Zwölftes Kapitel

[156] Bei dem Abendtisch fand sich der ganze Cirkel der Hausfreunde ein, wozu nun auch der Baron Weißensee gehörte. Wassermann war toll und böse über diesen neuen[156] Aristokraten, wie er ohne Umstände jeden Adlichen nannte, der ihm um so mehr zuwider war, weil er einen neuen gefährlichen Rival bei Albertinen in ihm ahnete. Auch war seine Grobheit gegen den Baron ganz unbegränzt, und wo dieser nur den Mund aufthat, war er bereit, ihm auf's beleidigendste zu widersprechen. Traf es sich nun zum Unglück, daß Albert mit dem Baron einerlei Meinung war, so schrie Wassermann über den Esprit de Corps dieser Kaste, über Despotisirung der Meinungen u.s.w. Bei dieser Wendung des Gespräches war Niemanden wohl, und alle waren froh, als es zu Tische ging.

Vorher nahm noch Albert einen Augenblick wahr, Albertinen leise zu sagen: der Baron Weißensee sei der nemliche, von dem er wisse, und sei aller Wahrscheinlichkeit nach ein Avanturier, ein entlassener Schauspieler, und gehöre jetzt zu einer Spielerklicke. Es sei ihm heilige Pflicht der Freundschaft, ihr dieses zu sagen. Albertine dankte ihm etwas kalt und nicht ganz mit der[157] Unbefangenheit, mit der sie sonst alles that. Albert zog sich bescheiden zurück.

Über Tische wurde unter Mancherlei, auch die Weltbürgerschaft ein Gegenstand des Gesprächs. Wassermann erklärte sich wüthend dafür, und meinte, in Fällen, wo es auf's Wohl der Menschheit ankäme, könne man seinen Kreis nicht weit genug ziehen. Albert behauptete, dies sei Bequemlichkeitstrieb, weil der Anforderungen für die Ferne wenige wären. In der Nähe und in engen Kreisen zu wirken, sei sicherer, als seinen Wohlthätigkeitstrieb nach Amerika oder sonst in die Ferne zu schicken. Die nähern Ansprüche der Verwandtschaft, nach diesen die der Mitbürgerschaft zu erfüllen, sei verdienstlicher, und fände dann ein großer, vielumfassender Geist einen ferneren Wirkungskreis in seiner Sphäre zu ziehen möglich, so wäre dies freilich etwas Großes, könne aber nie allgemeine Tugend werden. »Wie?« schrie Wassermann; »Sie wollten nicht mit Leib und Gut für die armen, bedrängten Neger wirken? – Mit[158] meinem Leben möcht' ich's!« – »Ich vor der Hand nicht!« sagte Albert ruhig; »noch habe ich zu viel Pflichten gegen meine Gutsunterthanen und gegen viele andre meiner Mitbürger auszuüben.« – Wassermann überschrie ihn und trieb es so arg, daß man hätte meinen sollen, er werde noch diese Nacht unter Seegel gehen, die Schwarzen zu befreien.

Indem erscholl's im Hause: »Feuer! Feuer!« – Die Thüren des Speisesaales wurden aufgerissen, und die Domestiken stürzten todtenbleich mit der Nachricht herein: es brenne im Hinterhause; der Stall stehe in lichten Flammen.

Alle sprangen von ihren Sitzen auf und eilten heraus. Nur der einzige Wassermann blieb ruhig sitzen, trank sein Glas Champagner aus, stürzte sich noch eines ein, trank in der Geschwindigkeit einige vollstehende Gläser aus, packte von den Dessert-Tellern die Macaronen und süßen Orangen ein, suchte seinen Hut, nahm noch ganz ruhig ein Buch zu sich, welches er liegen[159] sah, las eine Recension mit allem Bedacht, und verschwand, ohne sich nach dem schauerlichen Auftritt in dem befreundeten Hause umzusehen, ganz gelassen, wahrscheinlich, um von den – Negern zu träumen.

Jetzt war ein Jeder nach seinem Karakter geschäftig. Albert war sogleich hingeeilt, die Pferde aus dem brennenden Stall zu ziehen. Albertine war durch den erstickenden Rauch in die Kutscherwohnung gedrungen, riß die schlafenden Kinder aus den Betten, und den Käfigt mit dem kleinen Zeisig vom Nagel, alles Lebende zu retten. Albert, der die Pferde seinen Bedienten übergeben hatte, war ihr nachgeeilt; sie winkte ihm mit der Hand, nach einer Stiege, die nach oben führte, hin. Albert flog herauf, obgleich die Flammen schon über ihm zusammenschlugen, und brachte bald glücklich eine arme, alte, kranke Frau auf seinen starken Armen getragen. Viele der Herren schleppten Wasser; der Baron aber stand von ferne und bot Geld über Geld, wer retten hülfe. Dämmrig[160] trippelte oben in seinem Reviere umher und gab zweckwidrige Befehle, die zum Glück Niemand befolgte. Elise sank aus einer Ohnmacht in die andere und declamirte zwischen durch das Lied vom braven Manne von Bürger in den Lärmen hinein. Laurette schimpfte auf den mechanten Pöbel, der einen solchen Aufstand im Hause angerichtet habe, und der nicht werth sey, daß er gerettet werde. Frau Rosamunde war an ihrem Theile sehr zweckmäßig für sich thätig, denn sie packte mit ihrer Kammerjungfer alles von Kostbarkeiten, was sie nur ansichtig wurde, zusammen, um, im Fall das Feuer weiter um sich griffe, damit abziehen zu können.

Erst, als alles vorüber war, und die Gesellschaft sich gegen Morgen zu einem Frühstück zusammen fand, bemerkte Albertine, daß sie den einen Arm sehr beschädigt habe. Albert, ohne ein Wort zu sagen, verschwand, und kam nach einer Viertelstunde mit einer Brandsalbe zurück, die sogleich mit Erfolg angewendet wurde; indeß[161] der Baron diese Zeit mit fruchtlosem Bedauern und hundert kleinen Artigkeiten vertändelt hatte, die, wir müssen es leider zur Steuer der Wahrheit sagen, Albertinen so wohl thaten, als kaum nachher das erprobte Mittel, das der redliche Albert herbeigeschafft hatte.

»Und wo hat denn unser Kosmopolit Ende genommen?« fragte Onkel Dämmrig. – Ein jeder sagte seine Vermuthungen und übte seinen Witz; nur Laurette, die ihren Mann um so besser kannte, als sie sich ihm in seinen ökonomischen Angelegenheiten zur Vertrauten aufgedrängt hatte, behauptete, er habe seine weißseidnen Strümpfe und die Prunkweste nicht Preis geben wollen; und so verhielt sich's wirklich. Denn als er Mittags vom Onkel Dämmrig geneckt wurde, stieß er's in der Ärgerniß heraus, daß dieses Mal in der That die neuen Strümpfe und die schöne Weste den edlen Kosmopoliten unthätig erhalten hatten. Albertinen machte er ernste Vorwürfe, daß sie sich um nichts und wieder nichts in Ungelegenheit[162] gestürzt hätte. – »Um nichts und wieder nichts? Ich habe zwei liebe Kleinen gerettet, und das, wie Sie sehen, um einen sehr geringen Preis!« – »Wer weiß auch noch, ob es ein Glück für die Welt und selbst für die Kinder ist, daß sie am Leben erhalten sind? Der ungebildete Mensch steht nur eine Stufe über dem Thier; und es ist nicht recht, wenn der nützlichere, der gebildete sich für das Untergeordnete wagt; sich der Welt zu erhalten, ist die höhere Pflicht!« – »Abscheulich!« sagte Albertine, und wendete sich indignirt von ihm. – »Und die lieben Neger?« fragte Onkel Dämmrig, der nicht leicht eine Neckerei fahren ließ. »Wassermann, Wassermann, mich dünkt, ihr System ist lahm und hinkt auch!« – Unser Magister that, was er immer that, wenn er sich in die Enge getrieben fühlte: er wurde grob. »Gewisse Leute,« schrie er, »sollten sich doch endlich resigniren, und gestehen, daß sie vieles nicht begreifen und in das Wesen höherer Naturen nicht einzugehen vermögen!«[163] – Übrigens hatte der Weltbürger sich mit keiner Sylbe nach dem traurigen Vorfall erkundigt, wie das doch wohl ein ganz Fremder gethan haben würde.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 156-164.
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