Vierter Gesang.

[215] Aber die Königin, längst schon von heißem Verlangen gepeinigt,

nährte im Innern den Schmerz und schmolz an heimlichen Flammen.

Immer aufs neue beeindruckten sie die Taten, die hohe

Abstammung ihres Gastes. Tief eingeprägt waren ihr seine

Miene, sein Wort, und ihr Sehnen verwehrte ihr, friedlich zu schlummern.


Schon überstrahlte Aurora das Land mit dem Lichte des Phöbus,

hatte bereits vom Himmel verjagt die triefenden Schatten.

Da sprach Dido bekümmert zur treuen, liebenden Schwester:

»Anna, mich schrecken Traumbilder, lassen mich zweifeln und schwanken.

Was für ein seltsamer Gastfreund betrat doch unsere Wohnstatt,

aufrecht die Haltung und würdevoll, mutig sein Planen und Kämpfen!

Unbeirrt glaube ich jetzt, daß sein Stammbaum auf Götter zurückführt.

Furcht entlarvt die gemeinen, die niedrigen Seelen. Er mußte

Schreckliches durchmachen! Stehen im Kampf bis zum bitteren Ende!

Hätte ich mich nicht unumstößlich entschlossen, mich niemals

wieder an einen Ehegefährten zu binden, seit einmal

grausam die erste Liebe durch bitteren Tod mich enttäuschte,

wäre die Brautkammer mir nicht verhaßt wie die Fackel der Hochzeit,

könnte ich heute vielleicht der Schuld des Treubruchs erliegen.

Anna, ich sage dir offen: Seitdem mein armer Sychaios

elend durch Bruderhand fiel und mit Blut die Penaten befleckte,

rührte der Gast zutiefst mich, als einziger, brachte jetzt meinen

Gleichmut zum Wanken. Ich spüre das Brennen von früher bekannter

Flammen. Doch möge mich eher die Tiefe der Erde verschlingen,

mag der allmächtige Vater durch Blitz mich zum Schattenreich schleudern,[215]

fort in die düstere Nacht, zu des Erebus bleichen Gespenstern,

als daß ich, Ehrgefühl, dich und deine Rechte verletzte!

Er, der als erster zur Gattin mich nahm, entraffte mir alle

Liebesgefühle; er möge sie bei sich bewahren im Grabe.«

Derart sprach sie, zum Schoße rannen ihr quellende Tränen.


Anna entgegnete: »Schwester, mir lieber als Sonne und Leben,

willst du die Jugend hindurch als Witwe im Gram dich verzehren,

niemals die Gaben der Venus, nie Kinderfreuden genießen?

Wähnst du, es sorgten sich drum die Asche, die Manen des Grabes?

Wäre es so: Kein Mann, nicht in Libyen, auch nicht in Tyros,

hat dich beeindruckt in deiner Trauer. Iarbas und andre

Fürsten, die Afrika, reich an Triumphen, hervorbringt, verschmähtest

du ganz bewußt. Jetzt sträubst du dich gegen beglückende Liebe?

Siehst du nicht ein, in wessen Gebiet du dich niedergelassen?

Hier die gaetulischen Städte, niemals bezwingbar im Kriege –

Numider, die beim Reiten kein Zaumzeug brauchen – die wilde

Syrte – und dort die trockene Wüste, das weithin im Umkreis

plündernde Volk der Barkäer! Schließlich der Krieg, der von Tyros

droht, von dem Bruder!

Wirklich, durch göttliche Lenkung, durch Junos gnädigen Beistand

wurden die troischen Schiffe vom Sturmwinde hierher verschlagen!

Großartig, Schwester, wirst du die Stadt hier, dein Reich, durch den stolzen

Ehebund aufsteigen sehen! Mit Hilfe teukrischer Waffen

wird sich der punische Ruhm zu leuchtenden Höhen erheben!

Flehe nur innig um göttliche Gnade, nach eifrigem Opfern

zeig dich als liebreiche Wirtin, verzögre die Abfahrt mit guten

Gründen, solange der Sturm und der Bringer des Regens, Orion,

toben auf See, die Flotte beschädigt, das Wetter noch schlecht ist!«


Damit entflammte sie stärker Didos Liebesgefühle,

ließ die Zweifelnde hoffen, bezwang ihr schamhaftes Sträuben.

Gleich zu den Tempeln begaben sie sich, und an den Altären

flehten um Frieden sie, opferten, treu der Sitte, erwählte

Schafe für Ceres, den Hort der Gesetze, für Phöbus, für Vater

Bacchus, für Juno vor allen, die Schutzherrin gültiger Ehen.[216]

Selbst, in der Rechten die Schale, goß die stattliche Dido

zwischen die Hörner der schneeweißen Kuh die heilige Spende,

trat, vor den Augen der Götter, an üppig gefüllte Altäre;

feierlich weihte den Tag sie mit Gaben und wollte sich Auskunft

holen, indem sie voll Eifer die zuckenden inneren Teile

sämtlicher Opfer sich ansah. Wahn der Prophetin! Was nützten

ihr noch Gelübde und Tempel? Schon tiefer fraß sich ins zarte

Mark ihr die Flamme, schon brannte die Wunde ihr heimlich im Herzen.

Feuer erfaßte die Elende völlig. Beinahe von Sinnen,

schweifte sie quer durch die Stadt, wie eine getroffene Hirschkuh,

die in den kretischen Wäldern arglos weidete; plötzlich

traf sie von ferne ein Hirt mit dem Bogen; er ahnte vom Treffer

gar nichts, verzichtete auf das Geschoß; fort stürmte die Hirschkuh

durch den diktäischen Bergwald, den tödlichen Pfeil in der Flanke.


Nunmehr geleitete Dido den Gast durch die wachsende Festung,

zeigte die Schätze aus Sidon, die Wohnstätten, offen den Bürgern,

setzte zum Sprechen auch an; doch stockte ihr Redefluß plötzlich.

Abends lud sie den Gast aufs neue zu Tische und wünschte,

töricht, zum zweiten Male vom Untergang Trojas zu hören,

ließ dann zum zweiten Male den Blick nicht vom Mund des Erzählers.

Wenn sie zum Schlusse sich trennten, der Mond schon wieder verblaßte,

die schon am Himmel sich neigenden Sterne zur Nachtruhe mahnten,

blieb sie bekümmert allein im leeren Palaste und streckte

sich auf das Lager, das er verlassen, wähnte den Helden

deutlich zu sehen, zu hören; Ascanius, Ebenbild seines

Vaters, ihn hielt sie im Schoße, wollte die brennende Liebe

noch unterdrücken – an ihm! Die Stadttürme wuchsen nicht weiter,

weder übten sich Männer in Waffen noch machten zur Abwehr

Häfen und Mauern sie fest. Die Arbeiten ruhten, halbfertig

blieben die drohenden Wände und himmelhohen Gerüste.


Juno, die teure Gemahlin Jupiters, sah, wie die Fürstin

Qualen erlitt, wie ihr Sehnen nicht einmal die Nachrede scheute.[217]

Ohne zu säumen, richtete sie an Venus die Worte:

»Wirklich, glänzenden Ruhm und reiche Beute gewinnt ihr,

du und dein Sprößling; eine recht hohe, denkwürdige Ehre,

wenn zwei Götter durch List ein einzelnes Weib überwinden!

Doch ich durchschaue sehr wohl, daß aus Furcht vor unseren Mauern

du die erhabene Stätte Karthagos heftig beargwöhnst.

Aber wie endet der Streit? Wozu noch mit Anstrengung kämpfen?

Wollen wir jetzt nicht lieber ewigen Frieden und einen

Ehebund stiften? Besitzt du doch, was du nach Kräften erstrebtest:

Dido entbrannte in Liebe, verfiel der Leidenschaft völlig.

Lasset uns deshalb gemeinsam dies Volk und mit gleicher Befugnis

lenken, möge die Fürstin dem Gatten aus Phrygien dienen,

deiner Rechten die Tyrier anvertrauen als Mitgift!«


Venus begriff, daß Juno heuchelte, daß sie die ferne

Weltherrschaft Roms auf die Küsten Libyens ablenken wollte.

Daher entgegnete sie: »Wer könnte so töricht sich zeigen,

daß er dein Ansinnen ablehnte, lieber gegen dich kämpfte?

Wenn nur das Schicksal den Plan, wie du ihn mir darlegst, begünstigt!

Aber ich zweifle am göttlichen Willen: Ob Jupiter eine

Stadt für die Tyrier wünscht und die Flüchtlinge Trojas, ein Bündnis

zwischen den Völkern und eine Vermischung ihres Geschlechtes?

Du bist seine Gemahlin, du darfst ihn mit Bitten bestürmen.

Los denn, ich folge!«


Ihr gab die Herrscherin Juno zur Antwort:

»Ich übernehme die Ausführung, möchte dir kurz nur erklären –

gib jetzt, ich bitte dich, acht! –, wie der Plan sich verwirklichen ließe.

Held Aeneas, mit ihm die vom Unglück geschlagene Dido

wollen zur Jagd die Wälder durchstreifen, sobald sich die Sonne

morgen erhebt und den Erdkreis mit ihren Strahlen erleuchtet;

über sie werde ich düsteren Regen und Hagelschlag bringen,

während die Treiber in Eile den Wald mit Netzen umspannen,

werde mit Donnerschlägen den Himmel in Aufruhr versetzen.

Sämtliche Jagdgenossen entfliehen, verschwinden im Dunkel.[218]

Dido allein und der Troerfürst finden Zuflucht in einer

Höhle. Dort bin ich zugegen, und kommst du mir freundlich zu Hilfe,

werde ich Dido zu fester Ehe als Frau ihm verbinden.

Hochzeitstag sei es für beide.« Venus stimmte dem Vorschlag

ungesäumt zu und lächelte über die listige Planung.


Aus dem Okeanos stieg inzwischen Aurora zur Höhe.

Frisch aus den Toren strömten mit Sonnenaufgang die jungen

Jagdhelfer. Jagdnetze, Fanggarne, Spieße trug man vorüber,

Reiter – Massyler – stoben dahin, und Spürhunde folgten.

Punische Adlige harrten am Eingang der Fürstin, die drinnen

weilte. Ihr Jagdroß stand schon, strahlend von Gold und von Purpur,

ungestüm biß es in die vom Schaume triefenden Zügel.

Endlich trat sie ins Freie, umdrängt von Begleitern in Menge,

trug ein sidonisches Jagdkleid mit prächtig besticktem Besatze.

Golden erglänzte ihr Köcher, golden ihr Haarknoten, golden

war auch die Spange, die ihr das Purpurkleid festhielt. Dann rückten

Phryger heran, bei denen sich Iulus fröhlich bewegte.

Aber von allen als stattlichster folgte Aeneas dem Zuge,

schloß die Gesellschaft der Jagd mit seinen eigenen Leuten.

So wie Apollo vom Winterquartier am Xanthos in Lykien

aufbricht und Delos, die Insel der Mutter, aufsucht, dort Chöre

wiederum auftreten läßt, rings um die Altäre dann Kreter,

Dryoper, auch Agathyrsen, bunt tätowiert, sich helljauchzend

drängen; der Gott auf den Höhen des Kynthos dahinzieht, mit zartem

Laub sich die Haarsträhnen kränzt, sie ordnet, mit Goldband sie einfaßt,

während der Köcher ihm klirrt auf den Schultern: ebenso rüstig

nahte Aeneas, genauso erhaben strahlte sein Antlitz.


Als man die ragenden Berge, des Wildes Verstecke, erreichte,

sah man die wilden Ziegen von Felsen springen und abwärts

fliehen ins Tiefland; an anderen Stellen Hirsche die offnen

Flächen im Lauf überwinden, sich ballen zu staubüberwölkten[219]

Rudeln, darauf in hastiger Flucht das Gebirge verlassen.

Aber Ascanius freute sich, mitten im Talgrunde, seines

feurigen Rosses, er überholte bald diesen, bald jenen,

wünschte, es möge unter dem harmlosen Wilde ein Eber

schäumend hervorbrechen, bräunlich ein Löwe vom Berge auch steigen.


Während der Jagd begann es am Himmel dröhnend zu donnern,

anschließend regnete es, und Hagel prasselte nieder.

Angstvoll zerstoben die Jäger aus Tyros und Troja, mit ihnen

auch der dardanische Enkel der Venus, und suchten ein Obdach

sich an verschiedenen Stellen. Zu Tale rauschten die Wasser.

Dido und Ilions Fürst begegneten sich in derselben

Höhle. Da gaben Tellus zuerst und die Herrin der Ehe,

Juno, das Zeichen. Dann leuchteten Blitze und, Zeuge der Hochzeit,

flammte der Äther. Vom höchsten Berggipfel jauchzten die Nymphen.


Dieser Tag erschloß den Weg zum Tode, zum Unheil.

Dido verschmähte die Rücksicht auf Anstand und trefflichen Leumund,

strebte nicht länger nach einer verstohlenen Liebeserfüllung.

Nein, sie bemäntelte Schuld mit dem würdigen Namen der Ehe.


Ohne Verzug durcheilte Fama Libyens große

Städte, Fama, sämtlicher Unheilsgöttinnen schnellste.

Ihre Beweglichkeit gibt ihr Bedeutung, die Schnelligkeit stärkt sie.

Anfangs nur winzig aus Scheu, erhebt sie sich bald in die Lüfte,

schreitet gewaltig einher und umhüllt das Haupt mit den Wolken.

Mutter Terra gebar sie zuletzt aus Wut auf die Götter,

heißt es, für Koios und für Enkélados einstmals als Schwester,

gab ihr geschwinde Füße und hurtige Schwingen. Ein Scheusal

wurde sie, fürchterlich, riesig. Soviel an den Schwingen ihr Federn

haften, so viele wachsame Augen besitzt sie darunter,

ebenso viele Zungen und schwatzende Mäuler und ständig

lauschende Ohren – ein Wunder! Nachts fliegt sie, bei Dunkelheit, zwischen[220]

Himmel und Erde und zischelt, verschmäht den erquickenden Schlummer.

Tagsüber hockt sie als Aufpasser lauernd an Dachfirsten oder

ragenden Türmen und setzt auch mächtige Städte in Schrecken,

hält die Verzerrung und Lüge nicht weniger fest als die Wahrheit.

Nunmehr verbreitete freudig sie neue weltweite Gerüchte,

mengte, ganz unterschiedslos übertreibend, Falsches und Wahres:

Angelangt wäre Aeneas, der Held von troischem Stamme,

Dido, die strahlende Fürstin, hätte zum Mann ihn erkoren;

über den langen Winter hin lebten sie nur dem Vergnügen,

hätten die Pflichten des Herrschers vergessen aus schimpflicher Neigung.

Unter das Volk trug solche Lügen die schreckliche Göttin,

wandte sich dann geradenweges zum König Iarbas,

hetzte ihn auf und entflammte zur Wut ihn mit ihrem Gerede.


Sprößling des Ammon und der garamantischen Nymphe, die jener

einstmals entführte, hatte Iarbas dem Jupiter hundert

riesige Tempel erbaut und Altäre, auch ewige Flammen

ewigem Wachdienst geweiht in seinem gewaltigen Reiche;

Opferblut tränkte den Boden, und Kränze umblühten die Tore.

Außer sich jetzt und aufs höchste erregt durch die bittere Nachricht,

hob am Altar er, im Banne göttlichen Waltens, die Hände

flehend zu Jupiter auf und betete innig zum Vater:

»Kannst du, Allmächtiger, den jetzt auf bunten Kissen beim Schmause

die Mauretaner durch Weinspenden ehren, kannst du die Schande

ruhig mitansehen? Oder empfinden wir, schleuderst du Blitze,

unnötig Schrecken, entsetzen uns Flammen im Wolkendunst ohne

jeglichen Grund und lassen den Donner wirkungslos grollen?

Diese entlaufene Frau, die gegen Bezahlung in unsrem

Reiche ein Städtchen sich aufbauen durfte, der wir am Gestade

Ackerland nebst Gesetzgeberrechten gewährten, verschmähte

mich als Gemahl und nahm als Gebieter ins Land den Aeneas!

Dieser Paris der Zweite mit seinem Weibergefolge,

der sich sein Kinn und sein duftendes Haar mit mäonischer Haube[221]

zubindet, greift sich die Beute! Wir freilich verehren noch deine

Tempel und fördern nur einen ganz nichtigen Glauben des Volkes!«


Derart betete er, die Hand am Altare. Ihn hörte

gleich der Allmächtige, wandte den Blick zur Königsburg Didos

und auf die Liebenden, die nicht des guten Leumunds gedachten.

Danach erteilte er dem Mercurius folgenden Auftrag:

»Mache dich auf, mein Sohn, entbiete den Zephyr und fliege!

Sprich den dardanischen Fürsten, der jetzt in Karthago sich aufhält,

ohne an die ihm vom Schicksal verliehenen Städte zu denken,

und überbring durch die flüchtige Luft ihm meine Befehle!

Keineswegs ist er der Held, den die Schönste der Mütter mir einstmals

zusprach, den deshalb sie zweimal vor griechischen Waffen bewahrte.

Nicht doch, er sollte das waffendurchklirrte Italien, die Wiege

künftiger Reiche, regieren, vom hohen Geschlechte des Teukros

selber ein Volk hervorbringen, dann sich die Welt unterwerfen!

Kann ihn der Ruhm so herrlicher künftiger Taten nicht reizen,

rührt er sich nicht um eigner preiswürdiger Leistungen willen –

gönnt er die Burgen von Rom dem Ascanius nicht, als der Vater?

Was beabsichtigt er? Was verspricht ihm die Rast bei den Feinden?

Will er die Enkel vergessen, die Römer, und Latiums Fluren?

Absegeln soll er! So lautet mein Auftrag. Verkünde ihm diesen


Derart befahl er. Der Bote, gehorsam dem mächtigen Vater,

rüstete gleich sich zum Aufbruch. Die goldenen Flügelsandalen

band er sich unter, die hoch durch die Lüfte so schnell wie ein Windhauch

über die Länder und Meere mit ihren Schwingen ihn tragen,

griff dann zum Stabe; mit diesem ruft er vom Orkus die bleichen

Seelen hervor, schickt andre zum grausigen Tartarus nieder,

spendet und raubt auch den Schlaf und öffnet die Augen von Toten.

Ihn benutzte er jetzt, beschwingte die Winde, durchquerte

brauende Wolken. Bald sah er im Fliegen Gipfel und schroffe

Hänge des kraftvollen Atlas, der auf dem Haupte den Himmel[222]

trägt, dem düstres Gewölk die von Fichten bewachsene Kuppe

ständig umwogt, den die Regenschauer und Sturmwinde peitschen.

Schnee überrieselt die Schultern, vom Kinne des Greises hernieder

stürzen die Flüsse, vereist starrt schreckenerregend das Barthaar.

Gleitend auf seinem Schwingenpaar, ließ der Kyllenier erstmals

hier sich zu Boden, schwang sich kopfüber herab dann zum Meere,

gleichend dem Seeadler, der sich im Tiefflug längs des Gestades

über den fischreichen Klippen am Rande des Wogenschwalls tummelt.

Ebenso flog jetzt Mercurius zwischen Erde und Himmel

über den sandigen libyschen Strand hin, kreuzte die Winde,

abwärts vom Haupte des Großvaters Atlas, des Vaters der Maja.


Als er auf seinen geflügelten Füßen Karthago erreichte,

sah er Aeneas beim Bau der Befestigungswerke und neuer

Häuser beschäftigt. Sein Schwertgriff leuchtete gelblich von Jaspis,

der von den Schultern ihm wallende Mantel glänzte von Purpur

tyrischer Arbeit, Geschenken der reichen Dido. Sie hatte

selbst das Gewebe durchwirkt mit feinen goldenen Fäden.


Ohne Verzug unterbrach ihn der Bote: »Grundmauern legst du

jetzt für das hohe Karthago und baust als Weiberknecht eine

herrliche Stadt? Vergaßest die Pflicht und die eigene Herrschaft?

Jupiter, Herrscher der Götter, der Lenker von Himmel und Erde,

schickt mich als Bote zu dir vom hellen Olympus hernieder,

Jupiter sendet durch flüchtige Lüfte dir seine Befehle:

Was beabsichtigst du? Was verspricht dir die Muße in Libyen?

Kann dich der Ruhm so herrlicher künftiger Taten nicht reizen,

rührst du dich nicht um eigner preiswürdiger Leistungen willen,

denk an den Sohn, der heranwächst, und denk an das lockende Erbe

deines Iulus; ihm soll die Herrschaft in Rom und Italien

zufallen!« Derart entledigte sich der Kyllenier seines

Auftrags, entzog sich dann ohne weiteres menschlichen Blicken,

löste in weiter Ferne sich auf zu hauchdünnem Dunste.


Tief überrascht bei dem Anblick, konnte Aeneas nicht sprechen,

Schrecken sträubte das Haar ihm, die Stimme stockte im Schlunde.[223]

Ungestüm möchte er aufbrechen, scheiden vom Land, das er lieben

lernte – so hatte der schroffe Götterbefehl ihn getroffen.

Aber was tun? Wie durfte er, auch mit gebotener Vorsicht,

sich der rasend verliebten Fürstin erklären? Wie einen

Ausgangspunkt finden? Zwiespältig jagten sich seine Gedanken,

suchten die vielerlei möglichen Bahnen bedacht zu erwägen.

Folgender Weg erschien ihm nach kurzem Schwanken als bester.


Zu sich berief er Mnestheus, Sergestos, den tapfren Serestos,

hieß insgeheim sie zum Auslaufen rüsten, am Strand die Gefährten

sammeln, die Waffen ergreifen, den Grund für die Maßnahmen aber

tunlich verschweigen. Da Dido, die edle Fürstin, nichts ahne,

mit dem Zerreißen der Liebesbande auch keineswegs rechne,

wolle er sie in der Zwischenzeit sprechen, den günstigsten Zeitpunkt

suchen, die richtige Form auch für seine Erklärungen. Willig

gingen sogleich die Gefährten daran, den Befehl zu befolgen.


Aber die Königin spürte die List – denn Liebende lassen

schwerlich sich täuschen – voraus, sie erfaßte den nahenden Aufbruch,

mißtraute selbst der Treue. Die gleiche lieblose Fama

trug der Erbitterten zu, daß die Flotte zum Auslaufen rüste.

Außer sich vor Empörung durchstürmte sie rasend die ganze

Stadt, so erregt wie eine Bakchantin nach dem Ergreifen geweihten

Tempelgeräts, wenn den Ruf des Bacchus sie hört, wenn die Festlust –

alle zwei Jahre – sie spornt, der Kithairon zur Nachtzeit sie lärmend

lockt. Doch endlich stellte sie den Geliebten zur Rede:

»Wähntest du etwa, ein solches Verbrechen verhehlen zu können,

wolltest, Verräter, stillschweigend aus meinem Lande dich stehlen?

Hält dich nicht unsere Liebe, nicht deine durch Handschlag verbürgte

Zusage, nicht der grausame Tod, der Dido erwartet?

Auslaufen läßt du die Flotte noch unter den Wintergestirnen.[224]

drängst auf die hohe See im Brausen der Nordstürme, ohne

jedes Gefühl? Ja, zögest du nicht in fremde Gebiete,

fremde Behausungen, stünde das alte Troja noch aufrecht –

würdest nach Troja du segeln über die stürmischen Wogen?

Fliehst du etwa vor mir? Bei meinen Tränen, bei deiner

Rechten – ich Elende ließ mir nichts andres mehr übrig –, bei unsrem

Ehebund, besser: bei unsrer erst halb vollzognen Vermählung,

tat ich ein wenig an Gutem dir nur und empfingst du ein wenig

Liebe: Erbarme dich meines wankenden Hauses – ich flehe,

sollte das Flehen noch nützen –, ändre den schrecklichen Vorsatz!

Deinetwegen hassen mich Libyer, Numiderfürsten,

Tyrier sogar, und deinetwegen entsagte ich meiner

Scham wie dem trefflichen Leumund, der einst mir den Weg zu den Sternen

bahnte. Wem willst du mich Todgeweihte jetzt preisgeben, Gastfreund –

bleibt mir doch diese Bezeichnung allein noch übrig vom Gatten?

Soll ich noch warten? Bis etwa mein Bruder Pygmalion meine

Mauern zertrümmert? Der Fürst der Gätuler, Iarbas, mich wegschleppt?

Hätte ich wenigstens, ehe du abfährst, ein Kind noch empfangen

dürfen von dir und spielte ein kleiner Aeneas in meiner

Hofburg, in dem ich, nach deiner Flucht, dein Ebenbild sähe:

Keinesfalls schiene ich dann mir so elend getäuscht und verlassen!«


Derart sprach sie. Doch ungerührt blieb Aeneas, dem Auftrag

Jupiters treu, unterdrückte kraftvoll den bohrenden Kummer,

sprach dann nur wenige Worte: »Niemals werde ich leugnen,

Königin, was du an Wohltaten reich mir erwiesest und nunmehr

aufzählst, mit Recht! Nie werde ich Dido vergessen, solange

noch mein Bewußtsein sich regt und die Glieder dem Geiste gehorchen.

Dies nur zum Sachverhalt: Glaub nicht, ich wähnte, mein Fortgehen etwa

tückisch geheimzuhalten; nie wollte ich Fackeln zur Hochzeit

tragen, auch kam ich hierher nicht, um solche Verbindung zu knüpfen.[225]

Ließe das Schicksal nach eigenem Plan mich mein Leben gestalten,

könnte auf eigene Faust ich meine Maßnahmen treffen,

würde zuerst ich für Troja und für die noch atmenden Lieben

sorgen; dann stünde das ragende Schloß des Priamos weiter,

hätte aufs neue ich Pergamon für die Besiegten errichtet.

Doch jetzt befahlen Apollon von Grynion und die Orakel

Lykiens mir, nach Italien zu ziehen, dem großen Italien.

Liebe und Heimat erwarten mich dort. Wenn Karthago, der Anblick

libyscher Städte dich als Phönizierin anzieht – weswegen

gönnst du den Troern es nicht, in Ausonien sich niederzulassen?

Wir auch genießen das Recht, in der Fremde ein Reich uns zu suchen.

Immer, wenn Nacht die Erde umhüllt mit taufeuchten Schatten,

leuchtend die Sterne dann aufgehen, mahnt mich im Traume das Schreckbild

meines Vaters Anchises, versetzt mich in Furcht und Bestürzung,

mahnt auch mein teurer Ascanius mich, dem Unrecht ich tue,

wenn ich ihm sein in Italien verheißenes Reich noch entziehe.

Eben – ich rufe unserer beider Häupter zu Zeugen! –

brachte der Bote der Götter im Auftrag Jupiters selber

mir den Befehl durch die Lüfte. Leibhaftig sah ich die Gottheit

eintreten hier in die Stadt und hörte sie deutlich auch sprechen.

Quäle nicht weiterhin mich wie dich mit fruchtlosen Klagen.

Freiwillig ziehe ich nicht nach Italien.«


Lange schon, während er sprach noch, hatte die Fürstin begonnen,

ihn mit verächtlichen Blicken vom Kopf zu den Füßen zu mustern,

schweigend, entgegnete spät erst, glühend vor bitterem Zorne:

»Keine Göttin gebar und kein Dárdanosnachkomme zeugte

dich, du Verräter! Du stammst von den harten Felsen der wilden

Kaukasusberge, dich säugten Tigerweibchen Hyrkaniens.

Warum zurückhalten, aufsparen mich für noch schlimmere Qualen?

Seufzte er, während ich weinte? Schenkte mir wenigstens Blicke?

Weinte er selber vor Schmerz und empfand für die Liebende Mitleid?

Nicht mehr mit Schlimmerem rechne ich. Nicht die gewaltige Juno,[226]

nicht der Saturnier schauen auf mich mit freundlichen Augen.

Nirgendwo gibt es noch Treue. Im Schiffbruch, im Elend gewährte

Obdach ich ihm und Anteil an meiner Herrschaft, wie töricht!,

rettete ihm die Flotte, rettete seine Gefährten.

Flammende Wut ergreift mich. Eben brachten der Seher

Phöbus, eben Lykiens Orakel, eben im Auftrag

Jupiters selber der Bote der Götter die harten Befehle

dir durch die Lüfte. Natürlich, so mühsame Pflichten bereiten

Sorgen den Göttern! Ich halte dich nicht, ich möchte nicht streiten.

Zieh nach Italien, suche dein Reich auf stürmischer Meerfahrt!

Hoffentlich wirst du auf See – wenn noch Götter Gerechtigkeit pflegen! –

büßen, von Klippen zerfleischt, und jämmerlich flehend den Namen

Dido rufen. Trotz weiter Entfernung folge mit düstren

Flammen ich dir. Trennt eisig der Tod mir die Seele vom Körper,

will ich als Schatten dich ständig umschweben. Dulde die Strafe,

Schuft, du! Hinab zu den Manen wird mich die Nachricht erreichen!«


Damit brach das Gespräch sie ab und floh vor dem freien

Himmel, von Schmerzen gequält, und entzog sich den Blicken, verließ den

Helden, der furchtsam schwankte, obwohl ihn so vieles zum Sprechen

drängte. Dann sank sie bewußtlos zusammen. Es trugen die Mägde

sie in den marmornen Schlafraum und betteten sie auf das Lager.


Aber der pflichtbewußte Aeneas, beseelt zwar vom Wunsche,

tröstend zu lindern die Qual, zu zerstreuen den bitteren Kummer,

folgte dem Götterbefehl, wenn auch schmerzlich stöhnend, erschüttert

durch die Gewalt der Liebe. Zur Flotte begab er sich wieder.


Angestrengt waren die Teukrer beim Werke, sie zogen die hohen

Schiffe zu Wasser vom Strand. Frisch geteert schon schwammen die Kiele,

brachte noch grünende Ruder man her, auch Eichenholzstangen,

noch nicht behauen beim eifrigen Aufbruch.[227]

Überall sah man Trojaner die Stadt in Eile verlassen.

Ebenso plündern die Ameisen einen gewaltigen Haufen

Körner, des Winters gedenk, und tragen zum Bau ihn, ergießen

über die Fluren in dunklem Zuge sich, schleppen durch Kräuter

emsig auf schmalem Pfad die Beute zusammen; die großen

Lasten stemmt man mit Schultern; auch Antreiber drängen und strafen

Säumige. Lodernde Arbeitslust scheint den Pfad zu durchglühen.

Was empfandest du, Dido, bei diesem Anblick, wie bitter

stöhntest du, als du herab vom Turme des Schlosses die Küste

weithin von Menschen wimmeln sahest, die Fläche des ganzen

Meeres vor deinen Augen von regem Getümmel erdröhnte?

Treuloser Amor, du zwingst die Herzen der Menschen zu allem!

Wiederum nötigte er sie zu Tränen, zu flehenden Bitten,

nötigte sie, voll Demut den Stolz vor der Liebe zu beugen,

alles aufs Spiel zu setzen, um nicht vergeblich zu sterben.


»Anna, du siehst die eilige Arbeit am Strande, von allen

Seiten strömt man zusammen, das Leinen lockt schon den Luftzug,

freudig umwinden die Seeleute ihre Schiffe mit Kränzen.

Konnte ich diesen qualvollen Schmerz erwarten, so werde

nunmehr ich auch ihn verwinden. Doch tue, Anna, in meiner

Not noch das eine für mich. Dir allein ja erwies der Verräter

Achtung, vertraute dir seine geheimste Empfindung. Allein auch

kennst du den Zugang zu ihm, den richtigen Weg und die rechte

Stunde. Demütig sprich zu dem stolzen Gegner und flehe!

Keineswegs schwor ich zu Aulis im Kreise der Danaer, Troja

ganz zu vernichten, schickte nicht gegen Pergamon Schiffe,

wühlte nicht aus dem Erdreich die Asche des Vaters Anchises.

Warum verweigert gefühllos er mir das Gehör, überstürzt die

Ausfahrt? Nur eines mag er der unglücklich Liebenden spenden:

Warten auf Abfahrt bei gutem Wetter und günstigem Fahrtwind!

Nicht um den Ehebund bitte ich mehr, den er lange schon preisgab,

nicht um Verzicht auf sein herrliches Latium wie auf die Herrschaft,

nein, um ein bißchen Zeit nur, damit sich die Leidenschaft lege,

bis mich die Umstände lehren, ins bittere Leid mich zu schicken.[228]

Diese Gnade erflehe zuletzt ich – erbarm dich der Schwester! –,

gönnt er sie mir, so will ich ihn freigeben, glücklich im Tode.«


Derart bat sie, und immer wieder brachte die arme

Schwester das klägliche Anliegen vor. Doch wurde Aeneas

nicht durch die Tränen gerührt, nicht zum Hören gestimmt. Denn das Schicksal

hemmte, die Gottheit schlug den gütigen Helden mit Taubheit.

Wie wenn die Nordstürme, her von den Alpen, sich wetteifernd mühen,

fauchend die uralte, stämmige Eiche an dieser wie jener

Seite zu packen und jäh zu entwurzeln; die Krone wild aufrauscht

und der geschüttelte Stamm den Boden mit Schichten von Blättern

zudeckt; der Baum an die Felsen sich klammert und gleichweit mit seinem

Wipfel zum Himmel sich wie mit den Wurzeln zum Tartaros hinstreckt:

Ebenso wurde der Held von Didos beharrlichen Bitten

rastlos bestürmt und litt im empfindsamen Herzen unsäglich.

Aber er ließ sich nicht rühren. Die Tränen flossen vergebens.


Nunmehr, erschreckt von der Schicksalsgewalt, ersehnte die arme

Dido den Tod; sie wollte nicht länger den Himmel erblicken.

Mehr noch bestärkten den Vorsatz, vom Lichte zu scheiden, zwei Wunder:

Als sie am weihrauchumdampften Altare die Trankspende darbot,

sah sie – ein schrecklicher Vorfall – den heiligen Wein sich verdunkeln,

sah die vergossenen Tropfen grausig zum Blute gerinnen.

Keinem enthüllte sie dieses Omen, nicht einmal der Schwester.

Außerdem stand im Schlosse ein Marmorheiligtum ihres

ersten Gemahls, das sie außergewöhnlich mit Ehren bedachte;

schneeweiße Wollbinden, festliche Laubkränze schmückten das Bauwerk.

Während die Nacht das Erdreich in Dunkelheit einhüllte, glaubte

Dido von dorther den ersten Gatten rufen zu hören.

Übrigens sang oft ein Uhu, ganz einsam, sein Totenlied klagend

hoch auf dem Dachfirst und ließ es in langen Tönen verklingen.[229]

Zahlreiche alte Orakel frommer Propheten auch setzten

heute sie mahnend in Schrecken. Aeneas selber in seiner

Grausamkeit scheuchte im Schlafe sie auf. Ganz einsam, verlassen

sah sie sich immer, sah sich ohne Begleiter auf langer

Straße dahinpilgern und in der Einöde Tyrier suchen –

so wie Pentheus im Wahnsinn die Eumeniden erblickte,

seinen Augen zwei Sonnen sich boten, zwei Städte von Theben;

wie Agamemnons Sprößling Orestes gehetzt auf der Bühne

vor der mit Fackeln und düsteren Schlangen bewaffneten Mutter

fortläuft, indes die entsetzlichen Göttinnen lauern am Tore.


Als sie, vom Schmerz überwältigt, ein Opfer der Leidenschaft, endlich

fest sich zum Sterben entschloß, da wollte sie selber die Stunde

sich und die Todesart wählen und sprach zu der traurigen Schwester,

tarnte dabei den Entschluß und heuchelte frohe Erwartung:

»Anna, ich habe das Mittel entdeckt – Glück kannst du mir wünschen! –,

das mir den Helden zurückbringt – wenn nicht, mich erlöst von der Sehnsucht.

Fern am Okéanosrand, wo der Sonnenball sinkt und als letztes

Volk Äthiopier wohnen, wo auch der gewaltige Atlas

ragt, auf den Schultern das sternenleuchtende Himmelsgewölbe,

nannte man eine massylische Priesterin mir, die im Tempel

der Hesperiden als Hüterin wirkte, dem Drachen das Futter

reichte und über die heiligen Zweige des Apfelbaums wachte,

flüssigen Honig träufelte, Mohn auch, der Schlummer uns spendet.

Diese erbietet sich, Herzen durch Zaubergesang zu befreien,

ganz nach Belieben, doch andre in drückende Fesseln zu schlagen,

Flüsse zum Stillstand zu zwingen und Sterne zur Umkehr der Bahnen;

Manen beschwört sie zur Nacht; man hört, ihr zu Füßen, die Erde

dröhnen und sieht, auf ihr Wort, die Eschen von Berghöhen steigen.

Ungern nur nehme ich Zuflucht zu magischen Künsten, geliebte

Schwester, ich schwöre bei Göttern und dir und deinem so teuren

Haupte! Schichte mir heimlich im Schloßhofe, ohne Bedachung,[230]

Scheiter zum Haufen und packe auf diesen die Waffen und alles,

was der Verräter zurückließ im Zimmer, die Kleidung, das Lager,

das mich zugrunde richtete. Alle Erinnerungsstücke

an den Verruchten zu tilgen beglückt mich, entspricht auch der Weisung

jener Priesterin.« Dido verstummte, ihr Antlitz erbleichte.

Dennoch argwöhnte Anna durchaus nicht, daß jene ihr eignes

Sterben mit solchem seltsamen Opferbrauch meinte, durchschaute

gar nicht den Wahnwitz, kaum stärker besorgt als beim Tod des Sychaios.

Ahnungslos führte den Auftrag sie aus.


Als nun der Holzstoß im Hof des Palastes hoch in die Lüfte

ragte, geschichtet aus Scheitern von Fichten und Eichen, begab sich

Dido zu ihm und schmückte mit Totenkränzen und Blumen

festlich die Stätte. Kleidung, das Schwert, ein Bild des Aeneas

legte sie über das Kissen, des Kommenden zweifellos sicher.

Beiderseits standen Altäre; die Priesterin, offen die Haare,

rief mit schallender Stimme dreihundert Götter: das Chaos,

Erebus, Hekate, das dreiköpfige Mädchen Diana,

hatte gesprengt mit unechten Tropfen avernischen Nasses.

Kräftige Giftkräuter suchte man emsig beim Scheine des Mondes,

die man mit eherner Sichel mähte, und tödliche Säfte,

suchte das Liebesgeschwür auch, das man von Stirnen der Fohlen

abreißt, bevor noch die Stute es frißt.

Dido, in reinen Händen das Opferschrot, einen der Füße

nackt, das Gewand entgürtet, rief, zum Tode entschlossen,

vor den Altären die Götter zu Zeugen, als Kenner des Schicksals

auch die Gestirne, flehte darauf zu den Mächten, die über

unglücklich Liebenden doch auch gerecht und verständnisvoll walten.


Nächtliche Stille herrschte, erschöpft genossen die Wesen

friedlichen Schlummer auf Erden, auch Wälder und grimmige Meere

ruhten; die Sterne zogen dahin inmitten der Bahnen.[231]

Schweigen beherrschte die Fluren; die Herden des Viehs und die bunten

Vögel, Bewohner der klaren Seen und stechender Büsche,

alle lagen im Schlafe während des nächtlichen Schweigens,

konnten die Sorgenlast lindern und ihre Nöte vergessen.

Aber die arme Phönizierin fand nicht Erquickung im Schlummer,

Augen und Herz gewährten nicht Einlaß dem trostreichen Dunkel.

Doppelt stark quälten die Sorgen, die leidenschaftliche Liebe

steigerte sich und wallte im Branden bitteren Zornes.

Derart verharrte sie bei dem Entschluß und rang mit sich selber:

»Was jetzt beginnen? Erneut mit Bewerbern von einst es versuchen,

selbst ein Gespött, mich Nomadenfürsten voll Demut als Gattin

anbieten, deren Anträge ich so oft schon zurückwies?

Also der ilischen Flotte, der schimpflichsten Weisung der Teukrer

folgen? Sie ließen in ihrem Schiffbruch so gerne sich helfen,

bleiben voll Dankbarkeit eingedenk jeder empfangenen Wohltat!

Aber wer nähme, sofern ich es wollte, noch mich, die Verhaßte,

auf in die stolzen Schiffe? Kennst du noch nicht zur Genüge,

Elende, Treubruch und Falschheit dieser Laómedonsippe?

Andernfalls: Ziehe allein ich davon mit dem jubelnden Schiffsvolk?

Folge mit allen meinen Tyriern blindlings den Troern,

führe erneut auf die Wogen die Landsleute, die ich der Heimat

Sidon soeben entriß, und lasse die Segel sie setzen?

Lieber noch stirb, nach Gebühr, und beende die Qual mit der Waffe!

Schwester, durch Didos Tränen bezwungen, stürztest als erste

du die Verliebte ins Unglück und gabest mich preis dem Verräter!

Leider, ich durfte als Liebende nicht, wie die Tiere, in Unschuld

führen mein Leben und solchen bitteren Schmerz mir ersparen!

Nein, ich verriet die dem toten Sychaios geschworene Treue!«

So überließ sich die Fürstin den hemmungslos strömenden Klagen.


Aber Aeneas, zur Ausfahrt entschlossen, genoß auf dem hohen

Schiffe den Schlaf; war alles doch trefflich zum Aufbruch gerüstet.

Plötzlich erschien ihm im Traume der göttliche Bote; er kehrte

wieder mit gleicher Miene wie erst und mahnte aufs neue,[232]

ganz der Mercurius, nach der Gesichtsfarbe wie nach der Stimme,

auch nach dem Blondhaar und seinen jugendlich-stattlichen Gliedern:

»Sprößling der Göttin, du kannst in dieser entscheidenden Stunde

sorgenlos schlummern, erkennst die Gefahren nicht, die dich umlauern?

Du überhörst – im Leichtsinn! – das Pfeifen des günstigen Zephyr?

Dido erwägt Verbrechen und tückische Pläne, sie möchte

sterben zwar, aber sie treibt in der Brandung bitteren Zornes!

Mach dich davon, solange die Wege noch offen dir stehen!

Feindliche Kiele siehst du sehr bald das Wasser durchfurchen,

lodernde Fackeln bald strahlen, die Küste von Flammen erglühen,

sollte Aurora dich hier beim Verweilen am Strande noch treffen.

Auf denn, kein Zögern! Als launisch und niemals beständig erweist sich

immer die Frau!« So sprach er und tauchte ins nächtliche Dunkel.


Aufgescheucht durch den Gott, der so plötzlich erschien wie entschwebte,

schreckte Aeneas empor und jagte die Mannschaft vom Lager:

»Aufstehen, Freunde, sofort, und die Ruderbänke besetzen,

Segel auch aufziehen, schnell! Vom hohen Äther als Bote

spornte schon wieder ein Gott mich, schleunig zu fliehen und ohne

Säumen die Haltetaue zu kappen. Wir folgen dir, heilige Gottheit,

wer du auch bist, und gehorchen dem Auftrag begeistert aufs neue.

Nahe uns, hilf uns in Gnaden und lenke die Sterne am Himmel

gütig zu unseren Gunsten!« So rief er und riß aus der Scheide

blitzend sein Schwert und durchhieb das haltende Seil mit der Klinge.

Alle beseelte der gleiche Eifer. Man raffte, man stürzte,

stieß vom Gestade. Schon sah man vor Schiffen das Wasser nicht länger.

Angespannt peitschten die Ruder zu Schaum die bläulichen Fluten.


Eben erhob sich Aurora vom goldgelben Bett des Tithonos,

wiederum ließ sie ihr Licht verströmen über die Länder.[233]

Hoch vom Palaste aus sah die Fürstin das Morgenlicht grauen,

sah dann die Flotte im Aufbruch mit gleichmäßig schwellenden Segeln,

öde und leer schon den Strand und den Hafen. Da schlug sie im Schmerze

dreimal und viermal mit krallender Hand die herrlichen Brüste,

raufte die blonden Locken. »Oh, Jupiter!« schrie sie. »Der Fremde

geht schon, er soll jetzt meiner Machtstellung spotten? Die Waffen

nehmet zur Hand, allesamt! Ihr Bürger alle, verfolgt ihn!

Reißt aus den Werften die Schiffe ins Meer, bringt Brandsätze schleunigst,

los doch, und Lanzen und Pfeile, und peitscht mit den Rudern die Wellen!

Aber was rede, wo bin ich? Raubt den Verstand mir der Wahnsinn?

Elende Dido, verletzt dich der Treubruch erst heute? Er sollte

damals es tun, als das Zepter du anbotest! Treue, durch Handschlag

tückisch besiegelt von dem, der Penaten der Heimat, erzählt man,

mitführt, den greisen Vater sich pflichtbewußt lud auf die Schultern!

Fortschleppen sollte ich ihn und zerreißen, ins Meer dann die Stücke

schleudern! Die Mannschaften ihm, ja, Ascanius selber erdolchen,

darauf die Glieder des Sohnes zur Mahlzeit reichen dem Vater!

Ungewiß freilich war dann der Ausgang des Kampfes. Und trotzdem:

Sollte ich, todgeweiht, jemanden fürchten? Ich hätte ins Lager

Fackeln geworfen, die Schiffe verbrannt, den Sohn und den Vater

samt dem Geschlechte vernichtet, mich selbst auch gestürzt in die Flammen!

Sonnengott, der du mit Flammen das Wirken des Weltalls erleuchtest –

Juno, die solchen Kummer du kennst und sachkundig deutest –

Hekate, nächtlich durch Heulen verehrt an den Kreuzungen aller

Städte – ihr rächenden Furien, Götter der sterbenden Dido:

Höret mich, setzt nach Gebühr für das Unglück euch ein, das ich dulde,

bitte, erfüllt mein Flehen! Muß der Verräter den Hafen

glücklich erreichen und unabdingbar Italien betreten,[234]

fordert das Jupiters Weisung und bleibt es als Endziel bestehen:

möge er dann, von tapferen Männern im Kampfe geschlagen,

Flüchtling und aus des Iulus Armen gerissen, um Hilfe

betteln, die Seinen einem unwürdigen Tode verfallen

sehen; und möge er, einem schmachvollen Frieden verpflichtet,

weder der Herrschaft noch eines behaglichen Lebens sich freuen,

vorzeitig sterben vielmehr und unbestattet verwesen!

Dies mein Gebet, mein Schlußwort, es strömt mir dahin mit dem Blute.

Aber ihr, Tyrier, verfolgt mit Haß den Trojaner und seine

Nachkommen alle und schenkt sie meiner Asche als Spenden!

Keinerlei Liebe, kein Bündnis walte zwischen den Völkern!

Möge aus meinen Gebeinen dereinst ein Rächer erstehen,

der mit Feuer und Schwert die dardanischen Ansiedler heimsucht,

heute und künftig, wann immer die Macht ihm Gelegenheit bietet.

Möge hier Küste mit Küste, Woge mit Woge, und Streitmacht

gegen die Streitmacht kämpfen, die Lebenden wie auch die Enkel!«


Nach dem Gebet erwog sie alle denkbaren Wege,

möglichst schnell vom verhaßt gewordenen Licht sich zu trennen,

wandte sich kurz dann an Barke, die Amme des toten Sychaios –

ruhte die eigene doch in der Heimat im düsteren Staube –:

»Rufe mir, teure Amme, die Schwester Anna zur Stelle!

Sag ihr, sie möge geschwind sich mit Flußwasser sprengen, die Tiere

bringen zum Opfer und, weisungsgemäß, die Mittel zur Sühne.

Danach umwinde dir selber die Schläfe mit heiliger Binde.

Abschließen will ich das Opfer, das ich nach Vorschrift begonnen,

für den stygischen Jupiter, möchte die Leiden beenden,

anstecken endlich den Holzstoß, mitsamt dem Dardanerbildnis.«


Mit der Geschäftigkeit einer Greisin enteilte die Amme.

Hastig, verstört durch ihr schreckliches Vorhaben, rollte jetzt Dido

ihre mit Blut unterlaufenen Augen, stürzte, von Flecken

dicht übersät die zuckenden Wangen, erbleicht vor dem nahen

Tode, hinein in den Hof und erklomm, wie von Sinnen, den hohen

Holzstoß, riß aus der Scheide sodann die dardanische Klinge,

die sie zu solchem Dienste sich niemals auserwählt hätte.
[235]

Hier, bei dem Anblick der Troergewänder sowie des vertrauten

Lagers, verweilte sie kurz und vergoß Erinnerungstränen,

sank auf die Kissen und sprach als letztes die Worte: »Ihr Stücke,

die mein Entzücken ihr waret, solange der Gott und das Schicksal

mir es erlaubten, nehmet mein Leben, beendet die Qualen!

Völlig durchmaß ich die Bahn, die dem Glück wie dem Unglück ich danke.

Tief in die Unterwelt wandelt jetzt gleich mein machtvoller Schatten.

Glanzvoll die Stadt, die ich gründete – mein auch die Mauern vor meinen

Augen. Ich rächte den Gatten, bestrafte den feindlichen Bruder.

Glücklich, zu glücklich wohl wäre ich, wenn die dardanischen Schiffe

niemals an unsrem Gestade angelegt hätten!« Sie preßte

fest in das Kissen ihr Antlitz. »Ich konnte mich freilich nicht rächen,

aber ich sterbe als Heldin; ins Schattenreich ziehe ich freudig.

Soll der gefühllose Troer von hoher See aus die Flammen

hier noch erspähen, mein Todeszeichen als Omen des Unglücks

mitnehmen!« Sprechend noch, sank sie unter dem Schwertstoß zusammen;

Blut überschäumte die Klinge, die Hände. So fanden die Frauen

ihre Gebieterin vor.


Der Palast erdröhnte vom Jammer.

Trauer durchraste die Stadt, die Nachricht erschütterte jeden.

Wehegeschrei und Stöhnen, das Heulen der Frauen erfüllte

sämtliche Häuser. Vom Schlagen der Brüste hallte der Äther

wider, nicht anders, als stürze Karthago unter dem Ansturm

feindlicher Scharen, als stürze das alte Tyros, als wälzten

rasend sich Flammen durch hohe Paläste von Menschen und Göttern.

Stockenden Atems, entsetzt, vernahm es die Schwester. Im Laufschritt,

sich mit den Nägeln das Antlitz, mit Fäusten die Brüste entstellend,[236]

stürzte sie durch das Getümmel, den Namen der Sterbenden rufend:

»Schwester, das plantest du? Suchtest mich hinterlistig zu täuschen?

Das bezweckten mein Holzstoß, die Flammen, dazu die Altäre?

Worüber klage zuerst ich, allein jetzt? Im Tode verschmähtest

du die Begleitung der Schwester! Du solltest zum Sterben mich rufen:

Hingerafft hätten ein Kummer und eine Stunde uns beide.

Selber noch schichtete ich die Scheiter, die Götter der Heimat

rief ich – und sollte, ich Grausame, einsam dich hinscheiden lassen!

Schwester, du löschtest mit dir auch mich aus, dein Volk und die Väter

Sidons, die eigene Stadt! – Bringt Wasser zum Waschen der Wunden!

Tut sie noch einen letzten Atemzug, will ich im Kusse

auffangen ihn.« Sie erklomm auf den Scheitern die Höhe des Stoßes,

schlang um die schwach noch atmende Schwester die Arme mit bittrem

Stöhnen und trocknete das gerinnende Blut mit dem Kleide.

Aufschlagen wollte noch Dido die lastenden Lider, doch fehlten

ihr schon die Kräfte. Die klaffende Brustwunde zischte ganz leise.

Dreimal noch stemmte die Fürstin sich mühsam empor auf dem Arme,

dreimal auch sank sie zurück auf das Kissen. Mit schweifenden Augen

suchte am Himmel sie Licht und stöhnte beim Anblick der Sonne.


Doch die allmächtige Juno empfand für den langen und schweren

Todeskampf Didos Mitleid. Sie sandte vom hohen Olympus

Iris, die ringende Seele vom sterblichen Körper zu lösen.

Starb doch die Elende weder durch Schicksalsbeschluß noch zur Strafe;

vorzeitig schied sie vielmehr im Ausbruch wilder Verzweiflung.

Deswegen hatte Prosérpina ihr auch vom Kopfe noch keine

Locke geschnitten, die Sterbende nicht dem Orkus gewidmet.[237]

Gegen die Sonne flog denn die taufeuchte Iris mit ihren

safranleuchtenden Schwingen vom Himmel, vielfarbig den Bogen

nachziehend, trat dann zu Didos Häupten. »Ich weihe die Locke,

wie mir befohlen, dem Pluto und löse dich hiermit vom Körper«,

sprach sie und schnitt mit der Rechten die Haare ab. Jählings erbleichten

nunmehr die Wangen Didos, ihr Leben zerstob in die Winde.[238]

Quelle:
Vergil: Werke in einem Band. Berlin 21987, S. 215-239.
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