XV. Ende.

[343] Sie ist beendet, die Reise des Herrn Cascabel, und glücklich beendet! Die Belle-Roulotte hat nur mehr Rußland und Deutschland zu passieren, um auf französischen Boden zu gelangen, und Nordfrankreich, um das Normannenland zu erreichen! Das ist allerdings noch eine lange Reise. Aber im Vergleich zu dem Wege von zweitausendachthundert Meilen, den sie bereits hinter sich hat, ist es nur mehr eine Spazierfahrt, eine einfache Spazierfahrt – »eine Fiakerfahrt!« sagte Herr Cascabel.

Ja! Die Reise ist beendet und günstiger beendet, als man nach so vielen Abenteuern zu hoffen gewagt hätte! Und nie hatte es eine glücklichere Lösung gegeben, – nicht einmal in jenem wunderbaren Stücke: »Die Räuber des Schwarzwaldes«, das doch einen für das Publikum und die Darsteller – mit Ausnahme Ortiks und Kirschefs – ungeheuer befriedigenden Abschluß gefunden. Letztere wurden wenige Wochen später gehenkt, während ihre Genossen in lebenslängliche Verbannung nach Sibirien wanderten.

Inzwischen trat die Trennungsfrage mit all ihren traurigen Folgen an die Familie heran. Wie würde man sie lösen?

Nun, auf sehr einfache Weise.

Als das Personal am selbigen Abend in der Belle-Roulotte versammelt war, sagte Graf Narkine:

»Meine Freunde, ich weiß, wie viel ich Ihnen schuldig bin und ich wäre ein Undankbarer, wenn ich es je vergäße!... Was kann ich für Sie thun?... Das Herz wird mir schwer bei dem Gedanken an eine Trennung!... Hören Sie!... Würde es Ihnen passen, in Rußland zu bleiben, sich hier niederzulassen, auf dem Besitztum meines Vaters zu leben?...«

Herr Cascabel, der auf einen solchen Vorschlag nicht vorbereitet war, antwortete nach kurzem Besinnen:

»Herr Graf Narkine...«

»Nennen Sie mich nie anders als Herr Sergius!...« sagte Graf Narkine. »Sie werden mir eine Freude damit machen!«[343]

»Nun denn, Herr Sergius, meine Familie und ich, wir sind sehr gerührt... Ihr Anerbieten beweist uns Ihre Zuneigung... Wir danken Ihnen sehr!... Aber da drüben... wissen Sie... liegt die Heimat...«

»Ich verstehe Sie!« antwortete Graf Narkine. »Ja!... ich verstehe Sie!... Und wenn Sie denn nach Frankreich, in Ihre Normandie zurückkehren wollen, so wäre ich glücklich, Sie in Ihrer Heimat ansässig zu wissen... in einem hübschen Landhause... mit einem Meierhofe und einigen Ländereien dabei!... Dort könnten Sie von Ihren langen Reisen ausruhen....«

»Glauben Sie nicht, daß wir ermüdet seien, Herr Sergius!« rief Herr Cascabel.«

»Hören Sie, mein Freund... reden Sie offen mit mir!... Hängen Sie sehr an Ihrem Gewerbe?«

»Ja... da es uns erhält!...«

»Sie wollen mich nicht verstehen,« sagte Graf Narkine, »und damit betrüben Sie mich! Wollen Sie mir die Befriedigung versagen, etwas für Sie zu thun?...«

»Vergessen Sie uns nicht, Herr Sergius,« antwortete Cornelia, »das ist alles, was wir von Ihnen verlangen, da wir Sie ja auch nie vergessen werden... weder Sie... noch Kayette...«

»Meine Mutter!...« rief das junge Mädchen.

»Ich kann nicht deine Mutter sein, mein teures Kind!«

»Warum nicht, Frau Cascabel«? wandte Herr Sergius ein.

»Aber wie könnte ich's denn?...«

»Indem Sie sie Ihrem Sohne zur Frau geben!«

Welche Wirkung diese Worte des Grafen Narkine hervorbrachten – gewiß eine größere Wirkung, als sämtliche Einfälle des Herrn Cascabel während seiner glänzenden Laufbahn erzielt hatten!

Fast verwirrt vor Glückseligkeit küßte Jean die Hände des Herrn Sergius, welcher Kayette an sein Herz drückte. Ja, sie würde Jeans Gattin werden und darum doch die Adoptivtochter des Grafen bleiben! Und Herr Sergius würde ihn bei sich behalten und ihm eine Anstellung in seinem Hause geben! Hätten Herr und Frau Cascabel jemals von einer schöneren Zukunft für ihren Sohn zu träumen vermocht? Davon aber wollten sie alle beide nichts hören, daß sie vom Grafen Narkine etwas anderes als die Versicherung seiner Freundschaft annehmen sollten. Sie hatten ein gutes Gewerbe; sie würden es auch weiter betreiben...

Da trat der junge Xander vor und sagte mit etwas bewegter Stimme, aber mutwillig blitzenden Augen:

»Wozu, Vater?... Wir sind reich und brauchen nicht mehr für unseren Lebensunterhalt zu arbeiten!«[344]

Und der Junge zog triumphierend den Goldklumpen aus der Tasche, den er in den Wäldern des Kariboo aufgelesen hatte.

»Wo hast du das gefunden?« rief Herr Cascabel, indem er nach dem kostbaren Stein griff.

Xander erzählte den Hergang.

»Und du hast uns nichts davon gesagt?« rief Cornelia. »Und du vermochtest dieses Geheimnis zu bewahren?«[345]

»Ja, Mutter... obgleich es mir nicht leicht wurde!... Ich wollte euch damit überraschen, euch erst nach unserer Ankunft in Frankreich mitteilen, daß wir reich seien!«

»Ach, das treffliche Kind!« rief Frau Cascabel. »Nun, Herr Sergius, da haben wir ein Vermögen, das wie gerufen kommt!... Sehen Sie nur!... Es ist wirklich ein Goldklumpen... man braucht ihn bloß gegen klingende Münze umzutauschen...«


Sie besuchten sie jedes Jahr. (Seite 347.)
Sie besuchten sie jedes Jahr. (Seite 347.)

Graf Sergius nahm den Kiesel, er betrachtete ihn mit Aufmerksamkeit, er wog ihn in der Hand, um seinen Wert zu bemessen, er prüfte die kleinen glänzenden Punkte darauf.

»Ja,« sagte er, »es ist wirklich Gold und wiegt mindestens zehn Pfund...«

»Wie viel ist es wert?« fragte Herr Cascabel.

»Zwanzigtausend Rubel.«

»Zwanzigtausend Rubel!...«

»Aber... unter der Bedingung... daß Sie ihn umtauschen... und zwar sofort umtauschen!... Sehen Sie... so

Und als würdiger Schüler Cäsar Cascabels that Herr Sergius einen so geschickten Taschenspielergriff, daß er den berühmten Goldklumpen durch eine Brieftasche ersetzte, die sich unversehens in den Händen des jungen Burschen befand.

»War das geschickt!« rief Herr Cascabel. »Ich sagte Ihnen ja, daß Sie erstaunliches Talent besitzen...«

»Was befindet sich in dieser Brieftasche?« fragte Cornelia.

»Der Kaufpreis für den Goldklumpen... O! nicht mehr als dieser... aber auch nicht weniger!« antwortete Herr Sergius.

In der That enthielt dieselbe einen Check von zwanzigtausend Rubeln auf die Gebrüder Rothschild in Paris.

Was war der Goldklumpen wert? War es wirklich Gold oder nur ein gewöhnlicher Kiesel, was der junge Xander aus dem kolumbischen Eldorado mitgebracht und so sorgfältig gehütet hatte? Diesen Punkt hat man niemals aufzuklären vermocht. Wie dem auch sei, Herr Cascabel mußte wohl oder übel dem Grafen Narkine aufs Wort glauben und hielt sich dafür an die Freundschaft des Herrn Sergius, welche er höher schätzte als den ganzen kaiserlichen Schatz Seiner Majestät des Zars!

Die Familie Cascabel blieb einen Monat lang in Rußland. Es war keine Rede mehr von dem Jahrmarkt zu Perm, noch von dem zu Nischni. Mußten doch die Eltern und Geschwister der Hochzeit Jeans und Kayettens anwohnen, welche mit großem Gepränge auf Schloß Walska gefeiert wurde!... Und niemals waren junge Eheleute von so vielen glücklichen Menschen umgeben.[346]

»Ach, Cäsar!... wer hätte das gedacht!...« sagte Cornelia, als sie aus der Schloßkapelle trat.

»Ich!...« antwortete Herr Cascabel einfach.

Acht Tage später nahmen Herr und Frau Cascabel, Napoleone und Clou-de-Girofle – den man nicht vergessen darf, da er wirklich schon zur Familie gehörte – vom Grafen Narkine sowohl, als von Jean und Kayette Abschied. Sie reisten nach Frankreich, aber per Eisenbahn, und führten die Belle-Roulotte als Eilgut mit sich, wenn's gefällig ist!

Die Rückkehr des Herrn Cascabel in seine Normandie war ein Ereignis. Cornelia und er wurden Großgrundbesitzer in der Umgegend von Pontorson und legten eine hübsche Mitgift für Xander und Napoleone zurück. Graf Narkine, Jean, der sein Sekretär geworden, und Kayette, die glücklichste der Frauen, kamen sie alljährlich auf »ihrem Schlosse« besuchen und wurden stets mit Jubel empfangen. Selbst die Dienstleute des Herrn Cascabel gerieten zu solchen Zeiten außer sich vor Freude.

Dies ist die treue Schilderung jener Reise, welche man zu den erstaunlichsten aller merkwürdigen Reisen zählen kann. Wie man sieht, endete sie gut!... Wie sollte es aber auch anders sein, wo es sich um eine so wackere Familie wie die Familie Cascabel handelte!


15. Capitel

Quelle:
Jules Verne: Das Karpathenschloß. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXI, Wien, Pest, Leipzig 1894.
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