IV.

[95] Japan. – Abreise der drei Polo's mit der Tochter des Kaisers und den persischen Gesandten. – Saïgon. – Java. – Condor. – Bintang. – Sumatra. – Die Nikobaren. – Ceylon. – Die Coromandelküste. – Die Malabarküste. – Das Meer von Oman. – Die Insel Socotora. – Madagascar. – Zansibar und die afrikanische Küste. – Abyssinien. – Yemen, Hadramaut und Oman. – Ormuz. Rückkehr nach Venedig. – Ein Fest im Hause der Polo's. – Marco Polo in Gefangenschaft der Genuesen. – Marco Polo's Tod, etwa 1323.


Nach glücklicher Durchführung seiner Sendung kehrte Marco Polo unzweifelhaft an den Hof Kublaï-Khans zurück und wurde auch ferner mit verschiedenen Missionen betraut, wobei ihm seine Kenntniß der mongolischen, türkischen, chinesischen und der Mantschu-Sprache sehr zu statten kam. Wahrscheinlich begleitete er auch eine nach den indischen Inseln unternommene Expedition und verfaßte nach der Rückkehr von derselben einen eingehenden Bericht über die Schifffahrt auf jenen noch wenig bekannten Meeren. Von eben dieser Zeit ab sind seine eigenen Lebensschicksale nicht sicher aufgezeichnet. Dagegen hat er uns sehr umständliche Einzelheiten geliefert über die Insel Cipangu, der Name, unter dem man die ganze japanische Inselgruppe zu verstehen pflegte, doch scheint er nicht selbst nach diesem Reiche gekommen zu sein. Japan war damals berühmt wegen seiner Reichthümer und natürlichen Schätze, und Kublaï-Khan hatte dasselbe auch im Jahre 1264, nicht lange vor der Ankunft Marco Polos am tatarischen Hofe, zu erobern versucht. Seine Flotte langte glücklich vor Cipangu an und bemächtigte sich eines Festungswerkes, dessen Vertheidiger über die Klinge springen mußten, da zerstreute aber ein plötzlicher Sturm die tatarischen Fahrzeuge, so daß die Expedition zu keinem Resultate führte. Marco Polo beschreibt diesen Kriegszug sehr eingehend und flicht dabei viele Bemerkungen ein über die merkwürdigen Sitten der Japaner.

Siebzehn Jahre hindurch, die auf ihre Reise von Europa nach China verwendeten Jahre ungerechnet, standen nun Marco Polo, sein Oheim Matteo und sein Vater Nicolo im Dienste des Kaisers. Sie sehnten sich letzt darnach, ihr Vaterland wiederzusehen; Kublaï-Khan aber, der ihnen sehr gewogen war und ihre Verdienste wohl zu schätzen wußte, konnte es nicht über sich gewinnen, sie ziehen zu lassen. Er that alles mögliche, ihren Entschluß rückgängig zu machen, und bot ihnen, für die Zusicherung, immer[95] bei ihm zu verbleiben, ungeheure Reichthümer an. Die Venetianer beharrten jedoch bei ihrer Absicht, nach Europa zurückzukehren, doch der Kaiser versagte ihnen bestimmt die Erlaubniß zur Abreise. Marco Polo sah sich bei der strengen Beobachtung, deren Gegenstand er war, außer Stande, selbst heimlich zu entkommen, als ein unerwarteter Zwischenfall Kublaï-Khan zur Aenderung seines Entschlusses veranlaßte.

Ein mongolischer Fürst, Arghun, der in Persien regierte, hatte an den Kaiser eine Gesandtschaft geschickt, um für ihn um die Hand einer Prinzessin aus königlichem Blute anzuhalten. Kublaï-Khan bestimmte dem Fürsten Arghun seine Tochter Cogatra zur Gemalin und traf Anstalt, sie mit zahlreichem Gefolge abreisen zu lassen. Die Gegenden aber, durch welche der Weg nach Persien führte, waren damals höchst unsicher; Unruhen und Empörungen hielten die Karawane zuletzt gänzlich auf, so daß sie mit der Prinzessin nach einigen Monaten in die Residenz Kublaï-Khans zurückkehrte. Bei dieser Gelegenheit hörten die persischen Gesandten von Marco Polo, den man als erprobten Seefahrer und gründlichen Kenner des Indischen Oceans rühmte, und baten deshalb den Kaiser, jenem die Prinzessin Cogatra anzuvertrauen, um sie von ihm über das, weniger Gefahren als das Land bietende Meer ihrem Verlobten zuführen zu lassen.

Kublaï-Khan gab diesem Ersuchen, wenn auch ungern, endlich nach. Er ließ eine Flotte von vierzehn viermastigen Schiffen ausrüsten und verproviantirte dieselbe für einen Zeitraum von zwei Jahren. Einzelne dieser Schiffe hatten eine Besatzung von 250 Mann. Gewiß eine großartige Expedition und würdig des allgewaltigen Herrschers im chinesischen Reiche.

Matteo, Nicolo und Marco Polo reisten also mit der Prinzessin und den persischen Gesandten ab. Es scheint, daß Marco Polo bei dieser Ueberfahrt, welche nicht weniger als achtzehn Monate in Anspruch nahm, den Inseln Indiens und des Sunda-Archipels, von denen er eine vollständige Beschreibung lieferte, einen Besuch abstattete; jedenfalls war das bezüglich Ceylons und des indischen Küstengebietes der Fall. Wir begleiten ihn also auf der ganzen Seereise und geben seine Beschreibung der bis dahin nur unvollkommen bekannten Länder wieder.

Gegen 1291 oder 1292 verließ die von Marco Polo befehligte Flotte den Hafen von Zaitem, nachdem der Reisende schon früher, bei Gelegenheit seiner Fahrten durch die Südprovinzen Chinas, einmal gekommen war. Von[96] hier begab er sich geraden Weges nach dem Districte von Cianba, im südlichen Theile Cochinchinas, der die heute zu Frankreich gehörige Kolonie Saïgon umfaßt. Auch diese Provinz besuchte der Reisende schon früher, wahrscheinlich gegen 1280, als er mit einer Mission des Kaisers betraut war. Zu jener Zeit stand Cianba unter der Gewalt des Groß Khans und[97] Tribut. Als Marco Polo noch vor der Eroberung durch dasselbe kam, hatte dessen regierender König nicht weniger als 326 Kinder, davon 150 in waffenfähigem Alter.


Kublaï-Khan ließ eine Flotte ausrüsten. (S. 96.)
Kublaï-Khan ließ eine Flotte ausrüsten. (S. 96.)

Von der cambodjianischen Halbinsel aus wandte sich die Flotte nach der kleinen Insel Java, deren sich Kublaï-Khan niemals zu bemächtigen vermochte, eine Insel, welche große Bodenreichthümer besitzt und Pfeffer, Muscatnüsse, Cubeben, Nelken und andere kostbare Gewürze in Menge hervorbringt. Nach einigem Aufenthalte in Condor und Sandur, an der untersten Spitze der cochinchinesischen Halbinsel, erreichte Marco Polo die Insel Pentam (Bintang) am östlichen Eingange der Meerenge von Malacca, und die Insel Sumatra, die er Klein-Java nennt. »Die Insel, sagt er, liegt so weit im Süden, daß man hier den Polarstern niemals sieht«, – was freilich nur für die Bewohner des südlichen Theiles derselben zutrifft. Sie hat sehr fruchtbaren Boden, auf dem z.B. das Aloëholz vortrefflich gedeiht; man trifft hier wilde Elephanten, Rhinocerosse, welche Marco Polo als Einhörner bezeichnet, und in zahlreichen Gesellschaften wandernde Affen. Durch schlechtes Wetter wurde die Flotte in dieser Gegend fünf Monate lang zurückgehalten und verwendete unser Reisender diese Zeit, um die Hauptprovinzen dieser Insel kennen zu lernen, unter Anderen Samara, Dagraian, Labrin, wo man viele Menschen mit Schwänzen – also offenbar Affen – findet, und Fandur, d. i. die Insel Panchor, mit unzähligen Sagopalmen, aus denen man ein zur Herstellung vorzüglichen Brotes dienendes Mehl gewinnt.

Endlich gestattete die Richtung des Windes den Schiffen, von Klein-Java auszulaufen. Nach flüchtiger Berührung der Insel Necaran, jeden falls eine der Nikobaren, und der Andaman-Gruppe, deren Eingeborne noch heute, wie zu Marco Polo's Zeiten, Anthropophagen sind, steuerte die Flotte gen Südwesten und ging an der Küste von Ceylon vor Anker. »Diese Insel, so lautet der Bericht, war einst weit größer, denn sie maß, wie man aus den Seekarten der einheimischen Lootsen ersehen konnte, früher 3600 Quadratmeilen; nun weht aber hier der Nordwind mit solcher Gewalt, daß er einen großen Theil der Insel unter Wasser gesetzt hat« – eine Ueberlieferung, welche sich übrigens noch heute unter den Bewohnern Ceylons forterbt. Auf dieser Insel findet man in Ueberfluß die »vornehmen und schönen« Rubinen, Saphire, Topase, Amethyste und andere kostbare Steine, wie Granaten, Opale, Agate und Sardonix. Der König des Landes besaß[98] damals einen handgroßen und armdicken Rubin vom feurigsten Hochroth, den der Groß-Khan jenem Herrscher vergeblich um den Preis einer ganzen Stadt abzukaufen suchte.

Sechzig Meilen westlich von Ceylon kamen unsere Seefahrer nach der umfänglichen Provinz Maabar (nicht zu verwechseln mit Malabar) an der Westküste der indischen Halbinsel. Dieses Maabar bildet den südlichen Theil der wegen ihrer Perlenfischereien geschätzten Coromandelküste. Hier treiben verschiedene Zauberer ihr Wesen, welche die Seeungeheuer von den Fischern fernhalten, eine Art Astrologen, deren Sippe sich noch bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Marco Polo berichtet hier viele interessante Einzelheiten über die Sitten der Eingebornen, die Feierlichkeiten beim Tode eines Königs, zu dessen Ehre sich mehrere Große des Landes dem Feuertode weihen, über die häufigen religiösen Selbstmorde, den Opfertod der Witwen, den sie nach des Gatten Ableben auf dem Scheiterhaufen suchen, über die zweimaligen täglichen, von der Religion vorgeschriebenen Waschungen, die Naturanlage der Bewohner, gute Physiognomiker zu werden, und über den festgewurzelten Glauben derselben an ihre Astrologen und Zauberer.

Nachdem er an der Coromandelküste gerastet, hielt Marco Polo einen nördlichen Kurs ein bis zum Königreiche Muftili, dessen Hauptstadt die heutige Stadt Masulipatam, der Hauptort des Königsreiches Golkonda, ist. Dieses Reich stand unter der weisen Regierung einer seit vierzig Jahren verwitweten Königin, welche dem Andenken ihres Gatten eine unverbrüchliche Treue bewahrte. In den benachbarten, leider wegen vieler Schlangen sehr gefährlichen Gebirgen beutete man einträgliche Diamantengruben aus. Um die kostbaren Steine zu gewinnen, ohne sich dem Angriffe der Reptilien auszusetzen, haben die Bergleute ein sehr einfaches Hilfsmittel ersonnen, dessen Wirksamkeit man in gutem Glauben bestätigen kann. »Sie nehmen mehrere Stücke Fleisch, sagt der Reisende, und werfen diese in die steilen Abgründe, welche kein Mensch zu betreten wagen darf. Dieses Fleisch fällt auf die Diamanten, welche daran hängen bleiben. In den Bergen hausen nun auch zahlreiche weiße Adler, die natürlichen Feinde und Verfolger der Schlangen. Sobald die Adler das Fleisch in der Tiefe gewahr werden, schießen sie hinab, um es sich zu holen; die Menschen aber folgen einem solchen Adler aufmerksam mit den Blicken, und wenn dieser das Fleisch verzehren will, erheben sie ein mächtiges Geschrei; erschreckt und aus Furcht, den Menschen[99] in die Hände zu fallen, entflieht der Adler, ohne seine Beute mitzunehmen dann kommen die Bergleute nach, holen das Fleisch wieder und sammeln die daran klebenden Diamanten ein. Häufig geben die Adler auch, wenn es ihnen gelang, das Fleisch ungestört zu verzehren, die Diamanten erst mit dem Kothe wieder von sich, so daß man sie dann aus dem Vogelmiste gewinnt.«

Nach einem Besuche der kleinen Stadt San-Thomé, einige Meilen südlich von Madras, in der der Körper des ehrwürdigen Apostels St. Thomas ruht, durchstreifte Marco Polo das Königreich Maabar, vorzüglich die Provinz Lar, aus der alle »Abraiamenten« der Welt, wahrscheinlich die Brahmanen, herstammen. Diese Menschen werden, der allgemeinen Annahme nach, in Folge ihrer Nüchternheit und Enthaltsamkeit sehr alt; einige derselben erreichen ein Alter von hundertfünfzig bis zweihundert Jahren, während sie nichts als Reis und Milch essen und »Schwefel mit Quecksilber« trinken. Diese Abraiamenten sind geschickte und zwar abergläubische, aber sehr offenherzige Kaufleute; sie nehmen Niemandem etwas, tödten kein lebendes Wesen irgend welcher Art und verehren den Stier, der ihnen als heiliges Thier gilt.

Von diesem Punkte der Küste aus kehrte die Flotte nach Ceylon zurück, wohin Kublaï-Khan im Jahre 1284 eine Gesandtschaft geschickt hatte, die ihm die vermeintlichen Reliquien von Adam, und u. A. zwei Backenzähne von ihm, mitbrachte; denn das Grab unseres Stammvaters läge, wenn man den Sagen der Sarazenen Glauben schenkt, auf dem Gipfel des zerklüfteten steilen Berges, der das Bild der Insel so auffällig kennzeichnet. Nachdem er Ceylon aus dem Gesicht verloren, begab sich Marco Polo nach Cail, einem Hafen, der von den neueren Karten völlig verschwunden zu sein scheint, den aber damals alle Schiffe von Ormuz, Kis, Aden und von den Küsten Arabiens her anliefen. Von da kamen die Seefahrer, indem sie Cap Camorin, den Ausläufer der Halbinsel doublirten, in Sicht von Coilum, dem heutigen Coulam, das im 13. Jahrhundert eine lebhafte Handelsstadt war. Hier verschifft man vorzüglich Santelholz nebst Indigo, und Kaufleute aus dem Morgen- und Abendlande treffen des Handels wegen in großer Zahl hier ein. Malabar erzeugt sehr viel Reis; wilde Thiere giebt es in ziemlicher Menge, darunter Leoparden, welche Marco Polo »schwarze Löwen« nennt, ferner auch verschiedene Arten von Papageien und Pfauen, die unsere europäischen Arten an Schönheit beiweitem übertreffen.[100]

Als die Flotte Coilum verließ, segelte sie längs der Malabarküste nach Norden bis zum Gestade des Königreichs Eli, das seinen Namen von einem auf der Grenze zwischen Kanara und Malabar gelegenen Berge erhielt, hier gedeihen Pfeffer, Ingwer, Safran und andere Gewürze. Im Norden des Reiches dehnte sich ein Landstrich aus, den der venetianische Reisende Melibar nennt und der auch im Norden des eigentlichen Malabar liegt. Die Schiffe der Händler aus Mangi unterhalten einen lebhaften Verkehr mit den Eingebornen dieses Theiles von Indien, die ihnen kostbare Gewürze, ausgezeichnete Webstoffe und andere in hohem Preise stehende Waaren liefern; ihre Fahrzeuge werden aber leider nur zu häufig von den Küstenpiraten geplündert, welche mit Recht als sehr gefürchtete Seeräuber gelten. Diese Piraten wohnten vorzüglich auf der Halbinsel Gohurat, heute Gudjarate, wohin sich die Flottille begab, nachdem sie in Tanat, wo man den braunen Weihrauch erntet, und in Canboat, dem heutigen Kambayet, gewesen war, welch' letztere Stadt lebhaften Handel mit Leder treibt.

Ferner wurden Sumenat besucht, eine Stadt der Halbinsel, mit heidnischen, grausamen und wilden Einwohnern, später Kesmacoran, wahrscheinlich das heutige Kedje, die Hauptstadt der östlich des Indus und nahe dem Meere gelegenen Landschaft von Makran und die letzte Landschaft Indiens zwischen dem Abendlande und dem Norden, dann aber begab sich Marco Polo, statt geraden Weges nach Persien, wo ihn der Verlobte der tatarischen Prinzessin erwartete, nach Westen durch das weite Meer von Oman.

Seine unersättliche Reiselust führte ihn so gegen 500 Meilen weit an der Küste Arabiens hin, wo er bei den Inseln Mâle und Femmelle (Männchen und Weibchen) vor Anker ging, welche Inseln ihren Namen davon haben, daß die eine derselben ausschließlich von Männern, die andere von deren Frauen bewohnt wird, welche jene nur während der Monate März, April und Mai besuchen. Von diesen Eilanden aus segelte die Flottille unter südlichem Kurs nach der Insel Socotora, am Eingange des Golfes von Aden, von der Marco Polo verschiedene Theile in Augenschein nahm. Er schildert die Bewohner Socotoras als geschickte Zauberer, welche durch ihre Künste Alles auszuführen vermögen und selbst den Orkanen und Stürmen gebieten. Dann ging er noch tausend Meilen weiter nach Süden und führte die Flotte bis zum Gestade Madagascars.[101]

Den Augen unseres Reisenden erscheint Madagascar als eine der größten und vornehmsten Inseln der Welt. Ihre Bewohner sind meist mit dem Handel beschäftigt und exportiren vorzüglich Elephantenzähne. Sie ernähren sich vor Allem mit Kameelfleisch, das besser und zuträglicher sein soll als jedes andere Fleisch. Die von der Küste Indiens hierher kommenden Kaufleute brauchen meist nur zwanzig Tage zur Fahrt über das Meer von Oman, zur Rückreise freilich drei Monate, da die ungünstigen Meeresströmungen die Schiffe immer nach Süden zurückdrängen. Trotzdem gehen sie gern nach dieser Insel, welche ihnen auch Santelholz aus den daselbst befindlichen Wäldern, und Ambra liefert, den sie mit großem Nutzen gegen Gold- und Seidenstoffe eintauschen. Daneben fehlt es diesem Reiche aber auch nicht au Raubthieren und Jagdwild; nach Marco Polo trifft man Leoparden, Bären, Hirsche, Eber, Giraffen, wilde Esel und andere Thiere oft in zahlreichen Rudeln an; am wunderbarsten erschien ihm jedoch der sogenannte Greif, der »Roc«, von dem in »Tausend und eine Nacht« so viel die Rede ist, den man sich aber, entgegen der allgemeinen Annahme, nicht als ein Geschöpf vorstellen darf, das halb Löwe, halb Vogel und dazu im Stande wäre, einen Elephanten in seinen Krallen fortzutragen. Der in Rede stehende merkwürdige Vogel war jedenfalls der Epyornis maximus, von dem man noch jetzt zuweilen auf Madagascar Eier findet.

Von dieser Insel aus besuchte Marco Polo, nach Nordwesten hinaussegelnd, Zanzibar und die afrikanische Küste. Hier erschienen ihm die Einwohner ungewöhnlich groß und so stark, daß sie die Last von vier Männern tragen konnten, »was aber deshalb nicht zu verwundern ist, weil sie auch für fünf Mann essen«. Die Eingebornen waren schwarz von Farbe und gingen völlig nackt; sie hatten einen großen Mund, eingedrückte Nase, wulstige Lippen und hervortretende Augen – eine ganz richtige Beschreibung, welche noch heute für die Eingebornen dieses Theiles von Afrika zutrifft. Diese Afrikaner leben von Reis, Fleisch, Milch und Datteln und bereiten sich ein geistiges Getränk aus Reis, Zucker und Gewürzen. Sie sind tüchtige, todesmuthige Kriegsleute und fechten auf Kameelen oder Elephanten, wobei ihnen ein lederner Schild, ein Säbel und eine Lanze als Waffen dienen, während sie ihre Reitthiere selbst durch berauschende Getränke reizen.

Zur Zeit Marco Polo's zerfiel nach Charton das unter dem Namen Indien zusammengefaßte Gebiet in drei Abtheilungen: Groß-Indien, d. i.[102]

Hindostan und alles Land zwischen Ganges und Indus; Klein-Indien, die Landstriche jenseits des Ganges, welche sich von der Westküste der Halbinsel bis zur Küste Cochinchinas ausdehnen; endlich Mittel-Indien oder Abyssinien und das arabische Küstengebiet bis zum Persischen Golfe.

Als er Zanzibar verließ, untersuchte Marco Polo also bei seiner Fahrt nach Norden das Gestade jenes Mittel-Indiens, und zwar zuerst Abasiens oder Abyssiniens, wo man sehr geschätzte Baumwollen- und Schetterstoffe erzeugt und das als ein sehr reiches Land gilt. Dann begab sich die Flotte nach dem Hafen von Zeita, fast am Eingange der Straße Bab-el-Mandeb, und endlich erreichte sie längs des Ufers von Yemen und Hadramaut auch Aden, den von allen, mit Indien und China verkehrenden Schiffen besuchten Hafenplatz, ferner Escier, eine große Stadt, welche große Mengen ausgezeichneter Pferde ausführt, Dafar, von wo aus viel Weihrauch erster Sorte kommt, Calatu, jetzt Kalajate, an der Küste von Oman, und endlich Cormos, d.h. Ormuz, das Marco Polo schon auf seiner Reise von Venedig nach dem Hofe des Tatarenherrschers besucht hatte.

Mit diesem Hafen des Persischen Meerbusens schloß die Fahrt der auf Kosten des Mongolen-Kaisers ausgerüsteten Flotte endlich ab. Nach einer Reise von nicht weniger als achtzehn Monaten war die Prinzessin am Gestade Persiens angelangt, leider erst nach dem Ableben ihres Verlobten, des Fürsten Arghun, der ein in blutige Bürgerkriege verwickeltes Land hinterlassen hatte. Die Prinzessin wurde in Folge dessen dem Sohne Arghun's, dem Prinzen Ghazan, übergeben, der den Thron seiner Väter indessen erst 1295 besteigen konnte, nachdem der Usurpator desselben, ein Bruder Arghun's, wieder gestürzt worden war. Was aus der Prinzessin weiter geworden, weiß man nicht; vor ihrem Abschiede von Marco, Nicolo und Matteo Polo aber dankte sie ihnen noch mit sichtbaren Zeichen ihrer höchsten Gunst.

Wahrscheinlich während seines Aufenthaltes in Persien sammelte Marco Polo manche merkwürdige, die »Groß-Türkei« betreffende Documente; es sind das lauter Fragmente ohne Zusammenhang, welche er als Anhang zu seinem Reiseberichte und in denen er aber doch eine wirkliche Geschichte der mongolischen Khans von Persien liefert. Seine Entdeckungsreisen waren aber nun zu Ende. Nach ihrer Trennung von der tatarischen Prinzessin machten sich die drei Venetianer, unter sicherem Geleit und ohne selbst dabei Unkosten zu haben, auf den Weg nach dem Vaterlande. Sie begaben sich nach Trebizonde,[103] von hier über Konstantinopel nach Negroponte und schifften sich daselbst nach Venedig ein.

Im Jahre 1295, vierundzwanzig Jahre nach ihrer Abreise war es, als Marco Polo in seine Vaterstadt zurückkam. Die drei Reisenden wurden, weil sie von der Sonne so gebräunt, in tatarische grobe Stoffe gekleidet waren, auch in ihrer Lebensweise tatarische Gebräuchebeibehalten, die Muttersprache aber fast verlernt hatten, von Niemand, nicht einmal[104] von den nächsten Angehörigen wieder erkannt. Seit langer Zeit schon ging auch das Gerücht von ihrem Tode, so daß Niemand sie je wiederzusehen wähnte.


Dieser merkwürdige Vogel war jedenfalls der Epyornis maximus. (S. 102)
Dieser merkwürdige Vogel war jedenfalls der Epyornis maximus. (S. 102)

Sie begaben sich nach ihrem Hause, im Quartier St. Johann Chrisostomus, und fanden dasselbe von verschiedenen Gliedern der Familie Polo bewohnt.


Ibn Batuta in Egypten. (S. 108.)
Ibn Batuta in Egypten. (S. 108.)

Letztere empfingen die drei Reisenden mit äußerstem Mißtrauen, das ihre ärmliche Erscheinung gewiß rechtfertigte, und schenkten den an's Wunderbare grenzenden Erzählungen Marco Polo's keinerlei Glauben.[105]

Da sie aber darauf beharrten, ließen sie dieselben wenigstens in das Haus, ihr rechtmäßiges Eigenthum, ein. Einige Tage später veranstalteten Nicolo, Matteo und Marco Polo, um jeden Zweifel an der Identität ihrer Person zu heben, ein prächtiges Gastmahl, dem ein glänzendes Fest folgte. Sie luden dazu außer den Familiengliedern auch die hervorragendsten Männer Venedigs ein. Nachdem sich alle Gäste im Empfangssaale des Hauses versammelt, erschienen die drei Polo's in carmoisinrother Atlaskleidung. Die Tischgenossen gingen nun in den Speisesaal und das Fest nahm seinen Anfang. Nach dem ersten Gerichte zogen sich Marco Polo, sein Vater und sein Oheim einen Augenblick zurück und traten dann wieder ein, gekleidet in die prächtigsten Stoffe von Damaskus, welche sie zerrissen und stückweise an die Festtheilnehmer als Andenken vertheilten. Nach dem zweiten Gerichte legten sie noch reichere Kleidung an und behielten diese bis zum Schlusse der Tafel bei. Dann erschienen sie wieder einfach nach venetianischer Mode gekleidet.

Die erstaunten, über den Luxus jener Garderoben verwunderten Gäste wußten aber gar nicht, was ihre Wirthe beabsichtigten, als diese die groben, unterwegs getragenen Kleider herbeibringen ließen; da begannen dieselben die Nähte an jenen aufzutrennen und das Futter abzulösen und ließen Rubinen. Smaragde, Karfunkel, Saphire, Diamanten, kurz lauter Steine von höchstem Werthe hervorrollen. Diese Lumpen bargen wahrhaft unermeßliche Schätze. Das unerwartete Schauspiel verbannte auch den leisesten Zweifel; die drei Reisenden wurden nun sofort als Diejenigen anerkannt, die sie in der That waren, als Marco, Nicolo und Matteo Polo, und von allen Seiten bestürmte man sie mit den überschwänglichsten Glückwünschen.

Ein so berühmter Mann wie Marco Polo konnte natürlich auch der Uebertragung staatlicher Ehrenämter nicht entgehen. So ward er denn in die erste Magistratur von Venedig berufen, und da er immer von den »Millionen« des Groß-Khans sprach, der über viele, »Millionen« von Unterthanen gebot, so nannte man ihn selbst den »ehr- und tugendsamen Messire Million«.

Zu dieser Zeit, nämlich 1296, brach ein Krieg zwischen Venedig und Genua aus. Eine von Lamba Doria geführte Flotte dieses Staates kreuzte auf dem Adriatischen Meere und bedrohte das Uferland. Andrea Dondalo, der Admiral Venedigs, bewaffnete sofort eine der genuesischen Flotte überlegene Anzahl Schiffe und betraute Marco Polo, der mit Recht für einen[106] erfahrenen Seemann galt, mit dem Commando einer Galeere. In der Seeschlacht vom 8. September 1296 wurden die Venetianer jedoch geschlagen und der schwer verwundete Marco Polo fiel dabei den Genuesen in die Hände. Die Sieger, welche den Werth ihres Gefangenen kannten und selbst gerecht schätzten, behandelten ihn mit vieler Rücksicht. Cr wurde nach Genua befördert, wo ihn die angesehensten Familien, begierig, seine märchenhaften Berichte zu hören, mit Auszeichnung aufnahmen. Wurde man nun auch nicht müde, ihm zuzuhören, so wurde doch Marco Polo müde des Erzählens, und als er 1298, während seiner Gefangenschaft, den Pisaner Rusticien kennen gelernt hatte, dictirte er diesem seinen Reisebericht in die Feder.

Gegen 1299 erhielt Marco Polo die Freiheit wieder. Er kehrte nach Venedig zurück, wo er sich vermälte. Von nun ab schweigt die Geschichte über sein späteres Geschick. Man weiß nur aus seinem, vom 9. Januar 1323 datirenden Testamente, daß er drei Töchter hinterließ, und glaubt, daß er etwa zu jener Zeit, im Alter von siebzig Jahren gestorben ist.

Das war die Lebensgeschichte dieses berühmten Reisenden, dessen Berichte einen so großen Einfluß auf die Fortschritte der geographischen Wissenschaften ausübten. Er besaß in eminentem Maße die Kunst scharfer Beobachtung. Er wußte zu sehen, wie er zu reden verstand, und den späteren Forschern blieb nur übrig, die Richtigkeit seiner Reisebeschreibung zu bestätigen. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts dienten die den Berichten Marco Polo's entlehnten Documente als Grundlage sowohl für geographische Studien, wie für Handelsexpeditionen nach China, Indien und Innerasien. Auch die Nachwelt kann nur ihre Zustimmung geben zu dem Titel: »Das Buch der Weltwunder«, den die ersten Abschreiber dem Werke Marco Polo's vorgesetzt hatten.[107]

Quelle:
Jules Verne: Die Entdeckung der Erde. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXIX–XXX, Wien, Pest, Leipzig 1881, S. 95-108.
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