Erste Szene

[62] Saal im Palaste zu Aachen. Auf beiden Seiten Eingänge, in der Mitte eine Flügeltür.

Kaiser Kunrad tritt von der Rechten auf, seinen Sohn Heinrich an der Hand führend, beide festlich gekleidet.


KUNRAD.

Die Sonne, die sich strahlend dort erhebt,

Sie führet einen folgeschweren Tag

Für mich und dich, geliebter Sohn, herauf.

Geweihet sollst du werden und gekrönt

Zu Aachen hier, der alten Krönungsstadt,

Als deutscher König; Erbe sollst du heißen

Des Thrones, der vor allen herrlich steht.

So stellt sich mir die große Hoffnung fest,

Daß mein Geschlecht, der sal'sche Frankenstamm,

Begründet sei als Deutschlands Herrscherhaus.

Noch fassest du die volle Deutung nicht,

Jedoch geziemt es dir, an solchem Fest

Dich würdig zu benehmen, achtsam, ernst,

Denn reiche Zukunft schwebt ob deinem Haupt.

HEINRICH.

Wohl glaub ich, deine Rede zu verstehn:

Mein Lehrer und Erzieher, Bischof Bruno,

Hat mir gesagt, daß Gott uns auserwählt,

Neu aufzurichten Karls des Großen Reich.

Doch sieh! die Mutter wandelt dort heran;

Wie schön geschmückt! Doch traurig ist ihr Gang.


Die Kaiserin Gisela tritt von der Linken auf.


GISELA.

Mein Herr und mein Gemahl, du bist bereit,

Dahinzugehn in feierlichem Zug

Zum hohen Dome, zu der Krönung Fest.

Da werden, wie du schreitest durch die Stadt,

Der Armen viel und der Unglücklichen

Hülf flehend fassen deines Mantels Saum,

Denn Gnade blüht an solchem Freudentag.[62]

Laß mich der Flehenden die erste sein,

Laß mich die erste fassen dein Gewand;

Ist doch mein Leiden auch das letzte nicht!

KUNRAD.

Nicht mein Gewand ergreife: nimm die Hand!

Sag an, was diese Hand vollführen soll!

Nichts je gebeten hat mich Gisela,

Was zu gewähren mir nicht rühmlich war.

O zögre nicht! Wo alles Volk sich freut,

Soll ich bekümmert sehn die Königin?

GISELA.

Ob ich in Purpur, ob in schwarzer Tracht

Erscheinen solle, zweifelte mein Herz,

Darin die Freude ringet mit dem Leid:

Indes der Sprößling unsres Ehebunds

Der Königskrönung hier entgegengeht

Und drob das Herz mir schwillt von Mutterstolz,

Indes verzehrt ein andrer, auch mein Kind,

Der frühern Ehe erstgeborner Sohn,

Der einst der Schwaben Herzogsfahne trug,

Vom Vater, meinem Gatten, ihm vererbt,

Verzehrt im Kerker seiner Jugend Kraft;

Drei Jahre sitzt er auf dem Gieb'chenstein

Und horchet auf der Saale Wellenschlag,

Die unter seinem Gitter rauscht entlang.

HEINRICH.

Auch mich verdroß es, wenn ich's sagen darf,

Als jüngst ein Edelknabe zu mir sprach,

Du habest darum Ernsten eingesperrt

In einen tiefen und sehr finstern Turm,

Damit ich desto reicher werden soll:

Drum bitt ich, lieber Vater, laß ihn los!

KUNRAD.

Ward Herzog Ernst entsetzt und eingekerkert,

Nicht unverschuldet litt er solche Schmach,

Und nicht durch meinen, durch des Reiches Spruch;

Aufrührer war er, seines Königs Feind.

Begnadigt nach so frevelhafter Tat,

Empört' er gleichwohl sich zum zweitenmal

Und setzte so der Gnade selbst ein Ziel.

GISELA.

Rudolf, der Schattenkönig von Burgund,

Mein Oheim, dessen ich mich nie gerühmt,

Ein Greis, der niemals Jüngling war noch Mann,

Erzitternd vor dem meisterlosen Trotz

Unbändiger Vasallen, wandt er sich[63]

An seiner Blutsverwandten mächtigsten,

An Kaiser Heinrich, der vor dir geherrscht.

Damit er diesen sich verpflichtete,

Ernannt er ihn durch bündigen Vertrag

(Denn ohne Sprößling war der dürre Stamm)

Zum Erben des burgund'schen Königtums.

Doch Gottes heil'ger Ratschluß fügt' es so,

Daß Kaiser Heinrich zu den Vätern ging,

Indes der Greis noch auf dem Throne schwankt.

War Heinrich als des Deutschen Reiches Haupt

Thronerbe von Burgund, so tratest du,

Der neue Kaiser, in den Anspruch ein;

Schloß er als Blutsverwandter den Vertrag,

So blühte jetzt des Erbes Anwartschaft

Dem Schwesterenkel Rudolfs, meinem Sohn:

Darob entspann sich Hader zwischen euch,

Und als nun Rudolf selbst zu feige war,

Sich auszusprechen, wie er es gemeint,

Ergriff mein Sohn in jugendlicher Hast

Und aufgeregt durch schlimmer Freunde Rat,

Ergriff die Waffen. Und urteile nun,

Wenn du es nochmals prüfend überschaust:

Hatt er nicht einen Schein des Rechts für sich,

Den Schein, der leicht ein junges Herz verführt?

KUNRAD.

Ein Vorwurf liegt in deinem milden Wort,

Ich fühl ihn, aber nicht verdien ich ihn.

Als du nach Herzog Ernsts unsel'gem Tod

Die Hand mir gabest zu beglücktem Bund,

Da übernahm ich und beschwor die Pflicht,

Der zugebrachten Söhne jederzeit

Zu pflegen, wie ein rechter Vater soll.

Und als mich drauf der Fürsten und des Volks

Einstimm'ge Wahl zum Kaiserthron berief,

Da steckt ich mir nach wohlermeßnem Recht

Die scharfen Grenzen meines Wirkens aus.

Burgund gehört dem Reiche, Schwaben bleibt

Bei deinem Stamme: darnach handelt ich;

Weil Ernst nicht lassen wollte von Burgund,

Mußt ich ihn strafen als des Reiches Vogt;

Weil Schwaben deinem Hause bleiben soll,

Ließ ich das Herzogtum bis jetzt erledigt;[64]

Die Jugend Hermanns, deines zweiten Sohnes,

Gestattete mir nicht, ihn zu belehnen,

Damit nicht, gleich dem Bruder, ihn die Macht

Verleitete zu übermüt'gem Tun;

Dem klugen Bischof Warmann übertrug

Ich unterweilen die Statthalterschaft;

Den Deinen blieb das Herzogtum bewahrt.

GISELA.

Nicht ziemet mir, erlauchtester Gemahl,

Das Urteil über deinen Herrschergang,

Die kräftige Verwaltung deines Amts.

Doch, was ich sagte, wirst du gern verzeihn:

Der Kinder Fehle zu entschuldigen,

War doch von je der armen Mütter Recht.

KUNRAD.

Man rühmet, Gisela, von dir, du seist,

Gleich wie an Würden die erhabenste,

So auch die weiseste der deutschen Fraun,

Und oft schon warest du Vermittlerin

Von Zwiespalt, welcher unversöhnlich hieß.

Auch zwischen mir und deinem Sohne, der

Mit meinen schlimmsten Feinden sich verschwor

Und wider mich des Aufruhrs Fahne schwang,

Hast du Versöhnung einst herbeigeführt.

Bestätiget in seinem Herzogtum

Nahm ich ihn mit auf den ital'schen Zug,

Vertraut ihm meiner Scharen Führung an;

Belehnt mit Kemptens stattlicher Abtei,

Entließ ich ihn und lud durch diese Gunst

Auf mich den Haß gekränkter Geistlichkeit.

Doch kaum hat er die Alpen überstiegen,

Indes im fernesten Apulien ich

Mir die Normannen nehm in Lehenspflicht,

Ruft er die alemann'sche Jugend auf,

Verheert das Elsaß und bedrängt Burgund.

Hat, wie du sagst, der Jugend Ungeduld,

Hat böser Freunde Rat ihn irrgeführt,

So war ihm jetzt im einsamen Verlies

Zu reiflicher Besinnung Zeit gegönnt.

Und wenn ich jetzo, deinem Wunsch gemäß,

Von neuem gänzlich ihn begnadigte,

Und gleichwohl ungebessert, unbeschämt,

Er wieder sich auflehnte gegen mich:[65]

Sprich! könntest du nach deinem weisen Sinn

Auch dann noch ihn rechtfert'gen, könntest du

Zum drittenmal verlangen...

GISELA.

Wie? du willst?

Mein banges Flehen hat dein Herz gerührt?

O sprich es aus! Gib mir Gewißheit!

KUNRAD.

Eins

Vernimm zuvor! Wenn jetzt zum drittenmal

Dein Sohn mir trotzig sich entgegenstemmt,

Wenn er den nötigen Bedingungen,

Die ihm das Reich vorschreibt, sich widersetzt,

Dann hab ich meine Vaterpflicht erfüllt,

Dann bin ich der Vollstrecker des Gerichts,

Das furchtbar über ihn ergehen muß.

Du aber leg die Finger auf die Brust

Und schwöre mir mit einem teuren Eid,

Daß du alsdann ihm nicht zur Hülfe sein,

Daß du nicht rächen wirst, was ihm geschieht,

Und daß du selbst nicht bittest mehr für ihn!

GISELA.

Ich schwöre das bei dem wahrhaft'gen Gott.

Gib mir den Sohn! Für ihn verbürg ich mich.

KUNRAD.

Zuvorzukommen jedem deiner Wünsche,

War stets mein Trachten, und so hab ich auch,

Vorahnend was du jetzt von mir begehrst,

Nach dem Gefangnen zeitig ausgeschickt.

Sein Bruder Hermann hat ihn abgeholt,

Und angekommen sind sie diese Nacht.

Geh, Heinrich, führe deine Brüder her!

Durch dieses freudenreiche Wiedersehn

Verherrliche sich uns dein Ehrentag!


Heinrich durch die Mitteltür ab.


GISELA.

Nimm meinen Dank, den heißen Herzensdank,

Den Dank, der aus dem vollen Auge quillt!

Die Träne, die den Purpur mir benetzt,

Sie ist der reichste, königlichste Schmuck,

In dem ich könnt an deiner Seite gehn.


Ernst, Hermann und Heinrich treten auf.


HEINRICH.

Hier ist er.

ERNST.

Meine Mutter![66]

GISELA.

O mein Sohn!

Bist du's, mein Ernst? Wie hager, o wie bleich!

HERMANN.

Das Reisen durch die Nacht hat ihn verstört.

ERNST.

Wohl war es eine lange, kalte Nacht.

GISELA.

Die braunen Locken sind ihm halb ergraut.

ERNST.

Das ist der Reif von jener kalten Nacht.

Hier atm ich Morgen. Mutterliebe, dir

Ist aufgetauet dies erstarrte Herz.

GISELA.

Wohltätig wirkt der Freiheit reine Luft;

An innrer Heilkraft ist die Jugend reich:

Auch du wirst neu aufleben, teurer Sohn.

KUNRAD.

Die trüben Bilder der Vergangenheit,

Die Spuren trauriger Erfahrungen,

Laßt sie verschwunden und vergessen sein!

Der heitern Zukunft öffnen wir den Blick,

Die mit dem heut'gen Tage sich erschließt!

Schon rufet uns der Glocken Feierklang:

Die Krone harret dieses Jünglinges.

Hernach in offner Reichsversammlung wird

Mit Schwaben neu belehnet unser Ernst.

ERNST.

Erhabner Kaiser, deine Huld an mir

Soll dir in deinem Sohn vergolten sein.

Ihr aber, meine treugeliebten Brüder,

In frischer Jugendblüte steht ihr da:

Ich stehe früh gealtert zwischen euch,

Dem Laube gleich, das vom vergangnen Jahr

Am frischbegrünten Zweige hängenblieb.

O nehmt an mir ein Beispiel, Jünglinge,

Daß eure Jugend euch beglückter sei!

Du wirst, mein Hermann, zu dem ersten Kampf

Hinabziehn in Italiens Waffenfeld:

O mögen schönre Kränze dir erblühn,

Als meiner Jugend Kämpfe mir gebracht!

Und du, mein Heinrich, der du heute wirst

Zum Erben eines hohen Throns geweiht:

O streu in deinem Volke solche Saat,

Daß beßre Früchte dir gedeihn als mir!

HEINRICH.

Dank deinem Wunsche!

HERMANN.

Dank und Bruderkuß!

GISELA.

Ihr teuren Söhne, Segen über euch,

Ihr meine Hoffnung, meine Lust, mein Stolz![67]

KUNRAD.

Laßt uns vereint zum Krönungsfeste gehn,

Und alles Volk erfreue sich, wenn es

So schön verbunden sieht sein Königshaus!


Sie gehen durch die Mitteltür ab, der Kaiser mit Heinrich, Gisela mit Ernst und Hermann.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 2, München 1980, S. 62-68.
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