Siebenter Gesang.

[298] Du auch, Cajeta, du Nährerin eines Aeneas, verliehest

sterbend unseren Küsten Ruhm für ewige Zeiten.

Heute noch zollt man dir Ehren, dein Name bezeichnet die Stätte

deines Grabes – sofern das ein Ruhm ist: im großen Hesperien.


Ordnungsgemäß vollzog der fromme Aeneas die Pflichten,

häufte den Hügel zu Ehren der Toten, verließ dann, bei friedlich

ruhender See, nach Setzen der Segel den Hafen. Die Brise

wehte zur Nacht hin günstig, der Mond gewährte den Schiffen

gütig sein Licht, es glänzte das Meer im zitternden Scheine.

Dicht am Gestade der Circe glitten sie ruhig vorüber,

wo die begüterte Tochter des Helios ständig mit hellem

Singen ein Echo entlockte den unzugänglichen Hainen

und in dem Prachtschloß duftende Zedern verbrannte als Nachtlicht,

dann mit dem Weberkamm raschelnd strählte das feine Gewebe.

Dorther vernahm man das zornige Brüllen von Löwen, die gegen

Wände von Käfigen tief in der Nacht noch ungestüm tobten,

hörte auch borstige Schweine und Bären wüten in Zwingern,

heulen auch mächtige Wölfe: Allesamt waren sie Menschen;

Circe, die grausame, hatte mit zauberkräftigen Kräutern

jäh sie verwandelt, in Fell sie gehüllt und mit Schnauzen versehen.

Um den frommen Trojanern solch schreckliches Los zu ersparen,

fern sie zu halten der Bucht und dieser gefährlichen Küste,

schwellte Neptunus die Segel mit kräftigem Fahrtwind und lenkte

schnell an den Untiefen sie und der brodelnden Brandung vorüber.


Rötlich erglänzte das Meer schon von Strahlen, vom Himmelsgewölbe

leuchtete golden Aurora im rosigen Zweigespann. Plötzlich

legte der Wind sich, jeder Lufthauch erstarb, und die Ruder

bahnten mit Mühe den Weg auf der trägen, schimmernden Fläche.

Einen stattlichen Hochwald erblickte von See aus Aeneas;

zwischen den Bäumen ergoß sich in lieblicher Strömung der Tiber,[298]

reißend mit mächtigen Strudeln, gelblich vom wirbelnden Schwemmsand,

vorwärts ins Meer. An den Ufern und über den Flußwellen ließen

vielerlei Vögel, heimisch an Lauf und Rändern des Stromes,

schmeichelnd ihr Lied durch die Lüfte erschallen, durchflatternd das Dickicht.

Einschwenken hieß Aeneas die Mannschaft, in Richtung des Festlands,

lenkte hinein in den schattigen Fluß voll freudiger Stimmung.


Auf denn, Erato, von Herrschern und Zeitläuften will ich berichten

und von der Lage im alten Latium während der Landung

des aus der Fremde stammenden Heers an italischer Küste,

will ins Gedächtnis zurückrufen auch den Ausbruch der Kämpfe.

Muse, begeistre den Dichter! Ich singe von schrecklichen Kriegen,

singe von Schlachten, vom Wüten todesmutiger Fürsten,

von dem tyrrhenischen Heer, von Hesperien, das an den Kämpfen

voll sich beteiligte. Größere Taten muß ich gestalten,

Höher es wagen.


König Latinus, bejahrt schon, regierte

längere Zeit in tiefem Frieden Fluren und Städte,

Sprößling des Faunus und der laurentischen Nymphe Marica.

Faunus entstammte dem Picus, und dieser verehrte als Vater

dich, Saturnus. Du bist der Ahnherr dieses Geschlechtes.

Göttliche Weisung versagte dem alternden Herrscher Latinus

männliche Erben; der einzige Sohn war, jung noch, gestorben.

Eine Tochter allein war Erbin des Hauses und seiner

reichen Besitztümer, volljährig schon und gereift zur Vermählung.

Zahlreiche Männer des weiten Latium, ja aus dem ganzen

Lande Italien umwarben sie, Turnus als stattlichster aller,

mächtig allein schon durch Vater und Ahnen. Amata, des Königs

Gattin, begehrte zum Schwiegersohn ihn mit besonderem Eifer.

Göttliche Zeichen voll mancherlei Drohung verboten das aber.


Ragte doch mitten im Hofraum des Schlosses, mit heiligen Blättern,

aufwärts ein Lorbeerbaum, den man seit Jahren ehrfurchtsvoll pflegte.[299]

Vater Latinus sollte ihn gleich bei Errichtung der Stadtburg

selber entdeckt, dem Phöbus geweiht und, entsprechend der Pflanze,

sämtlichen Siedlern den Namen »Laurenter« beigelegt haben.

Hoch auf dem Wipfel des Baumes ließ sich ein Bienenschwarm nieder.

Über den lichten Äther, erstaunlich, nahten die Tiere

ungestüm summend und hingen, die Beinchen verschränkt ineinander,

plötzlich in dichtem Gewimmel an grünendem Zweig in der Krone.

Ohne zu säumen, erklärte der Wahrsager: »Weit aus der Fremde

sehe ich einen Helden kommen, ein Heer auch aus gleicher

Richtung, mit gleichem Ziele, und herrschen in unserer Stadtburg!«

Schließlich erzählte man Folgendes noch: Als das Mädchen Lavinia

auf dem Altare die Gaben gewissenhaft ansteckte, wartend

neben dem Vater dann stand, da begann – nicht wirklich, nur scheinbar –

hellauf zu lodern ihr wallendes Haar; der Kopfschmuck verbrannte

knisternd, die Locken der Königstochter, die edelsteinschwere

glänzende Krone; Lavinia selber dampfte inmitten

schimmernden Lichtes, sie schien den ganzen Palast zu entflammen.

Schrecken erregte der Anblick, er galt als erstaunlich. Die Seher

sagten, das Mädchen werde ein rühmliches Schicksal gewinnen,

freilich das eigene Volk in erbitterte Kämpfe verwickeln.


Über die Wunder bestürzt, begab sich der Fürst zu dem Haine

seines weissagenden Vaters Faunus, unter der hohen

Quelle Albúnea, die, im Gebiete des Waldes die größte,

mächtig herabrauscht und, düster beschattet, beißende Dünste

aushaucht. In schwieriger Lage holen von hier sich Italiens

Völker und holt ganz Oinotria Auskunft. Brachte der Priester

Gaben hierher und legte in schweigender Nacht sich zum Schlummer

nieder auf Fellen geopferter Schafe, bekam er vor Augen

viele Gestalten, die seltsam dahinschwebten, hörte verschiedne[300]

Stimmen und durfte mit Göttern Zwiesprache halten, er durfte

tief im Avernus sogar zu den Mächten des Acheron sprechen.

Vater Latinus auch suchte von hier sich Auskunft. Er brachte

feierlich hundert zweijährige wollige Schafe zum Opfer,

breitete ihre Felle dann aus und streckte zum Schlafen

darauf sich nieder. Da scholl aus der Höhe des Haines die Stimme:

»Niemals, mein Sohn, verheirate deine Tochter an einen

Gatten aus Latium, meide die vorbereitete Hochzeit!

Fernher naht sich der Schwiegersohn, wird mit seinem Geschlechte

unseren Ruhm zu den Sternen tragen: Die Enkel von seinem

Stamme werden, soweit die Sonne vom Ostmeer zum Westmeer

leuchtet, die Völker der Welt unterwerfen und kraftvoll regieren.«


Diese warnende Auskunft, in schweigender Nacht von dem Vater

Faunus erteilt, ward weiter verbreitet vom König Latinus.

Aber die Fama auch hatte im Flug sie bereits durch Italiens

Städte getragen, als die trojanische Mannschaft die Schiffe

an der von Kräutern bewachsenen Böschung des Ufers vertäute.


Unter hochragenden Baumkronen ließen Aeneas, die Fürsten

und der stattliche Jüngling Iulus sich nieder. Die Mahlzeit

richteten sie und legten im Grase unter die Speisen

Opferfladen von Weizengebäck – nach Jupiters Ratschluß –,

nutzten als Unterlage sie dann für die Früchte der Ceres.

Als sie schon alles aufgezehrt hatten, trieb sie der Hunger,

auch nach den Fladen zu greifen und kühn – Entweihung des Opfers! –

kräftig hinein in die schicksalsträchtigen Scheiben zu beißen.

»Ha, auch die Tische verschmausen wir!« rief da Iulus, zum Scherze,

ohne ein Wort noch hinzuzufügen. Aber der Ausruf

sollte das Ende der Irrfahrt bedeuten. Kaum war er verklungen,

griff ihn Aeneas schon auf, betroffen vom Walten der Götter.

Schweigen gebot er der Runde und rief: »Ich grüße dich, Heimat,

die mir vom Schicksal bestimmt, auch euch, ihr treuen Penaten

Trojas! Hier findet ihr Wohnstatt und Vaterland! Dieses Geheimnis

hat mir mein Vater Anchises – jetzt fällt es mir ein – hinterlassen:[301]

›Nötigt, mein Sohn, dich an einem fremden Gestade der Hunger,

nach der dürftigen Mahlzeit auch noch die Tische zu essen,

glaube, trotz deiner Erschöpfung, die Heimat gefunden zu haben,

lasse gleich Häuser errichten, umgib sie mit mächtigem Schutzwall!‹

Damit beschrieb er den Hunger von heute, der unsere bittre Irrfahrt beschließt!

Auf denn, sogleich bei Aufgang der Sonne lasset uns voller

Freude das Land hier und seine Bewohner, auch Städte erkunden,

aufbrechen uns vom Landeplatz aus nach verschiedenen Seiten!

Bringt jetzt dem Jupiter Trankopfer dar und betet zu meinem

Vater Anchises, setzet die Weinkrüge auf zum Gelage!«


Derart sprach er, umkränzte die Schläfen mit grünenden Zweigen,

flehte zum Schutzgeist der Stätte, zu Tellus darauf als der ersten

Gottheit, den Nymphen sodann, den Flüssen auch, die er noch gar nicht

kannte, zur Nacht und zu ihren soeben aufglänzenden Sternen,

jetzt zum idäischen Jupiter und zur phrygischen Mutter

sämtlicher Götter, den Eltern zum Schluß in Himmel und Orkus.

Hoch aus dem heiteren Äther ließ der allmächtige Vater

dreimal den Donnerschlag grollen und senkte vom Himmelsreich eine

feurig und golden umglitzerte Wolke schwingend hernieder.

Unter den Troern verbreitete gleich sich die Kunde, gekommen

sei jetzt der Tag zur Gründung der Stadt, die sie aufbauen sollten.

Feierlich setzten die Mahlzeit sie fort und schleppten, des guten

Vorzeichens froh, voller Eifer die Weinkrüge, kränzten die Becher.


Als dann der folgende Tag mit dem Frühlicht die Erde erhellte,

zogen sie truppweise aus, um Land und Leute, die Küste

wie auch die Stadt zu erkunden: den trägen Sumpfquell Numicus,

weiter den Thybris, dann das Gebiet der tapfren Latiner.


Darauf befahl der Sohn des Anchises hundert Trojanern

jeglichen Standes, zum stattlichen Schlosse des Königs zu ziehen,

ordnungsgemäß als Gesandtschaft von Zweigen der Pallas umschattet,[302]

Gaben zu bringen dem Herrscher, um Frieden und Freundschaft zu bitten.

Ohne Verzug gehorchten sie eilenden Schrittes dem Auftrag.

Darauf markierte Aeneas den Grundriß der Mauern mit einem

flachen Graben, begann mit dem Bauen, umkränzte die erste

Wohnstatt am Strande, wie üblich bei Lagern, mit Erdwall und Brustwehr.


Doch die Gesandten durchmaßen die Strecke, sie sahen die hohen

Türme und Bauten bereits der Latiner und nahten den Mauern.

Knaben und jugendlich blühende Männer übten zu Rosse

sich vor der Stadt, sie lenkten die staubumflatterten Wagen,

schnellten von Bogen die sausenden Pfeile, schleuderten schwanke

Wurfspieße, maßen sich eifrig im Wettrennen wie auch im Faustkampf.

Schon überbrachte ein Bote zu Pferde voraus dem bejahrten

König die Nachricht vom Eintreffen ausnehmend stattlicher Männer,

deren Bekleidung fremdartig wirke. Latinus entbot sie

gleich zum Palast, ließ selbst auf dem Throne der Ahnen sich nieder.


Ehrwürdig ragte, gewaltig, auf hundert mächtigen Säulen,

hoch auf der Stadtburg, der stolze Palast des laurentischen Picus,

Stätte der Scheu seit den Ahnen, umgeben von schattigen Bäumen.

Zepter und Faszes hier zu empfangen, das galt für die Fürsten

als ein beglückendes Omen. Der Tempel diente als Rathaus,

diente als Stätte dem heiligen Festmahl; nach Schlachtung des Widders

pflegten die Väter an langen Tafeln sich niederzulassen.

Bilder der Ahnen, geschnitzt aus uraltem Holze der Zeder,

zeitlich geordnet, standen im Vorraum: Fürst Italus – weiter

Vater Sabinus, der erste Pflanzer der Reben, die Sichel

auch noch als Standbild bewahrend – der greise Saturnus – dann

Ianus,

Gott mit dem doppelten Antlitz, und andre Gebieter der Vorzeit,

die in den Kämpfen zum Schutze der Heimat Wunden empfingen.

Aufgehängt waren auch zahlreiche Waffen an heiligen Säulen,[303]

Streitwagen, einstmals erbeutet – geschweifte Kampfäxte – Helme,

hoch überragt von Büschen – wuchtige Riegel von Toren –

Wurfspieße – Schutzschilde – Schiffsschnäbel, die man den Kielen entrissen.

Picus, Bezwinger der Rosse, mit quirinalischem Krummstab,

festlich in kurzer Staatstoga und in der Linken den Rundschild,

thronte als einziger; Circe, die ihn zum Gatten begehrte,

hatte, verschmäht, mit dem goldenen Stab ihn geschlagen, durch einen

giftigen Trank ihn zum buntgesprenkelten Spechte verwandelt.


Mitten in diesem Heiligtum saß auf dem Throne der Väter

König Latinus, berief die Trojaner zu sich und erklärte

ihnen nach ihrem Eintritt ins Schloß mit freundlichen Worten:

»Dardaner, sagt, was ihr wünschet! Wir kennen ja euch wie auch eure

Stadt und vernahmen von eurer Landung an unserer Küste.

Warum, aus welcher Notlage fuhret ihr über die weiten

bläulichen Wogen zum Strande Ausoniens? Mögt ihr auf einer

Irrfahrt, mögt ihr, von Stürmen verschlagen – ein Schicksal, das oftmals

Schiffern auf hohem Meere zuteil wird –, in unseres Flusses

Mündung gefahren sein, nunmehr an sicherem Ankerplatz ruhen:

Lehnt nicht die Gastfreundschaft ab, die wir bieten. Bedenkt, wir Latiner,

Enkel Saturns, wir üben Gerechtigkeit ohne Gesetze,

zwanglos, freiwillig, dem Brauche des uralten Gottes nur folgsam.

Wie ich mich jetzt noch erinnre – Jahre verdunkeln den Hergang –,

sagten betagte Aurunker, Dardanos stamme aus unsrem

Lande, von hier aus sei er zu Phrygiens idäischen Städten

und auf das thrakische Samos, heut Samothrake, gezogen.

Er, der von Kórythos aufbrach, einer Stadt der Tyrrhener,

sitzt jetzt im goldnen Palast des gestirnten Himmels auf hohem

Throne, vermehrt durch seine Altäre die Reihen der Götter.«


Darauf entgegnete ihm Ilióneus mit folgenden Worten:

»König, erhabener Sprößling des Faunus, uns jagte kein wilder[304]

Sturmwind über die Fluten an eure rettende Küste,

leitende Sterne täuschten so wenig uns wie das Gestade.

Planmäßig sind wir, mit voller Absicht, gekommen zu eurer

Hauptstadt. Wir wurden vertrieben aus einem der mächtigsten Reiche,

das je die Bahn der Sonne vom Rande des Himmels erblickte.

Jupiter gilt uns als Ahnherr, ihn feiern Dardanias Männer

freudig als Stammvater, ihm, dem Größten, entstammt auch Aeneas,

König der Troer. Dieser schickt uns zu deinem Palaste.

Welch ein Orkan aus dem wilden Mykene die Fluren am Ida

grausam durchtobte, welch furchtbares Schicksal die zwei Kontinente

Asien und Europa zum Kampf auf die Schlachtfelder hetzte,

davon vernahmen die Menschen am äußersten Nordrand der Erde,

den der Okeanos abschließt, auch jene der heißesten Zone,

die sich inmitten der anderen vier in der Sonnenglut ausdehnt.

Seit der vernichtenden Flut durchirrten wir zahlreiche Meere.

Heute erbitten wir Wohnrecht für unsere Götter, ein kleines,

harmloses Landstück am Strande, dann Wasser und Luft, das Gemeingut.

Keinerlei Schande bringen wir eurem Reich, ihr gewinnt nur

glänzenden Ruhm, nie erlischt der Dank für die Hilfe, und niemals

werden Ausonier die freundliche Aufnahme Trojas bedauern.

Bitte, verschmähe uns nicht, wenn zum Flehen wir freiwillig unsre

bindenumwickelten Arme erheben! Ich schwöre wahrhaftig,

bei dem Geschick des Aeneas und seiner gewaltigen Rechten,

treu, auf dem Schlachtfeld bewährt auch: Zahlreiche Völker und Stämme

wünschten sich dringend in Frieden und Freundschaft mit uns zu verbünden!

Göttliche Weisungen aber befahlen uns streng, nur in eurem

Lande die Zuflucht zu suchen. Dardanos ward hier geboren,

Phöbus verlangt von uns Rückkehr zum Ursprung und drängt auf Gehorsam,

hier zum tyrrhenischen Thybris, zur heiligen Quelle Numicus.

Auch überreicht Fürst Aeneas dir Zeugnisse früheren Glanzes,

diese bescheidenen Gaben, aus Trojas Flammen geborgen:[305]

Hier aus der Goldschale spendete einstmals Anchises den Göttern;

hier die Insignien führte einst Priamos, wenn er vorm Volke

feierlich Recht sprach, das Zepter, die hohe Tiara, das Staatskleid,

Arbeit trojanischer Frauen!«


Derart sprach Ilioneus. Latinus blickte indessen

still auf den Boden, ohne Bewegung, und nur in den Augen

lebte die innere Spannung. Nicht das golden bestickte

Purpurgewand, nicht das Zepter des Priamos reizte den König.

Vielmehr verweilte er grübelnd beim Hochzeitsbunde der Tochter,

prüfte genau die Bedeutung der Auskunft des uralten Faunus:

daß in Aeneas der Schwiegersohn aus der Fremde erscheine,

unter der gleichen Befugnis wie er zur Herrschaft berufen,

daß er der Stammvater ausnehmend tapferer Nachkommen werden

solle, die einstmals kraftvoll die Weltherrschaft antreten würden.

Endlich begann er voll Freude: »Mögen die Götter denn unser

Vorhaben segnen, sie lenken es ja! Ich erfülle den Wunsch dir,

Troer, und weise die Gaben nicht ab. Im Reich des Latinus

sollt ihr ertragreiche Fluren und Trojas Wohlstand nicht missen.

Komme Aeneas doch selber, wenn er so dringend uns sehen,

Freundschaft schließen, als Bundesgenosse dastehen möchte,

scheue sich nicht, vor die Augen wohlwollender Männer zu treten!

Gilt mir ein Händedruck doch schon als Teilstück des künftigen Friedens.

Jetzt übermittelt eurem Gebieter meine Entgegnung:

Meine Tochter als Gattin einem Landsmann zu geben,

ist mir verwehrt durch Orakel, die mir mein Vater erteilte,

wie auch durch himmlische Zeichen. Der Schwiegersohn kommt aus der Fremde,

sagen sie, bleibt hier in Latium, trägt mit seinem Geschlechte

unseren Ruhm zu den Sternen. Ich halte Aeneas für jenen,

heiße den – wenn ich nicht irre – Schicksalserwählten willkommen.«


Darauf erwählte Latinus hundert Rosse – er hatte

dreihundert glänzende Tiere an stattlichen Krippen ja stehen –,

jedem Gesandten eines, und ließ den Teukrern die Renner

vorführen gleich, in zierlich gestickten Decken von Purpur;[306]

goldene Halsketten hingen hernieder zur Brust von den Mähnen,

golden auch leuchteten die Kandaren zwischen den Zähnen;

für den am Strande noch weilenden Helden Aeneas ein Fahrzeug,

prächtig bespannt mit zwei göttlichen, feuerschnaubenden Rossen

jenes Geschlechts, das Circe ohne Wissen des Vaters

listig als Halbblut durch Zuführen einer gewöhnlichen Stute

ehemals züchtete. Derart begrüßt und beschenkt von Latinus,

kehrten die Boten beritten zurück als Bringer des Friedens.


Aber da schwebte gerade Jupiters grimmige Gattin

quer durch die Luft vom inachischen Argos. Aus himmlischer Ferne,

von den sizilischen Höhen Pachynums, erspähte sie Trojas

Flotte, erspähte Aeneas, der freudig an Land sich bewegte,

sah schon die Schiffe geräumt und die Männer beim Hausbau beschäftigt,

Zeichen des Willens, zu siedeln. Da blieb sie, aufs höchste erbittert,

stehen, erleichterte kopfschüttelnd sich mit den zornigen Worten:

»Ha, du verdammte Sippe, ihr Phryger, die dauernd ihr meine

Pläne durchkreuzt! Sie konnten den Tod bei Sigeion nicht finden,

konnten, gefangen schon, fliehen, verbrannten auch nicht in den Flammen

Trojas: Aus feindlichen Scharen, aus tödlichen Glutmassen durften

sie noch entschlüpfen! Ich möchte fast glauben, daß jämmerlich meine

Kräfte versagen, mein Haß, schon gestillt, in Schlummer mich wiegte,

mich, die ich feindlich die Heimatvertriebenen über die Wogen

scheuchte und überall auf den Meeren ihr Fortkommen hemmte!

Völlig erschöpft sind Himmel und Wellen vom Kampf mit den Teukrern.

Syrten und Skylla und wilde Charybdis nützten mir gar nichts.

Sicher am Ziel der Wünsche, am Thybris, ruhen die Troer,

fürchten weder die Wogen noch mich! Mars konnte die Riesen

einst, die Lapithen, vernichten, dem Zorn der gekränkten Diana

opferte einst der Vater der Götter das alte Kalydon –

wofür büßten Kalydon und jene Riesen so grausam?[307]

Aber ich große Gemahlin Jupiters, die ich voll Tatkraft

alles versuchte – vergeblich! – und keinerlei Mittel verschmähte,

ich unterliege Aeneas! Doch bin ich selber zu schwächlich,

hole ich ohne Bedenken mir Hilfe, wo sie sich mir bietet.

Kann ich den Himmel nicht einsetzen, lasse den Orkus ich kommen!

Kann ich Aeneas nicht hindern, Latiums Reich zu betreten,

gibt unumstößlich das Schicksal Lavinia ihm zur Gemahlin,

bitte: so kann ich doch wenigstens stören und hemmen den Fortschritt,

schwer mit Verlusten die Völker der beiden Könige schlagen!

Dafür sollen sich Schwiegervater und Schwiegersohn einen.

Blut von Trojanern und Rútulern nutze als Mitgift, Lavinia,

Göttin Bellona stifte dein Eheglück! Hekabe hatte

einst nicht als einzige Gattin die brennende Fackel geboren;

Venus auch tat es, die Mutter des neuen Paris. So setzen

Fackeln der Hochzeit in Brand auch das wiedererstandene Troja!«


Schreckenerregend ließ sie sogleich sich zur Erde hernieder.

Laut aus der Wohnstatt der Furien, dem finsteren Reiche der Tiefe,

rief sie Allekto, die Unheilsgöttin, die schreckliche Kriege,

Rachgier und Tücke und üble Verbrechen verursacht und fördert.

Pluto selber, auch ihre Unterweltsschwestern verwünschen

grimmig das Scheusal, so vielfältig kann sie sich wandeln, so gräßlich

wirkt ihr Erscheinen, so grauenhaft-finster umwimmeln sie Schlangen.

Aufgehetzt wurde jetzt noch von Juno die furchtbare Göttin:

»Bitte, jungfräuliche Tochter der Nacht, erweise mir einen

Liebesdienst: Niemals verdunkelt, zerbrochen gar werde mir meine

Ehre, und niemals umgarne Aeneas den König Latinus

listig mit Hochzeitsplänen und setze sich fest in Italien!

Einträchtig lebende Brüder vermagst du zum Kampf zu entzweien,

Haß in Familien zu säen, tödliche Fackeln und Geißeln

wild in die Häuser zu schleudern; tausendfach läßt du dich nennen,

tausendfach weißt du zu schaden! Deinen Erfindergeist sporne,

tilge die Friedensvereinbarung, streue die Samen des Krieges!

Sämtliche Männer sollen die Waffen verlangen und packen!«
[308]

Völlig durchdrungen vom Gifte der Gorgo, stürzte Allekto

gleich ins laurentische Land und zum Schloß des Königs Latinus,

ließ sich im stillen Gemach der Amata dann nieder. Die Fürstin

wurde, als Frau, von brennenden Sorgen, von Zorn auch gepeinigt

über die Ankunft der Teukrer und über die Hochzeit mit Turnus.

Aus den blauschimmernden Haaren warf ihr die Furie eine

Schlange entgegen. Sie sollte im Innern der Herrin sich bergen,

grimmig sie stacheln zu Wut und zu blinder Verwirrung des Hauses.

Zwischen das Kleid und den zarten Busen schlüpfte unmerklich

züngelnd die Natter, und ohne daß die Erregte es spürte,

hauchte sie Gift ihr ins Herz. Zur goldenen Halskette wurde

machtvoll das Tier, zur Binde am Schleier des Hauptes, verkroch sich

zwischen den Haaren, umschlängelte leicht beweglich die Glieder.


Aber zuerst erfaßte die Kraft des berauschenden Unheils

nur die Sinne, erfüllte mit Glut nur das Knochenmark, ohne

unwiderstehlich das Herz in Flammen zu setzen. Noch ruhig

sagte Amata, ganz sorgende Mutter, zum Gatten und weinte

bitterlich über die Heirat der Tochter mit einem Trojaner:

»Soll ein verbannter Phryger tatsächlich unsre Lavinia

heiraten, Vater, ohne daß du dich der Tochter und deiner

selber erbarmst – auch der Mutter nicht, die der Entführer des Mädchens

treulos verläßt weit über das Meer, wenn der Nordwind erst auffrischt?

Ebenso drang einst nach Sparta ein phrygischer Hirt und entführte

Helena, Ledas Tochter, nach Troja! Wie steht es um deine

niemals gebrochene Treue, die einstige Sorge um deine

Lieben, die Zusagen, die du dem Turnus, unsrem Verwandten,

machtest? Erwarten Latiner den Schwiegersohn wirklich vom Ausland,

ganz unumstößlich, und drängt dich des Vaters Faunus Orakel,

nun, so erachte ich jedes Gebiet, in dem wir nicht herrschen,

sinnvoll als ›Ausland‹ und deute entsprechend die Weisung der Götter.[309]

Prüfen wir derart den Stammbaum, dann finden als Ahnen des Turnus

Inachos wir und Akrisios, kurz, als Kernland: Mykene!«


Aber Amata flehte umsonst. Sie sah, wie Latinus

seinen Standpunkt behauptete. Nunmehr durchdrang das zum Wahnsinn

treibende Schlangengift tiefer die Fürstin, durchsetzte sie völlig.

Aufgepeitscht durch die entsetzliche Wirkung, stürzte die Arme

zügellos durch die riesige Stadt in rasendem Rausche.

Wie sich ein Kreisel, den Knaben voll Eifer im offenen Hofe

spielerisch treiben in mächtigem Bogen, wirbelnd herumdreht,

unter der Peitschenschnur kreist, ein schnurrendes Holzstück aus Buchsbaum,

staunend begafft von den ahnungslosen kleineren Jungen,

ständig beschwingt von den Hieben der Geißel: ebenso stürmte

rasend Amata quer durch die Stadt und durch das Gewimmel

ihres zum Kriege leicht reizbaren Volkes. Doch kam es noch schlimmer:

Wie überwältigt vom Toben des Bacchus, auf stärkeren Frevel,

stärkeres Wüten versessen, trieb sie die Tochter ins Freie,

fort in die Wälder, versteckte sie dort in den laubreichen Bergen,

wollte das Mädchen den Teukrern entreißen, die Hochzeit vereiteln,

»Bacchus, juchhei!« auf den Lippen, als halte sie dich nur der Tochter

würdig; für dich bloß solle sie greifen zum biegsamen Thyrsus,

dir nur sich tummeln im Tanz und weihen die wallenden Locken.


Eilig sprach sich ihr Rasen herum, und sämtliche Frauen,

gleichfalls entflammt von dem Rausche, verließen die Häuser und stürzten

fort in die Wildnis, boten die Nacken, die Haare den Winden,

ließen zum Teil auch den Äther erdröhnen von wildem Geheule,

warfen sich Felle um, schwangen mit Weinlaub umwundene Stäbe.

Unter den Tobenden reckte Amata die lodernde Fackel

hitzig empor, sang Hochzeitslieder für Turnus und ihre

Tochter, rollte die blutunterlaufenen Augen und kreischte[310]

plötzlich: »He, Mütter, latinische Frauen, höret mich, alle:

Haltet ihr pflichtgemäß eurer unglückverfolgten Amata

Treue und drückt euch die Sorgenlast einer wahrhaften Mutter,

löset die Haarbinden, feiert an meiner Seite die Orgien!«

Derart hetzte Allekto die Fürstin im Wahne des Bacchus

rings durch die Wälder und durch die entlegenen Fluren des Wildes.


Hinreichend glaubte die Furie fürs erste die Wut schon gesteigert,

Plan und Familienfrieden des Königs vernichtet zu haben.

Gleich erhob sich die grimmige Göttin auf düsteren Schwingen,

schwebte zur Stadt des kühnen Rutulerfürsten, die einstmals

Danaë gründete mit argeischen Siedlern, vom Südsturm

hierher verschlagen. Die Leute der Vorzeit nannten die Siedlung

Ardea; rühmlich behauptet der Name sich heute noch, aber

Macht und Bedeutung schwanden. Hier hatte Turnus im hohen

Schlosse die finstere Nacht schon zur Hälfte verschlafen. Allekto

legte ihr schreckliches Antlitz und ihren Furienkörper

ab und verwandelte sich in ein altes Mütterchen, furchte

streng sich die Stirn zu häßlichem Anblick, umwand sich mit einer

Binde und einem Olivenkranze die silbrigen Haare,

wurde zu Kálybe, einer betagten Priesterin Junos,

trat dann dem jungen Mann vor die Augen mit folgenden Worten:

»Turnus, du läßt so zahlreiche Mühen erfolglos verrinnen,

läßt es geschehen, daß troische Siedler dein Zepter ergreifen?

Schlägt doch Latinus die Hochzeit und die mit dem Blute erworbne

Mitgift dir ab und holt sich den Erben der Macht aus der Fremde!

Auf denn, du Opfer des Hohnes, besteh die Gefahren, die keinen

Dank dir erwerben, schlag die Tyrrhener, beschütz die Latiner!

Während du ruhtest in nächtlicher Stille, sollte ich diese

Forderung der allmächtigen Juno dir rückhaltlos stellen.

Lasse voll Zuversicht deine Mannschaft sich rüsten, zum Kampfe

ausrücken sie und die phrygischen Fürsten samt ihren bemalten

Schiffen im Lager am Ufer des lieblichen Flusses vernichten!

Das verlangen die mächtigen Himmelsbewohner. Und sollte

König Latinus dir wortbrüchig seine Tochter verweigern,

möge er selbst noch verspüren, was Turnus an Kriegstaten leistet!«
[311]

Über die Priesterin lächelnd, gab ihr der Jüngling zur Antwort:

»Daß die dardanischen Schiffe die Mündung des Thybris durchfuhren,

ist mir durchaus nicht, wie du wohl vermutest, entgangen. Erdichte

solche Gefahren mir nicht! Die Himmelskönigin Juno

wird uns bestimmt nicht vergessen.

Aber dich, Muttchen, plagt das untätige Alter, nicht länger

wirklichkeitsoffen, mit nichtigen Sorgen und foppt dich Prophetin

unter den Kampfespflichten der Fürsten mit sinnlosem Schrecken.

Bilder und Tempel der Himmlischen sollst du betreuen. Die Männer,

denen die Kriegführung zusteht, bestimmen den Krieg und den Frieden.«


Diese Entgegnung entflammte Allekto zu wütendem Zorne.

Darauf ergriff den Jüngling noch beim Sprechen ganz plötzlich ein Zittern,

stier verharrte sein Blick: So zischte die Furie mit Schlangen,

zeigte sich gräßlich in wahrer Gestalt. Mit glühenden Augen

stieß sie zurück den Mann – der rang noch, vergeblich, um Worte –,

ließ aus den Haaren zwei Schlangen sich hochrecken, knallte mit ihrer

Peitsche und schleuderte rasend ihm folgende Worte entgegen:

»Sieh mich doch an, die das träge, nicht länger der Wirklichkeit offne

Alter im Kampflärm der Fürsten mit sinnlosem Schrecken verspottet!

Schau hier: Ich kam vom Wohnsitz der schrecklichen Schwestern, ich trage

Kriege und Tod in der Hand!«

Damit schnellte sie auf den Jüngling die Fackel und bohrte

tief in das Herz ihm den Kienspan, der düster noch schwelte. Entsetzen

scheuchte den Fürsten jäh aus dem Schlafe, in plötzlichem Ausbruch

drang aus dem Leib ihm der Schweiß, überströmte sämtliche Glieder.[312]

Aufgewühlt schrie er nach Waffen und suchte im Bett sie, im Zimmer.

Gier nach dem Mordstahl trieb ihn, verbrecherisch rasender Kriegswahn,

Zorn obendrein, wie wenn entzündetes knisterndes Reisig

rings um den kochenden Kessel geschichtet wird, siedend das Wasser

höher noch aufwallt, die qualmende Masse Schaumkronen bildet,

schließlich hoch über den Rand die Gischtflocken sprühen, die Wellen

nicht mehr sich halten und aufwärts, wie Nebel, die Dampfwolken wirbeln.


Gegen Latium also rief nach dem Bruche des Friedens

Turnus die Führer der Mannschaften auf und befahl, sich zu rüsten,

kämpfend Italien zu schützen, den Feind aus dem Lande zu drängen:

Beiden, Latinern wie Teukrern, seien sie völlig gewachsen.

Als den Befehl er gegeben, die Götter unter Gelübden

angefleht hatte, spornten die Männer sich wetteifernd selber;

manchen bewog die jugendlich-frische Erscheinung des Fürsten,

manchen sein uralter Adel oder sein tüchtiges Handeln.


Während Turnus die Rutuler mahnte zu mutigem Einsatz,

schwebte Allekto auf stygischen Schwingen geschwind zu den Teukrern,

weitere Tücken im Sinn. Sie suchte die Stelle am Strande,

wo sich der schöne Iulus pirschend den Jagdfreuden hingab.

Dort versetzte die Frau vom Kokytos ganz plötzlich in wilde

Hetzgier die Meute, sie ließ vertraute Beute sie wittern,

lockte sie auf die Fährte des Hirschs. Dies bewirkte den Ausbruch

furchtbarer Kämpfe, entflammte das Landvolk zu rasender Kriegswut.


Einen hervorragend stattlichen Hirsch mit mächtigen Stangen

hatten die Söhne des Tyrrhus, des Herdenmeisters und Hüters

sämtlicher Fluren des Königs, einstmals der nährenden Hirschkuh[313]

listig entführt und aufgezogen mit Hilfe des Vaters.

Silvia pflegte, die Schwester, sorglich das völlig gezähmte

Tier, sie umwand das Geweih ihm mit zarten Blumengeflechten,

striegelte pfleglich sein Fell und wusch es in reinlicher Quelle.

Streicheln ließ sich der Hirsch, und gewohnt an das Futter der Herren,

streifte er weit durch die Wälder und kehrte von selbst zur vertrauten

Bleibe zurück, wenn auch lange die Nacht schon herniedergesunken.

Heute, auf solchem Streifzug, suchte am Fluß er, stromabwärts

treibend, dann wieder am grünenden Uferrand, Schutz vor der Hitze.

Dabei scheuchte empor ihn die wütende Meute des Iulus.

Dieser entflammte selber sogleich im Ehrgeiz des Jägers,

legte den Pfeil auf und ließ vom gekrümmten Horn ihn entschwirren.

Göttliches Eingreifen stärkte die noch unsichere Rechte.

Sausend durchdrang das Geschoß die Weichen des Hirschs. Der getroffne

konnte noch schnell in seine vertraute Behausung entkommen,

schleppte sich blutüberströmt in den Pferch und ließ von dem lauten,

schmerzlich flehenden Stöhnen den ganzen Stall widerhallen.


Silvia schlug sich, in erster Bestürzung, klagend die Arme,

rief dann um Hilfe; gleich strömten die rüstigen Bauern zusammen.

Urplötzlich – lauerte doch im stillen Walde die Furie –

waren zur Stelle sie, dieser mit feuergehärtetem Knüttel,

jener mit furchtbar gebuckelter Keule; was jeder gerade

auftreiben konnte, benutzte im Zorn er als Waffe. Und Tyrrhus,

eben beschäftigt, mit Keilen den Eichenstamm vierfach zu spalten,

packte wutschnaubend die Axt und hieß die Mannschaft sich ordnen.


Nunmehr war für die spähende Furie die Stunde gekommen,

tätig das Unheil zu steigern. Sie flog auf das Stalldach, vom Firste

gab sie das Hirtensignal, verstärkte, indem sie das Krummhorn[314]

blies, noch die Tartarusstimme. Von diesem Getöse erbebten

sämtliche Triften und hallten die tiefen Waldungen wider.

Fernher vernahm es der Triviasee, desgleichen das helle,

schwefelgesättigte Wasser des Nar und der Quell des Velinus.

Aufgeregt preßten die Mütter vor Angst an den Busen die Kinder.

Auf das Signal hin, so weit die schrecklichen Hornstöße drangen,

griffen die trotzigen Bauern zur Waffe und strömten von allen

Seiten zusammen. Doch auch die troischen Streiter ergossen

sich durch die Tore des Lagers nach außen, um Iulus zu helfen.

Beiderseits bildeten Fronten sich. Nicht mehr wie streitendes Landvolk

prügelte man sich mit Keulen und feuergehärteten Pfählen,

nein, mit zweischneidigen Streitäxten kämpften sie, todbringend starrten,

Saaten des Unheils, gezückte Schwerter, die ehernen Klingen

glänzten im Sonnenlicht fernhin und blitzten hinauf zu den Wolken.

Ebenso bildet das Meer, wenn die Winde auffrischen, weiße

Schaumstreifen, reckt sich allmählich dann höher mit wallenden Wogen,

bäumt sich zum Schluß aus den tiefsten Schlünden empor bis zum Äther.

Hingestreckt ward hier im vordersten Treffen durch sausenden Pfeilschuß

Almo, der älteste Sohn des Tyrrhus, ein rüstiger Junge.

Tief in der Kehle haftete ihm das Geschoß und erstickte

blutig die frische Stimme, zugleich das noch keimende Leben.

Zahlreiche andere fielen, mit ihnen der greise Galaesus,

der beim Versuch, noch Frieden zu stiften, dahinsank, ein Muster

wie an Gerechtigkeit so auch an Reichtum im alten Ausonien;

Schafherden hatte er fünf, gleichviele Herden von Rindern

füllten die Ställe ihm, hundert Pflüge durchfurchten sein Saatfeld.


Während, noch ohne Entscheidung, der Kampf auf dem Schlachtfelde tobte,

schwebte Allekto nach Einlösung ihres Versprechens – sie hatte

blutig eröffnet den Krieg und die ersten Verluste gefordert –[315]

weg von Hesperien, schwang durch die Lüfte sich aufwärts zum Himmel,

sagte zu Juno, stolz über ihr nunmehr erfolgreiches Wirken:

»Siehe, da hast du die Zwietracht, sie gipfelt in offenem Kampfe!

Sollen sie Freundschaft jetzt schließen und durch Verträge besiegeln!

Wo ich nun schon mit ausonischem Blute die Troer befleckte,

möchte ich eines hinzufügen, bleibt mir dein Wohlwollen sicher:

Will durch Gerüchte benachbarte Städte zum Eingreifen reizen,

sie in wahnwitziger Kriegslust entflammen, ringsher den Parteien

Hilfe zu bringen. Ausweiten will ich den Schauplatz der Kämpfe.«

Juno indessen erklärte: »Genug der List und der Schrecken!

Kriegsgründe wirken, schon metzeln die Männer mit Schwertern sich nieder;

Waffen, gezückt erst vom Zufall, triefen stets weiter vom Blute.

Sollen der wackre Sprößling der Venus und König Latinus

derart doch feiern die Eheverbindung mit herrlicher Hochzeit!

Allzu freizügig will dich der Vater, des hohen Olympus

Herrscher, nicht über die Bahnen des Äthers hinstreifen lassen.

Zieh dich zurück! Was noch weiter zu tun bleibt, möchte ich selber

ausführen.« Dies gab Juno zur Antwort. So hob denn Allekto

ihre von Schlangen zischenden Schwingen und flog von den hohen

Weiten des Himmels zurück zur Wohnstatt im Reich des Kokytos.

Zwischen hochragenden Bergen, im Binnenlande Italiens,

liegt das berühmte, sogar in fernen Gebieten bekannte

Tal von Ampsanctus, rings von den dichten Laubkronen düstrer

Wälder umgeben; tosend ergießt sich ein Sturzbach zur Tiefe,

braust um die Felsblöcke, wirbelt in einem gewaltigen Strudel.

Eine entsetzliche Höhle und dunstige Schächte des wilden

Pluto erblickt man; des Acheron mächtig klaffender Abgrund

haucht mit pestbringendem Atem. Hier barg sich die bitter verhaßte

Furie, befreite von ihrem Wirken Erde und Himmel.


Aber inzwischen verlieh dem Krieg die Herrscherin Juno

selbst den entscheidenden Aufschwung. Vom Schlachtfelde strömten die Hirten

zahlreich zur Stadt, die Gefallenen brachten sie, Almo, den Jungen,[316]

den ganz besonders im Antlitz verstümmelten alten Galaesus,

flehten die Götter an, klagten beschwörend beim König Latinus,

über das Blutbad aufs schärfste erbittert. Turnus persönlich

steigerte noch die Bestürzung: Man rufe die Teukrer als Herren,

suche Verwandtschaft mit Phrygern, er seinerseits werde verstoßen.

Auch die Männer der rasend im Bacchusrausch fern durch die Wildnis

schwärmenden Frauen – der Name Amatas verstärkte den Eindruck –

sammelten sich von allen Seiten und drängten zum Kampfe.

Gegen die Vorzeichen, gegen die Weisung der Götter verlangten

alle den gräßlichen Krieg in Verkennung des himmlischen Waltens.

Wetteifernd drängten sie sich um das Schloß des Königs Latinus.

Aber der Herrscher verharrte standhaft bei seinem Entschlusse,

fest wie ein Felsblock im Meer, den die Fluten umbranden, ein Felsblock,

der sich, umtobt vom Klatschen und Donnern der Wogen, mit seiner

Masse behauptet; erfolglos rauschen die gischtübersprühten

Klippen und gleitet der Seetang ins Wasser zurück von den Schroffen.

Doch er vermochte den sinnlosen Plan nicht zum Scheitern zu bringen,

alles vollzog sich gemäß dem Willen der wütenden Juno.

Dringend beschwor der Fürst die Götter zu Zeugen, die leeren Lüfte.

»Die feindlichen Mächte bezwingen mich«, rief er, »ich treibe

fort vor dem Sturm. Ihr werdet den Frevel mit Blut noch bezahlen,

Elende! Grausame Sühne erwartet dich, Turnus, entsetzlich,

anflehen wirst du zu spät mit Gelübden die Götter! Ich habe

mir schon die Ruhe errungen, ich liege schon sicher im Hafen,

werde nur, leider, im Unfrieden sterben.« Er sagte nichts weiter,

zog in das Schloß sich zurück und ließ die Ereignisse laufen.


Schon im hesperischen Latium herrschte der Brauch, den im Anschluß

dann die Albaner voll Ehrfurcht bewahrten, den heute die Weltmacht[317]

Rom auch noch treulich befolgt beim Ausbruch jeglichen Krieges,

mag man das getische Volk mit dem Jammer der Schlachten bedrängen,

Araber oder Hyrkaner; mag man nach Osten zu Indern

aufbrechen oder zurück von den Parthern die Feldzeichen fordern:

»Doppelte Tore« besitzt der Krieg – so heißen sie –, heilig

werden verehrt sie aus Furcht vor dem Mars, dem schrecklichen Gotte.

Hundert eherne Riegel und dauerhaft eisenbeschlagnes

Eichenholz schließen sie, ständig lauert Janus am Eingang.

Wenn unumstößlich die Väter beschlossen, den Krieg zu beginnen,

öffnet der Konsul persönlich im weißen Gewand des Quirinus,

nach gabinischer Weise gegürtet, die knarrenden Flügel,

ruft auch persönlich zum Kampf; ihm folgen die übrigen Männer,

eherne Blashörner dröhnen dazu in kräftigen Stößen.

König Latinus auch sollte den Krieg mit dem Heer des Aeneas

derart verkünden, die Tore der Trauer brauchgemäß öffnen.

Doch er entzog sich dem Auftrag, vermied die Ausführung einer

Amtspflicht, die Unheil nur brachte, und ließ sich im Freien nicht blicken.

Aber da schwang sich die Fürstin der Götter vom Himmel hernieder,

stieß mit der eigenen Hand an die säumigen Tore; die Angeln

drehten sich, Juno erbrach die eisernen Pfeiler des Kampfes.


Kriegsflammen lohten im ehemals friedlichen, stillen Ausonien.

Fußvolk rüstete sich zum Ausmarsch. In Staubwolken sprengten

andre auf stolzen Rossen. Ein jeder besorgte sich Waffen.

Schilde und Wurfspieße putzte man blank und glänzend mit fetten

Speckschwarten, schärfte am Schleifstein die Streitäxte. Feldzeichen tragen

wollte man ebenso gern wie Trompetengeschmetter vernehmen.

In fünf mächtigen Städten wurden auf Ambossen neue

Waffen geschmiedet, im stolzen Atina, im glänzenden Tibur,

in Crustumerium, Árdea wie dem umtürmten Antemnae.

Helme als Kopfschutz verfertigte man und flocht auch aus Weiden

Schilde. Andere schmiedeten eherne Brustpanzer oder

funkelnde Beinschienen unter Verwendung geschmeidigen Silbers.

Ihnen opferte man die Verehrung des Pflugschars, der Sichel,[318]

sämtlicher Landbaugeräte. Um schmiedete man die ererbten

Waffen. Schon dröhnten Signale, die Kampflosung wurde verbreitet.

Aufgeregt riß man den Helm von der Wand, die schnaubenden Rosse

zwang man ins Joch, zog über den golddrahtgeflochtenen Panzer,

packte den Schutzschild und gürtete sich mit dem wackeren Schwerte.


Öffnet den Helikon jetzt, ihr Musen, und singt mir die Lieder:

Welche Fürsten zum Krieg man entbot, was jedem an Mannschaft

folgte aufs Schlachtfeld, mit welchen tapferen Helden Italien

damals schon prangte, mit welchen Waffentaten es glänzte.

Fest im Gedächtnis bewahrt ihr es, Göttinnen, könnt es erzählen;

unsere Ohren erreicht nur der flüchtige Lufthauch der Sage.


Erster im Feld mit gerüsteter Schar, von Tyrrheniens Küste,

war Fürst Mezentius, stolzer Verächter der Götter. Sein Sprößling

Lausus begleitete ihn, der stattlichste sämtlicher Helden,

lediglich Turnus ausgenommen, der Kämpfer Laurentums.

Lausus, ein Rossebändiger und erfolgreicher Jäger,

führte aus Agyllina tausend Streiter – sie sollten

wenig ihm nützen! –; einen anderen Vater verdiente

freilich der Jüngling, auch einen Gebieter von beßrem Charakter.


Weiterhin ließ Aventinus, so trefflich wie einstmals sein Vater

Herkules, sehen auf grünender Aue den palmengeschmückten

Wagen mit siegreichen Rossen. Er führte als Wappen des Vaters

vorn auf dem Schild die von hundert Schlangen umzüngelte Hydra.

Auf aventinischem Hügel, im Walde, brachte ihn heimlich

Priesterin Rhea zur Welt, in das Reich der Sonne; sie hatte

sich mit dem Sieger aus Tiryns vereinigt, als dieser Laurentums

Fluren nach der Vernichtung Geryons erreichte und Spaniens

Rinder zur Schwemme trieb in einem tyrrhenischen Flusse.

Seine Gefährten fochten mit Spießen und schrecklichen Dolchen,

führten geschliffene Degen im Kampf und sabellische Lanzen.

Eingehüllt in das gewaltige Löwenfell, über dem Haupte

schreckenerregend die Mähne, den Rachen mit leuchtenden Zähnen,[319]

so betrat Aventinus die Königsburg, trug um die Schultern

stolz das Gewand des Herkules, ein entsetzlicher Anblick.


Zwillingsbrüder zogen heran aus den Mauern von Tibur,

Männer des Volks mit dem Namen des dritten Bruders, Tiburtus,

Held Catillus und Coras, der Tapfre, argeischer Abkunft,

tummelten sich im Geschoßhagel noch vor dem vordersten Treffen,

wie vom Gebirgsgipfel aus zwei wolkenentstammte Kentauren

reißend herabstürmen, von der Homole, vom weiß überschneiten

Othrys, der mächtige Urwald den Vorwärtsdringenden Raum gibt

und mit gewaltigem Krachen die buschigen Holzmassen brechen.


Caeculus fehlte auch nicht, der Gründer und König Praenestes,

der, nach dem Glauben der Zeitgenossen gezeugt von Vulcanus,

einst bei dem Vieh der Bauern auf brennendem Herde gefunden

wurde. Ihm folgte von weither in Scharen das Landvolk, die Männer,

die in dem hohen Praeneste, im Land der gabinischen Juno,

neben dem eiskalten Anio, auf den von Bächen durchschäumten

Felsen der Herniker wohnen. Die letzteren nährte Anagnia,

üppig auch du, Amasenus. Nicht alle führten sie schwere

Waffen, es klirrten nicht Schilde, nicht Wagen. Die meisten von ihnen

schleuderten blaugraue Bleikugeln, andere schwangen in ihren

Fäusten zwei Spieße; sie trugen bräunliche Kappen aus Wolfsfell,

um sich die Köpfe zu schützen; unbeschuht waren die linken

Füße, indes rohlederne Stiefel die rechten umschlossen.


Auch Fürst Messapus, der Rossebändiger, Sohn des Neptunus –

keiner vermochte ihn je mit Feuer, mit Stahl zu bezwingen –,

rief die schon lange des Kampfes entwöhnten, untätigen Völker

ausnehmend schnell zum Kriegsdienst und griff erneut zu den Waffen.

Aus Feszenninern bestand das Heer, aus faliskischen Äquern,

auch aus Bewohnern des Berges Soracte, der Flur von Flavina,

des ciminischen Berges und Sees wie der Wälder Capenas.[320]

Sie marschierten im Gleichschritt und priesen im Marschlied den König,

wie auch zuweilen schneeweiße Schwäne in lockeren Wolken

während des Rückflugs vom Jagdgrund aus langen Hälsen verschiedne

Weisen erklingen lassen und Fluß und Asias Teiche laut widerhallen.

Niemand wohl wähnte, aus solchem Gewimmel könnten sich klare

Schlachtreihen bilden, eher, ein Vogelschwarm hoch in den Lüften

dränge lautkreischend gewaltsam vom Meere heran ans Gestade.


Siehe dort Clausus vom uralten Stamm der Sabiner mit seiner

mächtigen Heerschar, den Mann, der sämtliche Kampftruppen aufwiegt!

Über ganz Latium ließ er die claudische Tribus und Sippe

weithin sich ausdehnen, seit die Sabiner zu Rom auch gehören.

Ihm unterstand Amiternums Kohorte, die Mannschaft aus Cures,

auch aus Eretum sowie aus dem ölbaumreichen Mutusca;

auch die Bewohner Nomentums, der Róseaflur des Velinus,

Tetricas schrecklicher Felsen, des hohen Severus, Casperias,

Forulis und des Gebietes am Flusse Himella; der Fluren,

denen Thybris und Fabaris Feuchtigkeit spenden; des kühlen

Nursia; Mannschaften Hortas und mancher latinischen Gaue;

Siedler zu beiden Seiten des leidigen Alliastromes –

ebenso dicht, wie die Wogen im libyschen Meere sich wälzen,

wenn der Orion, zum Unheil, versinkt in den tobenden Fluten;

oder wie Ähren am Anfang des Sommers im Sonnenglanz reifen,

sei es am Hermos oder auf Lykiens goldschimmernden Feldern.

Schutzschilde dröhnten, von Marschtritten zitterte schaudernd der Boden.


Auch Agamemnons Gefährte Halaesus, ein Feind der Trojaner,

schirrte die Pferde ins Joch und eilte mit tausend beherzten

Streitern dem Turnus zu Hilfe: Leuten, die, Freunde des Bacchus,

Massikerfluren behackten; Aurunkern, die man aus ihren

Bergen entbot; Sidizinern, die aus der Ebene stammten;

Männer aus Cales auch kamen; Bewohner der Gegend am seichten

Flusse Volturnus; rauhe Satíkuler; Scharen von Oskern.[321]

Letztere führten glatte, an beiden Seiten gespitzte

Wurfspieße, die sie an Riemen schleuderten, rückwärts dann zogen.

Lederne Schutzschilde trugen sie, Krummschwerter eigens zum Nahkampf.


Deiner auch, Oebalus, soll mein Gesang voll Achtung gedenken,

deiner, den Telon, erzählt man, dereinst mit der Nymphe Sebethis

zeugte, als er, bejahrt schon, über die Telebóër

herrschte auf Capri. Freilich, der Sohn, mit dem Reiche des Vaters

gar nicht zufrieden, gebot schon damals dem Volk der Sarrasten,

weiter dem Flachland, das der Sarnus befruchtet, den Leuten

Rufraes und Bátulums wie auch der Fluren Celemnas und jener

obstreichen Landschaft zu Füßen der ragenden Festung Abella.

Wie die Teutonen schleuderten Wurfkeulen sie im Gefechte,

nutzten als Kopfschutz Kappen von Korkeichenrinde; die Schilde

funkelten ehern, es funkelten ebenso ehern die Schwerter.


Hoch aus den Bergen schickte dich Nersae aufs Schlachtfeld, mein Ufens,

einen weithin berühmten, vom Glück begünstigten Kämpfer,

Herrscher der ausnehmend rauhen Äquíkuler, die in den Wäldern

ungestüm jagen und Schollen aus hartem Ackergrund brechen.

Voll bewaffnet betrieben sie Feldbau, schleppten mit Freuden

ständig aufs neue sich Beute zusammen und lebten vom Raube.


Priester und Feldherr zugleich, so kam von den Marsern der tapfre

Umbro, im Auftrag des Königs Archippos. Er hatte den Schutzhelm

dicht mit dem Laube des segenspendenden Ölbaums umwunden.

Einschläfern konnte er Nattern und Gifthauch atmende Schlangen

durch die Berührung der Hand und durch Zaubergesänge, er dämpfte

ihre Erregung, verstand es auch, Bißwunden kunstreich zu heilen.

Freilich mißlang ihm die Heilung des Speerstoßes, den ihm ein Troer

tödlich versetzte; weder einschläfernde Lieder noch Kräuter,

wie man sie sucht auf den marsischen Bergen, halfen dagegen.[322]

Innig beweinten der Hain der Angitia dich und der klare

Fuciner See, ja sämtliche klaren Gewässer.


Teil an dem Kriege nahm auch der edle Hippolytossprößling

Virbius. Mutter Aricia sandte den ruhmreichen Helden,

den in Egerias Hain sie, am Ufer des Waldsees, erzogen

hatte, am opferreichen Altar der milden Diana.

Mußte Hippolytos doch, nach der Sage, sterben infolge

Phaedras Bosheit, er wurde gemäß dem Fluche des Vaters

tödlich zerrissen von scheuenden Pferden; die Liebe Dianas

aber und Kräuter des Heilgottes Paion ließen ihn wieder

sehen die Sterne des Äthers und atmen die himmlischen Lüfte.

Doch der allmächtige Vater, verärgert, weil einer der Menschen

sich von den Schatten der Unterwelt wieder zum Lebenslicht aufschwang,

schleuderte selbst mit dem Blitzstrahl den Sohn des Phöbus, den Schöpfer

derart wirksamer Heilkunst, hinab in die stygischen Sümpfe.

Trivia freilich versteckte voll Güte Hippolytos heimlich,

gab ihn im heiligen Hain in die Obhut der Nymphe Egeria.

Einsam verbrachte er dort in den Wäldern Italiens sein Leben

unter dem Namen Virbius. Niemand kannte den Helden.

Stampfenden Rossen indessen sperrt man den Zugang zum Tempel

Trivias wie auch zum heiligen Hain, weil sie einst an der Küste,

scheu vor dem Untier des Meeres, den Jüngling vom Lenkerstand stürzten.

Nichtsdestoweniger tummelte ständig der Sohn auf der Rennbahn

angestrengt feurige Rosse und zog auch zu Wagen aufs Schlachtfeld.


Unter den ersten bewegte sich stattlich Fürst Turnus in voller

Rüstung und ragte mit seinem Haupte hoch über die Menge.

Dargestellt vorn auf dem Helm, überragt von dreifachem Buschen,

war die Chimaera und schoß aus dem Rachen ätnäische Flammen;

um so entsetzlicher spie sie wütend die widrigen Gluten,

je erbitterter ringsum das blutige Kampfgewühl tobte.

Seinen hell blinkenden Schutzschild schmückte, aus Goldblech getrieben,[323]

Io, im borstigen Fell schon, zur Kuh verwandelt, ein großes

Thema der Kunst, auch Argos, der Wächter des Mädchens, und Vater

Inachos, gießend den Stromquell aus kunstvoll gestaltetem Kruge.

Schwarmweis umgab ihn das Fußvolk, Scharen von Schildträgern ballten

sich im Gefilde, argeische Mannschaft, ein Teil der Aurunker,

Rutuler, auch die alteingeseßnen Sikaner, Sakraner,

schlagbereit schon, und Labiker mit farbig leuchtenden Schilden;

Männer, die deine Waldtäler, Tiber, sowie des Numicus

Ufer bestellen, die Rutulerberge und Hügel der Circe

fleißig beackern, die Fluren, die Jupiter Anxurus hütet,

mit ihm Feronia, die sich an grünenden Wäldern begeistert,

südlich von Sáturas schaurigem Sumpf, wo der eiskalte Ufens

tief durch die Niederung seinen Weg sich bahnt bis zur Mündung.


Überdies stieß noch Camilla vom Stamme der Volsker mit ihren

Reiterschwadronen zum Heere, ehern funkelnden Scharen.

Kämpferin war sie; Spinnrocken, Wollkörbchen, Werkzeug Minervas,

blieben dem Mädchen fremd. Sie vermochte die Härten des Krieges

kühn zu ertragen, sie konnte im Wettlauf den Wind überholen.

Über ein Saatfeld wäre sie hingestürmt, ohne die Spitzen

nur zu berühren und zarte Ähren im Lauf zu verletzen,

über das offene Meer auch geschwebt und die Kämme der Wogen,

ohne die wirbelnden Sohlen mit Schaumtropfen nur zu benetzen.

Sämtliche Männer strömten herbei, aus Häusern, von Feldern,

Scharen von Frauen auch, hielten mit Staunen, weit offenem Munde,

voller Begeisterung Ausschau, sobald die Jungfrau sich nahte:

wie ihr der fürstliche Purpur die zarten Schultern umhüllte,

golden die Spange das Haar ihr umraffte, den lykischen Köcher

kraftvoll sie trug und den Speer mit dem Myrtenholzschafte der Hirten.[324]

Quelle:
Vergil: Werke in einem Band. Berlin 21987, S. 298-325.
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