Sechstes Capitel.
Das Seegatt der Insel Sullivan.

[203] Zwei Tage nach der Begegnung mit dem Irokesen befand sich der Delphin auf der Höhe der Bermudasinseln und hatte daselbst eine gewaltige Windsbraut auszuhalten. Diese Breiten werden häufig von außerordentlich heftigen Orkanen heimgesucht und sind in Folge dessen durch Unglücksfälle berühmt; Shakspeare hat diese Gegenden zum Schauplatz der aufregendsten Scenen seines Dramas: »Der Sturm«, in dem Ariel und Caliban sich um die Herrschaft der Fluthen streiten, gemacht.

Die Windstöße waren furchtbar, und James Playfair gab einen Augenblick dem Gedanken Raum, auf Mainland einer der Bermudas-Inseln, anzulegen, wo die Engländer einen Militärposten haben, doch hätte dies einen argen Querstrich durch seine Pläne gemacht. Glücklicherweise zeigte sich der Delphin während dieses Unwetters als ganz vortrefflich, und nachdem er einen ganzen Tag vor dem Orkan geflohen war, konnte er seine Fahrt in der Richtung nach der amerikanischen Küste wieder aufnehmen.

Aber wenn die Leistungen des Delphin James Playfair zufrieden stellten, so war er von dem Muth und der Kaltblütigkeit des jungen Mädchens nicht minder entzückt; Miß Halliburli hatte die schlimmsten Stunden des Orkans bei ihm auf dem Verdeck zugebracht, und der Kapitän mußte sich[203] mehr und mehr gestehen, daß eine leidenschaftliche, tiefe Liebe zu dem jungen Mädchen ihn ergriffen hatte.

»Ich kann es nicht leugnen, sagte er, das tapfere Mädchen hat mehr Einfluß über mich und mein Thun erlangt, als ich je für möglich gehalten hätte; ich beuge mich vor ihr, wie ein Schiff vor dem Sturm, ja ich fühle, daß ich mich ergeben muß. O, was würde Onkel Vincent sagen! Was macht die Liebe aus uns! ich glaube, ich wäre im Stande, diese ganze verwünschte Ladung Contrebande in's Meer zu werfen, wenn Jenny es von mir verlangte.«

Zum Glück für das Haus Playfair u. Co. forderte indessen Miß Halliburli dies Opfer nicht; trotzdem aber war der arme Kapitän ihr mit Leib und Seele ergeben, und Crockston, vor dem sein Herz dalag wie ein aufgeschlagenes Buch, rieb sich ein Mal über das andere mit solcher Vehemenz die Hände, daß er sich die Epidermis zerscheuerte.

»Jetzt haben wir ihn im Schlepptau, brummte er vergnügt vor sich hin, und ich will darauf wetten, daß mein Herr, ehe noch acht Tage vergehen, in der besten Cajüte an Bord des Delphin installirt ist«

Ob wohl Miß Jenny sich darüber klar wurde, was sie in dem jungen Kapitän für Gefühle wach gerufen hatte, und ob ihr Herz ihm gleichfalls entgegenschlug? Das vermochte Niemand zu sagen und am wenigsten James Playfair. Das junge Mädchen hielt sich vollkommen reservirt, wie das bei ihrer amerikanischen Erziehung nicht anders zu erwarten war, und ihr Geheimniß blieb tief in ihrem Herzen verborgen.

Während die Liebe bei dem Kapitän so rasche Fortschritte machte, dampfte der Delphin mit nicht geringerer Geschwindigkeit auf Charleston zu.

Am 13. Januar signalisirte die Wache Land auf zehn Meilen Entfernung im Westen, eine niedrige Küste, die mit der Wasserlinie am Horizont fast verschwamm. Crockston schaute scharf aus, und als er Morgens um neun Uhr einen Punkt an einer lichten Stelle des Firmaments erspähte, rief er aus:

»Der Leuchtthurm von Charleston!«

Wäre der Delphin bei Nacht hier angekommen, so würde dieser hundertundvierzig Fuß über der Meeresfläche gelegene Thurm schon seit mehreren Stunden bemerkt worden sein, denn der Glanz seines Drehlichts zeigt sich vierzehn Meilen weit.[204]

Nachdem die Lage des Delphin durch diese Wahrnehmung genau bestimmt war, blieb James Playfair nur noch übrig, sich zu entscheiden, durch welches Fahrwasser er in die Bucht einlaufen wollte.

»Wenn sich uns nicht besondere Hindernisse in den Weg legen, können wir binnen drei Stunden in den Docks des Hafens und in Sicherheit sein.«

Die Stadt Charleston liegt an einem Wasserbecken, das sieben Meilen lang und zwei Meilen breit, und in das die Einfahrt ziemlich schwierig ist, da es sich zwischen der Insel Morris im Süden und der Insel Sullivan1 im Norden stark verengt. Zu der Zeit, als der Delphin versuchte, die Blokade zu brechen, gehörte die Insel Morris schon den Truppen der Nordstaatlichen, und General Gillmore ließ dort Batterien aufpflanzen, welche die Rhede, bestreichen konnten und sie somit beherrschten. Die Insel Sullivan hingegen war in den Händen der Conföderirten, die in dem Fort Moultrie Stand hielten. Demnach war es für den Delphin sehr vortheilhaft, so nahe wie möglich an den nördlichen Gestaden hinzustreifen und so das Feuer der Batterien von der Insel Morris zu vermeiden.

Man kann auf fünf verschiedenen Einfahrten in das Wasserbecken gelangen; erstens durch das Seegatt der Insel Sullivan, dann das nördliche Seegatt, ferner das Seegatt Overall, dann das Hauptseegatt, und endlich das Seegatt Lawford; dies Letztere darf jedoch nur dann von Fremden befahren werden, wenn sie ausgezeichnete Sachverständige an Bord haben und ihre Schiffe mit weniger als sieben Fuß Tiefgang fahren. Das nördliche Seegatt und das Seegatt Overall waren gegenwärtig von den nordstaatlichen Batterien eingeschlossen, der Gedanke, sie zu passiren, mußte also von vorn herein aufgegeben werden. Hätte James Playfair sich einen Weg wählen können, so würde er sein Schiff in das Hauptseegatt gelenkt haben, da dies das Beste, und nach vorzüglichen Karten leicht zu verfolgen ist; aber man mußte sich wohl oder übel den Umständen anbequemen und nach der Lage der Dinge entscheiden.

Uebrigens kannte der Kapitän auf das Genaueste alle Geheimnisse und Gefahren der Bucht, die Tiefe ihrer Gewässer bei Ebbe und Fluth und ebenso ihre Strömungen; er war also im Stande, sein Fahrzeug mit vollkommener[205] Sicherheit durchzubringen, sobald es nur in eine der engen Wasserrinnen eingelaufen war; die große Frage hieß nur: Wie hineinkommen?

Jedenfalls war dies Manoeuvre nicht auszuführen, ohne eine große Seetüchtigkeit und die specielle Kenntniß des Delphin und seiner Eigenschaften.

Es kreuzten gerade zwei nordstaatliche Fregatten in den Gewässern von Charleston, und Mr. Mathew verfehlte nicht, sie alsbald der Aufmerksamkeit des Kapitäns zu signalisiren.

»Es scheint, als wollten sie uns fragen, was wir in diesen Gewässern zu suchen haben.

– Nun, wir werden ihnen die Antwort schuldig bleiben, versetzte James Playfair; sie werden die Folgen ihrer Neugier allein zu tragen haben.«

Inzwischen steuerten die Kreuzer mit vollem Dampf auf den Delphin los, während dieser seine Fahrt ruhig fortsetzte und nur darauf bedacht war, sich außer Schußweite ihrer Kanonen zu halten. Um indessen Zeit zu gewinnen, bediente sich James Playfair der List, südwestlich zu steuern, damit man glauben sollte, der Delphin beabsichtige, sich in die Fahrwasser der Insel Morris zu begeben; dort aber befanden sich Batterien und Kanonen, von denen eine einzige Kugel hinreichend gewesen wäre, um den Delphin in den Grund zu bohren. Die Nordstaatlichen ließen deshalb den Delphin ruhig nach Südwesten laufen, ohne besonders lebhaft Jagd auf ihn zu machen, und begnügten sich damit, ihn zu beobachten.

So verging eine Stunde, ohne daß sich die respective Lage der Schiffe veränderte. Uebrigens hatte James Playfair, um eine Täuschung über den Gang des Delphin zu begünstigen, das Spiel der Schieber mäßigen lassen und fuhr nur mit geringer Dampfkraft; man hätte jedoch an den dicken Rauchwirbeln, die aus den Schornsteinen drangen, sehen können, daß er sein Maximum an Druck und demzufolge auch an Geschwindigkeit zu erlangen suchte.

»Sie werden nicht wenig erstaunt sein, wenn wir ihnen plötzlich unter den Händen davongleiten«, dachte James Playfair.

Und wirklich, als sich der Kapitän der Insel Morris ziemlich nahe und vor einer Linie Kanonen sah, deren Tragweite ihm unbekannt war, wechselte er plötzlich seine Richtung, ließ sein Schiff um sich selbst schwenken und fuhr nordwärts, während die Kreuzer zwei Meilen vor dem Wind hinter ihm zurückblieben. Als diese das Manoeuvre sahen und die Absicht des Steamers[206] begriffen, begannen sie eine sehr entschiedene Verfolgung des Delphin, aber vergebens, es war zu spät. Der schnelle Dampfer gewann ihnen unter voller Thätigkeit seiner Schrauben bald den Rang ab und näherte sich wieder der Küste; es pfiffen zwar noch einige Kugeln hinter ihm her, aber die Nordstaatlichen verschossen ihre Projectile umsonst, sie tauchten schon auf halbem Wege von ihrem Ziel in die Fluthen. Um elf Uhr Morgens fuhr der Steamer dicht an der Insel Sullivan vorüber und steuerte, von seinem geringen Tiefgange begünstigt, mit voller Dampfkraft in das enge Fahrwasser hinein. Hier befand er sich vollkommen in Sicherheit, denn kein nordstaatlicher Kreuzer hätte es wagen dürfen, ihm in dies Seegatt zu folgen, das bei niedrigem Wasserstande nicht über elf Fuß tief ist.

»Nun wahrhaftig! rief Crockston, das hätte ich mir schwerer gedacht.

– O, die Gefahr ist noch nicht vorüber, Meister Crockston, entgegnete James Playfair, wir sind zwar glücklich hineingekommen, aber die Hauptschwierigkeit liegt im Auslaufen.

– Bah! erwiderte der Amerikaner, darüber mache ich mir keine Sorge; mit einem Schiff wie der Delphin und einem Kapitän wie Sie, Herr James Playfair, läuft man ein und aus, ganz nach Belieben.«

James Playfair untersuchte, mit dem Fernglase in der Hand, aufmerksam die zu verfolgende Straße. Er hatte ausgezeichnete Küstenkarten vor sich, die ihm gestatteten, ohne Hinderniß und Zögern vorwärts zu gehen.

Als der Delphin glücklich in das enge Seegatt, das sich längs der Insel Sullivan hinzieht, eingelaufen war, steuerte James eine Strecke, indem er die Mitte des Forts Moultrie West-halb-Nord peilte, bis sich im Nord-Nord-Osten das an seiner düsteren Farbe erkennbare Schloß Pickney auf einem isolirt liegenden Inselchen, »Shute's Folly«, zeigte. Auf der andern Seite dampfte er an dem Hause des Forts Johnson vorüber, das um zwei Grad nördlich von dem Fort Sumter offen daliegt.

In diesem Augenblick wurde der Delphin von einigen Kugeln begrüßt, die von den Batterien der Insel Morris abgefeuert wurden, ohne ihn jedoch zu erreichen. Er setzte seine Fahrt fort, ohne auch nur um ein Haar breit abzuweichen, ging vor Moultrieville vorbei, das am äußersten Ende der Insel Sullivan liegt, und lief in die Bucht ein. Bald ließ er auch das Fort Sumter zur Linken und wurde durch dasselbe vor den nordstaatlichen Batterien maskirt.


Miß Halliburli stand auf dem Deck .... (S. 209.)
Miß Halliburli stand auf dem Deck .... (S. 209.)

Dies in dem Kriege der Vereinigten Staaten berühmte Fort liegt über drei Meilen2 von Charleston und ungefähr eine Meile von jeder Seite der Bucht entfernt, es ist ein abgestutztes Fünfeck, auf einer künstlichen Insel, von Granit aus Massachusetts erbaut, dessen Aufführung zehn Jahre gedauert und[207] mehr denn 900,000 Dollars3 gekostet hat.[208]

Aus diesem Fort wurden am 13. April 1861 Anderson und die nordstaatlichen Truppen verjagt, und gegen dasselbe der erste Schuß der Separatisten abgefeuert. Die Massen von Eisen und Blei, mit denen es sodann von den Kanonen der Nordstaatlichen beworfen wurde, entziehen sich jeder Schätzung. Das Fort leistete jedoch beinahe drei Jahre lang Widerstand und fiel erst einige Monate nach der beschriebenen Durchfahrt des Delphin unter den dreihundertpfündigen Kugeln der gezogenen Parrot-Kanonen, die General Gillmore auf der Insel Morris aufpflanzen ließ; damals aber stand es noch in seiner vollen Kraft, und die Fahne der Conföderirten schwebte über dem ungeheuern Pentagon von Granit.

Als das Fort passirt war, kam die Stadt Charleston, zwischen den beiden Flüssen Ashley und Cooper hingelagert, in Sicht; sie bildete eine scharf hervortretende Spitze.

James Playfair steuerte mitten durch die Bojen, die das Seegatt bezeichnen, und ließ den Leuchtthurm von Charleston südsüdwestlich liegen; jetzt flatterte an der Gaffel seines Schiffes lustig die Flagge Englands.

Nachdem der Delphin die Boje der Quarantaine auf Steuerbordsseite gelassen hatte, rückte er frei in der Bucht vor. Miß Halliburli stand auf dem Deck und schaute gedankenvoll auf die Stadt, in der ihr Vater gefangen gehalten wurde; ihre Augen schwammen in Thränen.

Endlich wurde auf den Befehl des Kapitäns der Gang des Schiffes gemäßigt; der Delphin dampfte an den Batterien des Südens und Ostens vorüber, und bald warf er seinen Anker am Kai in dem »North-Commercial wharf«.

Fußnoten

1 Auf diese Insel hat der berühmte amerikanische Romanschriftsteller Edgar Poe seine barocksten Scenen verlegt.


2 Fünf Kilometer.


3 Etwa 5.000,000 Franken (= 4.000,000 Reichsmark).


Quelle:
Jules Verne: Die Blockade-Brecher. In: Eine schwimmende Stadt. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XIX, Wien, Pest, Leipzig 1877, S. 161–236, S. 209.
Lizenz:

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon