Zwölfter Gesang.

[444] Turnus erkannte, daß seine Latiner gebrochen, entmutigt,

abgekämpft waren, daß ihre Blicke jetzt Einhaltung seines

Wortes verlangten. Ohnehin drängte er feurig zum Zweikampf,

fühlte noch wachsen den Mut. Wie ein Löwe im Lande der Punier,

schwer von den Jägern bereits in der Brust verwundet, zum Kampfe

nunmehr erst recht sich entschließt voll grimmiger Freude, die Mähne

schüttelt vom kraftvollen Nacken, furchtlos des listigen Schützen

haftenden Jagdspieß zerbricht und aufbrüllt aus blutrotem Rachen,

ebenso fing die Kühnheit des Turnus nur heftiger Feuer.

Ungestüm richtete er an den König folgende Worte:

»Turnus kennt kein Zögern. Kein Anlaß nötigt das feige

Volk des Aeneas zum Widerruf oder zum Bruch der Verträge.

Antreten will ich zum Zweikampf. Opfre denn, Vater, und schließe

gleich den Vertrag! Ich werde den Dardaner, Flüchtling aus Asien,

hier mit der Rechten zum Tartarus schicken – Zuschauer seien

alle Latiner! Ich tilge, allein, die Schande des Volkes,

oder er schalte als Sieger, werde Lavinias Gatte!«


Antwort erteilte, gelassen und ruhig, ihm König Latinus:

»Ausnehmend mutiger Held, je stärker du selber in kühnem

Trotze dich steigerst, desto bedächtiger muß ich zu Rate

gehen mit mir und sorglich jede Entwicklung bedenken.

Untertan ist dir das Reich des Daunus, des Vaters, noch viele

andere Städte gewannst du – Gold habe ich selber und gebe

gerne davon. Es gibt in Laurentum und Latium andre

Mädchen, auch adliger Herkunft. Mir fällt nicht leicht die Eröffnung –

lasse mich ehrlich sie aussprechen, nimm sie dir gründlich zu Herzen:

Keinem der früheren Freier durfte die Tochter ich geben,

sämtliche Götter und Menschen bestätigten diese Verpflichtung.

Aber aus Liebe zu dir, mit Rücksicht auf die Verwandtschaft

meiner Gemahlin und deren Tränen, zerriß ich die Bindung,[444]

nahm ich Aeneas die Braut und ergriff die Waffen, zu Unrecht.

Was ich an Unglück seitdem, an Kriegen erlitten, mein Turnus,

siehst du, auch was du selber vor allen an Mühsalen ausstehst.

Zweimal entscheidend geschlagen, nähren wir kaum in der Hauptstadt

Hoffnungen noch, warm fließt das Wasser des Thybris von unsrem

Blute, auf riesigen Schlachtfeldern bleichen Gebeine von Toten.

Weswegen schwanke ich so oft? Raubt den Verstand mir der Wahnsinn?

Bin ich zum Bündnis bereit nach dem Tode des Turnus, dann sollte

lieber den Kampf ich beenden, solange er aufblickt zur Sonne!

Die uns verwandten Rutuler, ganz Italien – was sagen

sie, wenn ich dich, der du meine Tochter zur Gattin erbittest,

umbringen ließe – möge das Schicksal mein Wort widerlegen!

Schau auf dein sinkendes Kriegsglück, erbarme dich deines betagten

Vaters, der ferne im heimischen Ardea kläglich sich abhärmt!«


Aber der heftige Stolz des Turnus ließ sich nicht beugen,

höher nur lohte das Flammenmeer bei dem Versuch, es zu löschen.

Antwort erteilte der Held, sobald er zu sprechen vermochte:

»Brauchst dich nicht länger so eifrig zu sorgen um mich, mein verehrter

Vater, ich bitte dich, laß mich den Ruhm mit dem Tode bezahlen!

Ich auch, mein Vater, schleudere kraftvolle Speere mit meiner

Rechten, es bluten auch Wunden, die ich dem Gegner geschlagen.

Fernbleiben wird ihm die göttliche Mutter, nicht weibisch sein Fliehen

decken mit Wolkendunst, nicht ihn verbergen in windigem Schatten!«


Aber die Fürstin, entsetzt vom Gedanken des Zweikampfes, wollte

weinend, in Todesängsten, den Eifer des Schwiegersohns hemmen:

»Turnus, bei meinen Tränen, und sollte die Ehre Amatas

innig dich rühren – du bist jetzt die einzige Hoffnung im Alter,

Stätte der Ruhe im Elend; die ruhmreiche Macht des Latinus

stützt sich auf dich, auf dir nur beruht die schon wankende Heimstatt.[445]

Eines erflehe ich: Kämpfe nicht länger gegen die Teukrer!

Jeglicher Schlag, der in diesem Kampf auf dich wartet, er wartet,

Turnus, auf mich auch. Ich scheide mit dir aus dem elenden Leben,

will als Gefangene nicht Aeneas als Schwiegersohn sehen!«


Weinend vernahm Lavinia auch die Klage der Mutter,

netzte mit Tränen die glühenden Wangen. Schamgefühl schürte

heftig die innere Glut ihr und rötete brennend das Antlitz.

Wenn man dem indischen Elfenbein blutrote Purpurglut aufzwingt,

wenn aus tiefroten Rosen weiße Lilien leuchten,

wirkt es so stark wie die Farben damals im Antlitz Lavinias.


Liebe verwirrte den Helden, er blickte gebannt auf das Mädchen.

Hitziger nur erstrebte er noch den Zweikampf und sagte

kurz zu Amata: »Mit Tränen, Mutter, und Worten so bittrer

Vorahnung darfst du mich nicht auf den Weg zum Schlachtfeld geleiten!

Turnus vermag sich nicht einen Aufschub des Todes zu wählen.

Idmon, folgende Botschaft melde dem phrygischen Herrscher,

die ihm doch schwerlich gefällt: Wenn morgen am Himmel Aurora

naht auf dem purpurnen Wagen und rötlich schimmert, dann möge

nicht er die Teukrer gegen die Rutuler führen! Die Waffen beider

sollen jetzt ruhen, wir wollen den Krieg durch Zweikampf entscheiden.

Derart wollen wir nun um die Hand Lavinias werben.«


Darauf begab er sich eilig zur Wohnung und ließ sich die Pferde

vorführen. Freude empfand er beim Anblick der wiehernden Rosse,

die Oreithyia als Prachtgeschenk einst dem Pilumnus verehrte;

Schnee übertrafen an Glanz sie, an Schnelligkeit aber die Winde.

Rührig betreuten die Lenker die Tiere, beklopften mit hohlen

Händen kräftig die Brust und striegelten eifrig die Mähnen.

Seinen von Gold und Messing funkelnden Brustpanzer legte

er sich danach um die Schultern, griff auch zur Probe nach seinem

Schwert, nach dem Schild und den Hörnern des tiefrot leuchtenden Helmbuschs.[446]

Selber hatte der Gott des Feuers die Klinge dem Vater

Daunus geschmiedet, getaucht in die Styx das glühende Eisen.

Anschließend packte er kraftvoll die wuchtige Lanze, die mitten

in dem Gemach an die riesige Säule sich lehnte – er hatte

sie vom Aurunker Aktor erbeutet –, er ließ sie im Schwingen

zittern und rief: »Du, Lanze, die niemals umsonst ich gerufen,

nunmehr naht die entscheidende Stunde! Dich führte Held Aktor,

heute die Rechte des Turnus. Laß mich den phrygischen Zwitter

werfen, mit starker Faust ihm den Panzer entreißen, in Stücke

schlagen die Rüstung, seine mit Brenneisen zierlich gelegten,

weibisch von Myrrhenöl triefenden Haare durch Staubwolken schleifen!«

Wütend rief er die Worte, es schien, als sprühe sein Antlitz

Funken, als loderten Flammen in seinen grimmigen Blicken.

Ebenso brüllt ein Stier vor Beginn des Kampfes entsetzlich,

läßt mit den Hörnern die rasende Wut durch kräftige Stöße

tobend an Baumstämmen aus, sucht stoßend die Winde zu reizen,

wirbelt, noch kurz vor dem Angriff, Sandschwaden hoch in die Lüfte.


Ebenfalls grimmig erprobte Aeneas die Waffen, die seine

Mutter ihm gab, und steigerte sich hinein in die Kampfwut,

froh der Gelegenheit, durch Vertrag den Krieg zu beenden,

tröstete auch die Gefährten und seinen bedrückten Iulus,

wies auf das Walten des Schicksals sie hin. Dem König Latinus

ließ er die Zustimmung und die Vertragsbedingungen melden.


Als dann der kommende Tag sein Licht auf die Bergkämme sprühte,

zu der Stunde, in der die Sonnenrosse aus tiefem

Meeresgrund tauchen und Flammen aus den erhobenen Nüstern

schnauben, da steckten die Rutuler schon und die Teukrer den Kampfplatz

ab vor den Mauern der Hauptstadt, errichteten dann in der Mitte

Rasenaltäre und Feuerbecken für alle von ihnen

angerufenen Götter. Feuer und Quellwasser brachten

Opferdiener im Schurz, bekränzt mit heiligen Kräutern.

Dicht geschart aus den Toren rückte das Heer der Ausonier,[447]

Wurfspieße fest in den Händen. Jedoch auf der anderen Seite

zogen Tyrrhener und Troer heran mit verschiedenen Waffen,

stählern gerüstet, als riefe sie Mars zu grausamem Kampfe.

Unter den Tausenden tummelten sich geschäftig die Fürsten,

zeichneten sich durch Waffenschmuck aus in Gold und in Purpur,

Mnestheus vom Stamm des Assarakos und der tapfre Asilas,

dort Held Messapus, der Rossebändiger, Sohn des Neptunus.

Nach dem Kommando begaben auf ihre Posten sich alle,

stießen die Lanzen ins Erdreich und lehnten die Schilde dagegen.

Nunmehr besetzten schaulustig unbewaffnete Bürger,

Mütter und kraftlose Greise die Türme und Hausdächer. Andre

hatten sich Plätze zum Ausguck gesucht an den ragenden Toren.


Hoch von dem Gipfel, den wir als Albanerberg heute bezeichnen –

namenlos war er noch damals, genoß nicht Ruhm und nicht Ehre –

richtete Juno fernher den Blick auf den Kampfplatz, auf beide

Heere, Laurenter wie Troer, sowie auf die Stadt des Latinus,

wandte sich dann an die Schwester des Turnus, die Göttin an eine

Nymphe, die Seen und rauschenden Flüssen als Herrin gebietet –

Jupiter hatte, der würdige König des Äthers, ihr diese

Stellung gewährt, zum Dank für das Mädchentum, das er ihr raubte –:

»Nymphe, du, Zierde der Ströme, mir teuer vor allen, ganz sicher

weißt du: Von jenen latinischen Frauen, die mit dem erhabnen

Jupiter schliefen, ohne ein Zeichen des Dankes zu ernten,

schätzte ich dich am höchsten, vergönnte den Platz dir im Himmel.

Hör jetzt, Juturna, das Bittre, damit du es mir nicht noch vorwirfst!

Als noch Fortuna, mit ihr auch die Parzen, Latium offen

Vorteile ließen, beschützte ich Turnus, die Stadt auch der Deinen.

Auf überlegene Schicksale sehe den Helden ich heute

stoßen, ihm naht die letzte, die feindliche Stunde der Parzen.

Niemals mitansehen kann ich den Kampf hier, auch nicht den Vertragsschluß.

Willst du für deinen Bruder noch etwas Hiflreiches wagen,

bitte, du darfst es! Das bessert vielleicht noch die Lage der Armen

Tränen vergoß Juturna bei diesen Worten der Göttin,

schlug mit den Händen sich dreimal und viermal die reizenden Brüste.[448]

Doch die Saturnierin mahnte: »Die Stunde gestattet kein Weinen.

Schnell jetzt, entreiße, soweit noch möglich, den Bruder dem Tode!

Oder schüre den Kampf und zerstöre den Bund, den man abschloß!

Ich unterstütze das Wagnis.« So mahnte sie, ließ dann Juturna

einsam zurück, noch schwankend, verwirrt vom bitteren Kummer.


Aber jetzt kamen die Fürsten. Die hohe Gestalt des Latinus

rollte auf einem Vierspänner vor; sechs goldene Strahlen

schmückten als Krone ihm funkelnd die Schläfen, ein Wahrzeichen seines

Großvaters Sol. Auf weißem Zweispänner folgte ihm Turnus,

schwang in der Hand zwei Lanzen mit breiter stählerner Spitze.

Vater Aeneas, der Ahnherr der Römer, nahte vom Lager,

sternenhell glänzten sein Schild und seine göttlichen Waffen.

Neben ihm schritt Ascanius, zweite Hoffnung der Weltstadt

Rom. Ein Priester in weißem Gewande brachte ein Ferkel,

Junges der borstigen Sau, und ein Lamm mit vollständigen Zähnen,

trieb zum Altare sie hin, auf dem das Feuer schon brannte.

Ostwärts, zum Licht der steigenden Sonne, blickten die Fürsten,

streuten das Salzschrot, stutzten mit Messern das Stirnhaar der Tiere,

gossen dann auf den Altar den Wein aus Schalen zur Spende.


Darauf begann mit gezogenem Schwert der fromme Aeneas:

»Zeugen meines Gebetes seien die Sonne und dieses

Land hier, um dessentwillen so vieles ich aushalten mußte,

du auch, allmächtiger Vater, und deine Gemahlin – du, Göttin,

schenk mir doch endlich, endlich Gnade! –, auch du, hochberühmter

Mars, der du sämtliche Kriege, Vater, verantwortlich leitest;

Quellen und Flüsse auch rufe ich an und die Heiligkeit dieses

machtvollen Äthers, euch Gottheiten auch des blaugrauen Meeres:

Sollte das Schicksal den Sieg dem Ausonier Turnus verleihen,

ziehen, getreu dem Vertrag, die Besiegten zur Hauptstadt Euanders,[449]

räumt auch Iulus das Feld, ergreifen niemals die Troer

aufsässig Waffen und ziehen gegen das Reich hier zu Felde.

Aber gewährt Victoria uns den glücklichen Ausgang –

wie ich es hoffe und wie auch die Götter es eher versichern –,

will ich den Teukrern niemals Italer untertan machen,

auch nicht selber die Macht erstreben; in Freiheit, mit gleichen

Rechten, so sollen sich beide Völker auf ewig verbünden.

Götter und Kulte gewähre ich. Schwiegervater Latinus

übe die Macht, wie gewohnt, in Frieden und Krieg. Die Trojaner

werden die Hauptstadt mir bauen, den Namen Lavinia ihr geben.«


Dies gelobte Aeneas, als erster. Ihm folgte Latinus,

blickte zum Himmel auf, streckte die Rechte empor zu den Sternen:

»Ich auch, Aeneas, beschwöre das. Erde und Meer und Gestirne

seien mir Zeugen, die Zwillinge Letos, Janus mit seinem

doppelten Antlitz, das Unterweltsreich des grausamen Pluton;

höre der Vater mich auch, der durch Blitzstrahl Bündnisse heiligt.

Hier die Altäre berühre ich, rufe inmitten der Heere

Feuer und Götter: Nie werden Italer den Friedensbund brechen,

was auch geschehe. Keine Gewalt soll meine Entscheidung

ändern, nicht, wenn sie mit furchtbaren Sintfluten unsere Erde

ganz überschwemmte, den Himmel sogar in den Tartarus stürzte,

niemals, so wahr dies Zepter« – er hielt den Stab in den Händen –

»schwerlich noch Laubspitzen treibt und schattiges Buschwerk hervorbringt,

wo es nun einmal, im Walde vom nährenden Baumstamm geschnitten,

wurzellos ist, durch die Schneide das Laub verlor und die Äste;

ehemals war es ein Baum, jetzt umschloß es der Künstler mit schöner

Bronze und gab es zum Zeichen des Amts den latinischen Herrschern.«


Derart beschworen, im Kreis und unter den Augen der Fürsten,

sie miteinander das Bündnis. Dann ließen, nach heiligem Brauche,[450]

Opferblut sie aus den Kehlen ins Feuer verströmen, sie nahmen

aus die noch lebenden Tiere, beluden die Schüsseln des Herdes.


Aber die Rutuler hielten den Zweikampf schon lange für ungleich.

Widerspruchsvolle Gefühle beeinflußten sie um so stärker,

als sie von nahem die unterschiedlichen Kräfte erkannten.

Ihre Befürchtungen nährte noch Turnus, der still zum Altare

trat und ihm flehend, gesenkten Blickes, Ehrfurcht bezeigte,

vollkräftig männlich die Wangen, doch blaß trotz rüstiger Stärke.

Nymphe Juturna bemerkte das Murren der Menge, das ständig

zunahm, bemerkte ihr Zweifeln und Schwanken. Da trat sie, zur Täuschung

in der Gestalt des Camers, unter die Mannschaften – Camers

stammte aus altem Adel, Ruhm folgte der Tüchtigkeit seiner

Ahnen, er selber bewährte sich als ein tatkräftiger Kämpfer –;

wohl sich bewußt der eigenen Mittel, begann sie Gerüchte

auszustreuen, verschiedener Art, in folgendem Sinne:

»Schämt ihr euch, Rutuler, gar nicht, ein einziges Leben anstelle

aller so tapferen Männer zu opfern? Sind wir an Kräften

ihnen und Zahl nicht gewachsen? Da stehen sie sämtlich, Arkader,

Troer, Etrusker dazu, ›nach dem Schicksal‹ die Feinde des Turnus.

Kämpften zur Hälfte wir nur, wir hätten nicht einmal je einen

Gegner. Den Turnus dürfte sein Ruhm zu den Göttern erhöhen,

deren Altären er tapfer sich weiht, und unsterblich ihn machen.

Aber wir leisten, der Heimat verlustig, zwangsweise, stolzen

Herren Gehorsam – und lagern jetzt ohne Handschlag im Felde!«


Derlei Gedanken ließen den Mut der Jungen entflammen,

stärker und stärker grollte das Murren von Heerschar zu Heerschar.

Umgestimmt wurden die meisten Laurenter sogar und Latiner.

Wer sich schon Ruhe vom Kampf und Gedeihen der Heimat erhoffte,

wünschte jetzt Krieg und wollte das Bündnis für nichtig erklären,

spürte auch Mitgefühl für das traurige Schicksal des Turnus.


Wirksamer griff Juturna noch ein: Vom Himmel hernieder

gab sie ein Zeichen, das stärker als jemals ein andres Verwirrung[451]

bei den Italern stiftete, sie wie durch Zauber betörte.

Flog doch am rötlichen Himmel Jupiters braungelber Adler,

scheuchte dabei die Vögel vom Ufer in rauschenden Schwärmen

flatternder Schwingen. Plötzlich stieß er herab auf die Wellen,

packte raubgierig einen stattlichen Schwan mit den Fängen.

Heftige Spannung ergriff die Italer. Sämtliche Vögel

flohen nicht länger, sie kehrten zurück – ein Anblick zum Staunen –,

schreiend, verfinsterten mit den Schwingen den Himmel, bedrängten

hoch in den Lüften, zur Wolke geballt, den Räuber, bis dieser

unter der Überzahl, unter der Last auch, nachgab, aus seinen

Krallen die Beute hinabwarf zum Fluß und im dichten Gewölke

fliehend verschwand.


Mit Triumphgeschrei grüßten die Rutuler dieses

Zeichen, sie machten sich kampfbereit. Augur Tolumnius spornte,

allen voran: »Dies ist es, was oft ich erflehte. Das Omen

nehme ich an, ich erkenne den Götterbeschluß. Zu den Waffen

greifet, ich führe euch Arme, die ruchlos der Fremdling wie schwache

Vögel gewaltsam erschreckt, dabei noch euer Gestade

grausam verheert. Bald wird er entfliehen und segelnd die hohe

See sich gewinnen. Einmütig schließt euch zusammen, verteidigt

den euch entrissenen Herrscher tapfer in offenem Kampfe!«


Vorstürmend schleuderte er die Lanze gegen die Feinde.

Sausend entschwirrte der Kirschenholzschaft und zog durch die Lüfte

sicher die Bahn. Zugleich erhob sich ein gellendes Schreien,

aufgeschreckt wurde die Menge, Erregung durchglühte die Herzen.

Grad gegenüber dem Speerschützen standen neun stattliche Brüder;

dem Arkader Gylippos hatte die treue Gemahlin,

eine Tyrrhenerin, einst sie geboren. Den einen von ihnen

traf in der Mitte des Körpers die Waffe, zwischen den Enden

seines vergoldeten Wehrgehenks, neben der haltenden Schnalle,[452]

einen hervorragend schönen, im Waffenschmuck glänzenden Jüngling,

schoß durch die Rippen und streckte ihn nieder im bräunlichen Sande.

Aber die Brüder, ein mutiger Trupp, entflammt von dem wilden

Schmerz, entrissen den Scheiden die Schwerter oder umkrallten

Spieße und stürzten blindlings vorwärts. Entgegen schon strömte

ihnen das Heer der Laurenter, dem dicht gedrängt die Trojaner,

die Agylliner und, bunt bewaffnet, Arkader sich stellten.

Alle beseelte ein Trieb nur: die Waffen entscheiden zu lassen.

Weggeschleppt ward das Gerät vom Altare, ein Schwall von Geschossen,

wie man sie packte, ergoß sich vom Himmel, ein Regen von Eisen,

jählings erraffte Krüge und flammende Becken. Latinus

floh und wollte nach Bruch des Vertrages die Bilder der Götter

schützen vor Schlägen. Man schirrte die Kampfwagen an, und die Reiter

schwangen sich flink in die Sättel und zückten die Klingen. Messapus,

willens, das Bündnis zunichtezumachen, scheuchte, zu Rosse,

einen tyrrhenischen Fürsten im vollen Ornate, Aulestes,

wild vor sich her. Beim Zurückweichen stieß der Verfolgte zum Unglück

rücklings mit Heftigkeit an den Altar und prallte beim Stürzen

heftig auf Schultern und Haupt. Ihm jagte Messapus trotz seines

innigen Flehens vom Sattel aus wuchtig die Lanze, die einem

Balken ähnelte, tief in den Leib mit den höhnischen Worten:

»Bravo, das sitzt – ein besseres Opfer für mächtige Götter!«

Diesen noch warmen Leichnam plünderten schnell die Italer.

Held Korynaios riß vom Altar ein brennendes Holzscheit,

warf es dem Ebysus, der zum Hiebe schon ausholte, vorher

noch ins Gesicht; der wallende Bart fing Feuer und qualmte

beizend. Dem Wurfgeschoß folgte sogleich Korynaios und packte

fest mit der Linken den halb schon betäubten Gegner am Haarschopf,

beugte ihn unter sein Knie und drückte ihn nieder zur Erde,

stieß ihm den harten Stahl in die Brust. Podaleirios folgte[453]

Alsus, dem Hirten, der durch den Geschoßhagel stürmte im Vorkampf,

schwang schon die Klinge über ihm. Aber schnell wandte sich jener,

spaltete seinem Verfolger Stirne und Kinn mit der Streitaxt;

weithin sprühte der Quell des Blutes über die Rüstung.

Tiefe Erstarrung, ein eherner Schlummer, schloß des Getroffnen

Augen; ihr Leuchten erlosch zu ewig währendem Dunkel.


Waffenlos aber streckte der fromme Aeneas die Rechte,

suchte, entblößten Hauptes, die Seinen zur Ordnung zu rufen:

»Wohin stürmt ihr? Was soll die Feindschaft, die plötzlich hier ausbricht?

Zügelt die Wut! Schon gilt der Vertrag, die Bedingungen alle

wurden vereinbart. Nur ich bin künftig zum Kämpfen berechtigt.

Laßt mich und fürchtet euch nicht! Ich sichre das Bündnis mit meiner

Hand, das vollzogene Opfer verspricht mir den Zweikampf mit Turnus.«


Während der Worte, noch während des Aufrufs zu ernster Besinnung,

schwirrte ein Pfeil befiedert gegen den Helden. Den Schützen

kannte man nicht, nicht den Windstoß, der zügig die Waffe herantrieb,

nicht, wer den Rutulern solchen Ruhmesglanz schenkte, der Zufall

oder ein Gott. Nicht gelöst ward jemals das Rätsel des Vorfalls,

niemand brüstete sich, Aeneas verwundet zu haben.


Turnus sah Aeneas den Kampfplatz verlassen, erkannte

auch die Verwirrung der Feldherrn. Jäh packte ihn glühende Hoffnung.

Rosse und Waffen verlangte er gleich, sprang ohne Bedenken

stolz auf den Streitwagen, griff zu den Zügeln. In rasendem Fahren

riß er zahlreiche tapfere Helden tödlich zu Boden,

ließ sie halbtot sich wälzen, zermalmte feindliche Haufen

oder erlegte Fliehende noch mit hastig errafften

Lanzen. Wie Mars am Ufer des eisigen Hebros in wildem[454]

Vorstürmen blutig gegen den Schutzschild mit Speerstößen donnert,

wütend die Rosse zur Schlacht hetzt, schneller als Notos und Zephyr

über das Blachfeld die Tiere dahinschießen, Thrakien fernhin

unter den dröhnenden Hufschlägen aufstöhnt, Dämonen, der düstre

Schrecken, der Zorn und die Tücke, des Gottes Begleiter, sich tummeln,

ebenso jagte der feurige Turnus die dampfenden Rosse

quer durch das Kampfgewühl, jammernswert über die Leichen der Feinde.

Blutige Tautropfen spritzten unter den hämmernden Hufen,

rot ineinandergestampft ward Blut und sandiger Boden.

Sthenelos, Thámyros, Pholos schon hatte erlegt er, die beiden

letzten im Nahkampf, jenen von weitem; von weitem auch beide

Imbrasossöhne, Glaukos und Lades. Imbrasos hatte

selbst sie erzogen in Lykien, gleichartig auch sie bewaffnet,

wie für den Nahkampf so auch zum Reiten, schneller als Winde.


Anderswo stürmte Eumedes zum Kampfe gegen die Feinde,

schlachtenberühmter Sprößling Dolons, des Helden der Vorzeit,

zeigte des Großvaters Namen, doch Kühnheit und Kampfkraft des Vaters,

der einst zum Lohn für den Kundschaftergang in das Lager der Griechen

selbstbewußt-stolz das Rossegespann des Peliden sich ausbat.

Held Diomedes lohnte ihm freilich die Heldentat anders,

kein Verlangen mehr trägt er nach dem Gespann des Achilles.

Weither erspähte jetzt Turnus im offenen Felde Eumedes,

traf ihn mit leichtem Wurfspeer über die große Entfernung,

hielt dann bei ihm den Zweispänner, sprang von dem Wagen und nahte

sich dem Gestürzten, der schwach noch atmete, setzte ihm seinen

Fuß auf den Nacken, entwand ihm das Schwert und senkte die blanke

Klinge ihm tief in die Kehle, verhöhnte dabei ihn noch grimmig:

»Bitte, im Liegen vermiß jetzt, Trojaner, den Boden Hesperiens,[455]

den du erobern wolltest: Solche Belohnungen erntet,

wer mich verwegen angreift; solche Mauern erbaut er!«

Diesem Erlegten gab zum Geleit er durch Speerwurf Asbytes,

Chloreus, Thersílochos, Dares und Sýbaris mit, dann Thymoites

schließlich, der über den Hals des sich bäumenden Rosses herabglitt.


Wie der edonische Sturmwind Boreas über die tiefen

Fluten des Aigeus braust und die Wogen peitscht ans Gestade,

wie vor der Wucht des Orkans das Gewölk am Himmel dahinjagt,

ebenso kehrten dem stürmenden Turnus die Feinde den Rücken,

stoben von dannen in wilder Flucht. Doch den Angreifer hetzte

vorwärts sein Schwung, im Gegenwind flatterte heftig sein Helmbusch.


Phegeus vermochte nicht länger sein mutwillig tosendes Stürmen

ruhig mitanzusehen. Er warf dem Gespann sich entgegen,

riß an dem Zaumzeug nach rechts die schäumenden, rasenden Pferde;

während die Deichsel ihn mitzog und kurz nur der Deckung beraubte,

traf ihn die Lanze des Turnus, durchbohrte den doppelt geflochtnen

Panzer und streifte den Körper flüchtig. Doch deckte sich Phegeus

gleich mit dem Schilde, wandte sich gegen Turnus und suchte

ihn mit gezücktem Schwert zu erreichen, sich selbst noch zu retten.

Aber ihn packte das Rad, der stürmisch rollende Wagen

streckte ihn seitlich zu Boden. Turnus sprang aus dem Fahrzeug

zu dem Gestürzten und hieb mit dem Schwert ihm den Schädel vom Rumpfe,

zwischen Panzer und Helm, ließ liegen den Leichnam im Sande.


Während der Rutuler siegreich das Schlachtfeld mit Leichen bedeckte,

führten Mnestheus, Ascanius und der treue Achates

den vom Blut überströmten Aeneas ins Lager. Der stützte

mühselig Schritt für Schritt auf den Schaft sich der ragenden Lanze,[456]

suchte voll Wut die Spitze des abgebrochenen Pfeiles

noch aus der Wunde zu reißen, verlangte das kräftigste Mittel:

die nicht mehr sichtbare Spitze herauszuschneiden mit breiter

Klinge, dann ihn sofort auf das Schlachtfeld ziehen zu lassen.

Iapyx, der Sohn des Iasios, war schon zur Stelle. Ihn wollte

Phöbus, der ihn vor allen anderen schätzte, aus tiefer

Liebe in seinen Künsten und Gaben sehr gern unterweisen,

Zukunftsschau, Harfenspiel, Einsatz von Bogen und Pfeil. Doch Iapyx

wünschte, um länger dem siechenden Vater das Leben zu gönnen,

lieber die Kräfte der Kräuter, den Arztberuf kennenzulernen,

still, mit Verzicht auf äußeren Ruhm, sich der Heilkunst zu widmen.

Murrend vor Ärger, stand Aeneas, gestützt auf die lange

Lanze, umdrängt von zahlreichen Männern, der traurige Iulus

unter ihnen, und ließ sich durch Tränen nicht rühren. Iapyx,

rückwärts gegürtet den Mantel nach ärztlichem Brauche, betagt schon,

setzte mit pfleglicher Hand und kräftigen Kräutern des Phöbus

eilfertig, rührig sich ein, doch erfolglos. Erfolglos auch zerrte

er an der Pfeilspitze, wollte sie fest mit der Zange auch packen.

Keinen Fortschritt vergönnte Fortuna, auch Meister Apollo

half nicht. Jedoch auf dem Schlachtfeld steigerte wild sich der Schrecken,

näher stets rückte das Unheil. Staubwolken sah man zum Himmel

wirbeln. Die feindlichen Reiter standen schon dicht vor den Wällen,

mitten ins Lager hagelten Pfeile. Zum Himmel hoch gellten

Klagen der Männer, die kämpften und grausam dem Kriegsgott erlagen.


Venus indes, von den unverdienten Qualen des Sohnes

schmerzlich getroffen, pflückte vom Ida auf Kreta das Heilkraut

Diptam, das fleischig beblätterte Stiele und purpurne Blüten

treibt. Auch die Wildziegen wissen die Heilkraft der Pflanze zu schätzen,

haften in ihrem Rücken befiederte Pfeile von Jägern.

Düster in Wolken verborgen, so brachte die Göttin das Diptam[457]

her vom Gebirge, preßte den Saft in ein schimmerndes Becken

voller Frischwasser, heimlich die Heilkraft zu fördern, und setzte

starke Ambrosia zu und köstlich duftendes Allheil.

Umschläge machte damit der greise Iapyx, noch ohne

Wissen um göttliches Eingreifen. Aber ganz plötzlich versiegte

jeglicher Schmerz, auch strömte nicht länger das Blut aus der Wunde.

Auch das Geschoß gehorchte der Hand, es glitt aus dem Einschnitt,

zwanglos; die Kräfte begannen sich frisch wie früher zu regen.

»Schnell, bringt Waffen dem Helden! Was steht ihr untätig?« Iapyx

rief es und spornte als erster den Mut zum Kampf mit dem Gegner.

»Deine Genesung, Aeneas, verdankst du nicht menschlichem Mühen,

auch nicht der ärztlichen Kunst, nicht meiner Geschicklichkeit. Vielmehr

wirkte ein Gott und befähigt dich wieder zu höherer Leistung!«


Angelegt hatte Aeneas die goldenen Beinschienen, prüfte

sorgsam den Sitz, in Eile, voll Kampflust, erprobte die Lanze.

Als auch der Schutzschild bequem die Seite, der Panzer den Brustkorb

deckte, umschlang der König den Sohn mit gebreiteten Armen,

küßte ihn durch das geschloßne Visier noch einmal und mahnte:

»Lerne, mein Junge, von mir, dich in Mühsal als Mann zu bewähren,

lerne von anderen, Glück zu genießen. Jetzt wird dich noch meine

Rechte vor Kämpfen beschützen, zu glänzendem Lohne dich führen.

Denke daran, sobald du zum Alter des Mannes gereift bist,

halte dir stets die Leistung der Deinen vor Augen, zum Handeln

mögen dich Vater Aeneas und Hektor, dein Onkel, begeistern!«


Nach der Ermahnung durchschritt er das Tor, so stattlich wie immer,

schwang in der Rechten den riesigen Speer. In dichter Kolonne

folgten Aeneas und Mnestheus, strömten hervor aus dem Lager

sämtliche Troer. Staubschwaden hüllten das Schlachtfeld in Dunkel,[458]

unter den Tritten der Kämpfer erzitterte angstvoll die Erde.

Turnus erblickte den Feind, der vom Lagerwall gegen ihn rückte,

alle Ausonier erblickten ihn. Eisige Schauer durchbebten

bis in das Mark sie, Juturna vernahm und erkannte vor allen

andern Latinern den Sturmschritt und floh vor Entsetzen. Aeneas

führte jedoch, wie im Fluge, ins Feld die drohende Heerschar.

Wie sich vom Unwetterstern ein Wirbelsturm losreißt, zum Festland

über das Meer dann dahinzieht, die armen Bauern in banger

Vorahnung schon sich entsetzen – der Sturm wird Bäume entwurzeln,

grausam die Saaten vernichten und weithin alles verwüsten –;

wie schon als Vorboten sausende Böen die Küste erreichen:

Ebenso führte der Fürst von Rhoiteion die Scharen der Seinen

gegen den Feind und ballten die Troer sich wuchtig zum Stoßkeil.

Held Thymbraios erlegte durch Schwerthieb den starken Osiris,

Mnestheus Arcetius. Achates streckte den Epulo nieder,

Gyas den Ufens. Tot stürzte zu Boden der Augur Tolumnius,

der als erster den Wurfspieß schleuderte gegen die Teukrer.

Schreie des Schreckens gellten zum Himmel, die Rutuler wandten

nunmehr sich selber zur Flucht und rannten staubwirbelnd vom Kampfplatz.

Aber Aeneas wollte keinen der Fliehenden töten,

ließ sich weder auf Nahkämpfe ein noch durch Speerwürfe reizen.

Lediglich Turnus suchte im Staubgewühl er zu erspähen,

wollte ihn selber nur fordern zum letzten entscheidenden Kampfe.


Davor gerade bangte die tapfere Nymphe Juturna.

Deswegen stieß sie den Wagenlenker des Turnus, Metiscus,

während der Fahrt vom Lenkerstand, ließ nach dem Absturz ihn seitwärts

liegen und packte statt seiner die lockeren Zügel zum Lenken,

jenem in allem gleichend, an Stimme, Gestalt und Bewaffnung.

Wie die schwärzliche Schwalbe die prächtige Landwohnung eines

reichen Gebieters durchfliegt, die geräumigen Vorhöfe mustert,

Kleinfutter sucht und Bissen für ihre zwitschernde Nestbrut,

bald durch die leeren Hallen, bald rings um die künstlichen Teiche

flattert: entsprechend durchjagte Juturna das Feindesgetümmel,[459]

streifte in rasender Fahrt, wie im Fluge, sämtliche Punkte,

zeigte bald hier und bald dort den Bruder in siegreichem Ansturm,

scheute den Zweikampf jedoch, ging diesem bewußt aus dem Wege.


Ähnlich beschrieb, auf den Spuren des Turnus, Aeneas verschiedne

Kreise und rief ihn, durch das Getümmel sich drängend, mit lauter

Stimme. Sooft er jedoch den Gegner erspähte, im Laufschritt

nachjagen wollte den wie im Fluge enteilenden Rossen,

lenkte Juturna das Fahrzeug in anderer Richtung von dannen.

Was nur, was sollte er tun? Er schwankte in schmerzhaftem Zwiespalt,

widerspruchsvolle Erwägungen riefen ihn hierhin wie dorthin.

Aber da führte Messapus behend gerade in seiner

Linken zwei biegsame Speere mit eiserner Spitze. Den einen

schleuderte er jetzt mit sicherem Wurfe gegen Aeneas.

Dieser verharrte sogleich und duckte mit federnden Knien

hinter den Schild sich. Doch riß ihm der sausende Spieß noch die Röhre

fort von der Helmspitze, fegte ihm damit den Buschen vom Haupte.

Da übermannte den Helden der Zorn. Nach dem tückischen Angriff,

auch überzeugt, das Gespann des Turnus fliehe absichtlich,

flehte er Jupiter und den Altar an als Zeugen des Rechtsbruchs,

stürzte dann endlich sich selbst auf die Feinde. Begünstigt vom Kriegsgott,

metzelte wild und unterschiedslos er die Gegner jetzt nieder,

schreckenerregend, ließ die Erbitterung zügellos wüten.


Wer besingt mir, und sei er ein Gott, das bittre Geschehen,

Morden auf beiden Seiten, das Sterben der Feldherrn, die Turnus

hier und Aeneas dort auf dem Schlachtfelde abwechselnd jagte?

Ließest du, Jupiter, wirklich zwei Völker so wild sich bekämpfen,

die doch gemeinsam leben sollten in ewigem Frieden?


Sucro, der Rutuler, brachte den Angriff der Teukrer als erster

endlich zum Halten, doch kurz nur: Aeneas bohrte ihm seine[460]

grausame Klinge zwischen den Rippen hindurch in den Brustkorb,

dort, wo die Wunde am schnellsten das Leben auslöscht. Und Turnus

warf aus dem Sattel Amykos und dessen Bruder Diores,

traf dann im Fußkampf den einen, der angriff, mit mächtiger Lanze,

doch mit dem Schwerte den andern, enthauptete beide und hängte

beide bluttriefenden Köpfe vor weiterer Fahrt an den Wagen.

Aber Aeneas erlegte in einem Vorstürmen Talus,

Tanais und den tapfren Cethegus, darauf den betrübten

Helden Onites, Enkel Echíons und Sohn Peridías;

Turnus dagegen zwei Brüder aus Lykien, dem Lande Apollos,

weiter den jungen Arkader Menoites, der nunmehr – ganz sinnlos –

Kriege verwünschte; einst trieb er am fischreichen Lerna sein Handwerk,

wohnte in ärmlicher Hütte, fremd den Palästen der Reichen;

nur auf gepachtetem Acker streute sein Vater den Samen.

Wie von zwei Seiten das Feuer, das Landleute legten, die dürre

Waldtrift erfaßt und das Buschwerk mit seinem hellprasselnden Lorbeer,

oder wie hoch von den Bergen in reißendem Absturz die Ströme

gischtsprühend rauschen, das Flachland erreichen und hinter sich eine

Bahn der Verwüstung lassen: ebenso rasten verheerend

beide, Aeneas wie Turnus, über das Schlachtfeld. Entfesselt

tobte die Kampfwut, zu springen drohten die Herzen, die niemals

nachgeben konnten; hemmungslos wurde, nach Kräften, gemordet.


Gegen Murranus, der eines uralten Geschlechtes sich rühmte,

einer nicht endenden Reihe stolzer latinischer Fürsten,

warf jetzt Aeneas ein riesiges Felsstück mit wuchtigem Schwunge,

stieß ihn kopfüber vom Wagen zur Erde; ihn rissen die Räder

unter Riemen und Joch, ihn zerstampften die Rosse, die ihren

Herrn nicht mehr kannten, wild mit den Tritten der wirbelnden Hufe.

Turnus stellte dem Ansturm des grimmig knirschenden Hyllos

sich in den Weg, durchstieß mit dem Speer ihm die goldüberdeckten[461]

Schläfen, und quer durch den Helm stak fest im Gehirn ihm die Waffe.

Kretheus, du tapferster Grieche, dich schützte vor Turnus nicht deine

Rechte – wie auch nicht die eigenen Götter Cupencus beschützten,

als ihn Aeneas angriff; die Klinge durchbohrte die Brust ihm,

keinen Nutzen vermochte der bronzene Schild ihm zu bieten.

Aiolos, dich auch sahen die Fluren der Hauptstadt Laurentum

fallen und weithin mit deinem Rücken den Boden bedecken,

dich, den die griechischen Schlachtreihen nicht überwältigen konnten,

auch nicht der Held, der das Reich des Priamos stürzte, Achilles:

Hier erwartete dich das Ende des Lebens. Am hohen

Ida erhob sich dein Haus, in Lyrnessos, dein Grab bei Laurentum.


Voll aneinandergeraten waren Latiner und Teukrer

nunmehr, Mnestheus, der kühne Serestos, Messapus, der Rosse

meisterhaft bändigte, auch der tapfre Asilas, die Heerschar

der Etrusker, dazu die arkadischen Reiter Euanders.

Jeder der Kämpfenden setzte sich rückhaltlos ein. Kein Verweilen

gab es, kein Ruhen. Man focht in entsetzlich verlustreichem Ringen.


Venus, die Herrliche, brachte den Sohn jetzt auf diesen Gedanken:

schnell mit dem Heere gegen die Mauern Laurentums zu ziehen,

plötzlich durch einen vernichtenden Schlag den Feind zu verwirren.

Während Aeneas im Toben des Kampfes Turnus verfolgte,

spähend nach allen Seiten, erblickte er nämlich die Hauptstadt;

jenseits des Schlachtfeldes lag sie, von keinem gefährdet, ganz ruhig.

Da trat gleich ihm das Bild des entscheidenden Angriffs vor Augen.

Mnestheus berief er, Sergestos, den tapfren Serestos, die Feldherrn,

trat dann auf einen Hügel. Dort strömte die troische Heerschar

gleichfalls zusammen, die Reihen geschlossen, die Schilde und Lanzen

fest in den Händen. Erhöht in der Mitte, erklärte Aeneas:[462]

»Was ich jetzt sage, verträgt kein Zögern. Jupiter hilft uns.

Keiner verhalte sich säumig, weil ich mich so plötzlich entschließe!

Heute zerstöre die Stadt ich, den Kriegsgrund, das Reich des Latinus,

wollen die Feinde den Zügel nicht tragen, des Siegers Befehle

ausführen – mach ich dem Erdboden gleich die qualmenden Bauten!

Soll ich noch warten, bis Turnus geruht, nach einer erneuten

Schlappe sich wieder, besiegt, zum Kampfe zu stellen? Laurentum

bleibt doch der Ursprung, ihr Troer, und Zielpunkt des gottlosen Haders!

Fackeln zur Hand! Erzwingt die Vertragstreue kämpfend, durch Flammen!«


Wetteifernd bildeten gleich die Trojaner einmütig einen

Schlachtkeil zum Angriff und rückten geschlossen gegen die Mauern.

Sturmleitern waren urplötzlich zur Stelle, hell loderten Fackeln.

Bis vor die Tore schon rannte man, schlug die Begegnenden nieder.

Andre verfinsterten schießend mit Speeren und Pfeilen den Himmel.

Unter den ersten reckte Aeneas die Rechte zur Mauer,

zieh mit lautschallender Stimme Latinus des Unrechts. Die Götter

rief er zu Zeugen: Zum zweiten Mal werde zum Kampf er gezwungen,

handelten feindlich Italer, würden Verträge gebrochen!


Zwietracht erhob sich unter den ängstlichen Bürgern. Die einen

wollten die Stadt übergeben, weit öffnen die Tore den Troern,

wollten Aeneas selbst in die Festung einziehen lassen.

Andere griffen zur Waffe, verteidigten weiter die Mauern.

Sollte ein Hirt in zerklüftetem Fels ein gründlich verstecktes

Bienennest aufspüren und es ausräuchern: ebenso ängstlich

wimmeln die Tiere umher dann in ihrem wächsernen Lager,

steigern noch ihre Erregung unter dröhnendem Summen;

beizender Rauch durchwirbelt die Gänge, laut hallen vom dumpfen

Brausen die Felshöhlen wider, Qualm kräuselt sich hoch in die Lüfte.
[463]

Weiteres Unheil noch traf die vom Kampfe erschöpften Latiner,

das die gesamte Stadt in tiefe Bestürzung versetzte.

Sah doch die Königin vom Palast aus den Angriff der Feinde,

Sturm auf die Mauern, auch Brandsätze, die in die Dächer schon flogen,

aber zur Abwehr kein Rutulerheer, kein Häuflein des Turnus.

Da überkam der Verdacht die Arme, gefallen im Kampfe

sei schon der Held, und in jäher Aufwallung bitteren Schmerzes

gab sie lautklagend sich selber die Hauptschuld am Wüten des Unglücks,

schrie sich vom Herzen die Not, noch im Wahn der tiefen Betrübnis,

riß dann, zum Sterben entschlossen, ihr Purpurkleid selber in Fetzen,

knüpfte zum Schluß sich am Balken die Schlinge zu schimpflichem Tode.

Als die latinischen Frauen erschüttert den Selbstmord bemerkten,

raufte Lavinia sich als erste ihr Blondhaar, zerfleischte

wild sich die rosigen Wangen. Ihr folgten mit rasendem Jammern

sämtliche andern, laut hallten im Schloß die klatschenden Schläge.

Darauf verbreitete sich in der Stadt die entsetzliche Kunde.

Allen entsank der Mut. Latinus, vom Schicksal der Gattin

wie vom Verderben der Hauptstadt bestürzt, zerriß sich die Kleider,

streute, sich selbst zu entstellen, Schmutz über die silbernen Haare,

machte sich bittere Vorwürfe, nicht den Trojaner Aeneas

längst schon empfangen, dem Staat als Verwandten gewonnen zu haben.


Turnus verfolgte inzwischen, im Kampf am Rande des Schlachtfelds,

langsamer schon die Versprengten des feindlichen Heeres, und seine

Zuversicht sank, je stärker die Kraft der Rosse erlahmte.

Fernes Geschrei trug plötzlich der Windhauch ihm zu, als ein Bote

kaum erklärlichen Schreckens, und wirres Lärmen und dumpfes

Tosen, als traure die Festung, ließen ihn angespannt lauschen.[464]

»Wehe mir, was für ein Jammer verwirrt dort so schrecklich die Hauptstadt?

Was für ein Schreien gellt so laut von den Mauern herüber?«

Außer sich war er und brachte sogleich den Wagen zum Stehen.

Aber die Schwester, die immer noch in der Gestalt des Metiscus

Rosse und Zügel und Fahrzeug ihm lenkte, hielt ihm entgegen:

»Weiter noch, Turnus, wollen wir hier die Dardaner jagen,

wo uns Erfolge den Weg zum Siege am ehesten bahnen!

Andere gibt es, bereit zur Verteidigung unserer Mauern.

Auf die Italer stürzt sich Aeneas und schlägt sich mit ihnen,

während wir hier in den Reihen der Troer mörderisch wüten.

Weder an Truppenstärke noch Kampfruhm bist du im Nachteil.«

Turnus erwiderte:

»Schwester, ich habe schon längst dich erkannt, seitdem du so listig

unsern Vertragsabschluß störtest und selbst in die Kämpfe mit eingriffst.

Jetzt auch verleugnest umsonst du die Gottheit. Wer aber entsandte

dich vom Olympus und ließ dich so bittere Mühsal ertragen?

Solltest den grausamen Tod des armen Bruders du sehen?

Denn ich bemühe mich fruchtlos: Wo bietet Fortuna mir Rettung?

Sah ich mit eigenen Augen Murranus doch, der mich noch anrief –

niemanden gibt es, den höher ich schätze –, sah ihn doch fallen,

ihn, den Riesen, das Opfer auch einer riesigen Wunde.

Unglücklich fiel auch Ufens – den Anblick unserer Schande

sich zu ersparen –, die Teukrer erbeuteten Leichnam und Waffen.

Soll ich den Untergang unserer Hauptstadt erleben – nur dieses

letzte noch fehlt mir! –, nicht Drances durch siegreichen Kampf widerlegen?

Niemals erblicke mein Heimatland einen fliehenden Turnus!

Sterben bedeutet kein Unglück für mich. Seid gnädig mir, Manen,

da ja die Götter des Himmels mir ihre Gnade entzogen!

Makellos will ich und ohne Bewußtsein von Schuld mich zu euren

Stätten hinunterbegeben, der großen Vorfahren würdig.«


Während er sprach noch, sprengte, quer durch das Getümmel der Feinde,

Saces auf schäumendem Rosse heran, verwundet durch einen[465]

Pfeilschuß vorn im Gesicht. Laut rief er den König bei Namen:

»Turnus, nur du kannst Rettung noch bringen, erbarm dich der Deinen!

Blitzstrahlen schleudert gewappnet Aeneas und droht schon, er wolle

stürzen Italiens ragende Burgen, sie völlig vernichten!

Brandsätze fliegen schon in die Gebäude. Dich suchen die Blicke

aller Latiner. Unschlüssig zaudert noch König Latinus,

wen er als Schwiegersohn rufen, mit wem er sich einigen solle.

Außerdem legte die Königin, deine sicherste Stütze,

Hand an sich selber, entzog vor Bestürzung dem Licht sich des Lebens.

Nur noch Messapus leistet, mit ihm der tapfre Atinas,

Widerstand vor den Toren. Die feindlichen Heerscharen haben

dicht sie umringt, gleich eisernen Saaten starren die blanken

Klingen. Du aber durchfährst mit dem Wagen verödete Auen!«


Angesichts dieser Fülle sich häufenden Unglücks erstarrte

Turnus bestürzt, stier blickend und stumm. Ihm wühlten im Herzen

gleichzeitig bittere Scham und Wut und schmerzliche Trauer,

leidenschaftliche Liebe, Bewußtsein des eigenen Wertes.

Aber die Schatten verflogen, frisch regte sich Klarheit des Denkens.

Gleich auf die Mauern richtete er die brennenden Augen,

aufgewühlt, ungestüm, blickte vom Wagen zur Hauptstadt hinüber.


Siehe, dort lohte ein Wirbel von Flammen aufwärts zum Himmel,

leckte von Stockwerk zu Stockwerk empor an dem hölzernen Turme,

den er einst selber aus mächtigen Balken gefügt und errichtet,

unten mit Rädern versehen, mit Fallbrücken ausgelegt hatte.

»Schwester, jetzt siegt das Schicksal, jetzt siegt es. Nicht hemme mich länger!

Folgen will ich, wohin mich der Gott und die harte Fortuna

rufen. Ich soll mit Aeneas kämpfen, im Tode noch alles

Bittere auskosten. Länger nicht wirst du mich unrühmlich zögern

sehen. Doch lasse mich, bitte, vorher die Kampfwut noch stillen!«
[466]

Derart sprach er und sprang von dem Wagen zur Erde. Durch Feinde,

durch den Geschoßhagel stürzte er vorwärts, verließ die betrübte

Schwester und bahnte in rasendem Lauf sich den Weg durch die Reihen.

Wie von dem Gipfel des Berges ein Felsblock, vom Sturmwind aus seinem

Lager gerissen, jäh abstürzt – mag er vom Platzregen lange

schon unterspült, vom schleichenden Alter allmählich zermürbt sein –,

wuchtig zur Tiefe, schon selbst ein gefährlicher Berg fast, hinabrast,

aufprallt und hochspringt, Bäume und Vieh und Menschen in seine

Jagd mit hineinreißt: so teilte jetzt Turnus die Kämpfer und stürmte

hitzig zur Stadtmauer hin, wo die Erde vom strömenden Blute

triefte, die Luft von fliegenden Pfeilen und Wurfspießen schwirrte,

schwenkte zum Zeichen die Hand und rief mit hallender Stimme:

»Aufhören, Rutuler – länger nicht schießen, Latiner! Wie immer

sich das Geschick auch wendet: Nur mich betrifft es! Ich selber

sühne für euch den Vertragsbruch und suche im Kampf die Entscheidung,

eine gerechtere Lösung!« So rief er, Platz machten ihm alle.


Vater Aeneas hörte den Namen des Turnus und eilte

ohne Verzug von der Mauer herab, von den ragenden Zinnen,

räumte beiseite, was hemmte, und ließ Begonnenes liegen,

jubelte auf vor Freude und rasselte schrecklich mit seinen

Waffen, gewaltig wie Athos, wie Eryx, ja wie Appenninus,

wenn er mit schwankenden Steineichen rauscht und als Vater der Berge

seiner schneeschimmernden Gipfel sich freut und sich reckt in die Lüfte.

Auf ihn wandten die Blicke voll Spannung Rutuler, Troer,

alle Italer – jene auch, die auf den Mauern die Zinnen

hielten wie jene, die unten den Mauerbrecher bedienten –,

legten die Waffen von ihren Schultern. Latinus auch staunte

über die beiden, den Helden Europas wie jenen aus Asien,[467]

die zum entscheidenden Waffengang antraten gegeneinander.

Freigemacht war schon der ebene Kampfplatz, und ohne zu säumen,

schleuderten beide von weitem im Ansturm die Lanzen, begannen

darauf den Nahkampf, dröhnend mit Schilden und ehernen Klingen.

Durchdringend stöhnte die Erde, die Schwerthiebe fielen mit ständig

steigender Wucht, und Zufall und Tüchtigkeit schmolzen zu einem.

Hoch in dem Silagebirge oder am Kamm des Taburnus

prallen so grimmig zwei Stiere zu hitzigem Kampf mit den Stirnen

gegeneinander. Angstvoll ziehen zurück sich die Hirten.

Stumm verharren die Herden aus Furcht, still bangen die Kühe,

wer im Walde die Macht übernimmt, wem künftig die Tiere

alle gehorchen. Die Kämpfer indessen schlagen sich Wunden,

bohren die Hörner sich wild in die Leiber, lassen vom Blute

Nacken und Flanken triefen. Der Wald dröhnt wider vom Brüllen:

Ebenso stießen der Troer Aeneas und Turnus, des Daunus

Sprößling, die Schilde zusammen; zum Himmel hoch hallte das Krachen.


Jupiter selber stellte zwei Waagschalen jetzt mit den Zünglein

gleichhoch und legte darauf die Lebenslose der Helden,

um zu erkunden, wessen Gewicht zum Tode im Zweikampf

ausschlage. Eben jetzt holte Turnus, den Zeitpunkt für günstig

haltend, den Körper hoch aufgereckt, aus zum Hiebe und führte

wuchtig den Schlag. Aufschrien gespannt die Latiner und Troer,

beide in höchster Erregung. Aber die Klinge versagte

treulos, zerbrach im Aufprall, verriet den feurigen Kämpfer.

Flucht nur vermochte Turnus zu retten; vor Augen den fremden

Schwertgriff, die Rechte entwaffnet, lief er, geschwinder als Oststurm,

fort. Dem Gerücht nach soll er, als er den Wagen zum ersten

Kampfe bestieg, das Schwert des Vaters vergessen und eilig

jenes des Wagenlenkers Metiscus aufgerafft haben.

Dieses versah den Dienst, solange die Teukrer sich kampflos

fliehend zerstreuten; beim Kampf mit den Waffen des Gottes Vulcanus[468]

aber zersprang beim Aufprall die Klinge, die Sterbliche schufen,

brüchig wie Eis; es glänzten die Splitter im bräunlichen Sande.

Kopflos enteilte über die Fläche des Kampfplatzes Turnus,

lief bald im Zickzack, dann wieder im Kreise, ohne bestimmte

Richtung. Umschlossen ihn doch in dichtem Kranz die Trojaner,

dann ein gewaltiger Sumpf und jenseits die ragenden Mauern.


Zäh auf den Fersen blieb ihm Aeneas, obwohl ihn der Pfeilschuß

manchmal noch schmerzte am Knie und ihm das Laufen erschwerte,

setzte dem Fliehenden zornglühend nach und in dichtestem Abstand,

wie wenn ein Jagdhund den Hirsch vor sich herhetzt, wenn diesen ein Flußlauf

hemmte oder die Furcht vor den schwankenden purpurnen Federn,

dicht an den Flüchtling sich hängt mit rasendem Bellen, doch jener,

abgeschreckt wie von dem Hochufer so von den tückischen Netzen,

tausendfach ständig die Fluchtrichtung wechselt, der feurige Umbrer

hechelnd ihm folgt, beinahe die Beute erschnappt schon, die Kiefer

aufsperrt und zuklappt, der Biß ins Leere ihn freilich verspottet!

Nunmehr erhebt sich Geschrei, und Ufer und Seen im Umkreis

hallen laut wider, das Himmelsgewölbe erdröhnt von dem Aufruhr.


Laut schalt Turnus beim Fliehen die Rutuler, nannte sie einzeln

flehend bei Namen, verlangte das eigene, allen bekannte

Schwert zu erhalten. Doch drohte Aeneas mit Tod und Verderben,

falls man dem Bittenden nahe, sogar mit Zerstörung der Hauptstadt,

schreckte die Zitternden, jagte, trotz seiner Verwundung, den Gegner

weiter. Noch fünfmal kreisten sie vorwärts und wiederum rückwärts.

Ging es doch hier nicht um Kampfpreise, wie man sie ausgibt zur Kurzweil

oder bei Spielen; es ging um das Blut, um das Leben des Turnus.[469]

Zufällig hatte ein Ölbaum mit bitterem Laub dort gestanden,

heilig dem Faunus, verehrt einst von Seeleuten; waren sie glücklich

heimgekehrt, pflegten dem Gott von Laurentum sie Gaben zu reichen,

hängten Gewänder dort auf, die Gelübde treu zu erfüllen.

Aber jetzt hatten die Teukrer gefällt den heiligen Ölbaum,

ohne Bedenken, um ausreichend Platz zum Kampfe zu haben.

Dorthin war der Speer des Aeneas geflogen und steckte

tief in den Wurzeln, zäh hielten ihn fest die umklammernden Strünke.

Kraftvoll herausreißen wollte Aeneas nunmehr die Spitze,

wollte durch Speerwurf erlegen den Feind, den im Laufen er schwerlich

einholen konnte. Da flehte Turnus, vor Furcht wie von Sinnen:

»Faunus, erbarme dich, bitte, auch du, erhabene Erde,

haltet die Speerspitze fest, wenn ich immer die Ehren euch zollte,

die jetzt der Haufe des Troers Aeneas im Kampfe entweihte!«

Damit erflehte er nicht vergebens die göttliche Hilfe;

konnte doch König Aeneas trotz langen Kampfs mit der zähen

Wurzel nicht unter stärkster Gewalt den Speer aus der Klemme

ziehen. Und während er grimmig aus Leibeskräften sich mühte,

eilte, erneut in Gestalt des Wagenlenkers Metiscus,

Nymphe Juturna herbei und reichte dem Bruder sein Schlachtschwert.

Venus, verärgert darüber, was dreist sich die Nymphe erlaubte,

trat herzu und entriß dem Geflecht der Wurzeln die Lanze.

Wieder bewaffnet und dadurch ermutigt waren jetzt beide,

traten, der eine dem Schwert vertrauend, der andre die Lanze

ungestüm hochgereckt, an, schweratmend, zur letzten Entscheidung.


Aber der Herr des Olympus, der Stätte der Allmacht, befragte

nunmehr Juno, die hoch von schimmernder Wolke dem Zweikampf

zuschaute: »Worauf läuft es hinaus? Was bleibt jetzt noch übrig?

Weißt du doch schon, nach eigenem Zeugnis: Aeneas, als Heros,

ist für den Himmel bestimmt, zu den Sternen erhebt ihn das Schicksal.[470]

Was noch bezweckst, was erhoffst du, daß du in eiskalten Wolken

still dich verbirgst? Darf etwa der Mensch verwunden die Gottheit?

Darf denn ein Turnus – Juturna vermag nichts ohne dein Zutun! –

wiederbekommen sein Schwert, ein Besiegter noch Kräfte gewinnen?

Halte doch endlich Ruhe und füge dich meinem Ersuchen!

Aufreiben soll dich nicht länger solch bitterer Schmerz, auch nicht länger

qualvoller Gram mich aus deinem lieblichen Munde betrüben.

Stehen wir jetzt doch am Ziel! Du konntest zu Land und zu Wasser

hetzen die Troer und einen entsetzlichen Kriegsbrand entfachen,

eine Familie entehren, durch Trauer die Hochzeit vergällen.

Mache jetzt Schluß, ich befehle es dir!«


Auf Jupiters Mahnung

gab, mit niedergeschlagenem Blick, die Saturnierin Antwort:

»Weil mir dein Streben bekannt ist, erhabener Jupiter, mußte,

wider Willen, ich Turnus und seine Heimat verlassen.

Andernfalls sähest du mich nicht im Himmel jetzt sitzen und alle

möglichen Kränkungen hinnehmen, nein, von Flammen umlodert,

stünde ich mitten im Schlachtgewühl, peitschte die Troer zu harten

Kämpfen! Juturna riet ich, jawohl, dem Bruder in seinen

Nöten zu helfen, und billigte, daß sie sein Leben noch stärker

schützte, nicht freilich durch Einsatz von Waffen, durch Schießen mit Pfeilen,

was ich beschwöre beim Strome der Styx, der niemals versöhnten,

die auch für Götter als einzigartige Schwurzeugin waltet!

Abtreten will ich nunmehr, verlasse voll Abscheu den Kampfplatz.

Eins noch gewähre mir, bitte – es wird nicht vom Schicksal verboten –,

so zu Latiums Gunsten wie auch zur Ehre der Deinen:

Schließen sie, meinetwegen, jetzt Frieden bei glücklicher Hochzeit,

gründen die Einheit gemäß den Bedingungen ihres Vertrages,

laß nicht die Landeskinder den uralten Namen ›Latiner‹

wechseln, sie Troer nicht werden, mit Namen gar ›Teukrer‹ noch heißen,

auch nicht die Muttersprache verlieren, die Volkstracht nicht ändern![471]

Latium lebe, auch Albas Königtum zahllose Jahre,

unverwandt herrsche das Römergeschlecht dank italischer Tatkraft!

Troja sank, so lasse versunken es sein samt dem Namen!«


Lächelnd entgegnete ihr der Schöpfer der Welt und der Menschen:

»Jupiters wirkliche Schwester bist du, ein Kind des Saturnus:

Derart gewaltig vermagst du, ganz unversöhnlich, zu grollen!

Laß jetzt verrauchen die Wut, du hast sie nicht weiterhin nötig;

deine Wünsche erfülle ich, lasse den Sieg dir, freiwillig.

Muttersprache wie Denkart soll den Ausoniern bleiben,

bleiben der Name auch. Nur als ein Teil des latinischen Volkes

sollen die Teukrer sich ansiedeln. Bräuche und Gottesdienst werde

selber ich stiften, der Sprache nach sie zu Latinern nur machen.

Nachkommen dieser Verbindung mit echt ausonischem Blute

wirst du an Pflichtgefühl Menschen wie Götter einst weit übertreffen

sehen; kein anderes Volk wird Ehren dir zollen wie dieses!«


Zustimmend nickte Juno. Befriedigt wurde sie andern

Sinnes, verließ die Wolke, verschwand vom Himmelsgewölbe.


Anderen Plänen widmete jetzt sich der Vater der Götter,

wollte Juturna trennen von ihrem kämpfenden Bruder.

»Gräßliche« heißen zwei furchtbare Zwillingsschwestern; zusammen

mit dem Unterweltsscheusal Megaera hatte die finstre

Nacht sie geboren; sie waren genauso wie jene mit eklen

Knäueln von Schlangen umwunden und trugen auch windschnelle Flügel.

Dienstbereit warten sie stets an Jupiters Thron, in des harten

Herrschers Palast, und steigern die Angst der elenden Menschen,

falls der Beherrscher der Götter Seuchen und schreckliches Sterben

androht, auch Städte zur Strafe heimsucht mit Schrecken des Krieges.

Jupiter schickte jetzt eine der Schwestern geschwind von dem hohen

Himmel herab, der Juturna vor Augen als Botin von Unheil.[472]

Eilig entflog sie und schoß mit wirbelnden Schwingen zur Erde.

Ebenso gleitet, geschnellt von der Sehne, ein Pfeil durch die Wolken,

den ein Parther oder Kydone mit tödlichem Gifte

tränkte, bevor er ihn abschoß zum Schlagen unheilbarer Wunden;

schwirrend durchsaust er, von keinem gesehen, die flüchtigen Schatten:

derartig flog die Tochter der Nacht und erreichte die Erde.


Als sie das troische Heer und die Scharen des Turnus erblickte,

ließ sie geschwind sich zusammenschrumpfen zur Eule, dem Vogel,

der zuweilen auf Grabstätten hockt und verödeten Dächern,

dabei die nächtlichen Schatten durchgellt mit leidigen Schreien.

Turnus vor Augen, schwirrte das Scheusal bald hierhin, bald dorthin,

streifte dabei auch mit seinen flatternden Schwingen den Schutzschild.

Starres Entsetzen lähmte, wie niemals früher, den Helden,

sträubte die Haare vor Schrecken und ließ die Stimme ihm stocken.

Aber Juturna erkannte von fern schon am Schwirren der Flügel

deutlich die Gräßliche, raufte, in schmerzlichem Mitleid, die Haare,

riß mit den Nägeln ihr Antlitz sich blutig und schlug mit den Fäusten

trommelnd die Brüste. »Wie kann dir, mein Turnus, die Schwester noch helfen?

Was bleibt übrig mir noch, der Geschlagenen? Kann ich dein Leben

irgend verlängern? Kämpfen mit einem so schrecklichen Untier?

Aufgeben muß ich den Widerstand. Steigert, ihr greulichen Vögel,

nicht mein Entsetzen! Ich kenne genau das Rauschen der Schwingen,

diesen todbringenden Laut; die grausame Weisung des edlen

Jupiter höre ich. Lohnt er mir so, was ich preisgab als Mädchen?

Wozu verlieh er mir ewiges Leben? Entzog mich dem Zugriff

lindernden Todes? Ich könnte mich sonst ja vom bitteren Kummer

lösen, ins Reich der Schatten den armen Bruder begleiten![473]

Ich – unsterblich! Vermag mir mein Leben noch Freuden zu bieten

ohne dich, Bruder? Kann nicht das Erdreich zu hilfreichem Abgrund

aufklaffen, mich, die Göttin, hinab zu den Manen entführen?«

Bitterlich weinend verhüllte die Nymphe ihr Haupt mit dem bläulich

schimmernden Schleier und tauchte hinein in die Tiefe des Stromes.


Aber Aeneas schwang schon die wuchtige, baumlange Lanze

drohend dem Feinde entgegen und rief voll wütenden Hasses:

»Warum noch zögerst du? Willst du dem Zweikampf ausweichen, Turnus?

Nicht mehr im Wettlauf, nein, tödlich mit Waffen gilt es zu streiten.

Schlüpf nur in jede Gestalt und raffe alles zusammen,

was du an Mut noch und Kniffen vermagst – wünsch Flügel dir, steige

hoch zu den Sternen oder versteck dich im Schoße des Erdreichs!«

Turnus erwiderte kopfschüttelnd: »Nicht dein hitziges Schimpfen

schreckt mich, du Rohling, nein, göttliches Walten und Jupiters Feindschaft.«

Damit verstummte er, richtete spähend die Blicke auf einen

uralten, riesigen Feldstein, der zur Markierung der Grenze

dort auf der Ackerflur lag, um die Flächen eindeutig zu scheiden.

Mühsam nur hätten zwölf ausgesucht kräftige Männer aus unsrer

Generation den Block auf den Schultern anheben können.

Turnus indessen packte ihn ungestüm, reckte sich höher,

stürmte zum Anlauf vorwärts und schleuderte ihn auf den Gegner.

Aber er kannte sich selbst nicht wieder im Gehen, im Laufen,

auch nicht im Heben und Schwingen des mächtigen Steines. Die Knie

wankten ihm, eiskalt gerann sein Blut in frostigem Schauer.

Darum durchmaß auch der Felsblock im Flug durch die Luft nicht die ganze

Strecke, gelangte zum Ziel nicht, verwundete gar nicht den Gegner.
[474]

Wie wir im Traum, wenn uns einschläfernd nächtliche Ruhe die Augen

schloß, uns einbilden, eifrig, doch zwecklos längere Strecken

laufen zu wollen und trotz erhöhter Anstrengung kraftlos

niederzusinken, die Zunge uns stockt, die genau uns bekannten

Kräfte des Körpers versagen, kein Laut uns gelingt, nicht ein Wörtchen:

derart vereitelte jetzt die gräßliche Göttin dem Turnus

jegliche noch so wackre Bemühung. Seine Gedanken

kreuzten sich wirr, er blickte zur Stadt, zu den Rutulern, schwankte

furchtsam, erzitterte vor dem Drohen der Lanze, erspähte

keinerlei Fluchtweg, auch keinerlei Bahn zu kraftvollem Angriff,

sah auch den Kampfwagen nicht, nicht die Schwester, die sicher ihn lenkte.


Aber da hatte Aeneas bereits den günstigen Zielpunkt

scharf im Visier und schleuderte, unter dem Einsatz des ganzen

Körpers, den tödlichen Speer auf den zaudernden Gegner. So schwirrten

niemals die Blöcke des Mauergeschützes, zischten auch niemals

zuckende Blitze. Die Lanze, Trägerin grausamen Unheils,

flog, vergleichbar der finsteren Sturmbö, durchschlug erst den untren

Rand an dem siebenschichtigen Schutzschild, darauf den verstärkten

Saum des gepanzerten Hemdes und bohrte sich tief in den Schenkel.

Turnus, bezwungen vom wuchtigen Aufprall, sank in die Knie.

Aufschreiend fuhren die Rutuler hoch, rings dröhnten die Berge

alle, und weithin hallten vom Hochwald die Wehklagen wider.


Turnus, am Boden, demütigen Blickes, streckte die Rechte

bittend nach vorn: »Ich verdiene mein Los, erflehe nicht Gnade.

Nutze dein Glück! Und vermag dich das Schicksal meines geprüften

Vaters zu rühren, bitte – du hattest ja selber solch einen

Vater, Anchises –: Erbarm dich des alten Daunus, den Meinen

gib mich zurück jetzt oder, sofern du das vorziehst, den toten[475]

Körper. Du siegtest, mich sehen die Völker Italiens die Hände

heben als völlig Geschlagenen. Dein ist Lavinia. Treibe

aber den Haß nicht zu weit!«


Aeneas stand mit gezücktem

Schwerte, erbittert, mit rollenden Augen. Noch hemmte er seine

Rechte, er schwankte. Schon wollten die Worte zur Milde ihn stimmen.

Aber da glänzte zum Unglück, hoch auf des Geschlagenen Schulter,

prächtig das Wehrgehenk mit den goldenen Buckeln, der Schwertgurt

früher des jungen Pallas, den Turnus besiegt und erschlagen

hatte. Jetzt trug er das herrliche Schmuckstück sich selbst zum Verderben.

Starrte Aeneas doch wie gebannt auf die Beute, ein Mahnmal

wütenden Schmerzes. Dann rief er mit schrecklicher Stimme, von wilder

Rachgier entflammt: »Du willst mir entschlüpfen – und trägst noch die Beute,

die du den Meinen entrissest? Pallas erschlägt dich jetzt, Pallas

sühnt jetzt mit deinem Blut die Verbrechen, die du begingest!«

Damit stieß er, glühend vor Zorn, in die Brust ihm die Klinge.

Unter der Kälte des Todes erschlafften die Glieder des Turnus,

unwillig stöhnend entwich sein Geist hinab zu den Schatten.[476]

Quelle:
Vergil: Werke in einem Band. Berlin 21987, S. 444-477.
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