Zweites Kapitel

[8] Durch einen Lauben-Gang blühender Akazien, wurde Albert in einen elegant geschmückten Salon eingeführt, wo einige Herrn und Damen um einen Theetisch versammelt saßen. Ganz isolirt thronte ein zierlicher Herr aus der Classe alter Jünglinge, hoch in einem grünattlassenen Armstuhl, die geschwollenen Beine weit über ein elastisches Kissen vor sich hinstreckend. Er war Albertinens Onkel, der reiche, übersatte Banquier Dämmrig.

Als Albertine ihm ihren Begleiter vorstellte, lüftete er ein wenig das seidne Baret vom künstlich nachlässigen Haar und fragte mit grellem nasenden Ton: »wer – wen – hm, hm, – hat man die Ehre?« Albertine blickte verlegen auf Alberten; daran hatte sie warlich noch nicht gedacht. Plötzlich flog es ihr durch die Seele, sie könne wohl etwas thörichtes begangen haben. Befriedigend war ihr also seine Antwort, als er sich Albert von Ulmenhorst[8] nannte. Wie er sagte, war er erst kürzlich von seinen Reisen zurück gekommen und bewohne jetzt sein in der Nachbarschaft gelegenes Gut Ulmengrund.

Die süßen Wörtlein: von und Reisen, durchfuhren den weiblichen Kreis, der bis dahin keine Notiz von dem schönen Jäger genommen hatte, wie ein elektrischer Schlag. Zum hohen Verdrusse eines jungen strupfköpfigen Schöngeistes, der eben ein Manuscript vorlesen wollte, rief die prima Donna der kleinen Witzbühne mit geziertem Tone: »Albertine! wollen Sie uns ihren Fremden nicht auch vorstellen. Mon cher, ich prätendire, sie sollen uns den fremden Herrn nicht vorenthalten.« Dieser mon cher, war der Onkel mit den geschwollenen Beinen.

Albertine stellte ihren Begleiter mit der leichten Grazie und dem unbefangenen Anstand, womit sie alles that, der übrigen Gesellschaft vor. Albert wurde durch den Platz neben der prima Donna der Madame Rosamund ausgezeichnet, welches der junge[9] Schwedenkopf gar ungnädig zu vermerken schien; denn er schnitt greuliche Gesichter und warf das Manuscript recht ungezogen auf den Tisch, auch machte er Alberten nur so eben Platz, als ob es in einem großen Gedränge gewesen wäre, wie dieser vor ihm vorbei zu seinem Sitze ging; dabei erwiederte er dessen höfliche Verneigung gar nicht, und setzte sein Gespräch so laut fort, als ob gar keine Veränderung in der Gesellschaft vorgefallen sei, ausser daß er jetzt auf eine unverständige Weise, in der Geschwindigkeit einige Invectiven gegen den Adel einzumischen affectirte, nachher Alberten in allem widersprach, ohne jedoch das Gespräch unmittelbar an ihn zu richten; denn das wäre ja höflich gewesen.

Als eine von den Damen anmerkte, es sei ein sonderbarer Zufall, welchem die Gesellschaft die Gegenwart des Herrn von Ulmenhorst verdanke, schnitt der Strupfkopf Alberten die Antwort vor dem Mund weg, um zu beweisen, daß es eigentlich gar keinen Zufall gäbe. Nachdem er nun eine[10] gute Zeit lang den Begriff durch ein gar kunstvolles Raisonnement verzerrt und verdüstert hatte, ließ er ab; er hatte nun seine Absichten erreicht, Alberten um das Gespräch zu bringen und die hohe Bewundrung der Damen zu verdienen, die gar nicht begreifen konnten, wo er in aller Welt nur allen Verstand hernähme? Albert an seinem Theile begriff nicht, wie einer zum frohen Geistesgenusse versammelten Gesellschaft, so ein pedantischer Galimatias hingegeben werden dürfe. Dabei aber wurde er inne, daß er sich in einem ästhetischen Theeklub befände, in einer der Witz-Trödel-Buden, wo alte Waare neu aufgestutzt, von Unkundigen angestaunt wird. Er nahm sich vor, ein stiller, aber desto aufmerksamerer Beobachter zu seyn.

Albertine warf es Alberten scherzend vor, daß er sie beinahe erschossen hätte. Auch hier warf sich der Rundkopf mit wieherndem Gelächter dazwischen, indem er bemerkte, dies gäbe einen schönen Stoff zu einem komischen Heldengedichte, indem es ganz[11] neu sei, daß der Ritter seine Dame für eine wilde Ente ansähe. Albertine erröthete; Albert schwieg indignirt, ob dem arroganten Ton, und die Damen begriffen wieder nicht, wo ihr Freund all den Witz hernähme?

»Wollen Sie uns nicht etwas von ihren Reisen mittheilen, mein Herr von Ulmenhorst?« lispelte Frau Rosamund. »Das müßte interessant seyn,« setzte der Tituskopf Wassermann hinzu. Albert antwortete den Damen etwas, wobei ihm der Name Weimar entfiel. Alle Weiber faßten dies rasch auf und alle fragten im Unisono: »also haben sie Göthe gesehen?«

»Er war der Zweck meines dasigen Aufenthalts.«

»Oh! Oh! Göthe!!« wieder im Unisono.

»Bitte, bitte, lieber, lieber Herr von Ulmenhorst, sagen Sie uns doch recht viel, aber recht recht sehr viel, von Papa Göthe,« zwitscherte das liebe alte Kind Elisa, Dämmrigs Schwester. »Wir werden Sie ja näher kennen lernen.«[12]

Schon öffnete Albert freundlich die Lippen, den Frauen zu willfahren, als Wassermann sich wüthig dazwischen stürzte. Ein Ungeweihter sollte nie über Göthe sprechen, sagte er; den er ganz allein nur verstand und begriff. Überdem war er ein Philosoph, der alle Dinge wußte, alles ergründete und sich nie der erbärmlichen Krücke der invaliden Menschheit, der Erfahrung bediente, die ihm ein Greuel war. Nur in dem großen Lazarethe geistiger Krüppel brauchte man diesen traurigen Nothbehelf. Wollten es die guten Götter, sagte er oft, ich wäre taub und blind geboren, meine Begriffe über tausend Erscheinungen wären in und aus mir selber ausgesprochen, richtiger, als sie es durch die gemeine Einwirkung der Sinne geworden sind!

So gestand er zwar jetzt, daß er Göthe in seinem ganzen Leben nie anders, als in sehr unvollkommenen Abbildungen gesehen habe; indeß stehe ihm das Bild des Verehrten so lebendig aus seinen Werken vor der Seele, daß er ihn Zug für Zug abzucontrefayen[13] im Stande sei. Und nun begann der gute Wassermann das Werk; er sprach vom ewigen Schnitte des Gesichts, von Mundwinkeln, von Lippenöffnung, vom Augenaufschlagen, von Nasenflügeln. Sie begreifen es, meine Damen, das ächt gebildete Wesen, das rein menschliche, muß stets von schöner Form umgeben seyn. Aber der rohe Haufen hat keine Ahnung von dem Formellen, will nur immer Stoff und wieder Stoff. Sie verstehen mich, meine Schönen! –

Es erscholl ein zweideutiges: O ja! Albert schüttelte bedenklich den Kopf und betheuerte auf seine Ehre, an dem allen sei keine Sylbe wahr; Göthe's Bild sei durchaus Zug vor Zug verfehlt. Als hier Wassermann rasend schrie, Ulmenhorst müsse sich resigniren und eingestehen, Göthe sei ihm eine zu hohe unbegreifliche Erscheinung, die sich ihrer Überlegenheit über gemeine Menschen Natur bewußt, wie ein Gott da stehe, wurde der zartsinnigen Elise bange; sie durchschnitt den beginnenden Streit mit der[14] Frage, ob Albert den großen Dichter der Iphigenie wohl im Negligee gesehen habe? und von welcher Façon er es trage? Hier bekam Wassermann einen schönen Anlaß, über die kleinliche Neugier der Weiber zu spotten; denn nie ließ er eine Gelegenheit vorbei, etwas Verächtliches über das Geschlecht zu sagen, dem er insgeheim mit Heißhunger nachjagte.

»Göthe« erwiederte Albert, als er endlich zum Worte kommen konnte, »erscheint allen, die ihn begreifen, deren unbefangene Natur in seine schöne Individualität eingreift, im liebenswürdigsten Negligee, und nie erscheint er solchen aufgesteift mit dem ranailleusen ›Minister Air,‹ wie der gute Lavater das irgendwo sehr sonderbar nennt. Diese Seite wendet er nur heterogenen Naturen und unberufenen Erklärern der seinigen mit gerechtem Selbstgefühl zu.«

»Möchte ich mich diesem Edlen entgegen ranken können,« lispelte Elisa! »Möchte ich in der seligen Fluth des Genusses seiner Freundlichkeit untergehen können!«[15] Frau Rosamund belächelte Elisens Schwärmerei und meinte, die Gute werde die Sehnsuchtsklänge ihrer Seele in Klagliedern grünen lassen müssen.

Wassermann schoß während dem grimmige Blicke und schwieg, weil ihm eben nicht etwas recht grobes einfiel.

»Unserm Freunde schwebt ein schöner Einfall auf den Lippen,« sagte Laurette, schneidend boshaft; »heraus damit.«

»Um der Götter willen! Mademoiselle, verschonen Sie mich mit dergleichen Voraussetzungen. Witz, nebst seinen Aborten, den Einfällen, überlassen reelle Producenten gern den Damen und ihren vielfarbigen Rittern.«

»Unser Freund spricht und spielt mit Sonnenstrahlen,« entgegnete Frau Rosamund. Ernst und Scherz, Witz und Laune, hörte sie, wie eine Schaar von Rosen, sich in ihm regen.

»Oh! a propos vom Witz! Wo bleibt Antonie? Immer bleibt sie uns noch die[16] Vorlesung ihres Romans schuldig,« sagte Elise.

»Ihr Bedienter hat jetzt nicht Zeit zum Schreiben; er muß die Farben reiben, Antoniens Jugend aufzufrischen,« sagte Wassermann, im unangenehmsten Tone.

»Wie?« rief Laurette, ihm drohend; »haben Sie die platten Erzeugnisse dieser Schleichhändlerin mit fremden Gedanken, dieser Ideen Diebin, nicht bis in den Himmel erhoben?«

»Habe ich je ihren Wasch und Kochzeddel bewundert? sie sind warlich das Beste, was sie edirt. Ich habe irgendwo ihre Ansprüche beleuchtet, und ich verspreche Ihnen, mes Dames, sie soll uns das Epigramm selbst vorlesen, wodurch ich sie vernichte.«

»O schön! schön!« riefen Antoniens Herzensfreundinnen. »Die Närrin muß endlich auf ihr Nichts reducirt werden. Sie hat keinen Funken producirender Kraft.«

»Kraft!« schrie Wassermann; »was ist Kraft? Am Ende doch nichts anders als[17] eine precäre Anleihe an die Phantasie, oder die Magd derselben. Warum vergeuden sie so viel Geistesaufwand an diese pitoyable Erscheinung.« »Antoniens intellectuelle Tendenzen sind die miserabelste Misere, der schmutzigste Nachdruck des unverständigsten Unverstands,« setzte die superfeine Frau Rosamund mit gespitztem Mäulchen hinzu.

»Schön, herrlich!« rief Wassermann. »Das war eine süperbe Skizze zu einem großen Gedanken.«

»Sollte sich wirklich etwas Schönes über die gemeinste Gemeinheit sagen lassen?« meinte Laurette, eine zweite Nichte des Bankiers, die sich durch ihre Herzlosigkeit, ihren schneidenden absprechenden Ton, ihre Unempfänglichkeit für zartere Weiblichkeit, ihr rasches Aufnehmen jeder Verschrobenheit, den Beinamen, die Philosophin in diesem Zirkel erworben hatte.

So schleppte sich das Gespräch in dem einmal angegebenen Ton über Antonien, die sonst die Seele, das Idol dieser Versammlung zu seyn schien, immer weiter.[18] Albert war nun im Ernste verstummt; ihm graute vor diesem Don Lucifer und der falschen Klike. Aber wohl thats ihm im Innersten, daß Albertine dem allem ganz fremd blieb und sich indeß mit Aufmerksamkeit um ihren Onkel mühete, um den sich sonst Niemand zu bekümmern schien.

Antonie hatte ganz lyrisch, mit Rosen bekränzt, und mit Gesang, den Kreis der Freunde, gleich einer himmlischen Erscheinung, plötzlich durchschweben wollen, sie hatte das freundliche, sie betreffende, Gespräch in einem anstoßenden Cabinett belauscht und stürzte jetzt ziemlich furienartig, heraus. »Ha! Schlangen! ihr hattet mich umwunden; jetzt verletzt euer Gezisch mein Ohr! Unter den Blumen eurer verhaßten Reden schlummern Nattern. Von nun an scheide ich von euch aus; aber empfinden, ja empfinden sollt ihr's. Euer Ruf ist dahin, den übernehme ich; in den Koth mit ihm, und ihr, ihr fahret zur Hölle!«

So stürzte sie heulend und schimpfend zur Thür hinaus, und gab Lauretten, die[19] sich ihr in den Weg stellte, einen so kräftigen Stoß, daß diese taumelnd zurück fiel.

Rosamunde erklärte, sie sei petrificirt. Elise behauptete, sie sei complett in einen Fels verwandelt. Laurette schickte Antonien ein schallendes Gelächter nach, weil ihr eben die Geistesgegenwart zu etwas recht Boshaftem fehlte.

Traurig legte Elise den Lorbeerkranz bei Seite, womit sie eben heut Göthe's neu angelangte, und in dem Versammlungssaal aufgestellte, Büste feierlich hatte krönen wollen; sie zwitscherte leise die dazu aus des Dichters Tasso erwählten Worte, als sie den Kranz, bis auf weitern Bescheid, in den zierlichen Schrein zurücklegte.

»Die war ganz göttlich grob,« rief der Herr mit den geschwollenen Beinen. Ihm hatte der Auftritt unsäglich viel Spaß gemacht. Er nannte ihn ein wünschenswerthes Intermezzo in einem zum sterben trockenen Drama. Auch belachte der gute Herr die Szene sowohl, als seinen schönen Einfall darüber, so unmäßig, daß er darob in[20] einen Stickhusten gerieth, der vor der Hand aller Unterredung ein Ende machte.

Nachher bemerkte Madame Rosamund, die den Einfall mit dem Drama und dem Intermezzo sehr übel empfunden hatte, mon cher werde besser thun, sich auf sein Zimmer zu begeben, als die Unterhaltung so ungeziemend zu unterbrechen. Mon cher, der je und je seinen Witz in platten Ausfällen gegen die Ehe und den Hausstand ergossen hatte, war gut genug erzogen, dem Winke einer gebietenden Maitresse sogleich zu gehorchen. Er rief einen Bedienten, der ihn wegführte, indeß er noch immer betheuerte, dieser Auftritt sei die artigste kleine Falschheit, die drolligste Plaisanterie, die ihm je vorgekommen sei.

Mit allerliebst freundlichem Gesicht folgte Albertine ihrem Onkel und trug ihm Tabatiere und Arzneiglas nach.

»Dem Kinde wird die Zeit unter uns lang,« sagte Wassermann, Albertinen bedeutend nachwinkend, den andern Weibern die Cour zu machen. – Im Herzen hielt[21] er Albertinen weder für ein Kind, noch seiner Bemerkung unwerth. – »Es ist natürlich,« entgegnete Rosamunde. »Wo soll sie's herhaben? Das ist vom Lande und kennt nur seinen Gellert und seinen Haushaltcalender.« »Um Verzeihung, liebes Tantchen,« gellte Laurette dazwischen, die, um sichs recht wohl seyn zu lassen, vor Rosamunden kroch, und sie Tante nennte; – »um Verzeihung, sie hat wirklich auch die schöne Genoveva und den Kaiser Octavian gelesen; ja wahrhaftig das hat sie.« »Lassen sie mir das gute Kind mit Frieden,« sagte Elisa gutmüthig; »es liegt recht viel in ihr und sie betreibt sehr ernste Studien mit ihrer Madame Euler.«

Albert hatte in diesem Augenblick die Tante recht lieb, um des Guten willen, das sie von Albertinen sagte; er hoffte jetzt mehr von ihr zu erfahren, aber das Gespräch wendete sich, als von einem zu gehaltlosen Gegenstand, wieder von ihr ab und auf literarische Erörterungen, die, weil sie alle von einem Schlage waren, unserm Albert[22] so wenig zusagten, daß er sich empfehlen wollte. Das gaben aber die Damen schlechterdings nicht zu, und die Wahrheit zu sagen, ließ er sich auch recht gern erbitten. Albertine war ihm in den flüchtigen Augenblicken seiner Bekanntschaft mit ihr sehr werth geworden. Die Feinheit und Grazie ihres Benehmens war ihm nicht entgangen; er wünschte von ihren Verhältnissen zu diesem seltsamen Geschlechte mehr zu erfahren; sie schien ihm keinem unter allen diesen durch Liebe anzugehören, und die natürlichen Bande ziehen nicht stark genug, entgegenstrebende Naturen einander näher zu bringen.

Die stürmische Szene mit Antonien hatte alle Fäden der Unterhaltung zerrissen; es war nicht möglich, für diesen Abend zu einem erträglichen Ton zu gelangen, und Wassermann raffte hastig und unter mürrischen Äusserungen seine Hefte zusammen. Die Damen waren untröstlich über den Mißton, der die reine Harmonie der Gesellschaft gestört hatte, und hofften in künftiger[23] Session alles wieder in Einklang zu bringen. Und dann waren sie doch auch wieder so hoch erfreut, daß ihr Kranz durch eine so hoch und hehr blühende Blume, an deren Wohlgeruch sie sich künftig noch erquicken würden, erweitert sei; nemlich sie freuten sich, daß Albert ein Genosse würde; doch machten sie es zur Bedingung, daß Albert in den nächsten Sitzungen etwas von seinen geistigen Erzeugnissen vorlesen müsse.

»O ja, thun Sie's ja,« fügte Wassermann hinzu: »vermuthlich haben Sie sich auf Ihren Reisen nach großen Mustern gebildet, und in dem, was der Mensch, der ein Ganzes ist, producirt, spricht er sich ganz aus.« Diese Rede begleitete er mit einer unerträglich hämischen Pantomime und einem Lachen, das nicht beleidigender seyn konnte.

»Ich werde Ihnen etwas vorlesen, wenn die Damen es mir vergönnen wollen; übrigens danken Sie es diesen, wenn ich Ton und Geberde bei ihren Reden ungerügt[24] lasse und diesmal mit dem geziemenden Stillschweigen verachte.«

Elise, die süße Seele, warf sich mit einem »Bitte, Bitte, Herr von Ulmenhorst,« dazwischen, legte ihren Arm in seinen, die andern folgten und sie schlenderten friedlich zum Speisesaal hin.

Herr Dämmrig saß schon an der obern Ecke des Tisches, sein restaurirendes Kraftsüppchen genießend. Albertine war im Gespräch mit einer Dame begriffen, die Albert vorher noch nicht gesehen hatte, deren geist- und gütevoller Ausdruck auf einem nicht mehr ganz jungen Gesicht, in dem alles sprach, was reichlichen Ersatz für verblühte Jugend giebt, ihn aber unbeschreiblich anzog. An der liebevollen Hinneigung zu Albertinen begriff er, daß es die Madame Euler seyn müsse, mit der die junge Schöne sich im Stillen so ernsthaft beschäftigen sollte.

Bei Tische war die Unterhaltung allgemein. Albertinen in ein besonderes Gespräch zu ziehen, gelang Alberten diesen[25] Abend weiter nicht, und so rückte die Stunde des Aufbruchs herbei, ohne daß er erfuhr, ob Albertine ihn genug auszeichne, um sein Wiederkommen zu wünschen. Denn als die Hauptacteurs des literarischen Klubs ihn zur nächsten Session einluden, gab sie durchaus kein Zeichen von Theilnahme; doch dünkte ihm, in ihrem lieblichen Gesicht sei ein holdes zustimmendes Lächeln aufgegangen, als der Onkel ihm treuherzig sogte: »ja kommen Sie, ich bitte, recht bald; da wollen wir den Andern einen Schmauß von unsern Reiseabentheuern auftischen. Ich bin weit gewesen, mein Herr von Ulmenhorst, und habe viel, viel gelebt. Ecce signum,« indem er mit gellendem Gelächter auf sein verfallenes Postament hinwieß.

Albert empfahl sich zögernd, immer noch etwas von Albertinen erwartend; sie war aber merklich stiller geworden, als ihre unholde Cousine Laurette einigemal mit schnöden Reden scharf über sie hingefahren war, und so mußte er endlich wohl gehen.

Unterwegs überdachte er dies artige[26] Abentheuer und that den kleinsten Vorfällen desselben Gewalt an, irgend etwas wohlthuendes für sein Herz heraus zu grübeln. Aber immer war es nichts weiter, als daß Albertine seinen Tiras gestreichelt, und da er jetzt gegangen war, das Fenster geöffnet hatte; ob, ihn noch mit den Augen zu begleiten, oder des Mondhellen Abends zu genießen, war und blieb dem angehenden Verliebten die große, ihm lange unbeantwortete, Frage.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 8-27.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.

298 Seiten, 15.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon