Still! Still!

Man kann nicht alles sagen, was man will.

Denen gleich das Herze schmilzt, die haben keinen.

Die du gern erobern willst, die haben schon einen . . .

Kommt ne leere Droschke an,

ist sie meist besetzt.

Hat die Frau einen andern Mann,

dann flüsterst du zuletzt:

Soll ich dir mal sagen,

wie mein Herz tanzt?

Soll ich dir mal sagen,

was du mir kannst?

Wenn ich dich seh, gibts mir nen Stich,

mein ganzes Sehnen kreist um dich –

Könnt ich dir doch sagen:

O küsse mich –!


Schau ich mich so um in unsrer lieben Runde:

jedem Deutschen hängt ein § am Munde . . .

Still! Still!

Man kann nicht alles sagen, was man will.

Schreibst du: »Dieser Bursche ist total besoffen«,

gleich fühlt irgend ein Minister sich getroffen.

Seh ich mir die Gegner an,

wie kommen die mir vor!

Ich ginge gern zu jedem ran

und flüstert ihm ins Ohr:

Soll ich dir mal sagen,

wie mein Herz tanzt?

Soll ich dir mal sagen,

was du mir kannst?

Wenn ich dich seh, gibts mir nen Stich,

mein ganzes Sehnen kreist um dich:

Könnt ich dir doch sagen:

O küsse mich –!


Und so sei es denn hiermit gesagt.


  • [46] · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 01.03.1932, Nr. 9, S. 341.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 46-47.
Lizenz:
Kategorien: