[181] Die Jahreszeit war zu der unternommenen Expedition günstig, und so durfte die Mannschaft sich der Hoffnung hingeben, die Stätte des Schiffbruchs bald zu erreichen.
Johann Cornbutte's Plan war der natürlichste und beste. Er gedachte bei den Faröer-Inseln anzulegen, wohin die Schiffbrüchigen leicht durch den Nordwind verschlagen sein konnten, und wenn er Gewißheit darüber bekam, daß sie in keinen Hafen dieser Breiten eingelaufen waren, wollte er seine Nachforschungen über die Nordsee hinaus ausdehnen und die ganze Westkliste Norwegens bis nach Bodoë, dem Ort, der dem Schiffbruch am nächsten lag, und wenn nöthig, noch darüber hinaus durchsuchen.
André Basling war dieser Ansicht des Kapitäns entgegen; er meinte, daß die Küsten Islands erforscht werden müßten; aber Penellan hob hervor, daß der Sturm zur Zeit der Katastrophe aus Westen gekommen wäre; wenn die Verunglückten also nicht in den Strudel des Maëlstroms gerissen wurden, so mußten sie an die norwegische Küste geschleudert sein.[181]
So wurde beschlossen, daß man möglichst nahe an diesem Küstenstrich hinsegeln wolle, um etwaige Spuren des Weges zu recognosciren.
Am Morgen nach der Abfahrt hatte Johann Cornbutte das Haupt über eine Karte gebeugt, auf der er eifrig seine Fahrt studirte, als sich ihm plötzlich eine kleine Hand auf die Schulter legte und er eine sanfte Stimme vernahm, die ihm zuflüsterte:
»Habe guten Muth, lieber Onkel!«
Er wandte sich um und konnte vor Erstaunen kein Wort hervor bringen, Marie stand neben ihm!
»Marie! Du hier an Bord! rief er endlich.
– Wenn der Vater sich einschifft, um sein Kind zu retten, darf wohl die Frau ihren Gatten aufsuchen! antwortete sie.
– Arme Marie! wie wirst Du unsere Strapazen aushalten? Weißt Du, daß Deine Gegenwart unseren Forschungen hinderlich werden kann?
– Nein, lieber Onkel, ich bin ja stark und kräftig!
– Wer weiß, mein Kind, wohin wir verschlagen werden? Sieh diese Karte an; wir nähern uns jetzt den Breiten, die selbst uns Seeleuten, die doch gegen alle Strapazen des Meeres abgehärtet sind, so gefährlich werden können. Und nun Du, ein schwaches Mädchen!
– Lieber Onkel, habe keine Sorge um mich; ich stamme aus einer Seemannsfamilie und bin bei Erzählungen von Stürmen und Gefahren groß geworden. Bin ich doch hier bei Dir und meinem alten Freunde Penellan!
– Penellan! also er ist's gewesen, der Dich an Bord geschmuggelt hat?
– Ja, Onkel; aber erst als er sah, daß ich entschlossen war, auch ohne seine Hilfe meinen Plan auszuführen.
– Penellan!« rief Johann Cornbutte.
Der Untersteuermann trat ein.
»Penellan, es wäre überflüssig letzt, wo die Sachen so weit gediehen sind, noch weiter darüber zu sprechen; laß Dir aber so viel gesagt sein: Du hast für Mariens Leben einzustehen!
– Beruhigen Sie sich, Herr Kapitän; die Kleine hat Kraft und Muth, sie wird uns ein Schutzengel sein. Und dann – Herr Kapitän, Sie kennen meine Idee: Alles in dieser Welt muß uns zum Besten dienen.«
Für Marie wurde nun eine Kajüte gewählt, welche die Matrosen binnen Kurzem comfortabel für sie herrichteten.[182]
Acht Tage später legte die Jeune-Hardie bei den Faröer-Inseln an. Aber auch die minutiösesten Nachforschungen blieben erfolglos; kein Schiffbrüchiger hatte sich hierher gerettet, keine Trümmer eines zerschellten Schiffes waren aufgelesen worden. Sogar die Nachricht von dem betreffenden Unfall war gänzlich unbekannt. So nahm die Brigg nach zehntägiger Rast am 10. Juni ihre Reise wieder auf. Der Zustand des Meeres war gut, die Winde fest, und das Schiff wurde schnell an die norwegische Küste getrieben, an der sich jedoch alle Forschungen gleichfalls als fruchtlos erwiesen.
Johann Cornbutte beschloß nun, sich nach Bodoë zu begeben. Dort konnte er vielleicht den Namen des gestrandeten Schiffes, dem Ludwig Cornbutte und seine beiden Matrosen zu Hilfe geeilt waren, erfahren.
Am 30. Juni warf die Brigg in diesem Hafen ihre Anker aus, und auf die Nachforschungen des alten Kapitäns wurde ihm von den Behörden eine Flasche ausgeliefert, die ein in folgenden Worten abgefaßtes Document enthielt.
»Heute, am 26. April, werden wir an Bord des ›Froöern‹, nachdem die Schaluppe der Jeune-Hardie an unserem Schiff angelegt hatte, von den Strömungen nach den Eismeeren gerissen! Gott sei uns gnädig!«
Die erste Bewegung Johann Cornbutte's war Dank gegen Gott. Er glaubte jetzt eine Spur von seinem Sohn gefunden zu haben. Der Froöern war ein norwegischer Schooner, von dem man zwar keine Nachricht weiter hatte, der jedoch augenscheinlich gen Norden gerissen war.
Man durfte keine Zeit verlieren; die Jeune-Hardie wurde alsbald in Stand gesetzt, um den Gefahren der Polarmeere trotzen zu können. Fidèle Misonne, der Zimmermann, untersuchte sie mit scrupulöser Sorgfalt und versicherte, daß ihr solider Bau gegen die Stöße der Eisschollen Widerstand leisten würde.
Auf den Rath Penellan's, der bereits auf Wallfischfang in den nördlichen Eismeeren gewesen war, wurden wollene Decken, Pelzkleider, zahlreiche Mocassins aus Robbenfell und das nothwendige Holz, um Schlitten anfertigen zu können, an Bord eingeschifft. Auch vergrößerte man die Vorräthe an Kohlen und Weingeist, denn es war immerhin möglich, daß man an irgend einem Punkt der grönländischen Küste überwintern mußte. Mit vieler Mühe und großen Kosten wurde auch eine bedeutende Quantität Citronen[183] herbeigeschafft, die als Mittel gegen den Scorbut dienen, denn diese Krankheit pflegt in den Eisregionen die Mannschaften furchtbar zu decimiren. Mit den Vorräthen an gesalzenem Fleisch, an Zwieback und Branntwein, die in vorsorglicher Weise vermehrt worden waren, begann man, den Schiffsraum der Brigg anzufüllen, denn die Kombüse reichte nicht mehr dazu aus. Auch Pemmican, ein indisches Präparat, das viele nährende Bestandtheile in kleinem Volumen concentrirt, wurde in beträchtlicher Menge an Bord gebracht.[184]
Auf die Befehle Johann Cornbutte's schiffte man auch Sägen ein, um nöthigenfalls die Eisfelder durchschneiden zu können, wie auch Picken und Keile, um sie zu spalten. Die zum Ziehen an den Schlitten nothwendigen Hunde sollten von der grönländischen Küste mitgenommen werden.
Die ganze Mannschaft wurde zu diesen Vorbereitungen verwandt und entwickelte eine großartige Thätigkeit. Die Matrosen Aupic, Gervique und Gradlin folgten eifrig den Rathschlägen des Untersteuermanns Penellan, der sie veranlaßte, sich jetzt noch nicht an wollene Kleider zu gewöhnen, obgleich die Temperatur unter diesen über dem Polarkreise gelegenen Breiten schon sehr niedrig war.
Penellan beobachtete schweigend und ohne etwas davon merken zu lassen, die scheinbar geringfügigsten Handlungen André Basling's. Ueber der Vergangenheit dieses Mannes, eines Holländers von Geburt, schwebte ein gewisses Dunkel; doch hatte er bereits zwei Fahrten an Bord der Jeune-Hardie mitgemacht und sich hierbei als tüchtiger Seemann erwiesen. Penellan konnte ihm nichts vorwerfen, wenn nicht etwa, daß er sich zu sehr um Marie bemühte; aber Penellan überwachte ihn auf's Schärfste.
Dank der Rührigkeit der Mannschaft konnte die Brigg bereits am 16. Juli, sechzehn Tage nach ihrer Ankunft in Bodoë, klar gemacht werden. Es war jetzt die günstigste Zeit, um in den arktischen Meeren Forschungen zu unternehmen, denn da es bereits seit zwei Monaten thaute, konnten die Untersuchungen bis in ziemlich weite Entfernung durchgeführt werden. Die Jeune-Hardie steuerte also auf das an der Ostküste von Grönland unter dem siebenzigsten Breitegrade gelegene Cap Brewster zu.
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