[149] Am nächsten Tage lagen drei Männer lang ausgestreckt neben einer Feuerstätte, auf der eben die letzten Kohlen verglommen. Ueberwältigt von der Müdigkeit und außer stande, dem Schlafe zu widerstehen, waren alle drei, nachdem sie ihre am Feuer getrockneten Kleider wieder angelegt hatten, in halber Betäubung eingeschlummert.
Doch welche Zeit war es jetzt und war es überhaupt Tag oder Nacht? Keiner von ihnen hätte es sagen können. Nach der seit gestern verflossenen Zeit[149] zu urtheilen, ließ sich jedoch annehmen, daß die Sonne über dem Horizont stehen müsse. Wo lag aber die Ostseite? Wäre diese Frage gestellt worden, so wäre sie unbeantwortet geblieben.
Befanden sich die drei Männer etwa in einer Höhle, an einer Stelle, die kein Lichtstrahl erreichen konnte?
Nein; rings um sie standen zahllose Bäume so dicht bei einander, daß man höchstens einige Meter weit sehen konnte. Auch während das Feuer noch hell brannte, wäre es unmöglich gewesen, zwischen den dicken Stämmen und den. sie verbindenden Lianen einen für Fußgänger brauchbaren Steg zu entdecken. Die unteren Aeste der Bäume breiteten sich erst in der Höhe von etwa fünfzig Fuß aus. Darüber war das Laub bis zu den höchsten Wipfeln so dicht, daß weder das Flimmern der Sterne noch die Strahlen der Sonne hindurchdringen konnten.
Ein Kerker hätte nicht finsterer, sein Mauerwerk nicht undurchdringlicher sein können, und doch befand man sich hier nur unter den Baumriesen des großen Waldes.
In den drei Männern wird der freundliche Leser wohl John Cort, Max Huber und Khamis wieder erkannt haben.
Wie in aller Welt es gekommen sei, daß sie sich jetzt an dieser Stelle befanden, wußte keiner von ihnen zu sagen. Nach der Zertrümmerung des Flosses an der Felsenbarre, auf die sie sich nicht hatten retten können, waren sie in das dahinjagende Wasser gerissen worden, wußten aber von gar nichts, was nach diesem Unfalle geschehen sein mochte, ebensowenig, wem der Foreloper und seine Gefährten ihre Rettung verdankten und wer sie, bevor sie das Bewußtsein wieder erlangten, nach diesem dichten Theil des Waldes geschafft hätte.
Leider waren nicht alle dem Unheile entgangen. Einer fehlte: das Adoptivkind John Cort's und Max Huber's, der arme Llanga, und außer diesem das kleine Wesen, das der Knabe früher erst selbst einmal gerettet hatte... und wer konnte wissen, ob er nicht bei dem Versuche, dieses nochmals zu retten, elend umgekommen wäre?
Jetzt besaßen Khamis, John Cort und Max Huber weder Munition noch Gewehre und auch keine sonstigen Hilfsmittel, außer ihrem Taschenmesser und dem kleinen Beile, das der Foreloper immer im Gürtel trug. Ebenso war ihr Floß verloren, und sie wußten auch nicht, wohin sie sich wenden sollten, um wieder an den Rio Johausen zu kommen.[150]
Die wichtige Frage der Ernährung machte nun ungeahnte Schwierigkeiten, denn an Jagdbeute war ja gar nicht mehr zu denken. Khamis, John Cort und Max Huber sahen sich für die folgende Zeit auf Wurzeln und wilde Früchte, jedenfalls auf kaum zulängliche und obendrein unsichere Hilfsquellen angewiesen. Da stand ihnen doch die Aussicht, Hungers zu sterben, in erschreckender Nähe.
Ihnen winkte noch eine Frist von zwei bis drei Tagen, denn für diesen Zeitraum hatten sie noch Nahrungsmittel zur Hand, da sich die Ueberreste des Büffels hier wunderbarerweise vorfanden. Nachdem sie einige, bereits gekochte Stücke davon verzehrt hatten, waren sie um das dem Erlöschen nahe Feuer eingeschlafen.
John Cort erwachte als erster inmitten einer Finsterniß, die auch in der Nacht hätte keine tiefere sein können. Seine Augen gewöhnten sich jedoch allmählich daran und er erkannte zur Noth Max Huber und Khamis, die am Fuße der Bäume lagen. Ehe er sie weckte, bemühte er sich, das Feuer wieder anzuschüren, indem er die unter der Asche glimmenden Zweigenden näher zusammenschob. Dann raffte er einen Arm voll dürres Holz und trockenes Gras zusammen, und bald warf eine lodernde Flamme ihren Schein über die Lagerstatt.
»Nun – so sprach John Cort für sich – heißt es: überlegen, wie wir von hier wegkommen.«
Das Flackern des Feuers erweckte auch sehr bald Max Huber und Khamis. Beide erhoben sich fast gleichzeitig. Sie kamen schnell zur Erkenntniß ihrer Lage und thaten, was allein angezeigt war: sie berathschlagten, was zunächst zu thun sei.
»Wo sind wir denn überhaupt? fragte Max Huber.
– Da, wohin uns irgendwer geschafft hat, antwortete John Cort, und daraus folgt, daß wir gar nichts von dem wissen, was seit...
– Etwa seit einer Nacht und einem Tage geschehen ist, fiel Max Huber ein. War es denn wirklich gestern, wo unser Floß an der Barre zerschellte?... Haben Sie darüber ein Urtheil, Khamis?«
Statt jeder Antwort schüttelte der Foreloper nur mit dem Kopfe. Auch ihm war es ja unmöglich, die inzwischen verflossene Zeit anzugeben oder zu sagen, in welcher Weise ihre Rettung überhaupt zustande ge kommen sei.
»Und Llanga? fragte John Cort. Der ist sicherlich umgekommen, da er nicht bei uns ist. Die, die uns gerettet haben, haben ihn jedenfalls der Stromschnelle nicht entreißen können.[151]
– Armes Kind, seufzte Max Huber, er war uns so aufrichtig zugethan!... Wir liebten ihn und hätten ihm so gern ein glückliches Leben bereitet. Erst aus den Händen der Denkas gerettet, und nun... armes Kind!«
Die beiden Freunde hätten gewiß nicht gezögert, ihr Leben für das Llangas zu wagen. Doch auch sie waren nahe daran gewesen, in dem brodelnden Wasser zu ertrinken, und sie wußten nicht, wem sie ihre Rettung verdankten.
Es bedarf kaum der Erwähnung, daß sie an das seltsame Geschöpf, das der junge Eingeborne aus dem Wasser gezogen hatte, kaum noch dachten. Das war jedenfalls mit dem Knaben umgekommen. Jetzt drängten sich ihnen ganz andere Fragen auf... Fragen von ernsterer Bedeutung, als jenes anthropologische Problem betreffs eines Typus, der zwischen Mensch und Affe lag.
John Cort fuhr fort:
»Soviel ich auch nachsinne, erinnere ich mich doch keines Umstandes nach dem Anprallen an den Steindamm. Nur kurz vorher glaubte ich noch Khamis gesehen zu haben und wie er unsere Waffen und Geräthe auf die Felsblöcke warf.
– Ganz recht, bestätigte Khamis, und es ist ein großes Glück, daß diese Gegenstände nicht in den Rio gefallen sind. Gleich nachher...
– Gleich nachher, fiel Max Huber ein, als wir ganz nahe daran waren, verschlungen zu werden, glaubte ich... ja, da glaubte ich, Menschen zu bemerken...
– Ja, ja... mehrere Menschen, fiel John Cort lebhaft ein, Eingeborne, die Zeichen gebend und schreiend nach der Barre eilten...
– Sie haben Eingeborne gesehen? fragte der Foreloper höchst erstaunt.
– Etwa ein Dutzend, versicherte Max Huber, und zweifellos sind diese es gewesen, die uns aus dem Rio gezogen haben.
– Ferner haben dieselben uns, setzte John Cort hinzu, bevor wir wieder zu uns kamen, hierher geschafft und die Reste unseres Mundvorraths obendrein. Nachdem sie dann ein Feuer angezündet hatten, müssen sie sich beeilt haben, zu verschwinden.
– Und sie sind so gründlich verschwunden, sagte Max Huber, daß wir von ihnen keine Fährte entdecken können. Das beweist, daß sie auf einen Dank von uns verzichteten.
– Geduld, mein lieber Max, entgegnete John Cort, möglicherweise halten sie sich doch noch in der Nähe unserer Lagerstatt auf. Es läßt sich ja kaum[152] annehmen, daß sie uns hierher geführt hätten, um uns nachher völlig im Stich zu lassen.
– Hierher! Wohin denn? rief Max Huber. Daß es im Walde von Ubanghi ein solches Baumdickicht giebt, übersteigt doch jede Vorstellung!... Wir befinden uns ja hier in der schlimmsten Finsterniß...
– Zugegeben, doch ist es denn jetzt draußen Tag?« bemerkte John Cort.
Diese Frage sollte bald eine Lösung im bejahenden Sinne finden. So dicht und dunkel das Blätterdach auch war, bemerkte man doch über den Gipfeln[153] der hundert bis hundertfünfzig Fuß hohen Bäume da und dort ein Stückchen hellen Himmels. Es unterlag also keinem Zweifel, daß die Sonne jetzt das Land umher beleuchtete. Die Uhren Max Huber's und John Cort's, in die Wasser eingedrungen war, konnten die Stunde nicht mehr anzeigen. Man konnte also nur noch nach dem jeweiligen Stande der Sonne rechnen, und dazu war es fraglich, ob ihre Strahlen je durch das dichte Gezweig unmittelbar sichtbar würden.
Während die beiden Freunde derlei Fragen erörterten, ohne sie zuverlässig beantworten zu können, hatte Khamis ihnen zugehört, doch kein Wort dazu gesagt. Er hatte sich erhoben und ging auf dem beschränkten Raume, den die mächtigen Bäume frei ließen und der überdies durch ein Gewirr von Lianen und stachligem Sisiphus begrenzt war, nachdenklich hin und her. Gleichzeitig suchte er durch die Lücken zwischen den Aesten ein Stückchen freien Himmel zu entdecken und bemühte sich, seinen Orientierungssinn wachzurufen, der sich jetzt so nützlich erweisen konnte, wie noch niemals vorher. War er schon früher durch die Waldungen des Congo und die von Kamerun gezogen, so hatte er sich doch niemals in einem so undurchdringlichen Waldgebiete befunden, wie heute hier. Dieser Theil des großen Waldes ließ sich gar nicht vergleichen mit dem, durch den seine Gefährten und er bis an den Rio Johausen gewandert waren. Von dem Punkte aus, wo sie den Fluß erreicht hatten, waren sie in der Hauptsache nach Südwesten zu gefahren, doch wo war Südwesten jetzt zu suchen und sollte der Instinct ihres Khamis ihnen darüber Aufklärung geben?
Gerade als Max Huber, der seine Unklarheit darüber errieth, den Foreloper fragen wollte, wendete sich dieser selbst an ihn mit den Worten:
»Herr Max, Sie sind sich also sicher, bei der Barre Eingeborne bemerkt zu haben?
– Ganz sicher, Khamis; in dem Augenblicke, wo das Floß an die Felsblöcke stieß.
– Und auf welchem Ufer?
– Auf dem linken.
– Besinnen Sie sich recht, war es auf dem linken?
– Ja, auf dem linken Ufer.
– Dann wären wir jetzt also auf der Ostseite des Rio.
– Ohne Zweifel, stimmte John Cort ein, und folglich im tiefsten Theile des Waldes. Doch in welcher Entfernung vom Rio Johausen?[154]
– Diese Entfernung kann nicht sehr groß sein, meinte Max Huber. Sie auf einige Kilometer zu schätzen, dürfte schon übertrieben sein. Es ist doch ganz ausgeschlossen, daß unsere Retter, wer sie auch sein mögen, uns sehr weit fortgeschafft haben sollten.
– Ich bin auch der Ansicht, ließ sich Khamis vernehmen, daß der Rio nicht weit von hier sein kann. Uns muß vor allem daran liegen, ihn wieder zu finden, und sobald wir ein neues Floß gebaut haben, unsere Fahrt unterhalb der Barre fortzusetzen.
– Wovon sollen wir uns aber bis dahin und später auf der Fahrt bis zum Ubanghi ernähren? warf Max Huber ein. Eßbares Wild können wir doch nicht mehr erlegen.
– Und außerdem, setzte John Cort hinzu, auf welcher Seite sollen wir denn den Rio Johausen suchen? Zugegeben, daß wir auf das linke Ufer gebracht worden waren; da es uns aber unmöglich ist, eine bestimmte Himmelsgegend zu erkennen, wer kann da sagen, ob wir den Rio in dieser oder in jener Richtung suchen sollen?
– Und zunächst, sagte Max Huber, wie und wo können wir aus diesem Dickicht herauskommen?
– Dort!« antwortete der Foreloper.
Er zeigte dabei nach einem Riß in dem Lianennetze, durch den er und seine Gefährten jedenfalls nach dieser Stelle gebracht worden waren. Weiter draußen war ein dunkler und gewundener Pfad zu erkennen, der gangbar zu sein schien.
Wohin dieser Pfad, und ob er vielleicht nach dem Rio führte, war natürlich ganz ungewiß. Er konnte sich ja auch mit anderen kreuzen, was die Gefahr nahe legte, sich in diesem Labyrinth noch mehr zu verirren. Und was blieb nach achtundvierzig Stunden an Nahrungsmitteln übrig, wenn der Rest des Büffels verzehrt war?...
Was sollte dann geschehen?... Für Löschung des Durstes sorgten ja die hier so häufigen Regenfälle, so daß man in dieser Hinsicht nichts zu befürchten brauchte.
»Auf jeden Fall, bemerkte John Cort, kommen wir nicht aus der Verlegenheit, wenn wir hier wie angewurzelt stehen bleiben. Fort müssen wir... hier oder dorthin... aber fort... fort von hier!
– Vorher wollen wir wenigstens erst etwas essen,« sagte Max Huber.[155]
Etwa ein Kilogramm Fleisch wurde nun in drei gleiche Stücke getheilt, und jeder mußte sich mit der dürftigen Mahlzeit begnügen.
»Und wenn man bedenkt, äußerte Max Huber, daß wir nicht einmal wissen, ob wir jetzt ein Frühstück oder ein Mittagessen verzehren?
– Das ist gleichgiltig, meinte John Cort, der Magen bekümmert sich nicht um solche Unterscheidungen.
– Mag sein, er verlangt aber nach einem Trunke, der Magen, und ein paar Tropfen aus dem Rio Johausen würde ich jetzt den edelsten Weinsorten Frankreichs vorziehen!«
Während des Essens waren alle wieder schweigsam geworden. Die herrschende Dunkelheit machte einen beunruhigenden, quälenden Eindruck. Die mit der feuchten Ausdünstung des Erdbodens gesättigte Luft erschien unter dem Laubdache besonders drückend. In der Umgebung, durch die, wie es schien, nicht einmal ein Vogel fliegen konnte, war kein Schrei, kein Ton, kein Flügelschlag zu hören. Höchstens erstarb zuweilen das Geräusch von einem herabfallenden morschen Zweige bei Aufschlagen auf den Teppich schwammähnlicher Moose. der zwischen den Stämmen die Erde bedeckte. Ganz selten ließ sich etwas wie ein schrilles Pfeifen vernehmen, oder ein Rascheln in trockenen Blättern, wenn kleine, kaum über einen halben Meter lange und zum Glück harmlose Schlangen durch diese hinhuschten. Insecten schwirrten wie gewöhnlich umher und waren mit ihren Stichen auch nicht sparsam.
Nach beendeter Mahlzeit erhoben sich alle von der Erde.
Khamis nahm den letzten Rest Büffelfleisch mit und wandte sich dann nach der Oeffnung zwischen den Lianen.
Noch mehrmals rief Max Huber so laut wie möglich nach dem jungen Eingebornen.
»Llanga!... Llanga!... Llanga!«
Vergeblich, nicht einmal ein Echo wiederholte den Namen des Knaben.
»Nun vorwärts!« sagte der Foreloper.
Er schritt den anderen voran.
Kaum hatte er aber den Fuß auf den erwähnten Pfad gesetzt, da rief er schon:
»Ein Licht!«
Max Huber und John Cort eilten ihm nach.
»Etwa die Eingebornen?... fragte der eine.[156]
– Das werden wir ja erfahren,« erwiderte der andere.
Das Licht – höchstwahrscheinlich eine brennende Fackel – leuchtete einige hundert Schritt vor ihnen in der Richtung des Wildpfades. Es erhellte den Wald nur auf einem sehr beschränkten Umkreise und warf einen lebhaften Schein hinauf nach dem hohen Blätterdache.
Wohin bewegte sich der Träger dieser Fackel?... War er allein?... Hatte man einen Angriff zu erwarten oder auf Hilfe zu hoffen?
Khamis und die beiden Freunde zögerten keinen Augenblick, weiter in den Wald einzudringen.
So vergingen zwei bis drei Minuten.
Die Fackel blieb an ihrer Stelle.
Sollte der helle Schein etwa nur von einem Irrlichte herrühren?... Doch nein, dagegen sprach seine Unbeweglichkeit.
»Was beginnen wir nun? fragte John Cort.
– Wir gehen auf das Licht zu, da es nicht zu uns kommt, antwortete Max Huber.
– Also weiter!« sagte Khamis.
Der Foreloper that auf dem Pfade einige Schritte vorwärts. Sofort begann die Flamme sich zu entfernen, offenbar mochte deren Träger bemerkt haben, daß die drei Fremdlinge sich in Bewegung gesetzt hatten. Es sah fast aus, als wolle er ihnen auf dem Wege durch das Waldesdunkel voranleuchten und sie nach dem Rio Johausen oder nach einem anderen Zuflusse des Ubanghi geleiten.
Jetzt war keine Zeit zu einer Ueberlegung. Es galt zunächst, jenem Lichte zu folgen und womöglich einen Weg nach Südwesten bestimmt wieder zu finden.
So schritten sie denn auf dem schmalen Pfade weiter über einen Boden, wo durch Menschen oder Thiere die Gräser seit längerer Zeit niedergetreten, die Lianen zerrissen und die Gesträuche auseinandergedrängt zu sein schienen.
Ohne von den Bäumen zu reden, die Khamis und seine Gefährten bisher schon zu Gesicht gekommen waren, fanden sich hier auch seltenere Arten, wie die »Gura crepitans« mit explodierenden Früchten – wie man von solchen nur unter der Familie der Euphorbiaceen Amerikas etwas wußte – deren zarte Schale einen milchartigen Stoff umhüllt und deren Nüsse mit starkem Geräusch zerplatzen, wodurch sie die Samenkerne weithin ausstreuen; ferner den »Tsofar«, den Pfeiferbaum, zwischen dessen Zweigen der Wind wie durch einen schmalen[157] Spalt hindurchpfiff, und über dessen Vorkommen bisher nur aus den nubischen Wäldern berichtet wurde.
John Cort, Max Huber und Khamis marschierten so gegen drei Stunden lang weiter, und als sie nach dieser beschwerlichen Wanderung Halt machten, blieb gleichzeitig das Licht still stehen.
»Entschieden ist das ein Führer, erklärte Max Huber, ein höchst gefälliger Führer!... Wenn wir nur wüßten, wohin er uns geleiten will.
– Mag er uns nur aus diesem Labyrinth führen, antwortete John Cort, mehr verlange ich von ihm gar nicht. Nun, Max, erscheint Dir das außergewöhnlich genug?
– Ja wahrlich... reichlich genug!
– Wenn's nur nicht noch mehr als genug wird, lieber Freund!« setzte John Cort hinzu.
Den ganzen Nachmittag über verlief der vielfach gewundene Pfad unter einem immer dunkler werdenden Laubgewölbe weiter. Khamis blieb an der Spitze, seine Begleiter folgten ihm im Gänsemarsch, denn es war nicht mehr Raum als für eine Person vorhanden. Wenn sie einmal schneller ausschritten, um sich ihrem Führer zu nähern, so beschleunigte auch dieser seine Gangart und hielt sich immer in gleichbleibender Entfernung.
Gegen sechs Uhr abends konnten seit dem Aufbruche – schätzungsweise – nur vier bis fünf Lieues zurückgelegt worden sein. Khamis beharrte aber trotz aller Erschöpfung dabei, dem Lichte nachzugehen, so lange es sichtbar blieb. Schon wollte er sich eben wieder in Gang setzen, da erlosch plötzlich die Fackel.
»Machen wir Halt, sagte John Cort, das ist offenbar ein uns geltendes Zeichen.
– Oder vielmehr ein Befehl, meinte Max Huber.
– Dem wir ohne Widerrede nachkommen wollen, ließ sich Khamis vernehmen. Wir wollen die Nacht hier an dieser Stelle verbringen.
– Ja... doch morgen?... fragte John Cort. Wird denn das Licht morgen wieder auftauchen?«
Wer konnte das wissen?
Alle drei streckten sich am Fuße eines Baumes nieder. Wiederum wurde ein Stück von dem Büffel vertheilt, und zum Glück konnte man seinen Durst mit dem Wasser eines Bächleins stillen, das zwischen dem Grase hinrieselte.[158]
Trotz der Häufigkeit des Regens in diesem Waldgebiete war doch seit achtundvierzig Stunden kein Tropfen Niederschlag gefallen.
»Wer weiß selbst, bemerkte John Cort, ob unser Führer nicht gerade diese Stelle für uns ausgewählt hat, damit wir etwas zu trinken fänden?
– Eine zarte Aufmerksamkeit,« gestand Max Huber, während er mittels eines dütenförmig zusammengebogenen Blattes sich etwas frisches Wasser schöpfte.
Wie beunruhigend die Sachlage auch erschien, die Müdigkeit trug doch den Sieg davon und der Schlaf ließ nicht auf sich warten. John Cort und Max Huber schlummerten jedoch nicht ein, ohne von Llanga gesprochen zu haben... Das arme Kind!... War es in der Stromschnelle ertrunken?... Und wenn der Knabe gerettet worden war, warum hatte man ihn nicht wiedergesehen?... Warum war er nicht zu seinen Freunden Max und John gekommen?
Als die Schläfer erwachten, verrieth ein durch die Zweige fallender Dämmerschein, daß es wieder Tag war. Khamis glaubte annehmen zu dürfen, daß sie in östlicher Richtung hingeführt worden seien. Leider war das die falsche Seite, und dennoch blieb ihnen nichts übrig, als in derselben Richtung weiter zu wandern.
»Und das Licht?... sagte John Cort.
– Eben blitzt es dort wieder auf, antwortete Khamis.
– Meiner Treu, rief Max Huber, das ist ja rein der Stern der drei Könige aus dem Morgenlande! Leider führt er uns nicht dem Abendlande entgegen, und wann werden wir unser Bethlehem erreichen?«
Im Laufe des 22. März ereignete sich nichts besonderes. Die Fackel führte die kleine Truppe unausgesetzt nach Osten weiter.
Auf jeder Seite des Pfades erschien der Hochwald ganz undurchdringlich, so dicht standen die Bäume an einandergedrängt und mit einem unentwirrbaren Knäuel von Gestrüpp verbunden. Es sah aus, als ob der Foreloper und seine Gefährten sich in einem endlosen Schlauch von Grün verloren hätten. An einzelnen Stellen jedoch durchschnitten ebenso schmale Pfade, wie der, auf dem sie hinmarschierten, den von dem Führer eingeschlagenen Weg, und ohne diesen Anhalt hätte Khamis nicht gewußt, welchen er einschlagen sollte.
Kein einziger Wiederkäuer hatte sich bisher wieder gezeigt, diese großen Thiere hätten auch wohl kaum hierher vordringen können... keine der Fährten, die dem Foreloper so nützlich gewesen waren, nach dem Rio Johausen zu kommen. Wären die Jäger auch noch im Besitz ihrer Gewehre gewesen, hier[159] hätten sie sie nicht gebrauchen können, denn es wäre ihnen doch kein Stück Wild vor deren Mündung gekommen.
Max Huber, John Cort und der Foreloper sahen mit Besorgniß, daß ihr Proviant mehr und mehr zu Ende ging. Noch eine Mahlzeit, dann konnte nichts mehr davon übrig sein.
Und wenn sie morgen nicht am Ziele anlangten, das heißt, am Ende dieser merkwürdigen Wanderung unter Verfolgung jenes geheimnißvollen Lichtscheins, was sollte dann aus ihnen werden?[160]
Wie am Tage vorher, erlosch gegen Abend die Fackel, und wie die vorhergehende, verlief auch diese Nacht ohne jede Störung.
Als John Cort wieder zuerst aufgestanden war, weckte er seine Gefährten sofort mit dem Rufe:
»Während wir schliefen, ist jemand hier gewesen!«
In der That war ein Feuer angezündet worden, von dem noch eine ruhige Gluth übrig war, und ein Stück Antilope hing an dem niedrigen Zweige einer Akazie über dem kleinen Bache.[161]
Diesmal ließ Max Huber nicht einmal einen Ausruf der Ueberraschung hören. Weder er, noch seine Gefährten wollten über die Seltsamkeit ihrer Lage grübeln, so wenig wie über den unbekannten Führer, der sie über ebenso unbekannte Pfade leitete, über diesen guten Geist des großen Waldes, dem sie nun schon seit vorgestern nachfolgten.
Da alle jetzt tüchtigen Hunger verspürten, röstete Khamis das vorgefundene Stück der Antilope, das für die Mittags- und die Abendmahlzeit recht gut ausreichte.
Bald darauf gab die Fackel das Signal zum Aufbruche.
Die Wanderung verlief nochmals unter den gewöhnlichen Verhältnissen. Am Nachmittage fiel es jedoch auf, daß der Hochwald nach und nach weniger dicht wurde. Mindestens durch die Gipfel der Bäume. drang etwas mehr Licht herein. Immerhin war es noch nicht möglich, das unbekannte Wesen, das wie gewöhnlich vorausging, auch nur unbestimmt zu erkennen.
Wie am Tage vorher wurden auch heute – schätzungsweise – fünf bis sechs Lieues zurückgelegt. Vom Rio Johausen ab mochte die Strecke bis hierher gegen sechzig Kilometer messen.
Am Abend machten Khamis, John Cort und Max Huber, sobald die Fackel erlosch, wieder Halt. Die Nacht kam offenbar heran, denn eine tiefe Finsterniß lagerte sich allmählich über die Waldung. Von der langen Wanderung ermüdet und nachdem sie das noch vorhandene Stück von der Antilope verzehrt und sich mit frischem Quellwasser erquickt hatten, legten sich alle am Fuße eines Baumes nieder und versanken bald in tiefen Schlummer.
Da glaubte Max Huber – jedenfalls im Traume – die Töne eines Instruments zu vernehmen, auf dem, hoch über ihm – der so bekannte... Walzer aus dem »Freischütz« von Weber gespielt wurde...[162]
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