Vierzehntes Kapitel.

[106] Der Ball beim Gouverneur fand einige Tage später statt. Matthias Ilitsch war in der Tat der Held des Festes. Der Adelsmarschall erklärte jedem, ders hören wollte, daß er nur ihm zu Ehren gekommen sei. Der Gouverneur selbst fuhr, mitten im Ball und ohne seinen Platz zu verlassen, fort, mit ängstlicher Sorge der Regierungsgeschäfte zu warten. Matthias Ilitschs Leutseligkeit tat der Majestät seiner Manieren keinen Eintrag. Er sagte jedem etwas Schmeichelhaftes; diesem mit einem Anflug von Geringschätzung, jenem mit einem Anflug von Achtung; er überhäufte die Damen mit Artigkeiten wie ein echter französischer Chevalier und lachte unaufhörlich mit jenem lauten Gelächter ohne Widerhall, wie sichs für einen großen Herrn schickt. Er klopfte Arkad auf die Schulter und nannte ihn mit erhobener Stimme seinen lieben Neffen; Bazaroff, der einen etwas überjährigen Frack angelegt hatte, beehrte er mit einem zerstreuten, aber doch wohlwollenden Seitenblick und mit einem liebenswürdigen Gemurmel, worin man nur das Wort »ich« und die Endung »ßerst« unterscheiden konnte. Er streckte Sitnikoff einen Finger hin und lächelte, aber mit abgewandtem Gesicht; er warf sogar der Madame Kukschin, die ohne Krinoline und mit schmutzigen Handschuhen, aber mit einem Paradiesvogel im Haar den Ball besuchte, ein »Entzückt« zu. Die Gesellschaft war zahlreich und es fehlte nicht an Kavalieren. Die Herren im Frack drückten sich meist an den Wänden hin, während die Militärs mit Leidenschaft tanzten, besonders einer von ihnen, der fast sechs Wochen in Paris gewesen war und von dort gewisse[107] charakteristische Ausdrücke, wie: ah, fichtrrre, pst pst, mon bibi usw., mitgebracht hatte. Er sprach sie mit Vollendung, mit echtem Pariser Schick aus, was ihn jedoch nicht hinderte, »si j'aurais« statt »si j'avais« zu sagen und »absolument« in der Bedeutung von »certainement« zu gebrauchen; kurz er sprach jenes Russisch-Französisch, worüber sich die Franzosen lustig machen, wenn sie's nicht für nötig halten, zu versichern, daß wir Französisch sprechen wie die Engel.

Arkad tanzte, wie gesagt, wenig und Bazaroff gar nicht; sie zogen sich mit Sitnikoff in eine Ecke des Saals zurück. Letzterer machte mit verächtlichem Lächeln Bemerkungen, die bösartig sein sollten, schaute mit herausforderndem Blick umher und schien sehr mit sich zufrieden. Plötzlich jedoch veränderte sich der Ausdruck seiner Züge, und zu Arkad gewendet, sagte er mit einer Art Unruhe:

»Da ist Madame Odinzoff.«

Arkad wandte sich um und gewahrte eine hochgewachsene, schwarzgekleidete Frau, die in der Türe des Saales stand.

Das Vornehme ihrer ganzen Erscheinung überraschte ihn. Ihre bloßen Arme fielen anmutig an dem schlanken Körper herab; leichte Fuchsiazweige senkten sich gleichfalls anmutig aus ihrem glänzenden Haar auf ihre schönen Schultern nieder; ihre klaren Augen, über denen sich eine weiße Stirn leicht wölbte, waren mehr ruhig und klug als sinnend. Ein kaum merkliches Lächeln schwebte auf ihren Lippen. Ihr ganzes Wesen atmete eine liebliche und sanfte Kraft.

»Sie kennen sie?« fragte Arkad Sitnikoff.

»Ganz genau. Soll ich Sie vorstellen?«

»Ich bitte darum ... nach diesem Kontertanz.«[108]

Bazaroff erblickte Frau Odinzoff ebenfalls.

»Wer ist dies Gesicht da?« fragte er, »sie gleicht dem andern Weibervolk nicht.«

Als der Kontertanz zu Ende war, führte Sitnikoff Arkad zu Madame Odinzoff; allein er schien lange nicht so gut mit ihr bekannt zu sein, als er gesagt hatte; er verwirrte sich bald in seinen Worten, und sie sah ihn mit einer Art von Erstaunen an. Doch malte sich ein freundlicher Ausdruck auf ihrem Gesicht, als er den Familiennamen Arkads nannte. Sie fragte diesen, ob er ein Sohn von Nikolaus Petrowitsch sei.

»Ja,« erwiderte er.

»Ich habe Ihren Vater zweimal gesehen und schon viel von ihm sprechen hören; es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

In diesem Augenblick wurde sie von einem jungen Adjutanten zu einem Kontertanz aufgefordert. Sie nahm es an.

»Sie tanzen also?« fragte Arkad ehrerbietig.

»Ja, aber warum fragen Sie mich das? Scheine ich Ihnen zu alt zum Tanzen?«

»Wie können Sie mir einen solchen Gedanken unterstellen? Erlauben Sie mir, Sie um die nächste Masurka zu bitten?«

Madame Odinzoff lächelte. »Gerne,« erwiderte sie und sah Arkad an, nicht mit Gönnermiene, aber so, wie verheiratete Schwestern ihre jüngeren Brüder anzusehen pflegen. Madame Odinzoff war ein wenig älter als Arkad. Sie hatte das neunundzwanzigste Jahr zurückgelegt; aber Arkad kam sich in ihrer Gegenwart wie ein junger Student, wie ein Schüler vor, wie wenn der Altersunterschied noch[109] viel größer gewesen wäre. Matthias Ilitsch trat mit majestätischer Miene auf sie zu und machte ihr Komplimente. Arkad trat einige Schritte zurück; er ließ sie sogar während des Kontertanzes nicht aus den Augen. Sie unterhielt sich ebenso natürlich mit ihrem Tänzer wie mit Matthias Ilitsch, wobei sie Kopf und Augen langsam von einer Seite zur andern wandte. Arkad hörte sie zwei- oder dreimal ganz leise lachen. Sie hatte vielleicht, wie fast alle russischen Frauen, eine etwas starke Nase, und ihr Teint war nicht vollkommen alabasterweiß; Arkad mußte sich aber gleichwohl gestehen, daß er noch nie einer vollkommeneren Schönheit begegnet sei. Der Ton ihrer Stimme klang ihm fortwährend in den Ohren; es schien ihm sogar, daß die Falten ihres Kleides anders fielen als bei den Frauen um sie her, symmetrischer und reicher, und daß all ihre Bewegungen ebenso natürlich als edel seien.

Bei den ersten Klängen der Masurka empfand Arkad eine Art Erschütterung; er setzte sich neben seine Tänzerin und fuhr, da er nicht wußte, wie er eine Unterhaltung anknüpfen sollte, mit der Hand durch die Haare. Diese Verlegenheit dauerte aber nicht lange. Die Ruhe der Frau Odinzoff besiegte sie schnell. Ehe eine Viertelstunde verflossen war, unterhielt er sie unbefangen von seinem Vater und seinem Onkel, von seiner Lebensweise in Petersburg und auf dem Lande. Frau Odinzoff hörte ihm, den Fächer auf und zu machend, mit artiger Aufmerksamkeit zu. Arkads Geplauder wurde nur unterbrochen, wenn jemand seine Tänzerin engagierte. Sitnikoff forderte sie unter anderem zweimal auf. Sie kehrte an ihren Platz zurück und spielte wieder mit ihrem Fächer; ihr[110] Busen hob sich nicht rascher, und Arkad nahm seine Erzählung wieder auf, glückselig, sich in ihrer Nähe zu befinden, mit ihr reden und dabei ihr Auge, ihre schöne Stirn, ihr ernstes und anmutiges Gesicht betrachten zu dürfen. Sie selbst sprach wenig; gleichwohl bekundeten ihre Worte eine gewisse Lebenserfahrung; Arkad konnte aus einigen ihrer Bemerkungen schließen, daß sie trotz ihrer Jugend schon manche Erregungen durchgemacht und über viele Dinge nachgedacht habe.

»Wer war bei Ihnen, als Herr Sitnikoff Sie mir vorstellte?« fragte sie.

»Sie haben also den jungen Mann bemerkt?« antwortete Arkad; »nicht wahr, er hat eine frappante Physiognomie? Er heißt Bazaroff und ist mein Freund.«

Arkad fing nun an, von seinem Freund zu reden.

Er geriet dabei in solche Einzelheiten und sprach mit so viel Feuer, daß Frau Odinzoff sich nach Bazaroff umwandte und ihn mit Interesse betrachtete. Darüber ging die Masurka zu Ende. Arkad bedauerte, sich von seiner Tänzerin trennen zu müssen; eine Stunde war ihm so angenehm mit ihr verflossen. Nicht, als ob er nicht fortwährend gefühlt hätte, daß sie ihn sozusagen mit einer gewissen Herablassung behandelte; aber er wußte ihrs Dank, denn junge Herzen fühlen sich von der Protektion einer schönen Frau nicht gedemütigt.

Die Musik schwieg.

»Danke,« sagte Frau Odinzoff im Aufstehen. »Sie haben versprochen, mich zu besuchen; ich hoffe, Sie bringen mir Ihren Freund mit. Ich bin sehr begierig, einen Mann kennen zu lernen, der den Mut hat, an nichts zu glauben.«

Der Gouverneur trat zu Frau Odinzoff, kündigte ihr[111] an, daß das Souper bereit sei, und bot ihr mit seiner Geschäftsmiene den Arm. Im Weggehen kehrte sie sich nochmals nach Arkad um und nickte ihm halb lächelnd zu. Dieser verneigte sich tief, und während er ihr mit den Blicken folgte (wie elegant schien ihm ihre Gestalt, umrauscht von den glänzenden Wogen ihres schwarzen Atlaskleides!), sagte er sich: »Ohne Zweifel hat sie schon völlig vergessen, daß ich auf der Welt bin.« Und beinahe augenblicklich kam das Gefühl einer gewissen Entsagung über ihn, die er für eine fast romanhafte Großmut hielt.

»Nun,« fragte Bazaroff seinen Freund, sobald dieser sich wieder in die Ecke zu ihm gesetzt hatte, »du bist glücklich gewesen? Man sagt mir soeben, daß die Dame ... hm, hm. Übrigens könnte der Herr, der michs versichert hat, ein Dummkopf sein. Was hältst du davon? Ist sie wirklich ... hm, hm?«

»Ich verstehe den Sinn deines ›hm, hm‹ nicht,« antwortete Arkad.

»Geh mir doch, Unschuld!«

»Wenns so gemeint ist, verstehe ich deinen Herrn nicht. Frau Odinzoff ist sehr liebenswürdig, das ist gewiß; aber sie hat ein so kaltes und stilles Wesen, daß ...«

»Stille Wasser sind tief, weißt du!« fuhr Bazaroff fort. »Du sagst, sie sei kalt; das gibt ihr ja eben Wert. Liebst du Gefrorenes nicht?«

»Das ist alles möglich,« sagte Arkad; »ich laß es unentschieden. Aber sie will deine Bekanntschaft machen und hat mich gebeten, dich zu ihr zu bringen.«

»Du mußt ihr, scheint es, ein schönes Bild von mir entworfen haben. Übrigens verarge ich dir das nicht.[112] Mag sie sein, was sie will, eine einfache Löwin aus der Provinz oder ein emanzipiertes Weib nach Art der Kukschin, sie hat nichtsdestoweniger Schultern, wie ich noch keine gesehen habe.«

Der Zynismus dieser Worte berührte Arkad peinlich, aber wie mans oft macht, er beeilte sich, seinem Freund wegen etwas anderem, diesem Gefühl Fremdem, einen Vorwurf zu machen.

»Warum willst du den Frauen die Freiheit, zu denken, verweigern?« fragte er halblaut.

»Weil ich bemerkt habe, mein Lieber, daß alle Frauen, die von dieser Freiheit Gebrauch machen, wahre Vogelscheuchen sind.«

Damit schloß die Unterhaltung. Die beiden Freunde entfernten sich unmittelbar nach dem Souper. Madame Kukschin warf ihnen beim Gehen ein verstecktes, aber zorniges Lächeln zu. Keiner von beiden hatte ihr die mindeste Aufmerksamkeit geschenkt, und ihre Eitelkeit war dadurch schwer gekränkt. Sie blieb bis zum Schluß und tanzte noch um vier Uhr morgens mit Sitnikoff eine Polka Masurka nach Pariser Art.

Mit dieser erbaulichen Aufführung endete der Ball beim Gouverneur.

Quelle:
Turgenjeff, Iwan: Väter und Söhne. Leipzig [1911], S. 106-113.
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