Siebentes Capitel.
Ein General der Südstaaten.

[209] Als der Delphin an den Kais von Charleston ankam, war er von einer großen Volksmenge mit stürmischem Hurrah begrüßt worden. Die Einwohner dieser von der Seeseite so strenge blokirten Stadt waren seit lange nicht mehr den Besuch europäischer Schiffe gewohnt und fragten sich erstaunt, was dieser große Steamer, der so stolz die Flagge Englands wehen ließ, in ihren[209] Gewässern wolle. Als man aber den Zweck seiner Reise erfuhr, und weshalb er das Fahrwasser von Sullivan durchbrochen hatte, als sich das Gerücht verbreitete, daß seine Seitentheile eine ganze Ladung Kriegscontrebande enthielten, nahm das Beifallsrufen und Freudengeschrei kein Ende.

James Playfair setzte sich, ohne einen Augenblick Zeit zu verlieren, mit dem General Beauregard, dem Commandanten der Stadt, in Verbindung. Dieser empfing den jungen Kapitän des Delphin mit großer Zuvorkommenheit, denn er sah dem Ersatz an Uniformen und Kriegsmunition für seine Armee mit Freuden entgegen. Es wurde zwischen den beiden Herren abgemacht, daß die Ausladung des Schiffes unverzüglich vor sich gehen sollte, und zahlreiche Arme kamen hierbei den englischen Matrosen zu Hilfe.

Bevor James Playfair noch sein Schiff verließ, hatte er von Miß Halliburli die dringendsten Weisungen in Betreff ihres Vaters erhalten; der junge Kapitän stellte sich ihr vollständig zu Gebote.

»Sie können auf mich rechnen, Miß Jenny, hatte er zu dem jungen Mädchen gesagt, ich werde thun, was in meinen Kräften steht, um Ihren Vater zu retten; und ich hoffe, daß diese Angelegenheit keine übersteiglichen Schwierigkeiten bieten wird; ich werde noch heute mit dem General Beauregard zusammenkommen und von ihm zu erfahren suchen, in welcher Lage er sich befindet; ob er auf Ehrenwort frei umhergeht oder wie ein Gefangener gehalten wird; ein directes Verlangen aber gedenke ich in dieser Beziehung heute noch nicht an den Commandanten zu stellen.

– Mein armer, lieber Vater, klagte Jenny; er hat keine Ahnung davon, wie nahe ich ihm bin. Ach, warum kann ich nicht in seine Arme eilen?

– Noch ein wenig Geduld, Miß Jenny; bald werden Sie Ihren Vater umarmen. Verlassen Sie sich darauf, daß ich mit der größten Aufopferung, dabei aber auch als verständiger Mann mit Ueberlegung handeln werde.«

Nachdem James Playfair die kaufmännischen Interessen seines Hauses wahrgenommen hatte, die Ladung des Delphin dem General überliefert und ein ungeheurer Vorrath von Baumwolle zu äußerst niedrigem Preise eingekauft war, brachte er das Gespräch auf die Ereignisse des Tages.

»Sie glauben also auf den Triumph der Sklavenhalter? fragte er den General Beauregard.

– Ich zweifle nicht einen Augenblick an unserm ganz definitiven Siege, und was speciell Charleston anbetrifft, so wird die Armee Lee's wohl binnen Kurzem[210] die Einschließung aufheben. Was läßt sich übrigens von den Abolitionisten erwarten? Wenn wirklich, was jedoch nie der Fall sein wird, die Handelsstädte Virginiens, der beiden Carolinas, Georgiens, Alabamas und Mississippi in ihre Gewalt fielen, was dann? sie würden Herren des Landes sein, ohne es doch besetzen zu können, und so würde ihr Sieg, wenn es nämlich zu einem solchen käme, sie nur in Verlegenheit bringen.

– Und sind Sie Ihrer Soldaten ganz sicher? fragte der Kapitän; fürchten Sie nicht, daß Charleston einer Belagerung müde werden könnte, die die Stadt ruinirt?

– Nein! wir haben keinen Verrath zu fürchten, übrigens würden die Verräther erbarmungslos geopfert werden, und ich selbst würde mit Feuer und Schwert die Stadt zerstören, wenn ich in ihr die geringste unionistische Bewegung entdeckte. Jefferson Davis hat mir Charleston anvertraut, und Sie können sich versichert halten, daß die Stadt in treuen Händen ist.

– Haben Sie Gefangene von den Nordstaatlichen? fragte James Playfair, der hiermit an dem interessanten Gegenstand der Unterhaltung anlangte.

– Ja, Kapitän, lautete die Antwort des Generals; in Charleston wurde der erste Schuß in diesem Kriege abgefeuert; die Abolitionisten, welche sich gerade hier befanden, versuchten Widerstand zu leisten, unterlagen aber und werden jetzt als Kriegsgefangene hier zurückgehalten.

– Sind ihrer viele?

– Etwa hundert.

– Gehen sie frei in der Stadt umher?

– Ich gestattete das bis zu dem Tage, wo eine Verschwörung unter ihnen entdeckt wurde; es war ihrem Rädelsführer gelungen, sich mit den Belagerern in Verbindung zu setzen; ich habe natürlich sofort die gefährlichen Gäste einkerkern lassen, und mehrere Gefangene werden ihre Zelle nur verlassen, um sich auf den Glacis vor zehn Kugeln der Conföderirten zu stellen.

– Wie, sie sollen erschossen werden? rief der junge Kapitän unwillkürlich von einer Bewegung ergriffen, die er mit Mühe zurückhielt.

– Ja, und vor Allem ihr Rädelsführer; es ist ein sehr entschlossener, in einer belagerten Stadt geradezu gefährlicher Mensch. Ich habe seine Correspondenzen der Präsidentschaft in Richmond übersandt, und in einem Zeitraum von acht Tagen wird zweifelsohne sein Schicksal besiegelt sein.[211]

– Wer ist der Mann, von dem Sie soeben sprechen? fragte James Playfair, scheinbar mit vollkommener Gleichgiltigkeit.

– Ein Journalist aus Boston, ein enragirter Abolitionist und gewissermaßen die rechte Hand Lincoln's.

– Wie heißt er?

– Jonathan Halliburli.

– Der arme Teufel! meinte James, der sich Gewalt anthun mußte, um seine Erregung zu beherrschen. Wie sehr er auch sein Schicksal verdient haben mag, man kann doch nicht umhin, ihn zu bedauern. Sie glauben also, er wird erschossen werden?

– Ich zweifle keinen Augenblick daran, erwiderte Beauregard; wir wehren uns, so gut wir können. – C'est la guerre!

– Man muß sich so objectiv wie möglich zu derartigen Scenen stellen, sagte der Kapitän; überdies werde ich, wenn die Hinrichtung stattfindet, sehr wahrscheinlich nicht mehr in der Stadt sein.

– Wie! Sie denken schon wieder an Ihre Abreise?

– Ja, Herr General; ich bin vor allen Dingen Geschäftsmann, und meine Handelsinteressen gebieten mir in See zu stechen, sobald meine Baumwollenladung gestaut ist. Es ist mir zwar gelungen, glücklich nach Charleston hineinzukommen, die Hauptfrage bei meinem Unternehmen bleibt aber doch, wie ich wieder herauskomme. Der Delphin ist ein gutes Schiff und kann es in Bezug auf Schnelligkeit mit allen Fahrzeugen der nordstaatlichen Marine aufnehmen, aber eine hundertpfündige Kugel in ihrem Lauf zu überholen, würde ihm doch schwer werden, und solch ein Stück Eisen in seinem Rumpf oder seiner Maschine könnte meinen kaufmännischen Combinationen einen argen Fehlschlag bereiten.

– Ganz wie es Ihnen am Besten scheint, Herr Kapitän, bemerkte Beauregard, ich habe Ihnen in solcher Lage keinen Rath zu ertheilen und würde an Ihrer Stelle wahrscheinlich wie Sie handeln. – Uebrigens hat der Aufenthalt in Charleston wenig Angenehmes, und eine Rhede, auf der es so häufig Bomben regnet wie bei uns, ist den Schiffen nicht geradezu zu empfehlen. Reisen Sie also ab, wann Sie für gut finden. Aber eine Nachfrage werden sie mir erlauben; wie verhält es sich mit der Macht und Zahl der nordstaatlichen Schiffe, die vor Charleston kreuzen?«[212]

James Playfair befriedigte, so gut er konnte, die Wißbegierde des Generals und verabschiedete sich von ihm im besten Einvernehmen. Dann kehrte er mit sorgenschwerem Herzen über die soeben empfangenen Nachrichten nach dem Delphin zurück.

»Was werde ich Miß Jenny sagen, fragte er sich; soll ich sie vollständig über die schreckliche Lage, in der Mr. Halliburli schwebt, aufklären, oder ist es besser, das arme Kind in Unkenntniß über die Gefahr zu lassen, in der ihr Vater schwebt?«

James Playfair war in diesen Ueberlegungen noch zu keinem Resultat gekommen, als plötzlich Crockston auf seinem Wege neben ihm auftauchte; der würdige Amerikaner hatte ihm, seit er das Schiff verließ, nachgespürt und hier aufgelauert.

»Wie steht's, Herr Kapitän?«

James Playfair sah Crockston mit einem gewissen starren, unheilverkündenden Blick an, und dieser begriff sofort, daß er keine günstigen Nachrichten erhalten würde.

»Haben Sie mit Beauregard über ihn gesprochen? fragte er.

– Ja, antwortete zurückhaltend James Playfair.

– Und haben Sie ihn über Mr. Halliburli ausgeforscht?

– Er hat mir selber von ihm erzählt.

– Nun Herr Kapitän?

– Kann man Dir Alles anvertrauen, Crockston?

– Ja, Herr Kapitän, Alles!

– Nun, um mich kurz zu fassen, General Beauregard hat mir mitgetheilt, daß Dein Herr in spätestens acht Tagen erschossen werden soll.«

Ein Anderer wäre bei dieser Nachricht zornig aufgelodert oder hätte sich von seinem Schmerz hinreißen lassen, aber unser Amerikaner, der niemals unschlüssig war, lächelte nur verächtlich und sagte:

»Bah, was thut's?

– Kerl, bist Du des Teufels? rief James Playfair. Ich sage Dir, daß Mr. Halliburli in acht Tagen erschossen werden soll, und Du antwortest mir: Was thuts?

– Freilich, Herr Kapitän; was thut's, wenn er in sechs Tagen an Bord des Delphin ist, und wir in sieben Tagen auf hoher See schwimmen?[213]

– O, jetzt verstehe ich Dich, sagte James Playfair und drückte Crockston die Hand. Ich sehe, Du bist ein entschlossener Mann; ich meinestheils würde mich, Onkel Vincent und der Ladung des Delphin zum Trotz, für Miß Jenny in die Luft sprengen lassen.

– Nicht von Nöthen, Herr Kapitän, das käme nur den Fischen zugute, erwiderte der Amerikaner. Die Hauptsache ist jetzt, Mr. Halliburli zu befreien.

– Das wird aber seine Schwierigkeiten haben!

– Wird so schlimm nicht sein! rief Crockston.

Es handelt sich darum, mit einem streng bewachten Gefangenen in Beziehung zu treten.

– Nun freilich!

– Und eine fast unmögliche Entführung in's Werk zu setzen!

– Bah, meinte Crockston, ein Gefangener sinnt mehr darauf zu entfliehen, als sein Kerkermeister daran denkt, ihn zu bewachen, also müßte es eigentlich jedem Gefangenen gelingen, das Weite zu suchen, alle Chancen sind für ihn. Und auch Mr. Halliburli wird mit unserer Hilfe entkommen.

– Ich hoffe, Du behältst Recht, Crockston.

– Wie immer, Herr Kapitän.

– Aber wie werden wir die Sache einfädeln? wir müssen einen Plan machen und allerlei Vorkehrungen treffen.

– Ich werde nachdenken, Herr Kapitän.

– Aber wenn Miß Jenny erfährt, daß ihr Vater zum Tode verurtheilt ist, und daß der Befehl zu seiner Hinrichtung jeden Tag eintreffen kann ...

– Sie muß es eben nicht erfahren.

– Ja, wir wollen es ihr verbergen, es ist so besser für sie und für uns.

– Wo ist Miß Halliburli eingekerkert? fragte Crockston.

– In der Citadelle.

– Vortrefflich! Aber jetzt kommen Sie mit an Bord, Herr Kapitän!«[214]

Quelle:
Jules Verne: Die Blockade-Brecher. In: Eine schwimmende Stadt. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XIX, Wien, Pest, Leipzig 1877, S. 161–236, S. 209-215.
Lizenz:

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon