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[114] Die Khanate der Bukharei und von Samarkand bildeten einst die von Tadjiks bewohnte persische Satrapie Sogdiane, in der sich gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts Usbeks festsetzten. Neuerdings hat man hier mit einem andern Ueberfall zu rechnen, nämlich mit dem durch den Sand, seit die zur Festlegung der Dünen bestimmten Saksauls fast ganz zerstört sind.[114]
Bukhara war die Hauptstadt des Khanats, das Rom des Islams, die vornehme Stadt, die Stadt der Tempel, der verehrte Mittelpunkt der mohammedanischen Religion. Es war die Stadt mit den sieben Thoren, die während ihrer Glanzzeit von einer langen Mauer umschlossen wurde und deren Handel mit China stets sehr beträchtlich war. Heute zählt sie achtzigtausend Einwohner.
Das erfahre ich von Major Noltitz, als ich ihn zu einem Besuche der Metropole, in der er wiederholt geweilt hat, aufforderte. Er wird mich nicht begleiten können, da er hier einige Besuche zu machen hat. Wir sollen um elf Uhr Morgens wieder abfahren. Nur fünf Stunden Aufenthalt, und dazu liegt die Stadt selbst ziemlich entfernt von der Station. Wäre die eine mit der andern nicht durch eine Decauville'sche Eisenbahn – die französische Bezeichnung für solche Nebenstrecken ist hier ganz gebräuchlich – verbunden, so fehlte es uns wahrlich an Zeit, auf Bukhara auch nur einen flüchtigen Blick zu werfen.
Wir verabreden, daß der Major mit mir bis zur Stadt fährt, dort wird er mich verlassen, um seinen Geschäften nachzugehen. Ich kann also nicht auf ihn rechnen. Werd' ich nun auf meine Person allein angewiesen sein? Könnte sich mir nicht eine meiner Nummern anschließen? ...
Lassen wir sie Revue passiren: Der Seigneur Farusklar? ... Der hat nur an den todten Mandarin Yen-Lou in seinem rollenden Katafalk zu denken. Fulk Ephrjuell und Miß Horatia Bluett? ... Diese fallen ganz allein weg, wenn es sich um Paläste, Minarets, Moscheen und andere archäologische Nichtse handelt. – Der Komiker und die Soubrette? ... Unmöglich, denn Frau Caterna ist ermüdet und Herr Caterna muß unbedingt an ihrer Seite bleiben. Die beiden Söhne des Himmlischen Reichs? ... Sie haben den Bahnhof bereits verlassen .... Ah, Sir Francis Trevellyan .... Warum denn nicht? Ich bin ja nicht Russe, und nur die Russen hat er auf dem Korn ... Ich habe doch Centralasien wahrlich nicht erobert .... Versuchen wir also, den so verschlossenen Gentleman zu öffnen. Ich nähere mich ihm ... will ihn anreden ... Er verneigt sich kaum, dreht sich auf den Absätzen herum und verschwindet. Dieser Hammel!
Die kleine Locomotive pfeift zum letztenmal zum Einsteigen. Der Major und ich springen in einen der offenen Waggons. Eine halbe Stunde später ist das Dervaze-Thor erreicht, der Major verläßt mich, und so schlendere ich nun allein durch die Straßen von Bukhara.
Wollte ich meinen Lesern des »XX. Jahrhundert« sagen, ich hätte die hundert Gelehrtenschulen der Stadt besucht oder die dreihundert Moscheen –[115] fast ebensoviel wie Rom Kirchen zählt – sie würden mir's doch nicht glauben, trotz des Vertrauens, dessen die Reporter gewiß so würdig sind. Ich werde mich also an die nackte Wahrheit halten.
Beim Durchlaufen der Straßen bin ich auf gut Glück in jene, unterwegs schon wiederholt gesehenen Gebäude eingetreten, in die Bazare. Hier befindet sich ein solcher, wo Baumwollenstoffe mit scharf abstechenden Farben, sogenannte »Aladjas«, verkauft werden, ferner Taschentücher, so leicht wie Spinnengewebe, vortrefflich zugerichtetes Leder, Seidenzeuge, deren Knistern man hier in bukhariotischer Mundart »Tchakhtchukh« nennt – ein Name, den Meilhac und Halévy ihrer berühmten Heroine glücklicherweise nicht beigelegt haben. Hier ist ein Laden, wo man sich mit sechzehn Sorten Thee versehen kann, von denen elf grüne Thees sind, die einzigen die in China und Centralasien genossen werden, und unter andern der am meisten geschätzte »Luka«, von dem ein einziges Blatt hinreicht, eine ganze Theemaschine zu parfümiren.
Weiter spaziere ich längs des Quais der Reservoire von Divanbeghi hin, die die eine Seite eines mit Ulmen bepflanzten viereckigen Platzes einnehmen. Unsern davon erhebt sich die »Arche«, der befestigte Palast des Emirs, dessen Thor durch eine moderne Uhr geschmückt wird. Arminius Vambéry hat diesen Palast von düsterem Aussehen gefunden, und ich stimme ihm darin bei, obgleich die zur Vertheidigung des Eingangs bestimmten Bronzekanonen mehr künstlerisch, als verderbendrohend erscheinen. Vergessen wir nicht, daß die bukharischen Soldaten, die in weißen Beinkleidern, schwarzem Rocke, Astrachanmützen und hohen Stiefeln durch die Straßen ziehen, von russischen, reich mit Goldschnüren geschmückten Officieren befehligt werden.
Zur Rechten und nahe dem Palaste erhebt sich die größte Moschee der Stadt, die Moschee des Mesdjidi-Kelan, die einst von Abdullah-Khan-Sheibani erbaut wurde. Das ist eine ganze Welt von Kuppeln, Glockenthürmchen und Minarets – dicht bewohnt von Störchen, deren es in der Stadt Tausende giebt.
Immer auf Abenteuer ausgehend, gelange ich bis zum Ufer des Zaraschaue im Nordosten der Stadt. Sein frisches klares Wasser säubert etwa wöchentlich einmal die Canäle. Die hygienische Zuströmung hat soeben begonnen.
Männer, Frauen, Kinder, Hunde, Zweifüßer und Vierfüßer baden hier in lärmendem Durcheinander, das zu schildern meine Feder nicht hinreicht und wofür es wohl kaum ein zweites Beispiel giebt.[116]
Ich halte mich nun in südwestlicher Richtung nach dem Mittelpunkte der Stadt zu und begegne dabei Gruppen von Derwischen mit spitzen Mützen, den großen Stock in der Hand, das Haar im Winde flatternd, die zuweilen stehen bleiben, um einen Tanz aufzuführen, den selbst die verwöhntesten Stammgäste des Elysée-Montmartre beklascht hätten, während eine abgeleierte Melodie ihre charakteristischen Schritte regelt.
Auch den Büchermarkt hab ich flüchtig besucht. Diesen bilden nicht weniger als sechsundzwanzig Buden, wo Druckwerke und Manuscripte – nicht nach dem Gewichte wie der Thee oder nach der Metze wie die Gemüse, sondern – gegen klingende Münze verhandelt werden. Was die »Medresses« angeht – jene Gelehrtenschulen, denen Bukhara einen sehr weitreichenden Ruhm verdankt, muß ich gestehen, keine einzige aufgesucht zu haben. Abgemattet, ganz zerschlagen, setze ich mich unter den Ulmen des Divanbeghi-Quais nieder. Hier sieden unausgesetzt ungeheure Samovars, und für einen »Tenghe« (etwa zweiundfünfzig Pfennig) erquicke ich mich mit einem »Shivin«, einem ganz vortrefflichen Thee, mit dem sich der, den wir in Europa trinken gar nicht vergleichen läßt, denn letzterer soll schon im Himmlischen Reiche – zum Teppichreinigen gedient haben.
Das ist die einzige lebendige Erinnerung, die ich aus dem turkestanischen Rom bewahrt habe. Kann man hier übrigens nicht einen Monat lang verweilen, so ist es besser, man beschränkt sich gleich nur auf wenige Stunden.
Um einhalbelf Uhr und nachdem ich den Major Noltitz bei der Abfahrt des Verbindungsbahnzugs wieder getroffen, steige ich im Bahnhof aus, dessen Magazine mit bukhariotischen Baumwollenballen und mit mervischer Wolle vollgepfropft sind.
Mit einem Blicke erkenne ich, daß alle meine Nummern – bis auf den deutschen Baron – auf dem Perron vereinigt sind. Am Ende des Zuges halten die Perser, scheinbar recht heiter gestimmt, bei dem Mandarinen Yen-Lou Wache. Mir scheint, daß drei von den Mitreisenden jene mit auffallender Neugier betrachten; es sind das jene Mongolen mit dem verdächtigen Aussehen, die wir in Duchak aufgenommen haben. Beim Vorüberkommen an denselben glaub' ich sogar zu bemerken, daß der Seigneur Farusklar ihnen ein Zeichen macht, das ich freilich nicht verstehe. Kennt er sie denn? ... Wie dem auch sei, die Sache beunruhigt mich ein wenig.
Kaum ist der Zug wieder in Gang, da besetzen die Reisenden schon wieder den Dining-car. Die Plätze neben denen, die der Major und ich selbst im[117] Beginne der Fahrt eingenommen haben, sind leer und der vom Doctor Tio-King begleitete junge Chinese benutzt das, um sich uns zu nähern. Pan-Chao weiß, daß ich zur Redaction des »XX. Jahrhundert« gehöre, und er hat offenbar ebenso Verlangen, mit mir zu plaudern, wie ich mit ihm.
Ich habe mich nicht getäuscht, das ist ein richtiger Boulevard-Pariser in chinesischer Tracht. Er hat sich drei Jahre in der Welt, in der man sich belustigt, und auch in der, wo man sich ausbildet, aufgehalten. Der einzige Sohn eines chinesischen Kaufmanns in Peking, ist er unter den schützenden Fittichen jenes Doctors Tio-King gereist und reist noch immer so. Der schnurrige, sogenannte Doctor Tio-King ist vernarrt in alle die Magots und Gogos, über die sein Zögling so gern spöttelt, und seit Jener am Fuße der Seine den alten Schmöker von Cornaro entdeckt hat, ist er eifrig bemüht, seine gesammte Lebensweise nach der »Kunst, lange Zeit in vollkommener Gesundheit zu leben« einzurichten. Dieses Urbild eines Stock-Chinesen vertieft sich in die strengen Vorschriften des edlen, Venetianers über das richtige Maß im Essen und Trinken, den Speisezettel, der jeder Jahreszeit angepaßt ist, die Nüchternheit als Hilfsmittel zur Kräftigung des Geistes, die Unmäßigkeit, die so viel Uebel bringt, über die Mittel, ein schlechtes Temperament zu bessern und sich bis ins höchste Alter der vortrefflichsten Gesundheit zu erfreuen u.s.w. Pan-Chao scherzt darüber ohne Unterlaß und neckt das Männchen in grausamer Weise, der gelehrte Doctor scheint davon aber gar nicht getroffen zu werden.
Noch bei diesem Frühstück konnten wir einige Proben seiner Monomanie beobachten, denn der Doctor wie sein Schüler drücken sich im reinsten Französisch aus:
»Ehe wir an die Mahlzeit gehen, sagt Pan-Chao, zählen Sie mir, lieber Doctor, alle Grundregeln auf, um das rechte Maß im Essen und Trinken zu finden.
– Deren giebt es sieben, mein junger Freund, antwortet Tio-King höchst ernsthaft. Die erste lautet, daß man nur so viel Nahrung zu sich nehmen darf, daß man gleich nachher sich ohne Unbehagen geistiger Arbeit hingeben kann.
– Und die zweite? ...
– Die zweite ist die, nur so viel Nahrung zu verzehren, daß man hinterher keine Anfüllung, keine Schwere und keine körperliche Erschlaffung empfindet. Die dritte ...[118]
– Na, für heute wollen wir uns damit begnügen, wenn's Ihnen recht ist, Doctor, unterbricht Pan-Chao die Vorlesung. Da ist ein gewisser ›Maintuy‹, der mir höchst verlockend aussieht, und ...
– Nehmen Sie sich in Acht, lieber Schüler! Dieses Gericht ist eine Art Pudding aus gehacktem und mit Fett und Gewürzen gemengtem Fleisch .... Ich fürchte, es ist zu schwer verdaulich ...
– Deshalb rathe ich Ihnen, Doctor, nicht davon zu essen. Was mich betrifft, werd' ich dem Beispiel jener Herren da folgen« Das thut denn Pan-Chao auch – und zwar mit Recht, denn der Maintuy ist köstlich – während der Doctor Tio-King sich mit den allerleichtesten Speisen der Karte begnügt. Nach Aussage des Major Noltitz sollen diese Maintnys in Fett gedämpft noch weit schmackhafter sein. Das dürfte wohl zutreffen, denn sie erhalten dann den Namen »Zenbusis«, und das bedeutet »Frauenküsse«.
Da Herr Caterna sein Bedauern über das Fehlen dieser »Zenbusis« auf der Frühstücksspeisekarte ausspricht, beeile ich mich zu sagen:
»Solche Zenbusis findet man übrigens auch noch anderwärts, als in Centralasien!«
Auf diese Bemerkung fällt Pan-Chao rasch mit den Worten ein:
»Gewiß; in Paris bereitet man sie am vorzüglichsten.«
Ich sehe mir den jungen Sohn des Himmels an. Mit welchem Appetit der arbeitet .... Der Doctor freilich verschont ihn deshalb auch nicht mit seinen Bemerkungen über »die unmäßige Consumtion seiner Körperkräfte, der er sich damit aussetzt«.
Wir frühstücken indessen in bester Stimmung weiter. Das Gespräch wendet sich den Arbeiten der Russen in Asien zu. Pan-Chao scheint mir über ihre Fortschritte genau unterrichtet zu sein. Sie haben nicht allein die Transcaspische Bahn erbaut, sondern es ist jetzt auch die seit 1888 vorbereitete Transsibirische Bahn in Ausführung begriffen und bereits ziemlich weit vorgeschritten. An Stelle der erstgeplanten Linie über Iscim, Omsk, Tomsk, Krasnojarsk, Nijni-Usimsk und Irkutsk hat man eine andre mehr südliche gesetzt, die über Orenburg, Akmolinsk, Minussinsk, Abatui und Vladivostock verläuft. Nach Vollendung des sechstausend Kilometer langen Schienenstranges wird St. Petersburg nur noch sechs Tagereisen vom Japanischen Meere entfernt liegen. Und diese, die Nordamerikanische Pacificbahn an Länge übertreffende Strecke wird nur siebenhundert Millionen kosten.[119]
Es liegt auf der Hand, daß diese Unterhaltung über die eifrige Arbeit der Moskowiten Sir Francis Trevellyan nicht im geringsten gefallen kann.
Obwohl er kein Wort fallen läßt und die Augen gar nicht von dem Teller abwendet, steigt doch schon eine leise Zornesröthe in sein englisches Gesicht.
»O, meine Herren, sage ich, das, was wir sehen, ist noch gar nichts gegen das, was unsere Enkel dereinst noch sehen werden. Heute fahren wir in einem durchgehenden Zuge der Groß-Transasiatischen Bahn, welche sich an die Groß-Transafrikanische anschließen wird ....
– Wie könnte denn Asien durch eine Eisenbahn mit Afrika verbunden werden? fragt Major Noltitz.
– Nun auf dem Wege durch Rußland, die Türkei, Oesterreich, Italien, Frankreich und Spanien. Dann gelangen die Reisenden ohne Wagenwechsel vom Cap der Guten Hoffnung bis nach Peking.
– Und die Meerenge von Gibraltar?«, wirst Pan-Chao ein.
Bei Nennung dieses Wortes spitzt Sir Francis Trevellyan die Ohren. Sobald von Gibraltar gesprochen wird, scheint das ganze Vereinigte Königreich von einem mittelmeer-patriotischen Schrecken ergriffen zu werden.
»Nun ja, Gibraltar? wiederholt der Major.
– Man geht einfach unter diesem weg. Ein Tunnel von fünfzehn Kilometern, ist das so etwas besonderes? Da wird kein englisches Parlament vorhanden sein, um kleinlichen Widerspruch zu erheben, wie das jetzige gegen den Tunnel zwischen Calais und Dover! Das wird Alles noch einmal ausgeführt werden, und dann den Vers bestätigen:
Omnia jam fieri quae posse negabam.«
Mein lateinisches Citat scheint außer dem Major von Niemand verstanden zu werden, denn ich höre Herrn Caterna zu seiner Gattin sagen:
»Merkst Du, das ist Volapük.
– Sicher ist jedenfalls, fährt Pan-Chao fort, daß es dem Kaiser von China sehr nahe gelegt ist, die Hand lieber den Russen als den Engländern zu bieten. Statt sich darauf zu versteifen, strategische Bahnen durch die Mandschurei zu bauen, was der Czar niemals bewilligt haben würde, hat der Sohn des Himmels es vorgezogen, sich mit der Transcaspischen Bahn durch China und das chinesische Turkestan in Verbindung zu setzen.[120]
– Und das war klug von ihm, erklärt der Major. Mit den Engländern hätte er nur Indien mit Europa verknüpft. Mit den Russen im Verein hat er eine Verbindung durch das ganze Festland Asiens hergestellt.«
Ich sehe Sir Francis Trevellyan an .... Die Farbe seiner Backenknochen wird dunkler, er muckst aber nicht. Ich frage mich, ob diese Angriffe in einer Sprache, die er recht gut versteht, ihm nicht endlich die Zunge lösen werden. Und doch, hätt' ich darauf oder dagegen wetten sollen, ich wäre in größter Verlegenheit gewesen.[121]
Der Major Noltitz nimmt das Gespräch wieder auf, indem er die unbestreitbaren Vorzüge der Groß-Transasiatischen Bahn vom Gesichtspunkte der Handelsbeziehungen zwischen Rußland und Europa darlegt, und die Sicherheit und Schnelligkeit der Verbindung erwähnt. Der alte Haß und Widerwillen schmilzt unter dem zunehmenden Einflusse Europas hin. Es ist eine große neue Zeit, die für diese Völker anbricht, und schon deshalb verdient das Werk der Russen den Beifall aller civilisirten Nationen. Wie schön haben sich die Worte bestätigt, die Skobeleff nach der Einnahme von Gheok-Tepe sprach, als die Besiegten eine harte Behandlung durch die Sieger fürchteten: »In der Politik Centralasiens kennen wir keine Parias!«
»Und diese Politik, schließt der Major seine Worte, sichert uns die Ueberlegenheit gegenüber England.
– Den Engländern kann gar Niemand überlegen sein!«
Diese Erwiderung erwartete ich von Sir Francis Trevellyan – ein Satz, den die Gentlemen des Vereinigten Königreiches, wie man behauptet, schon aussprechen, wenn sie auf die Welt kommen .... Doch nichts dergleichen.
Als ich mich aber erhob, um einen Toast auf den Kaiser von Rußland und die Russen, den Kaiser von China und die Chinesen auszubringen, da stürmt, jedenfalls vom Ingrimm übermannt, Sir Francis Trevellyan vom Tische weg. Heute werde ich also schwerlich erfahren, wie seine Stimme überhaupt klingt.
Selbstverständlich hat sich während dieses Gesprächs der Baron Weißschnitzerdörser ausschließlich damit beschäftigt, jede Schüssel zu plündern – und das zum Entsetzen des Doctor Tio-King – da sitzt also ein Deutscher, der die Vorschriften Cornaro's niemals gelesen hat, und wenn das der Fall war, der sich in der maßlosesten Weise darüber hinwegsetzt. Uebrigens ist er vielleicht der französischen Sprache nicht mächtig und hat nichts von unserem Gespräche verstanden.
Das ist, wie ich mir denke, wohl auch die Ursache, daß der Seigneur Farusklar und Ghangir daran nicht theilgenommen haben. Beide haben kaum einige Worte in chinesischer Sprache gewechselt.
Ich muß hier jedoch eine merkwürdige Einzelheit anführen, die auch dem Major nicht entgangen ist.
Ueber die Sicherheit des Verkehrs auf der Groß-Transasiatischen Bahn quer durch Asien befragt, gestand uns Pan-Chao ein, daß diese jenseits der[122] Grenze von Turkestan doch nicht so besonders bestellt sei. Das hatte mir der Major Noltitz ja ebenfalls gesagt, und es veranlaßte mich, den jungen Chinesen zu fragen, ob er nicht vor seiner Abreise nach Europa von dem berüchtigten Ki-Tsang gehört habe.
»Oft genug, antwortet er mir, denn Ki-Tsang hauste damals in den Provinzen von Yunnan, und ich hoffe, daß wir ihm nicht auf unsrer Fahrt begegnen.«
Jedenfalls hatte ich den Namen des berüchtigten Banditen nicht ganz richtig ausgesprochen, denn ich konnte Pan-Chao kaum verstehen, als er denselben in seiner Muttersprache articulirte.
Unzweifelhaft kann ich aber behaupten, daß der Seigneur Farusklar in dem Augenblicke, wo jener Name wiederholt wurde, die Brauen zusammenzog und daß seine Augen einen Blitz hervorschleuderten Nachdem er dann seinen Begleiter angesehen, verfiel er wieder in die gewohnte Theilnahmlosigkeit gegen Alles, was um ihn vorging und gesprochen wurde.
Entschieden würde ich einige Schwierigkeiten haben, mit dieser Person näher bekannt zu werden. Diese Mongolen sind verschlossen wie Panzerschränke mit Vexirschloß, und wer das richtige Wort nicht kennt, vermag sie nicht zu öffnen.
Inzwischen sauste der Zug mit ungeheurer Schnelligkeit weiter. Gewöhnlich braucht er nämlich zur Fahrt durch die elf Stationen zwischen Bukhara und Samarkand einen ganzen Tag. Diesmal legte er die zweihundert Kilometer zwischen den beiden Städten binnen drei Stunden zurück und lief um zwei Uhr Mittags in die berühmte Stadt Tamerlan's ein.
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