Fünfter Gesang.

[239] Sicher verfolgte Aeneas auf hoher See schon mit seiner

Flotte den Kurs und durchschnitt vor dem Nord die sich kräuselnden Wellen.

Hinter sich sah er die Mauern im Schimmer der Flammen, die eben

Didos Gebeine verzehrten. Den Anlaß des mächtigen Feuers

wußte zwar niemand. Doch drückten der Kummer, eine so heiße

Liebe verraten zu haben, die Kenntnis auch, wessen gekränkte

Frauen sich fähig erweisen, schmerzlich die Stimmung der Teukrer.


Als sie im Umkreise keinen Streifen Landes mehr sahen,

ihnen auf allen Seiten nur Wasser und Himmel sich boten,

ballten sich droben tiefblaue Regenwolken zusammen,

brachten Orkan und Nacht; schwarz bäumten sich drohend die Wogen.

Steuermann Palinuros erhob vom Heck aus die Stimme:

»Wehe! Warum nur verhüllen so düstere Wolken den Äther?

Vater Neptunus, was hast du im Sinne?« Und ohne zu säumen,

hieß er das Schiffsgerät zurren, mit Kraft in die Riemen sich legen,

schräg zum Lavieren die Segel auch stellen und sprach zu Aeneas:

»Mutiger Fürst, auch wenn Jupiter selbst das Versprechen mir gäbe,

hoffte bei solchem Wetter ich kaum nach Italien zu kommen.

Drehte sich doch in die Quere der Wind, frischt brausend vom finstren

Westen jetzt auf, und die Luftmassen ballen sich düster zu Nebel.

Unsere Kräfte reichen nicht aus, dem Sturme zu trotzen.

Tragen wir Rechnung dem übermächtigen Schicksal und fahren

dorthin, wohin es uns ruft! Das Brudergestade des Eryx,

sicher für uns, und die Häfen Siziliens liegen nicht ferne,

wenn ich mich richtig erinnre, die Sternbilder wieder bedenke.«


Antwort gab ihm Aeneas: »Die Richtung der Winde erkenne

ich schon seit langem, du stemmst dich ihnen vergeblich entgegen.[239]

Ändre die Stellung der Segel! Ich wählte kein andres Gestade

lieber zum Anlaufen für die vom Sturme gefährdeten Schiffe

als das Gebiet, das meinem Akestes aus Troja ein Obdach

bietet, ein Grab auch den sterblichen Resten des Vaters Anchises.«

Ohne zu säumen, nahmen sie Kurs auf den Hafen, und günstig

schwellte der Zephyr die Segel. Beschleunigt jagte die Flotte

über die Wogen, erreichte mit Glück das bekannte Gestade.


Staunend gewahrte Akestes die Ankunft befreundeter Schiffe

fernher vom Berggipfel aus und eilte ihnen entgegen,

furchteinflößend mit Jagdspieß, im Fell der libyschen Bärin,

Sprößling des Flußgotts Crimisus und einer troischen Mutter;

eingedenk seiner Eltern, empfing er die Rückkehrer freudig,

teilte von Herzen mit ihnen all seine ländliche Habe,

bot den Erschöpften Erquickung mit Gaben aufrichtiger Freundschaft.


Als dann der folgende helle Morgen die Sterne verscheuchte,

rief Aeneas vom ganzen Strand die Gefährten zusammen,

sprach von dem hohen Anchisesgrabmal folgende Worte:

»Helden des Dardanosstammes, unsterblichem Blute entsprossen,

höret: Ein volles Jahr verstrich im Kreislauf der Monde,

seit wir die sterbliche Hülle meines göttlichen Vaters

hier in dem Erdreich bargen, Altäre zur Trauer auch weihten.

Täuscht mich kein Irrtum, so haben wir heute den Tag, den ich immer

traurig und feierlich-würdig begehen werde, nach eurem

Willen, ihr Götter. Müßte ich ihn in der Fremde verbringen,

bei den gätulischen Syrten – im Argosmeer – auch in Mykene,

würde ich Jahresgelübde und Umzüge, heiligem Brauche

fügsam, vollziehen, Altäre auch bauen zu schuldigem Opfer.

Heute jedoch verweilen wir bei dem Grabe des Vaters

selber – kaum ohne die Zustimmung, ohne das Walten der Götter –,

konnten uns retten vor dem Orkan in befreundete Häfen.

Zollen wir deswegen willig gemeinsam dem Toten die Ehren!

Mögen uns günstige Winde beglücken und möge der Vater

später alljährlich im Tempel der neuen Hauptstadt die Opfer[240]

gnädig empfangen! Der Troer Akestes schenkt uns für jedes

unserer Schiffe zwei Rinder. Ladet zum Mahl die Penaten,

jene auch, die Akestes verehrt, der uns freundlich bewirtet!

Bringt dann Aurora zum neunten Male der Menschheit den Nahrung

spendenden Tag und erhellt mit ihren Strahlen den Erdkreis,

sollen zuerst sich die teukrischen Schiffe im Wettrudern messen.

Tüchtige Läufer zum zweiten und kühne, kraftvolle Männer,

die sich im Speerwerfen auszeichnen wie auch im flüchtigen Pfeilschuß

oder den Faustkampf mittels rohlederner Handschuhe wagen,

mögen sich allesamt stellen zum Spiel um die Palme des Sieges.

Wahret jetzt heilige Stille, umkränzt euch die Schläfen mit Zweigen!«


Darauf umkränzte sein Haupt er mit Myrten, dem Strauche der Mutter.

Helymos tat es ihm gleich, auch der hochbetagte Akestes,

gleichfalls Ascanius, dem die übrigen Mannschaften folgten.

Aus der Versammlung begab sich Aeneas inmitten der Menge

dicht an das Grab, noch enger umringt von vielen Begleitern.

Ordnungsgemäß vergoß er als Spende zwei Becher voll lautren

Weines zur Erde, dann zwei voll Frischmilch und zwei mit geweihtem

Blute, bestreute das Grab dann mit leuchtenden Blumen und sagte:

»Sei mir gegrüßt, du heiliger Vater, gegrüßt mir noch einmal,

Asche, vergeblich geborgen, du Seele, du Schatten des Vaters!

Aufsuchen muß ich jetzt ohne dich die uns vom Schicksal bestimmten

Fluren Italiens und den ausonischen Thybris, wer immer

dieser auch sein mag.« Kaum hatte er ausgesprochen, da schlüpfte

tief aus dem Grabhügel eine gewaltige Schlange, in sieben

Windungen zog sie sich friedlich rings um das Grabmal und zwischen

beide Altäre. Blauschimmernde Flecken zierten den Rücken,

goldener Glanz umglühte die Schuppen, wie gegen die Sonne

vor dem Gewölk der Regenbogen in mancherlei Farben

schillert. Aeneas erstaunte. Weithin sich streckend, gelangte[241]

schließlich das Tier zu den Schalen und kunstreich geglätteten Bechern,

naschte vom Inhalt und zog sich dann harmlos zurück in des Hügels

Tiefe, verließ die Altäre, nachdem es die Proben gekostet.

Aber Aeneas opferte um so freudiger weiter –

war nun die Schlange ein Schutzgeist des Grabes oder ein Bote

von dem Verstorbenen –, schlachtete jeweils, wie üblich, zwei Schafe,

Schweine und Jungstiere, diese mit dunkelfarbigem Rücken,

spendete Wein aus den Schalen und rief die Seele des großen

Vaters und die vom Acheron freigegebenen Manen.

Willig auch opferten die Gefährten, je nach Vermögen,

reichlich beluden sie die Altäre und schlachteten Stiere.

Andere stellten die Kessel bereit, und, im Grase gelagert,

nährten die Glut sie unter den Spießen und brieten die Stücke.


Endlich begann der erwartete Tag, und in heiterem Glanze

ließen die Rosse Phaëthons zum neunten Male Aurora

schimmern. Die Kunde, der Name des großen Akestes auch, hatten

Nachbarn zur Stelle gelockt. Sie wimmelten fröhlich am Strande,

wollten teils zuschauen, teils auch als Wettkämpfer selber sich tummeln.

Mitten im Wettspielgelände stellte zuerst man vor aller

Augen die Preise für Sieger zur Schau, frischgrünende Kränze,

Palmzweige, heiligem Dienste gewidmete Dreifüße, Waffen,

Purpurgewänder und je ein Talent an Gold wie an Silber.

Dann erscholl von der Düne Trompetengeschmetter zum Anfang.


Vier aus der Flotte erwählte Schiffe von ungefähr gleicher

Schnelligkeit glitten mit wuchtigen Rudern sogleich an den Startplatz.

Mnestheus war Kapitän des blitzartig rudernden »Haifischs«,

Mnestheus sehr bald, als Italer, der Ahnherr des Memmiergeschlechtes;

Gyas gebot auf der massig großen »Chimaera«, die einem

Stadtwall fast gleichkam; in dreifacher Reihe trieben die Troer

rudernd sie vorwärts, drei Bänke erhoben sich übereinander;[242]

Held Sergestos, der Ahnherr des Sergiergeschlechts, kommandierte

über den großen »Kentauren«; Kloanthos schließlich, dein Urahn,

Römer Cluentus, war Kapitän auf der tiefblauen »Skylla«.


Fern vor der brandenden Küste ragt aus dem Meere ein Felsblock.

Hüllen im Winter Nordweststürme düster in Wolken die Sterne,

wird er zuweilen ganz überspült von den steigenden Fluten.

Aber bei ruhiger See erhebt er sich flach aus dem stillen

Wasser und schenkt ein willkommenes Plätzchen zum Sonnen den Tauchern.

Hierher pflanzte Aeneas aus grünendem Eichenstamm eine

Zielsäule für die Matrosen; hier sollten sie kunstgerecht wenden,

sollten den Felsblock in ausreichend weiter Biegung umrunden.

Anschließend wurden die Plätze verlost. Auf dem Hinterdeck jeweils

standen, in Purpur und Gold weit leuchtend, die Kapitäne.

Zweige der Pappel umkränzten die übrige Mannschaft, es glänzten

fett die entblößten Schultern, gesalbt mit geschmeidigem Öle.

Platz auf den Bänken nahm man und packte kraftvoll die Ruder,

horchte gespannt auf das Zeichen zum Start. Die pochenden Herzen

quälte ein banges Erwarten nebst festem Willen zum Siege.


Als die Trompete schmetternd Signal gab, schossen die Schiffe

gleich aus den Haltebereichen vorwärts. Schreie der Mannschaft

gellten zum Himmel, unter dem Ruderschlag schäumten die Wellen.

Gleichmäßig furchten die Kiele das Wasser. Zerspalten von Rudern,

wie von dreizackigen Schnäbeln, klaffte die Flut auseinander.

Derartig stürzen sich nicht aus den Schranken die Doppelgespanne,

rasen so ungestüm nicht voran auf der ebenen Rennbahn;

derartig schütteln nicht Wagenlenker die schwirrenden Zügel

über die fliegenden Rosse und beugen zum Schlage sich vorwärts.

Klatschen und Toben und eifriges Anfeuern ließen das Wäldchen

hinter der Küste erdröhnen, stauten sich längs des Gestades,

brachen zu donnerndem Widerhall sich an den waldigen Höhen[243]

Gleich an die Spitze im freien Gewässer setzte sich Gyas,

von dem Geschrei der Rivalen umtobt. Ihm folgte Kloanthos,

zwar mit den Rudern im Vorteil, aber gehemmt von dem schweren

Fichtenholzkiel. In gleichem Abstand setzten den beiden

»Haifisch« nach und »Kentauros« und maßen sich untereinander.

»Haifisch« gewann jetzt den Vorsprung, dann ließ der große »Kentauros«

wiederum jenen zurück; nun glitten sie Seite an Seite

vorwärts, durchfurchten die salzige Flut mit den mächtigen Kielen.


Nahe dem Felsblock schon waren sie, hielten die Zielsäule sorglich

fest mit den Blicken. Da stellte Gyas, über den Wellen

siegreich der erste bis jetzt, den Steuermann schallend zur Rede:

»Warum, Menoites, so weithin nach rechts? Los, hierher die Richtung!

Näher dem Felsen! Links sollen die Ruder das Riff fast berühren!

Laß doch den andern das offene Wasser!« Aber Menoites

scheute verborgene Klippen und steuerte rechtshin ins Freie.

Nochmals befahl ihm Gyas lautrufend: »Weswegen den andern

Kurs? An die Felsen, Menoites!« Schon sah er Kloanthos von hinten

aufholen, sah ihn den Weg ganz nahe den Felsklippen wählen.

Wirklich, er schob sich zwischen umbrandeten Fels und »Chimaera«

vorwärts auf linkem Kurs, überholte in engerem Kreise

plötzlich den Gyas, passierte die Säule, gewann jetzt aufs neue

sicheres Fahrwasser. Aber den jungen Gyas durchglühte

wütender Ärger, ihm kamen die Tränen, er konnte nicht länger

Haltung bewahren, das Wohl der Mannschaft bedenken: Vom hohen

Hinterdeck stieß er Menoites, den überbedächtigen, jählings

seitwärts ins Wasser; als Kapitän übernahm er das Steuer,

spornte die Mannschaft durch Zuruf und lenkte näher dem Felsen,

während Menoites sich mühsam aus gähnender Tiefe emporrang,

älter an Jahren bereits, durch die triefenden Kleider behindert,

schließlich den Felsblock erklomm und an trockener Stelle sich setzte.[244]

Lachend sahen die Teukrer ihn fallen und schwimmen, und lachend

sahen sie zu, wie er prustend und stöhnend das Salzwasser ausspie.


Heitere Hoffnung beschwingte nunmehr Sergestos und Mnestheus,

zu überholen sogleich den zurückgefallenen Gyas.

Vorsprung gewann Sergestos und näherte schon sich dem Felsen,

konnte indes die »Chimaera« nicht ganz überholen, auf halbe

Länge nur drängte der Bug des »Haifischs« im Kampfe sich vorwärts.

Mitten im Schiffe, zwischen den Reihen der Ruderer, mahnte

Mnestheus: »Jetzt, Kameraden Hektors, jetzt legt euch mit aller

Kraft in die Riemen! Euch wählte ich mir zu Gefährten im letzten

Kampfe um Troja; bewährt jetzt aufs neue die schwungvollen Kräfte,

zeigt auch den Mut, die ihr in den Syrten Gätuliens bewieset,

auf dem Ionischen Meer, auf den tobenden Wellen Maleas!

Nicht mehr als erster möchte ich siegreich die Strecke bezwingen,

mag auch – doch siege, wem du, Neptunus, die Auszeichnung zusprichst!

Schämt euch allein, die letzten zu werden! Erringt nur in diesem

Sinne den Sieg, vermeidet die Schande!« Aufs äußerste strengten

nunmehr die Männer sich an. Der eherne Schiffsrumpf erbebte

unter den wuchtigen Schlägen, nach rückwärts schossen die Fluten.

Keuchen entrang sich den trockenen Mündern, Schweiß strömte in Bächen.

Doch den ersehnten Erfolg bescherte den Männern der Zufall.

Während Sergestos den Bug in rasendem Vordrängen nämlich

zu weit dem Felsen näherte, einwärts, auf schwieriger Strecke,

fuhr er zum Unglück auf unsichtbar tückisch vorspringende Klippen.

Unter dem Dröhnen der Riffe zerkrachten die Ruder beim Aufprall

über dem zackigen Stein, zerschellt blieb hängen das Vorschiff.

Aufsprangen jäh die Matrosen, erstarrten in gellendem Aufschrei,

packten dann eisenbeschlagene Stangen, auch Staken mit scharfen

Spitzen und fischten hervor aus der Flut die zerbrochenen Ruder.

Mnestheus dagegen, erfreut, durch die Hilfe des Glückes ermutigt,

strebte mit schnellem Ruderschlag, flehend um günstigen Windhauch,[245]

landwärts bereits von der Strömung getrieben, ins offene Wasser.

Wie aus dem Schlupfwinkel aufgescheucht plötzlich die Taube von ihrem

Nest und der niedlichen Brut im zerklüfteten Lavastein auffliegt,

schnell in das Freie erst stürmt und im Schreck mit den Schwingen gewaltig,

dicht vor der Niststätte, flattert, dann aber sehr bald durch die stillen

Lüfte dahinschwebt, ohne ein hastiges Regen der Flügel:

Ebenso furchte jetzt Mnestheus mit seinem »Haifisch« die letzte

Strecke der Wettfahrt, trug ihn die Wucht des gewonnenen Schwunges.

Er überholte zuerst den Sergestos, der immer auf hohem

Riff noch im flachen Wasser sich anstrengte, fruchtlos um Hilfe

schrie, mit zerbrochenen Rudern vorwärtszukommen versuchte.

Darauf erreichte er Gyas und dessen große »Chimaera«;

hinter ihm blieb sie zurück, da der richtige Steuermann fehlte.


Kurz vor dem Ziel blieb nunmehr Kloanthos als einziger übrig.

Einholen wollte ihn jetzt noch mit äußerster Anstrengung Mnestheus.

Doppelt stark gellte darauf das Geschrei, die Zuschauer alle

feuerten an den Verfolger, vom Tosen erdröhnte der Himmel.

Aber die Leute der »Skylla« empörten sich, den schon errungnen

Sieg und den Ruhm zu verlieren, sie wagten für diese ihr Leben,

während dem Gegner das Lächeln der Hoffnung die Zuversicht stärkte.

Steven an Steven hätten vielleicht sie beide gewonnen,

würde Kloanthos die Arme zum Meere nicht ausgestreckt, würde

innig er nicht durch Gelübde die Götter angefleht haben:

»Ewige Herrscher des Meeres, deren Reich ich durchquere,

einen weißschimmernden Stier will ich euch als glücklicher Sieger

hier am Gestade opfern, fest meinem Gelöbnis verpflichtet,

edlere Teile und lauteren Wein den Salzfluten spenden!«

Tief auf dem Grunde des Meeres vernahmen die Töchter des Nereus

dieses Gebet, der Reigen des Phorkos, dabei Panopeia,

und mit gewaltiger Faust schob Vater Portunus persönlich[246]

vorwärts die »Skylla«. Schneller als Südsturm und fliegende Pfeile

schoß sie dem Lande entgegen und warf in der Hafenbucht Anker.


Nunmehr berief Aeneas, wie üblich, die Teilnehmer alle,

ließ durch den Herold lautschallend Kloanthos zum Sieger erklären,

schmückte die Schläfen ihm dann mit dem Kranz von grünendem Lorbeer,

gab für die Mannschaften jeweils drei junge Stiere zur Auswahl,

Wein desgleichen, ein volles Silbertalent noch als Handgeld.

Den Kapitänen zollte er ganz besondere Ehren:

Einen mit Gold bestickten Mantel dem Sieger; ein breiter

Doppelbesatz meliböischen Purpurs, mäandrisch gewunden,

säumte das Stück; Ganymedes, eingewebt, hetzte mit seinem

Wurfspieß im Sturmschritt am waldigen Ida rüstige Hirsche,

feurig, er keuchte förmlich; da raffte ihn jählings vom Berghang

fort mit den Krallen der Blitzträger Jupiters, aufwärts zum Himmel;

hoch zu den Sternen streckten flehend, umsonst, die betagten

Wächter die Hände, das rasende Kläffen der Meute verhallte.

Dann überreichte er Mnestheus, dem tüchtigen Zweiten, als Gabe

einen Panzer aus Ringen von dreifach geflochtenem Golddraht,

den er als Sieger im Kampfe dereinst dem Demóleos auszog

unter den Mauern von Troja, am reißenden Strome Simoeis,

Zierde dem Helden und gleichzeitig sicherer Schutz auf dem Schlachtfeld.

Phegeus und Ságaris konnten, als Diener, das kunstreich geschaffne

Stück auf den Schultern kaum schleppen – Demoleos hatte es früher

auch noch im Laufschritt getragen, verfolgte er schweifende Troer!

Gyas, dem Dritten, gab er zwei Kessel aus Bronze und weiter

silberne Trinkschalen, treffliche, kunstvoll getriebene Arbeit.


Soweit schon waren die Schiffer beschenkt und stolz auf die reichen

Gaben und traten zurück, auf den Häuptern die purpurnen Binden,

als noch Sergestos, belächelt und ruhmlos, sein Fahrzeug zur Küste[247]

lenkte. Er hatte das Schiff sehr geschickt, doch mit Mühe, vom spitzen

Felsriff gelöst, nach Verlust der Ruder links einreihig, langsam

fahrend. Wie eine Schlange zuweilen, gequetscht auf dem Dammweg,

weil sie ein Bronzerad jäh überfuhr, auch ein Fußgänger heftig

zuschlug und halbtot verwundet sie auf dem Pfade zurückließ,

ohne Erfolg in langen Windungen fortkriechen möchte,

vorne noch ungestüm-kraftvoll, mit glühenden Augen, den Nacken

fürchterlich zischend erhoben, doch hinten gehemmt durch die Wunde,

mag sie sich ringeln auch, sich zu stützen versuchen auf ihre

Wirbel: so ruderte, schwerfällig nur, der »Kentaur« ans Gestade;

freilich noch segelnd, gewann er mit schwellendem Leinen die Einfahrt.

Froh der Errettung des Schiffs samt der Mannschaft, gewährte Aeneas

dem Sergestos die vorher versprochenen Gaben, auch eine

Sklavin aus Kreta, Pholóë; sie war im Schaffen Minervas

äußerst erfahren und trug noch Zwillingssöhne am Busen.


Nunmehr begab sich der pflichtbewußte Aeneas zur Wiese,

die sich als Talgrund inmitten bewaldeter Hügel erstreckte.

Auf ihr befand sich die Rennbahn, ringsum die Zuschauerplätze.

Dorthin verfügte der Held sich, umdrängt von Tausenden Menschen,

ließ in dem Kreise sich nieder auf eigens errichtetem Sitze.

Sämtliche Männer, die sich am Wettlauf beteiligen wollten,

lockte durch Preise er an und bestimmte die Ehrengewinne.

Teukrer, mit ihnen Sizilier, strömten zusammen, als erste Nisos und Euryalos,

letzterer ausgezeichnet durch Schönheit und blühende Jugend,

jener durch treue Liebe zu diesem Jungen. Den beiden

folgte Diores, ein Sproß des fürstlichen Priamosstammes.

Salios kam dann mit Pátron, ein Akarnane der eine,

von arkadischem Stamme der andre, und zwar aus Tegea.

Darauf zwei junge Sizilier, gewöhnt an das Leben im Walde.[248]

Helymos und Panópes, Gefährten des greisen Akestes.

Außerdem Zahlreiche andre, die Namen verschweigt uns die Sage.


Unter der Schar der Teilnehmer sprach Aeneas die Worte:

»Lasset euch eines noch sagen und nehmt es mit Freuden zur Kenntnis:

Keiner von euch verläßt mir die Rennbahn ohne Geschenke!

Jeweils zwei gnosische Lanzen, poliert auf Hochglanz die Spitzen,

eine Doppelaxt auch, ziseliert am silbernen Schafte,

sollen als Auszeichnung jedem gehören. Den ersten drei aber

winken noch Preise, außer dem Kranz vom goldgelben Ölzweig:

Dem, der als Sieger hervorgeht, ein Roß mit herrlichem Brustschmuck;

aber dem Zweiten ein Köcher, wie Amazonen ihn haben,

voller thrakischer Pfeile, an breitem Goldgurt zu tragen;

letzteren schließt ein geschliffnes Juwel als handliche Schnalle.

Mit dem argeischen Helm hier sei der Dritte zufrieden.«


Darauf begaben die Läufer sofort sich zum Start. Auf das Zeichen

schossen sie vor aus den Schranken und über die Rennbahn, wie eine

ungestüm jagende Sturmwolke, hielten das Ziel fest im Auge.

Allen voran enteilte mit weitem Vorsprunge Nisos,

schneller als Stöße des Windes, als Schwingen zuckender Blitze.

Salios kam ihm zunächst, doch in einem beträchtlichen Abstand.

Diesem folgte als dritter Euryalos, wieder mit großem Zwischenraum,

anschließend Helymos. Letzterem unmittelbar auf den Fersen

flog Diores dahin, er neigte im Rennen beinahe

über die Schulter des Vordermanns sich, und wäre die Strecke

länger noch, so überholte er ihn und machte den Ausgang

zweifelhaft.


Angelangt waren sie fast schon am Ende

der Rennbahn,

nahe dem Ziele, ermattet. Da rutschte Nisos in einer

Blutlache unglücklich aus; hier hatten geopferte Stiere

kürzlich den Boden bespritzt, durchtränkt auch die grünenden Kräuter.[249]

Jubelnd bereits im Siegesrausch, kam der Läufer ins Wanken,

konnte nicht aufrecht sich halten auf schlüpfrigem Boden. Kopfüber

stürzte er langhin ins Opferblut und in den klebrigen Unrat.

Doch er vergaß nicht Euryalos, nicht die verpflichtende Bindung.

Aufrappelnd sich aus der Pfütze, hemmte den Lauf er des Salios,

der in dem stäubenden Sande gleich ausglitt und rücklings sich wälzte.

Aber Euryalos schoß vorbei; dank der Hilfe des Freundes

ward er der Erste und stürmte zum Ziel in tosendem Beifall.

Helymos folgte ihm gleich und als dritter Gewinner Diores.


Salios aber führte lautschallend Beschwerde im weiten

Zuschauerraum, bei den Plätzen der Edlen, der vorderen Reihe,

forderte die ihm durch Tücke entrissene Auszeichnung wieder.

Doch den Euryalos schützten der Beifall, die Lieblichkeit seiner

Tränen, sein Wesen, verdeutlicht erst recht durch die äußere Schönheit.

Beistand auch leistete ihm Diores mit mächtiger Stimme;

winkte ihm jetzt doch der Preis des Dritten, den er verlieren

mußte, sofern man die Ehre des Ersten dem Salios gäbe.

Da sprach Vater Aeneas: »Eure Belohnungen bleiben,

Jungen, euch sicher, und keiner verändert die Reihe der Preise.

Aber bedauern mag ich den Sturz des schuldlosen Freundes.«

Damit reichte er Salios hin das riesige Fellkleid

eines gätulischen Löwen, dicht zottig, vergoldet die Tatzen.

Darauf beklagte sich Nisos: »Erhalten Besiegte schon solche

Preise, bemitleidest du die Gestürzten – wie ehrst du den Nisos

dann nach Verdienst? Ich hätte den Kranz des Ersten errungen,

würde nicht Mißgeschick mich wie den Salios hingestürzt haben.«

Antlitz und Körper zeigte er während der Klage, verschandelt

durch den klebrigen Schmutz. Ihn belächelte freundlich der Vater,

hieß ihm den Schutzschild, den Didymáon kunstreich geschmiedet,

bringen. Den hatten die Griechen dem Neptuntempel entrissen;

jetzt übergab er als Auszeichnung ihn dem tüchtigen Jungen.


Gleich nach dem Lauf und der Siegerehrung erklärte Aeneas:

»Los denn, wen Kraft und Selbstvertrauen beseelen, der trete[250]

vor jetzt und schwinge zum Faustkampf seine umgürteten Hände!«

Ausstellen ließ er sogleich die beiden Kampfpreise, einen

Stier, mit vergoldeten Hörnern und Binden geschmückt, für den Sieger,

für den Besiegten als Trostpreis ein Schwert nebst prachtvollem Schutzhelm.


Darauf erhob sich Dares sofort, der ausnehmend Starke,

zeigte voll Stolz sein Antlitz unter dem Beifall der Männer.

Er als einziger pflegte einst Paris die Stirne zu bieten,

hatte am Grabhügel auch des tapferen Hektor den ständig

siegreichen Riesen Butes, der prahlend sich als Bebryke

und als Amykosnachkomme vorstellte, niedergeschmettert,

tödlich ihn hingestreckt auf dem gelblichen Sande. Ein solcher

Faustkämpfer war es, der jetzt den Kopf zum Ausscheide reckte,

dabei die breiten Schultern zeigte, im Wechsel die Arme

vorstieß und wuchtige Lufthiebe führte. Man suchte nach einem

Gegner für ihn. Doch niemand aus einer so zahlreichen Menge

wagte mit ihm sich zu messen, die Faust in die Riemen zu schnüren.

Wohlgemut wähnte er gleich, daß alle den Kampfpreis ihm ließen,

trat vor Aeneas, packte, ohne zu zögern, mit seiner

Linken den Stier beim Horne und rief: »Du Sprößling der Göttin,

wenn schon keiner voll Wagemut gegen mich antritt – wie lange

soll ich dann stehen, wie lange noch dürfte ich untätig warten?

Laß mich die Kampfpreise nehmen!« Laut spendeten alle Trojaner

Beifall und forderten, ihm die versprochenen Preise zu geben.


Gegen Entellos wandte sich jetzt ernst mahnend Akestes;

saß er doch neben dem alten Freund auf der grünenden Wiese:

»Nutzlos, Entellos, vollbrachtest du einstmals tapferste Taten,

wenn du voll Langmut und ohne zu kämpfen so wertvolle Preise

fortnehmen läßt! Wo bleibt jetzt dein göttlicher Lehrmeister Eryx,

dessen du sinnlos dich rühmtest? Wo bleibt dein bei allen Siziliern

geltender Name und deine zu Hause hängende Beute?«

Jener entgegnete: »Ehrgeiz und Ruhmstreben wichen der Feigheit

niemals. Doch stockt mir erkaltend das Blut infolge des Alters;

lange erschlafft schon, entbehren die Kräfte im Körper der Frische.[251]

Käme die Kraft noch der Jugend zu Hilfe mir – wie dort dem Prahlhans,

der im Vertrauen auf sie nur so schamlos sich aufführt! –, ich stellte

ohne die Lockung der Preise und eines prachtvollen Stieres

gleich mich dem Gegner – ich brauche keine Geschenke!« Nach diesen

Worten warf er zur Mitte des Kreises ein ausnehmend schweres

Schlagriemenpaar; das pflegte zum Faustkampf der tapfere Eryx

einstmals zu tragen, die Arme ins harte Leder zu schnüren.

Alles erstaunte. Verarbeitet waren die Felle von sieben

mächtigen Stieren, durchsetzt mit Stücken von Blei und von Eisen!

Dares auch staunte, vor allen, und wollte vom Kampf nichts mehr wissen,

während der Sproß des Anchises die Schlagriemen wog in den Händen,

hierhin und dorthin die zahllosen Knoten der Fellstreifen drehte.


Grimmig erleichterte nunmehr sein Herz der betagte Entellos:

»Was erst, sofern man des Herkules eigene Riemen gesehen

hätte, den furchtbaren Faustkampf dazu an diesem Gestade!

Diese hier führte vor Zeiten dein Bruder Eryx als Waffe –

siehst hier noch Spritzer von Blut und Gehirn auf den Riemen –, mit ihnen

trat er dem großen Enkel des Alkeus entgegen. Mit ihnen

kämpfte auch ich, als mein Blut noch frischer mich stärkte, das böse

neidische Alter noch nicht auf das Haar an den Schläfen mir Silber

streute. Wenn aber Held Dares aus Troja die Riemen hier ablehnt,

dies auch der Pflichtmensch Aeneas wünscht und Akestes es billigt,

laßt uns zu gleichen Bedingungen kämpfen. Auf Riemen des Eryx

will ich verzichten, du brauchst nichts zu fürchten – verzichte auf deine

troischen!« Gleich von den Schultern zog er den doppelten Mantel,

zeigte die mächtigen Glieder, den starken Knochenbau, seine

wuchtigen Arme und trat, voll gewaltiger Kraft, auf den Kampfplatz.[252]

Gleichschwere Schlagriemen holte nunmehr der Sproß des Anchises,

schnürte sie gleichmäßig dann um die Fäuste der beiden Rivalen.


Aufgereckt stand auf den Zehen sogleich dann ein jeder und streckte,

ohne ein Zeichen von Furcht, die Arme zum Schlag in die Lüfte,

zog auch zurück, steil aufwärts, den Kopf in Erwartung von Treffern.

Darauf plänkelten sie, die Fäuste verschränkt miteinander,

reizten zum Kampfe sich, Dares gewandter zu Fuß und auf seine

Jugendkraft bauend, Entellos an Körpergewicht überlegen;

aber steif wankten die Knie ihm, die Atemnot plagte den Riesen

weidlich. Dann tauschten, aufs Blut schon, sie Schläge, doch ohne Entscheidung,

trafen voll Wucht wiederholt die Rippen und ließen des Gegners

Brustkorb erdröhnen. Um Ohren und Schläfen schwirrten die Fäuste,

unter hart sitzenden Hieben krachten die Knochen der Kiefer.

Standhaft behauptete, niemals erschüttert, Entellos die Stellung;

nur durch Bewegen des Oberkörpers entging er den Schlägen,

wachsamen Blickes. Doch Dares – wie Feldherrn mit Heeresmacht stolze

Städte bestürmen, auch Festungen hoch im Gebirge belagern –

spähte an wechselnden Stellen nach Blößen und ließ sich, erfahren,

kunstgerecht keine entgehen, doch scheiterte stets mit dem Angriff.

Höher jetzt reckte Entellos sich aufwärts und holte mit seiner

Rechten weit aus. Doch der Gegner erspähte den Hieb, der von oben

drohte, und konnte ihm ausweichen noch mit blitzschneller Wendung.

Kraftvoll ins Leere nur sauste die Faust des Alten, und selber

stürzte er, mitgerissen vom Hiebe, wuchtig zu Boden.

Ebenso stürzt zuweilen vom Erymanthos, vom großen

Ida auch, eine schon hohle Fichte, entwurzelt, zur Tiefe.

Voller Erregung sprangen Sizilier und Teukrer von ihren[253]

Plätzen, und himmelwärts hallten die Schreie. Akestes als erster

half voll Mitleid dem Altersgenossen und Freund auf die Beine.


Weder gehemmt noch erschreckt durch den Sturz begab sich der Tapfre

eifriger noch zurück in den Kampf und steigerte seine

Kräfte im Zorn. Ihn entflammten Ehrgefühl und das Bewußtsein

eigener Leistung. Wild jagte er Dares über den Kampfplatz,

unaufhaltsam, und deckte ihn ein mit der Rechten wie Linken,

gönnte kein Ausruhen ihm und kein Rasten. Wie hoch auf den Dächern

Hagelschlag trommelt, so scheuchte der Held mit ununterbrochen

hämmernden Hieben beider Fäuste den Gegner im Kreise.


Da ließ Vater Aeneas den Ingrimm nicht weiter sich steigern,

ließ den Entellos in seiner Erbitterung weiter nicht wüten,

sondern machte dem Kampfe ein Ende, entzog den erschöpften

Dares dem Gegner und tröstete ihn mit versöhnlichen Worten:

»Unglückverfolgter, du bist wohl vom Wahnsinn geschlagen! Die Gottheit –

spürst du das nicht? – verlieh dem andern die Kräfte zum Siegen.

Weiche dem göttlichen Wirken!« Sein Zuspruch bewirkte den Abbruch.

Treulich besorgte Gefährten brachten den Dares zur Flotte.

Mühsam nur taumelte er, ihm schwankte bedenklich der Schädel,

mit dem geronnenen Blute erbrach er zerschlagene Zähne.

Freunde auch nahmen, nach Aufruf, das Schwert in Empfang und den Schutzhelm,

mußten Entellos die Palme des Siegs und den Stier überlassen.


Siegesbewußtsein und Stolz, auf den Stier beseelten den Alten.

»Sprößling der Göttin, ihr Teukrer auch«, rief er, »kommt zur Erkenntnis,

was für gewaltige Kräfte ich früher besaß, in der Jugend,

welchem Tode ihr auch den Dares hilfreich entrisset!«

Damit trat er ganz dicht vor den Schädel des Stieres, der reglos

dastand als Kampfpreis, und holte weit aus mit der Rechten. Fast senkrecht[254]

hieb er den Faustriemen wuchtig zwischen die Hörner des Tieres,

brach mit dem Schlage, das Hirn auch zerschmetternd, den Knochen. Zu Boden

sackte der Stier und streckte die Glieder, verendete zuckend.

Über ihm rief der Alte in tiefer Bewegung: »Dir, Eryx,

opfre ich lieber dies Leben als jenes des Dares. Und hiermit

gebe ich dir den Caestus und meine Fertigkeit wieder!«


Anschließend rief Aeneas zum Wettkampf der schwirrenden Pfeile

jeden, der teilnehmen wollte, bestimmte die Preise und stellte

dann mit gewaltigen Armen den Mastbaum vom Schiff des Serestos

aufrecht. Er hatte ans Holz mit einem Seilende eine

Taube gebunden und ließ am ragenden Stamme sie flattern,

Ziel für den Schützen. Man strömte zusammen, sie warfen in einen

Schutzhelm die Lose. Bei tosendem Beifall ergab sich der erste

Schuß für den Spößling des Hýrtakos, für Hippokóon. Ihm folgte

Mnestheus, der eben den Wettkampf zu Schiffe als Sieger bestanden

hatte, geschmückt mit dem Kranz noch aus grünenden Zweigen des Ölbaums.

Held Eurytion wurde der dritte – dein Bruder, berühmter

Pandaros, der du, beauftragt, den Waffenstillstand zu brechen,

einst dein Geschoß als erster unter die Griechen entsandtest.

Unten im Helme lag als letztes das Los des Akestes,

der sich, betagt schon, zu messen wagte mit jungen Rivalen.

Eifrig krümmten die Schützen die Bogen im Einsatz der starken

Arme, ein jeder für sich, und entnahmen den Köchern die Pfeile.


Unter dem Himmel durchschnitt, geschnellt von der summenden Sehne,

sausend der Pfeil des Hyrtakossohnes als erster die leichten

Lüfte. Er traf auf das Holz und bohrte sich hoch in den Mastbaum.

Zitternd schwankte der Stamm, und die Taube, jählings erschrocken,

schlug mit den Flügeln vor Angst. Der Beifallssturm donnerte weithin.

Dann ging Mnestheus mit kraftvoll gespanntem Bogen in Stellung;

sorgfältig zielend wies er dem Pfeil die Richtung zur Höhe.[255]

Aber den Vogel selber zu treffen, das sollte dem Armen

doch nicht gelingen. Das kräftig verknotete Tau nur zerschoß er,

das um die Füße der Taube sich schlang und am Pfahle sie festhielt.

Hoch in die Lüfte, zum düstren Gewölk entschwirrte der Vogel.

Doch Eurytion, schon längst den gespannten Bogen im Anschlag,

richtete schnell ein Gebet an den Bruder, faßte die Taube

scharf ins Visier – froh regte sie hoch am Himmel die Schwingen –,

schoß und durchbohrte sie, ehe sie noch die Wolken erreichte.

Leblos stürzte sie, ließ ihr Leben im Reich der Gestirne,

brachte im Sturze den Pfeil, der sie tötete, wieder zur Erde.


Ohne die Aussicht auf Sieg blieb nunmehr Akestes noch übrig.

Trotzdem entsandte er sein Geschoß empor in die Lüfte,

zeigte als Meister sein Können allein schon am Singen des Bogens.

Aber da zeigte sich plötzlich den Blicken ein Wunder von schwerer

Zukunftsbedeutung; das lehrten gewichtig die Folgen: Die Seher

sprachen von einer schrecklichen späten Erfüllung des Omens.

Fing doch der Pfeil, in den leichten Wolken bereits, an zu brennen,

zeichnete deutlich den Weg mit sprühenden Flammen und löste

schließlich sich auf in die Lüfte, wie oftmals am Himmelsgewölbe

Sterne sich trennen, die Flugbahn mit feurigem Schweif dann durchziehen.


Staunend und voller Bestürzung standen Sizilier und Teukrer,

sandten Gebete empor zu den Göttern. Der tapfre Aeneas

lehnte das Zeichen nicht ab, nein, umarmte Akestes, der gleichfalls

freudig erregt war, bot ihm reichlich Geschenke und sagte:

»Nimm es nur, Vater! Dir wollte der mächtige Herr des Olympus

außergewöhnliche Ehren erweisen mit dieser Erscheinung.

Hier das Geschenk des greisen Anchises soll dir gehören,

dieser so fein ziselierte Mischkrug, den Kisseus, der Thraker,

einst als vorzügliche Auszeichnung meinem Vater verehrte,

als ein Erinnerungsstück an ihn selbst und als Zeugnis der Liebe!«

Darauf umkränzte er ihm die Schläfen mit grünendem Lorbeer,

würdigte ihn als ersten Sieger vor sämtlichen andern.

Held Eurytion war auf den Vorzug nicht neidisch in seiner

Biederkeit, hatte auch er doch den Vogel vom Himmel geschossen.[256]

Mnestheus erhielt als dritter den Preis – die Fesseln der Taube

schoß er entzwei –, Hippokoon als letzter; er traf nur den Mastbaum.


Doch vor dem Abschluß der Kampfspiele rief der Vater Aeneas

noch den Begleiter und treuen Wärter des jungen Iulus,

den Epytiden, und erteilte ihm folgenden Auftrag:

»Gehe und sag dem Ascanius: Hat er die Knabenschwadronen

aufgestellt schon und alles zum Reiterspiel fertig gerüstet,

soll er die Scharen zu Ehren des Großvaters vorführen, selber

sich in dem Waffenschmuck zeigen!« Das dichte Gedränge des Volkes

hieß er die Kampfbahn räumen, um freies Gelände zu schaffen.


Unter den Augen der Eltern ritten jetzt, gleichmäßig stattlich,

strahlend die Jungen heran auf gezäumten Rossen. Voll Staunen

grüßten die Männer Siziliens und Trojas die Reiterschar jubelnd.

Laubkränze, frisch geschnitten, zierten, wie üblich, die Haare.

Jeweils ein Lanzenpaar, eisern die Spitzen, Kornelholz die Schäfte,

führten die Reiter, ein Teil auf den Schultern auch glänzende Köcher.

Halsketten, Flechtwerk aus Goldringen, schmiegten vom Nacken zur Brust sich.

Drei Abteilungen ritten im ganzen, vor jeder ein Führer;

jedem folgten zwölf Jungen, jeweils zu sechst in zwei Gliedern,

prächtig zu schauen; zwei Rittmeister wachten bei jeder Abteilung.

Führer der ersten, umjauchzt von den Jungen, war der noch kleine

Priamos, der nach dem Großvater hieß, dein Sprößling, Polites,

ruhmreich als späterer Mehrer Italiens; auf schwarzweiß geschecktem

thrakischem Rosse saß er; weiß glänzten die Fesseln des Tieres,

ebenso weiß auch glänzte auf stolzem Kopfe die Blesse.

Führer der zweiten war Atys, der Ahn der latinischen Atier,

gleichfalls noch jung, in herzlicher Freundschaft mit Iulus verbunden.

Führer der dritten Iulus, so stattlich wie keiner der andern;

auf dem Sidonierroß ritt er, das ihm die herrliche Dido

schenkte, Erinnerungsstück an sie selber und Zeugnis der Liebe.[257]

Auf sizilischen Rossen, der Zucht des alten Akestes,

saßen die übrigen Jungen.

Beifall empfing die noch schüchternen Reiter. Die Teukrer erblickten

sie mit besonderer Freude, erkannten in ihnen die Eltern.


Froh und ermutigt ritten die Jungen durch die Versammlung

unter den Augen der Ihren. Dann gab, wie vereinbart, von weitem

der Epytide durch Ruf und Peitschenknall laut sein Kommando.

Paarweise sprengten die Sechsertrupps gleich in jeder Abteilung

jäh auseinander, schwenkten darauf, nach zweitem Kommando,

wiederum ein, die Waffen gegeneinander erhoben,

preschten zum Angriffe vor und wandten sich wechselnd zum Rückzug,

Gegner auf Abstand, verflochten in Reihen Kreise mit Kreisen,

tummelten eifrig im Scheingefecht sich mit geschwungenen Waffen,

zeigten bald fliehend die Rücken, boten bald, wirbelnd die Spieße,

wieder die Stirn, vereinten sich bald auch im Stillstand der Waffen.

Wie nach der Sage das Labyrinth auf dem ragenden Kreta

einstmals nur Gänge durch fensterloses Gemäuer und tausend

Strecken voll zweifelerregender Tücke enthielt, wo der Irrweg

keinerlei Orientierung und keinerlei Rückkehr an festen

Punkten ermöglichte: Ebenso schlangen die jungen Trojaner

täuschend den Reigen im wechselnden Spiel von Rückzug und Angriff,

wie die Delphine, die spielerisch schwimmend die salzigen Fluten

des karpathischen wie des libyschen Meeres durchschneiden.


Kampfspiele dieser Art erneuerte erstmals Ascanius,

als er den Mauerring zog um Alba Longa, und lehrte

auch die Latiner der Vorzeit, sie würdig als Fest zu begehen,

wie er als Knabe sie selber beging mit den troischen Jungen.

Die Albaner gaben den Ihren sie weiter. Das große

Rom übernahm sie von ihnen und pflegte das Erbe der Ahnen.

»Troja« nennt man das Reiterspiel, »troisch« den Festzug der Knaben.

Heute noch gelten die Spiele dem heiligen Vater Anchises.
[258]

Nunmehr erwies sich Fortuna das erste Mal wieder als treulos.

Während am Grabmal festlich die Spiele durchgeführt wurden,

schickte Juno, die Tochter Saturns, vom Himmel die Iris

zu den trojanischen Schiffen und ließ vor dem Winde sie fliegen;

Tückisches plante sie, litt an dem alten Kummer noch immer.

Iris durchflog in Eile den vielfarbig leuchtenden Bogen.

Ohne gesehen zu werden, erreichte geschwind sie die Erde,

sah den gewaltigen Menschenauflauf, flog an der Küste

weiter, erblickte die Häfen verödet, die Flotte verlassen.

Ferne am einsamen Strande beweinten die troischen Frauen

schmerzlich den Tod des Anchises und blickten, die Augen voll Tränen,

über das endlose Meer. »Auf uns, die Ermatteten, wartet

soviel an Untiefen noch und an Salzwasser«, klagten sie alle.

»Heimat erflehen wir, haben jetzt satt die Plagen der Seefahrt!«


Unter sie mischte sich Iris und legte, befähigt zu bösen

Taten, Gestalt und Kleidung der Göttin von sich. Verwandelt

in die betagte Frau des Doryklos vom Tmaros, Beróë,

die durch ihr edles Geschlecht und tüchtige Söhne bekannt war,

trat sie sogleich in den Kreis der klagenden troischen Mütter.

»Elende«, rief sie, »die euch im Kriege die griechischen Fäuste

nicht in den Tod vor den Mauern der Heimatstadt schleiften! Du armes

Volk – für welchen Untergang läßt euch Fortuna noch übrig?

Seit der Zerstörung Trojas vergeht schon der siebente Sommer,

da wir Länder und Meere, so viele unwirtliche Klippen,

unwetterdrohende Sterne bewältigen müssen auf unsrer

Irrfahrt in wogender See zu dem Ziel, das uns hinhält, Italien!

Unsere Brüder wohnen am Eryx hier, Gastfreund Akestes –

niemand verwehrt es uns, Mauern und Häuser für uns zu errichten!

Vaterland – ihr auch, Penaten, umsonst vor den Feinden gerettet:

Soll es kein neues befestigtes Troja mehr geben? Und sehe

niemals ich Hektors Ströme, Xanthos, Simoeis auch, wieder?

Auf denn, gemeinsam laßt uns die Unglücksschiffe verbrennen!

Sah ich im Traume doch, wie die Prophetin Kassandra mir Fackeln

reichte, hellflammende: ›Hierzulande suchet euch Troja‹,[259]

mahnte sie, ›hier harrt eurer die Heimat!‹ Wir müssen gleich handeln,

dürfen bei solchem Wunder nicht zaudern. Da, vier Altäre,

Weihstatt Neptuns: Der Gott ermutigt uns, gibt uns die Fackeln!«


Damit entraffte sofort sie ein brennendes Scheit den Altären,

holte weit aus mit der Rechten und schwang die feindliche Flamme,

ließ sie dann fliegen. Staunen und tiefe Bestürzung durchzuckte

Ilions Frauen, und eine, an Jahren die älteste, Pyrgo,

Amme so zahlreicher Priamossöhne im Schlosse zu Troja,

warnte: »Ihr habt nicht Beroë vor Augen, die Frau des Doryklos,

keine Trojanerin, keine, ihr Mütter! Betrachtet die Zeichen

göttlicher Schönheit, die feurigen Blicke, das stolze Gebaren,

gebt auf das Antlitz Obacht, die klangvolle Stimme, das Schreiten!

Selber verließ ich Beroë soeben. Unwillig war sie,

weil sie, erkrankt, der Feier als einzige fernbleiben mußte,

nicht dem Anchises die schuldigen Ehren darbieten konnte.«

Derart warnte sie.

Aber die Mütter, zunächst noch unschlüssig, musterten scheelen

Blickes die Schiffe und schwankten zwischen der leidigen Sehnsucht,

hier zu verbleiben, und jener lockenden Herrschaftsverheißung.

Plötzlich erhob sich die Göttin mit ihren Schwingen zum Himmel,

flog auf dem riesigen Bogen unter dem Wolkendunst aufwärts.

Nunmehr erst recht wie vom Donner gerührt durch das Wunder, verblendet,

schrien sie auf, sie rissen sich Brandsätze teils aus den Häusern,

teils von Altären, schleuderten Laub auch und Zweige und Fackeln

wild in die Schiffe. Und hemmungslos wütend, flammte Vulcanus

über die Balken, die Ruder, bemalte Tannenholzsteven.


Nachricht vom Brande der Schiffe brachte Eumelos zum Grabmal

des Anchises und unter die Zuschauermenge. Man konnte

auch schon von dort die düsteren Qualmwolken aufsteigen sehen.

Ohne zu säumen, sprengte Ascanius, wie er soeben

fröhlich den Reiterkampf führte, so eifrig als erster zum Lager.[260]

wo schon Getümmel tobte, gehorchte nicht mehr den bestürzten

Rittmeistern. »Was für ein Wahnsinn herrscht hier, was wollt ihr bezwecken,

elende Troerinnen?« So rief er. »Nicht Feinde verbrennt ihr,

auch nicht ein griechisches Lager, nein, eure eigene Hoffnung.

Seht mich, ich bin doch Ascanius!« Aufgeregt warf er den Frauen

vor die Füße den Helm, mit dem er im Reiterspiel kämpfte.

Schleunigst erschien auch Aeneas, mit ihm die Scharen der Teukrer.

Aber die Frauen stoben am Strande vor Furcht auseinander,

rannten zum Walde hin, suchten, wo möglich, in felsigen Höhlen

sich ein Versteck. Sie bereuten ihr Handeln, scheuten die Sonne,

kannten die Ihrigen wieder, verwarfen den Einfluß der Juno.


Aber deswegen verloren die züngelnden Flammen nicht ihre

hemmungslos rasende Kraft. Im feuchten Eichenholz steckte

Werg und entsandte schwelend den Rauch, und über den Schiffskiel

schlich sich der Qualm, bald erlag der gesamte Schiffsrumpf dem Unheil.

Kraftvoller Einsatz von Helden und Ströme von Wasser erreichten

gar nichts. Da riß sich der fromme Aeneas die Kleidung vom Leibe,

reckte die Hände empor und erflehte die Hilfe der Götter:

»Sind dir, allmächtiger Jupiter, noch nicht alle Trojaner

bitter verhaßt und nimmt sich die uralte Gnade der Götter

irdischer Mühsale an, so verschone, Vater, die Schiffe

jetzt vor den Flammen, entreiß die ärmliche Habe der Teukrer

hilfreich dem Untergang – oder vernichte mit feindlichem Blitzstrahl,

bin ich es schuldig, den Rest, begrabe ihn hier mit der Rechten!«


Kaum verhallten die Worte, da setzte in maßlosem Wüten

düster ein Unwetter ein. Der Regen rauschte, vom Donner

zitterten Berge und Ebenen. Wassermassen entstürzten

wirbelnd dem Himmel, tiefschwarz, gepeitscht von ununterbrochnen

Böen. Voll liefen die Schiffe, schon trieften die halb nur verbrannten[261]

Planken, bis jegliches Qualmen erlosch und die Flotte im ganzen,

unter Verlust von vier Fahrzeugen, vor dem Verderben bewahrt blieb.


Aber der Vater Aeneas, erschüttert vom Schlage des Unheils,

sah sich von widerspruchsvollen Erwägungen qualvoll zerrissen.

Sollte er, untreu dem Auftrag des Schicksals, hier auf Sizilien

Wohnsitze gründen – sollte er weiter Italien suchen?

Nautes, betagt schon, als einziger von der tritonischen Pallas

einst unterwiesen und glänzend geschult in vielerlei Künsten –

sie erteilte ihm Auskunft über die Folgen des schweren

Zornes der Götter oder die Forderungen des Schicksals –,

Nautes gedachte Aeneas zu trösten mit folgenden Worten:

»Folgen wir, Sprößling der Göttin, dem Schicksal, vorwärts wie rückwärts!

Jedes Geschick, wie immer es sei, unterliegt durch – Ertragen!

Dir zu Gebote steht ein Dardaner, göttlichen Ursprungs,

Held Akestes: Gewinn ihn zum Helfer im Rat, er begrüßt es;

ihm auch vertraue die Mannschaften an der vernichteten Schiffe,

jene dazu, die vor deinen gewaltigen Taten sich scheuen!

Die überalterten Männer und die von der Meerfahrt erschöpften

Mütter, die Kranken und alle, die vor den Gefahren sich fürchten,

sondere aus: Die Ermatteten sollen hier Mauern errichten,

mögen die Stadt – erlaube es ihnen! – Akesta dann nennen.«


Tief in Erregung versetzt durch die Worte des älteren Freundes,

fühlte Aeneas erst recht sich gestürzt in nagende Zweifel.

Nacht schon umfing mit dem Doppelgespann verdüsternd den Himmel.

Plötzlich erschien ihm, vom Himmel herab, ein Abbild des toten

Vaters Anchises und ließ sich mit folgender Mahnung vernehmen:

»Lieber Sohn, der du teurer mir warst als das Leben, solange

Leben mir blühte – mein Sohn, schwer geprüft durch den Untergang Trojas:

Jupiter schickt mich zu dir, er löschte den Brand bei den Schiffen,

brachte jetzt endlich vom Himmel herab voll Erbarmen dir Hilfe.

Folge dem ganz vortrefflichen Ratschlag, den der betagte

Nautes erteilte! Nur auserlesene Mannschaften führe[262]

bis nach Italien, die Tapfersten; denn auf latinischem Boden

mußt du ein hartes und rauhes Volk überwinden. Doch vorher

komm noch in Plutos Unterweltsreich, durch avernische Tiefe

suche mich auf, mein Sohn. Ich hause ja nicht in dem schlimmen

Tartarus, bei den entsetzlichen Schatten, ich darf im Elysium

wohnen, im Kreis der Gerechten. Nach reichlichem Opfern des Blutes

schwarzer Tiere geleitet dorthin dich die keusche Sibylle:

Über dein ganzes Geschlecht und die künftige Wohnstatt erhältst du

Auskunft. Leb wohl! Die taufrische Nacht überwand schon die halbe

Strecke, der grausame Morgen umweht mich mit schnaubenden Rossen.«


Damit entschwand er, löste wie Rauch sich auf in die Lüfte.

»Wohin enteilst du?« rief Aeneas. »Wem willst du entfliehen?

Oder wer hindert dich etwa, von mir dich umarmen zu lassen?«

Gleichzeitig weckte er aus der Asche die schlummernde Flamme,

ehrte den Lar von Pergamon wie auch die Weihstatt der greisen

Vesta in dankbarer Demut mit Mehl und dampfendem Weihrauch.

Darauf berief er die Freunde sogleich, vor allen Akestes,

teilte den Auftrag Jupiters ihnen, die Weisung des teuren

Vaters und seinen eigenen festen Entschluß mit. Und ohne

Einwände stimmte man zu, auch Akestes zeigte sich willig.

Man überwies der neuen Siedlung die Mütter und jeden,

der es noch wünschte, der keinerlei Ehrgeiz und Ruhmstreben hegte.

Aber die andern erneuerten auf den Schiffen die Bänke,

tauschten verbrannte Balken aus, rüsteten Ruder und Taue,

wenige nur nach der Zahl, doch befähigt und willig zum Kampfe.

Gleichzeitig zog Aeneas die Grenzen der Neustadt mit einem

Pflug und verteilte durch Los die Baustellen; Troja und Ilion

sollten sie werden. Akestes, als Troer, begrüßte die Gründung,

setzte Gerichtszeiten fest sowie des Senates Befugnis.

Hoch auf dem Eryx, nahe den Sternen, plante man einen

Tempel für Venus Idalia, schuf auch ein Priesteramt, legte

weithin ein heiliges Wäldchen noch an für das Grab des Anchises.
[263]

Festlich geschmaust schon hatte das Volk neun Tage und Opfer

reichlich gebracht. Da glätteten milde Winde die Fluten,

ununterbrochen wehte der Südwind und mahnte zur Ausfahrt.

Tränen des Abschieds flossen längs der gebogenen Küste,

innig umarmte man sich und konnte, zur Nacht wie bei Tage,

schwerlich sich trennen. Sogar die Mütter, die noch vor kurzem

schrecklich den Anblick des Meers, unerträglich den Namen schon fanden,

wollten mit absegeln, alle Strapazen der Irrfahrt ertragen.

Gütig tröstete sie Aeneas mit freundlichen Worten,

gab sie dem Stammesverwandten Akestes, selbst weinend, in Obhut.

Darauf ließ er drei Kälber für Eryx, ein Lamm für die Stürme

opfern, die Schiffe dann hintereinander das Ankertau lösen.

Selber, das Haupt umkränzt mit beschnittenen Zweigen des Ölbaums,

stand er, weit sichtbar, am Bug, in den Händen die Schale, und weihte

edlere Opfertierteile und lautere Weine der Salzflut.

Kräftig frischte der Rückenwind auf und trieb sie von dannen,

wetteifernd peitschte die Mannschaft das Meer und durchfurchte das Wasser.


Aber inzwischen wandte sich Venus, von Sorgen gepeinigt,

bittflehend an Neptun und begann eindringlich zu klagen:

»Junos erbitterter Zorn und niemals zu stillende Rachgier

nötigen mich, Neptunus, demütig Bitten zu sprechen.

Weder die Zeit versöhnt sie noch fromme Erfüllung der Pflichten,

keine Weisung des Gatten, kein Schicksalsspruch bringt sie zur Ruhe.

Ihrem abscheulichen Haß genügt es noch nicht, aus der Mitte

unseres Volkes Troja getilgt und aufs schlimmste mit allen

Plagen getroffen zu haben; sie sucht auch die Reste, die Asche,

ja, die Gebeine noch heim! Sie weiß wohl die Gründe für solche

rasende Wut. Erlebtest du selbst doch, wie sie vor kurzem

plötzlich das Libysche Meer in Aufruhr versetzte: Die Wogen

türmte sie himmelwärts – freilich umsonst! – mit des Aiolos Hilfe,

wagte es dreist in deinem Bereich![264]

Aufgehetzt hat sie verbrecherisch auch die troischen Mütter,

hieß sie die Schiffe, wie schändlich!, verbrennen, erzwang durch den Schaden,

daß in der Fremde Frauen und Männer zurückbleiben mußten!

Lasse in Gnaden die übrigen, bitte, über die Fluten

sicher dahinsegeln und den laurentischen Thybris erreichen,

ist mir dies Flehen erlaubt und gewähren die Parzen dort Wohnrecht!«


Antwort erteilte der Sproß des Saturnus, der Zwingherr des Meeres:

»Du, Kythereia, du kannst auf mein Reich mit Sicherheit bauen,

stammst du doch selber aus ihm. Ich verdiente es auch; denn ich zähmte

oftmals bereits die rasende Wut des Himmels und Meeres.

Auch auf dem Lande – ich rufe Simoeis und Xanthos zu Zeugen –

kümmerte ich mich um deinen Aeneas: Als damals Achilleus

wild die erschöpften Scharen der Troer zur Stadtmauer jagte,

dort sie zu Tausenden tötete, als dann die Ströme, von Leichen

völlig verstopft, laut stöhnten und Xanthos den Weg nicht mehr finden,

nicht in das Meer sich ergießen konnte, da stellte Aeneas

sich dem Peliden – an Götterschutz ihm und an Kraft unterlegen –,

und ich entführte in Wolken den Helden, obwohl ich die Mauern

umstürzen wollte, die ich den verlogenen Troern einst baute!

Ebenso bin ich auch heute ihm gnädig. Du brauchst nichts zu fürchten!

Sicher gelangt er, nach deinem Wunsch, in avernische Häfen.

Einen nur wird er verlieren, du magst in den Wogen ihn suchen,

einen als Opfer für viele!«


Damit beruhigte er die Göttin und stimmte sie heiter,

schirrte dann gleich die Rosse ins Goldjoch, das schaumübersprühte

Zaumzeug auch zwang er den feurigen auf, ließ ihnen die Zügel

schießen darauf. Leicht streifte im Flug der bläuliche Wagen

über das Meer. Schon duckte die Flut sich, glatt wurden die Wogen[265]

unter der dröhnenden Achse, vom Himmel stoben die Wolken.

Viele Begleiter umschwammen ihn, Ungeheuer des Meeres –

das schon betagte Gefolge des Glaukos – Palaimon, der Sprößling

Inos – geschwinde Tritonen – die mächtige Heerschar des Phorkos.

Links von ihm schwärmten die Nymphen, Melite, Panópeia, Thetis,

weiter Nisaia und Speio, Thalia dann und Kymodóke.


Nunmehr empfand Aeneas, anstelle der nagenden Sorge,

freudige Zuversicht. Aufrichten ließ er sämtliche Masten,

schneller als üblich, und an den Rahen die Segel entfalten.

Alle zusammen lavierten gleichzeitig, lösten mit halbem

Winde bald rechts und bald links das Leinen, gemeinsam auch drehten

alle die Enden der Rahen. Sie fuhren vor günstiger Brise.

Vorn an der Spitze lag Palinuros, er führte die dichte

Reihe der Schiffe, ihm sollten die übrigen gleichmäßig folgen.


Fast schon die Hälfte der himmlischen Strecke war von der feuchten

Nacht überwunden. In friedlicher Ruhe streckte die Mannschaft,

unter den Rudern, auf ihren harten Bänken die Glieder,

als von den Sternen des Äthers der flüchtige Schlummer herabglitt.

Quer durch die Dunkelheit flog er zu dir, Palinuros, und brachte,

ohne daß Schuld dich belastete, dir ein tödliches Traumbild.

Hoch auf dem Hinterdeck ließ die Gottheit sich nieder, dem Phorbas

äußerlich gleichend, und sprach: »Du Sproß des Iasios, höre,

mein Palinuros! Die Fluten tragen allein jetzt die Flotte.

Gleichmäßig atmet die Brise; die Stunde gehört der Erholung.

Lehne dein Haupt an, entziehe die müden Augen der Plage!

Selber ein Weilchen vertreten möchte ich dich bei der Arbeit.«


Mühsam nur hielt Palinuros die Augen noch offen und sagte:

Ȇber die scheinbar so friedliche Salzflut sollte ich keine

Kenntnis besitzen, sollte dem Ungeheuer vertrauen,

sollte tatsächlich dem launischen Lufthauch einen Aeneas

preisgeben, wo mich ein heiterer Himmel so oft schon enttäuschte?«
[266]

Derart sprach er und ließ den Steuergriff nicht aus den Händen,

die ihn umschlossen, blickte auch dauernd empor zu den Sternen.

Aber da schwenkte die Gottheit ihm über die Schläfen hin einen

Zweig, der, vom Tau der Lethe benetzt, mit stygischem Zauber

Schlummer bewirkte, und schloß ihm, trotz Sträubens, die tränenden Augen.

Jäh überwand ihn die erste Ruhe, die Glieder erschlafften.

Ohne zu zögern, packte der Gott ihn und warf ihn ins Wasser.

Während des Sturzes riß Palinuros, ans Steuer geklammert,

auch noch ein Heckteil mit sich, erwachte und rief, doch vergeblich,

mehrfach die Freunde. Und fern in die Lüfte entschwebte die Gottheit.


Trotzdem verfolgte die Flotte den Kurs in Stetigkeit weiter,

ohne Gefährdung, gemäß dem Versprechen des Vaters Neptunus,

näherte schon sich dem Riff der Sirenen. Die Felsinsel drohte

einstmals den Schiffern, am Strande bleichten viele Gebeine.

Ununterbrochen dröhnten die Klippen vom Anprall der Brandung.

Da erst bemerkte Aeneas, daß schwankend das Fahrzeug dahintrieb,

führerlos, und übernahm für die Nachtstunden selber die Lenkung,

bitterlich klagend, aufs tiefste erschüttert vom Unglück des Freundes:

»Zu sehr verließest du dich auf das ruhige Wetter; an fremdem

Strand, Palinuros, wirst du jetzt liegen, ohne Bestattung.«[267]

Quelle:
Vergil: Werke in einem Band. Berlin 21987, S. 239-268.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Aeneis
Aeneis
Aeneis. 1. und 2. Buch: Lat. /Dt.
Aeneis. 5. und 6. Buch: Lat. /Dt.
Aeneis: Lat. /Dt.
Aeneis: Lateinisch/Deutsch

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon