Achtes Capitel.

[101] Derartige Vorkommnisse waren natürlich nicht geeignet, die Bewohner von Werst zu beruhigen. Jetzt stand es außer Zweifel – es waren keine leeren Drohungen gewesen, die der »Mund des Schattens«, wie der Dichter sich ausdrücken würde, den Gästen im »König Mathias« anzuhören gegeben hatte. In unerklärlicher Weise verletzt, war Nic Deck für seinen Ungehorsam und seine Verwegenheit bestraft worden. War das nicht eine ernste Mahnung für Alle, denen es etwa einfallen sollte, seinem Beispiele zu folgen? Das beklagenswerthe Unternehmen bewies klar und deutlich, daß es unbedingt verboten sei, in das Karpathenschloß einzudringen. Wer das je wieder unternahm, setzte dabei das Leben auf's Spiel. Wäre es dem Forstwächter gelungen, die Verbindungsmauer zu ersteigen, so wäre er wohl nimmer wieder im Dorfe erschienen.

Die allgemeine Bestürzung in Werst, selbst in Vulcan und sogar im Thale der beiden Sil, war jetzt größer als je. Man sprach schon von nichts Geringerem als einer Auswanderung der Bewohnerschaft, und einige Zigeunerfamilien zogen wirklich lieber von hier fort, als länger in der Nachbarschaft der Burg zu weilen. Jetzt, wo sie als Zufluchtsort für übernatürliche und verderbenbringende Wesen diente, mochte kein Mensch mehr von der ganzen Gegend etwas wissen. Es blieb nur der eine Ausweg, nach irgend einen anderen Theil des Comitats zu verziehen, wenn sich die ungarische Regierung nicht etwa entschloß, das unzugängliche Nest von Grund aus zu zerstören – übrigens zweifelten die Leute hier daran, daß das Karpathenschloß mit menschlichen Hilfsmitteln allein zu zerstören wäre.

Während der ersten Juniwochen wagte sich Niemand aus dem Dorfe hinaus, nicht einmal, um die nöthige Feldarbeit zu besorgen. Konnte denn nicht der geringste Spatenstich die Erscheinung eines, in den Eingeweiden der Erde verborgenen Geistes hervorlocken? Würde die Pflugschaar, wenn sie die Furchen schnitt, nicht ganze Schwärme von Staffii oder Strigen aufscheuchen? Und wenn man Getreide säete, würde da nicht Teufelskorn aufgehen?

»Natürlich könnte so etwas gar nicht ausbleiben!« erklärte der Schäfer Frik in überzeugendem Tone.[101]

Er selbst hütete sich weislich, mit seinen Schafen nach den Weideplätzen an der Sil zurückzukehren.

Das Dorf stand also unter der Herrschaft des Schreckens. Die Feldbestellung wurde gänzlich vernachlässigt. Die Leute hielten sich bei geschlossenen Thüren und Fenstern zu Hause. Meister Koltz zermarterte sich den Kopf, wie er seinen »Unterthanen« ein Vertrauen wieder einflößen sollte, das ihm selbst fehlte. Das einzige Mittel blieb höchstens, nach Kolosvar zu gehen und das Einschreiten der Behörden zu verlangen.

Aus dem Schornsteine des Wartthurms war übrigens wiederholte Male eine aufsteigende Rauchsäule beobachtet worden; mit Hilfe des Fernrohres konnte man sie trotz der Dunstmassen, die wallend über das Plateau des Orgall hinzogen, deutlich genug unterscheiden.

Auch die Wolken am Himmel nahmen in der Nacht eine röthliche Färbung an, als ob darunter eine Feuersbrunst wüthete, und mehrmals sah man lodernde Flammengarben über das Schloß emporschießen.

Und dröhnte das Geheul, das den Doctor Patak so über die Maßen erschreckt hatte, nicht durch die Dickichte des Plesa zum Entsetzen der furchtsamen Bewohner von Werst?... Ja, trotz der großen Entfernung trugen wenigstens die Südwestwinde jene furchtbaren Töne, die am Rücken der Berge ihr Echo fanden, gelegentlich bis hierher.

Nach der Meinung der schon an und für sich ziemlich beschränkten Leute sollte auch der Erdboden ein Erzittern wahrnehmen lassen, als wäre in der Karpathenkette ein alter Krater wieder in Thätigkeit getreten. Alles, was die Werstianer zu sehen, zu hören und zu fühlen glaubten, war freilich stark übertrieben. Jedenfalls lagen aber auch greifbare, nicht zu bezweifelnde Thatsachen vor, und man wird vielleicht zugeben, daß diese hinreichten, Jedem das Leben in einem so im Bann böser Geister stehenden Lande zu vergällen.

Das Wirthshaus zum »König Mathias« blieb natürlich auch in der Folgezeit leer. Selbst ein Lazareth zur Zeit einer Epidemie hätte nicht mehr verlassen sein können. Niemand wagte es, dessen Schwelle zu überschreiten, und Jonas fragte sich schon, ob er nicht aus Mangel an Kunden sein Geschäft werde gänzlich aufgeben müssen, als die Ankunft zweier Reisender den Sachverhalt plötzlich änderte.

Am 9. Juni gegen acht Uhr Abends wurde auf die Klinke der Gasthofthür von außen gedrückt; die Thür öffnete sich jedoch nicht, da sie von innen her verriegelt war.[102]

Jonas eilte aus dem Dachstübchen, in das er sich schon zurückgezogen hatte, wieder herunter. Mit der ihn erfüllenden Hoffnung, einen Gast vorzufinden, verknüpfte sich freilich auch die Furcht, dieser Gast könnte vielleicht ein böser Geist sein, dem er Abendessen und Nachtlager ohne zu überlegen abschlagen mußte.

Vorsichtigerweise fing also Jonas, ehe er die Thür öffnete, durch dieselbe an zu parlamentiren.

»Wer da? fragte er.

– Zwei Reisende.

– Lebende?

– Freilich; sehr lebende.

– Sind Sie sich dessen gewiß?

– So lebend, wie nur Einer sein kann, Herr Wirth; wir werden aber bald vor Hunger umkommen, wenn Sie so grausam sind, uns noch länger hier draußen stehen zu lassen.«

Jonas entschloß sich, den Riegel zurückzuschieben, und zwei Männer traten über die Schwelle in die Gaststube.

Kaum waren sie darin, als sie schon für jeden von Beiden ein Zimmer verlangten, da sie in Werst vierundzwanzig Stunden Rast zu halten beabsichtigten.

Beim Schein seiner Lampe betrachtete sich Jonas die neuen Ankömmlinge mit größter Aufmerksamkeit und erlangte dadurch die Ueberzeugung, daß es wirklich menschliche Wesen waren, mit denen er es zu thun hatte. Ein großes Glück für den »König Mathias«.

Der Jüngere der Reisenden schien gegen dreiunddreißig Jahre alt zu sein. Von hohem Wuchs, vornehmem hübschen Gesicht, schwarzen Augen, dunkelbraunem Haar, mit sorgfältig gepflegtem Bart und etwas traurigen, aber stolzen Zügen, machte er den Eindruck eines Landedelmannes, worüber ein so scharfsichtiger Gastwirth wie Jonas gar nicht im Unklaren bleiben konnte.


Jonas betrachtete sich die neuen Ankömmlinge. (S. 103.)
Jonas betrachtete sich die neuen Ankömmlinge. (S. 103.)

Als Letzterer noch gefragt, unter welchem Namen er die beiden Reisenden ins Fremdenbuch einzutragen habe, erklärte der Jüngere derselben:

»Der Graf Franz von Telek und sein Soldat Rotzko.

– Woher, wenn ich bitten darf?...

– Aus Krajowa.«[103]

Krajowa mit seinen fünfundzwanzigtausend Einwohnern ist eine der bedeutendsten Städte Rumäniens, das im südlichen Theile der Karpathen mit Siebenbürgen zusammenstößt.

Franz von Telek war also rumänischer Abstammung – was Jonas übrigens auf den ersten Blick erkannt hatte.

Der zweite, Rotzko mit Namen, ein großer, breitschultriger Mann von etwa vierzig Jahren, mit buschigem Schnurrbart, dickem Haupthaar und wettergebräunter Haut, zeigte eine ausgesprochene militärische Haltung.[104] Er trug sogar einen mittelst Gurtband über die Schulter gehängten Tornister und daneben eine leichte Reisetasche in der Hand.

Das bildete das ganze Gepäck des jungen Grafen, der als Tourist meist zu Fuß reiste. Man ersah das aus seiner Bekleidung, dem zusammengerollten Mantel, der leichten, aber regensicheren Mütze, dem um die Lenden von einem Gürtel zusammengeschnürten Rocke, an dem das walachische Messer in seiner Lederscheide hing, und an den Gamaschen, die sich dicht an die bequemen, dicksohligen Schuhe anschlossen.[105]

Diese beiden Reisenden waren keine andern als die, denen Frik vor etwa zehn Tagen begegnet war, als sie sich über die Bergstraße nach dem Retyezat zu begaben.


»Ich habe Oho! Oho! gesagt, Herr Graf.« (S. 111.)
»Ich habe Oho! Oho! gesagt, Herr Graf.« (S. 111.)

Nachdem sie die Gegend bis zum Maros hin durchstreift und auch den genannten Berg erstiegen hatten, gedachten sie jetzt im Dorfe Werst ein wenig auszuruhen und dann nach dem Thale der beiden Sil weiterzuziehen.

»Sie können uns doch ein paar Zimmer überlassen? fragte Franz von Telek.

– Zwei... drei... vier, so viele es dem Herrn Grafen beliebt, erklärte Jonas.

– Zwei sind schon genug, sagte Rotzko, nur müssen sie unmittelbar nebeneinander liegen.

– Würden Ihnen diese hier passen? fragte Jonas, während er zwei Thüren an der einen Längsseite der Gaststube öffnete.

– Vollkommen,« antwortete Franz von Telek.

Von seinen neuen Gästen hatte Jonas also offenbar nichts zu fürchten. Das waren keine übernatürlichen Wesen, keine Gespenster, die Menschengestalt angenommen hatten, nein, der vornehme junge Mann verrieth deutlich seine hohe Geburt, und solche Gäste sieht jeder Wirth gern in seinem Hause einkehren. Das war ein unerwarteter Glücksfall, der den jetzt gemiedenen »König Mathias« wieder in Aufnahme zu bringen versprach.

»Wie weit sind wir noch von Kolosvar entfernt? fragte der junge Graf.

– So gegen fünfzehn Meilen auf der kürzesten Straße über Petroseny und Karlsburg, belehrte ihn Jonas.

– Ist der Weg dahin anstrengend?

– Für Fußgänger allerdings recht anstrengend, und – wenn mir der Herr Graf einen wohlgemeinten Rath nicht übel deutet – ich glaube, Sie würden gut thun, mindestens einige Tage zu rasten...

– Können wir etwas Abendessen erhalten, fragte Franz von Telek, die ehrerbietigen Rathschläge des Gastwirthes kurz abschneidend.

– Nur ein halbes Stündchen Geduld, und ich werde die Ehre haben, dem Herrn Grafen ein Abendbrod vorzusetzen, das seiner würdig ist...

– Etwas Brod, Wein, einige Eier und kaltes Fleisch werden für heut' Abend genügen.

– Werd' ich mit Vergnügen herbeischaffen.[106]

– Doch recht schnell.

– Augenblicklich!«

Jonas sprang schon nach der Küche zu, als ihn eine Frage zurückhielt.

»Ihr Gasthaus scheint sich keines zahlreichen Besuches zu erfreuen? sagte Franz von Telek.

– Ja freilich, augenblicklich ist gar Niemand hier, Herr Graf.

– Ist das jetzt nicht die gewöhnliche Zeit, wo die Leute hier einen Schluck trinken und eine Pfeife rauchen?

– Diese Zeit, Herr Graf, ist schon vorüber... denn im Dorfe Werst geht man mit den Hühnern zu Bett.«

Um Alles in der Welt hätte er nicht mittheilen mögen, warum sich im »König Mathias« kein einziger Gast eingefunden hatte.

»Euer Dorf zählt doch wohl zwischen vier- und fünfhundert Bewohner?

– Annähernd so viel, Herr Graf.

– Wir sind aber keiner einzigen Seele begegnet, als wir die Hauptstraße herunter kamen.

– Ja... das heißt... es ist ja Sonnabend... und am Vorabend des Sonntags...«

Zum Glück für Jonas, der schon keine Antwort mehr wußte, erkundigte sich Franz von Telek nicht weiter. Der Gastwirth hätte sich ja niemals entschließen können, die eben herrschende Lage zuzugestehen. Seiner Meinung nach erfuhren die Fremden davon zeitig genug, und wer weiß, ob sie sich dann nicht beeilten, ein Dorf zu verlassen, das von so seltsamen Dingen in Schrecken gesetzt war.

»Wenn nur die Geisterstimme nicht wieder zu schwatzen anfängt, während sie essen!« dachte Jonas, als er einen Tisch in der Mitte des Zimmers zurecht machte.

Nach kurzer Zeit war die von dem jungen Grafen verlangte höchst einfache Mahlzeit auf blendend weißem Tischtuche aufgetragen. Franz von Telek setzte sich. und Rotzko nahm, wie er es auf der Reise stets gethan, ihm gegenüber Platz. Beide aßen mit trefflichem Appetit, und nachdem sie sich gesättigt, verschwand Jeder in seinem Zimmerchen.

Da der junge Graf und Rotzko während des Abendbrotes keine zehn Worte mit einander gewechselt hatten, konnte sich Jonas – sehr zu seinem Leidwesen – nicht in ihre Unterhaltung mischen. Franz von Telek schien[107] übrigens wenig mittheilsam zu sein, und was Rotzko betraf, so glaubte der Gastwirth, als er diesen genauer beobachtet, daß er auch von ihm etwas Näheres über die Familie seines Herrn schwerlich werde erfahren können.

Jonas hatte sich also begnügen müssen, seinen Gästen gute Nacht zu wünschen. Ehe er nach seinem Mansardenstübchen hinausging, sah er sich im ganzen Gastzimmer sorgsam um, horchte auf das leiseste Geräusch im Innern und von draußen und murmelte wiederholt vor sich hin:

»Wenn jene vermaledeite Stimme sie nur nicht aus dem Schlafe weckt!«

Die Nacht verlief in friedlicher Stille.

Am andern Morgen hatte sich schon sehr frühzeitig die große Neuigkeit verbreitet, daß im Gasthause zum »König Mathias« zwei Reisende abgestiegen seien, und flugs liefen eine Menge Leute vor dem Hause zusammen.

Von ihrer gestrigen Wanderung sehr ermüdet, lagen Franz von Telek und Rotzko noch in tiefem Schlummer. Es schien, als ob sie vor sieben oder acht Uhr nicht aufzustehen gedächten.

Die neugierigen Leute wurden damit auf eine harte Geduldsprobe gestellt, fanden aber doch nicht den Muth, das Gastzimmer eher zu betreten, als bis die Reisenden aus ihren Schlafzimmern gekommen wären.

Schlag acht Uhr wurden Beide gleichzeitig sichtbar.

In der Nacht war ihnen nichts Schlimmes widerfahren, denn sie gingen sorglos in der Gaststube hin und her. Dann setzten sie sich nieder, um sich durch ein Frühstück zu stärken.

Das sah doch ziemlich beruhigend aus.

Jonas, der freundlich lächelnd auf der Schwelle der nach außen führenden Thür stand, lud seine alten Stammgäste ein, ihn doch wieder mit ihrem Vertrauen zu beehren. Da der Reisende, der den »König Mathias« mit seiner Anwesenheit beehrte, ein Edelmann war – ja, ja, ein rumänischer Edelmann, und aus einer der ältesten Adelsfamilien obendrein – was konnte man dann in so vornehmer Gesellschaft zu fürchten haben?

Kurz, Meister Koltz, der sich verpflichtet fühlte, mit gutem Beispiele voranzugehen, wagte es, den auf den Leuten lastenden Bann zu brechen.

Es war gegen neun Uhr, als der Biró etwas zögernd eintrat. Fast sofort folgten ihm der Magister Hermod, drei oder vier alte Stammgäste und der Schäfer Frik. Der Doctor Patak freilich hatte sich nicht entschließen können, diese zu begleiten.[108]

»Ich soll wieder einen Fuß in Jonas' Haus setzen? rief er; niemals! Und wenn er mir den Besuch mit zehn Gulden bezahlte!«

Hier müssen wir zur Aufklärung eine nicht unwichtige Bemerkung einflechten. Wenn der Meister Koltz sich herbeigelassen hatte, wieder in den »König Mathias« zu gehen, so geschah das nicht allein in der Absicht, ein Gefühl der Neugier zu befriedigen, auch nicht in dem Wunsche, sich mit dem Grafen Telek in Verbindung zu setzen... nein, es war zum nicht geringen Theile das Geldinteresse, das seinen Entschluß gezeitigt hatte.

Als Durchreisender hatte der junge Graf für sich und seinen Soldaten eine Wegabgabe zu zahlen, und der Leser wird sich erinnern, daß der Ertrag derselben unmittelbar der Tasche des ersten Gemeindebamten in Werst zufloß.

Der Biró machte also seine Ansprüche in der höflichsten Form geltend, und Franz von Telek beeilte sich, wenn auch etwas verwundert über ein solches Verlangen, die merkwürdige Steuer zu entrichten.

Er lud den Meister Koltz und den Magister Hermod sogar ein, an seinem Tische ein wenig Platz zu nehmen. Beide nahmen die so freundliche Einladung – da sie nicht wohl anders konnten – stillschweigend an.

Jonas beeilte sich, verschiedene Liqueure, das Beste, was sein Keller barg, vorzusetzen. Da verlangten auch einige Bewohner von Werst für sich »eine Runde«.

So konnte man glauben, daß die kurze Zeit verstreute alte Kundschaft des Hauses den gewohnten Weg nach dem »König Mathias« bald wieder wie früher finden würde.

Nachdem Franz von Telek die örtliche Fremdensteuer berichtigt, wünschte er zu wissen, ob diese denn auch einträglich sei.

»Nicht so, wie wir es wünschten, Herr Graf, erklärte der Meister Koltz.

– Dieser Theil Transsylvaniens wird wohl nur wenig von Reisenden besucht?

– Leider recht selten, erwiderte der Biró, und das Land verdiente doch besser besucht zu werden.

– Das ist auch meine Ansicht; was ich bis jetzt davon gesehen, scheint mir alle Aufmerksamkeit von Reisenden zu verdienen. Vom Gipfel des Retyezát aus hab' ich die schönen Thäler der Sil bewundert, die Städtchen und Flecken, die nach Osten zu sichtbar sind, und nicht minder die Bergkette, die der Karpathenstock im Hintergrunde abschließt.[109]

– Ja, das ist Alles recht schön, Herr Graf, wunderschön, versetzte Magister Hermod, und um Ihren Ausflug noch ergiebiger zu gestalten, sollten Sie nun auch noch den Paring ersteigen.

– Ich fürchte, dazu nicht die nöthige Zeit zu haben, antwortete Franz von Telek.

– Na, dazu würde schon ein Tag hinreichen.

– Gewiß, mein Weg führt aber nach Karlsburg, wohin ich morgen aufzubrechen denke.

– Wie, der Herr Graf will uns schon so bald wieder verlassen?« sagte Jonas mit der verbindlichsten Miene von der Welt.

Er hätte es natürlich nicht ungern gesehen, wenn seine Gäste den Aufenthalt im »König Mathias« verlängerten.

»Es muß sein, erwiderte Franz von Telek; wozu sollte es auch nützen, wenn ich noch länger in Werst bliebe?...

– Sie dürfen glauben, daß es sich für Touristen lohnt, einige Zeit in unserem Dorfe zu verweilen, bemerkte Meister Koltz.

– Es scheint jedoch wenig besucht zu sein, versetzte der Graf, und doch wahrscheinlich, weil seine nächsten Umgebungen nichts Merkwürdiges bieten.

– Ja freilich, etwas besonders Merkwürdiges nicht!... gab der Biró zu, dem schon das fatale Schloß durch den Kopf fuhr.

– Nein, nein, etwas Merkwürdiges nicht! versicherte auch der Schulmeister.

– Oho!... Oho!« fiel da der Schäfer Frik ein, dem dieser Ausruf mehr unwillkürlich entschlüpfte.

Da guckten ihn aber der Meister Koltz und die Anderen schön an... vorzüglich der besorgte Gastwirth. War es denn so nöthig, einen Fremden in die Geheimnisse des Landes einzuweihen? Ihn über das aufzuklären, was auf dem Plateau des Orgall vorging? Seine Aufmerksamkeit dem Karpathenschlosse zuzulenken, wenn man ihn nicht blos erschrecken und ihm nahe legen wollte, recht bald aus dem Dorfe zu scheiden? Welcher Reisende würde dann später noch den Weg über den Vulcanrücken einschlagen, um nach Transsylvanien zu gelangen?

Wahrlich, dieser Schäfer zeigte nicht mehr Verstand, als das geringste seiner Schafe.

»So schweig' doch Dummkopf, schweig' doch still!« raunte ihm der Meister Koltz zu.[110]

Trotzdem war die Neugier des jungen Grafen schon wachgerufen; er wendete sich deshalb unmittelbar an Frik, und fragte diesen, was seine Okos denn zu bedeuten hätten.

Der Schäfer war nicht der Mann dazu, sich einschüchtern zu lassen, und vielleicht dachte er hier, Franz von Telek könnte etwa einen guten Rath geben, der dem Dorfe von Nutzen wäre.

»Nun ja, ich habe Oho! Oho! gesagt, Herr Graf, und dabei bleib' ich auch.

– Giebt es denn hier in der Nähe von Werst irgend ein Wunderding, das man besichtigen könnte? fuhr der junge Graf fort.

– Ein Wunderding... ließ Meister Koltz sich vernehmen.

– Nein!... Nein!...« riefen die Anderen wie aus einem Munde.

Die Leute entsetzten sich schon bei dem Gedanken, daß es zu einem zweiten Versuche, in die Burg einzudringen, kommen könnte, wodurch nur neues Unheil entstehen mußte.

Nicht ohne einige Verwunderung betrachtete Franz von Telek die wackeren Dörfler, deren Gesichter in verschiedener, doch sehr bezeichnender Weise den Schrecken ausdrückte, der sie durchbebte.

»Nun, was giebt es denn!... fragte er.

– Was es giebt, Herr Graf? meldete sich Rotzko. Nun denn, wie es scheint, das Karpathenschloß.

– Das Karpatheschloß?

– Ja, wenigstens raunte mir der Schäfer dieses Wort ins Ohr.«

Hierbei zeigte er auf Frik, der mit dem Kopf nickte, ohne den Biró freilich dabei anzusehen.

Jetzt war eine Bresche gelegt in die Privatangelegenheiten des abergläubischen Dorfes, und bald schlüpfte auch seine ganze Geschichte durch diese Bresche heraus.

Meister Koltz, der nun wohl oder übel zu einem Entschlusse kommen mußte, wollte dem jungen Grafen die Sache selbst erläutern und erzählte nun Alles, was das Karpathenschloß betraf.

Erklärlicherweise konnte Franz von Telek das Erstaunen, das diese Erzählung in ihm erweckte, und die Gefühle, die sie ihm erregte, nicht verbergen. Wenn auch nur dürftig unterrichtet in wissenschaftlichen Dingen, wie die allermeisten jungen Leute in seiner Stellung, die auf ihren tief in der Walachei[111] liegenden Schlössern verweilten, war er doch ein Mann von gesundem Menschenverstand. Auch glaubte er wenig an Geistererscheinungen und verlachte die darüber umlaufenden Märchen. Eine von Geistern verzauberte Burg, so etwas mußte schon seine Ungläubigkeit herausfordern. Seiner Ansicht nach lag in dem, was Meister Koltz berichtet hatte, noch gar nichts Wunderbares, sondern einzig verschiedene mehr oder weniger richtig beobachtete Thatsachen, denen nur die Bewohner von Werst übernatürliche Ursachen zuschrieben. Der Rauch aus dem Wartthurm, die in starken Schlägen ertönende Glocke – das ließ sich ja wohl höchst einfach erklären. Was die blitzartigen Erscheinungen und das Geheul betraf, die beide von der Umfassungsmauer ausgegangen sein sollten, so hielt er diese nur für Bilder erregter Phantasie.

Franz von Telek genirte sich nicht, das auszusprechen und zum stillen Ingrimm seiner Zuhörer darüber zu scherzen.

»Aber, Herr Graf, bemerkte da Meister Koltz, das war ja noch nicht Alles...

– Nicht Alles?...

– Nein! Es ist nämlich auch unmöglich, in das Karpathenschloß einzudringen.

– Wirklich?...

– Unser Forstwächter und unser Doctor haben versucht über die Mauer zu gelangen... erst vor wenig Tagen... aus Liebe zu unserem Dorfe.... Sie hätten diesen Versuch aber bald mit dem Leben bezahlt.

– Was ist ihnen denn widerfahren?...« fragte Franz von Telek in ziemlich spöttischem Tone.

Meister Koltz erzählte nun eingehend die Abenteuer Nic Deck's und des Doctor Patak.

»Als der Doctor also, sagte der junge Graf, den Graben verlassen wollte, da wurden seine Füße am Boden so fest gehalten, daß er keinen Schritt vorwärts machen konnte?

– Keinen Schritt, weder vor- noch rückwärts! setzte Magister Hermod hinzu.

– Das wird er nur geglaubt haben, Euer Doctor, erwiderte Franz von Telek, und es war nur die Angst, die ihm bis in die Beine, ja bis in die Füße gefahren war.

– Zugegeben, Herr Graf, antwortete der Meister Koltz. Wie läßt sich aber erklären, daß Nic Deck einen furchtbaren Schlag erhielt, als er das Eisenwerk der Zugbrücke berührte....


Angriff der wilden Thiere in den Bergen. (S. 117.)
Angriff der wilden Thiere in den Bergen. (S. 117.)

– Das war irgend ein Schelmenstreich, dem er zum Opfer fiel....

– Ja, doch ein so schlechter, daß er noch heute davon bettlägrig ist, ergänzte der Biró.

– Hoffentlich nicht in Lebensgefahr? fiel ihm der junge Graf ins Wort.[112]

– Nein... zum Glück nicht.«

Hier lag ja eine offenbar nicht wegzuleugnende Thatsache vor, und Meister Koltz sah gespannt der Erklärung derselben durch Franz von Telek entgegen.[113]

Dieser antwortete darauf ruhigen Tones Folgendes:

»Alles, was ich bis jetzt gehört habe, erscheint mir, ich wiederhole es, höchst einfacher Natur. Zweifelhaft ist für mich freilich nicht, daß das Karpathenschloß jetzt Bewohner hat.... Welche, weiß ich natürlich nicht. Jedenfalls sind das aber keine Geister, sondern Leute, die, nachdem sie sich dahin geflüchtet, guten Grund haben mögen, sich zu verbergen... wahrscheinlich irgendwelche Verbrecher....

– Was, Verbrecher?... rief Meister Koltz.

– Das ist sehr leicht möglich, und da sie nicht wünschen, zur Verantwortung gezogen zu werden, haben sie das Märchen verbreitet, daß die Burg von übernatürlichen Wesen verzaubert sei.

– Wie, Herr Graf, ließ Meister Hermod sich vernehmen, Sie denken...

– Ich denke, daß das Land hier sehr abergläubisch ist, daß die Insassen des Schlosses davon Kenntniß haben, und daß sie auf diese Weise die Besuche ihnen ungelegener Leute abzuhalten trachten.«

Es hatte ja viel Wahrscheinlichkeit für sich, daß sich die Sachen so verhielten. Niemand wird aber erstaunen, daß die Leute in Werst eine solche Erklärung nicht anerkennen wollten.

Der junge Graf sah wohl ein, daß er aus dieser Zuhörerschaft, die sich nicht überzeugen lassen wollte, Keinen zu vernünftigerer Anschauung bekehrt hatte. So begnügte er sich denn hinzuzufügen:

»Da Sie Alle für meine Vernunftgründe unzugänglich sind, meine Herren, so glauben Sie meinetwegen über das Karpathenschloß Alles, was Ihnen beliebt.

– Wir glauben, was wir gesehen haben, Herr Graf, antwortete Meister Koltz.

– Und was wirklich der Fall war und ist, fügte der Magister hinzu.

– Schön; doch wahrlich, ich beklage, nicht über vierundzwanzig Stunden verfügen zu können, denn sonst wäre ich mit Rotzko ausgezogen, Ihre berüchtigte Burg näher in Augenschein zu nehmen, und ich gebe Ihnen die bestimmte Versicherung, es würde nicht lange gedauert haben, ehe wir wußten, woran wir uns zu halten hätten....

– Die Burg besuchen!... rief Meister Koltz.

– Ohne Zögern; und der Teufel in eigener Person sollte uns nicht verhindert haben, durch die Umwallung zu kommen.«[114]

Als sie Franz von Telek sich in so bestimmter, ja in spöttischer Weise aussprechen hörten, da packte Alle neues Entsetzen. Wenn die Geister des Schlosses in dieser Weise behandelt wurden, mußte das ja dem Dorfe ein neues Unglück zuziehen. Die Geister hörten doch ohne Zweifel jedes Wort, das hier im »König Mathias« gesprochen wurde... und schon spannten Alle darauf, daß die unbekannte Stimme sich noch einmal vernehmbar machen würde.

Bei dieser Gelegenheit berichtete Meister Koltz noch dem jungen Grafen, unter welchen Umständen der Forstwächter unter Nennung seines Namens mit greulicher Strafe bedroht worden war, wenn er es unternähme, die Geheimnisse der Burg zu entschleiern.

Franz von Telek zuckte dazu nur mit den Achseln, dann stand er auf mit den Worten, daß in dieser Gaststube niemals eine Stimme – wie man es behauptete – hörbar gewesen sei. Alles das bestehe nur in der Einbildung der gar zu leichtgläubigen und vielleicht dem Schnaps des »König Mathias« etwas zu sehr huldigenden Kunden des Wirthshauses.

Daraufhin wandten sich schon Einige nach der Thür, da es sie nicht länger duldete, ferner in einem Raum zu verweilen, wo dieser junge Zweifler derartige Sachen vorzubringen wagte.

Franz von Telek hielt sie durch einen Wink zurück.

»Ganz entschieden, meine Herren, sagte er, erkenn' ich, daß das Dorf hier unter der Herrschaft der bleichen Furcht steht.

– Und das nicht ohne Ursache, Herr Graf, versicherte Meister Koltz.

– Nun, da liegt ja das Hilfsmittel auf der Hand, dem Hexentreiben, das Ihrer Meinung nach im Karpathenschlosse vor sich geht, ein baldiges Ende zu machen. Uebermorgen werd' ich in Karlsburg sein, und wenn Sie wünschen, erstatte ich einen Bericht an die Behörden der Stadt. Da wird man eine Abtheilung Gendarmen oder Polizisten hierhersenden, und ich stehe Ihnen dafür ein, diese werden schon in die Burg einzudringen wissen, um die Spaßvögel auszutreiben, die mit Ihrer Leichtgläubigkeit ihr Wesen treiben, oder um die Verbrecher zu verhaften, die vielleicht einen schlimmen Streich vorbereiten«.

Dieser Vorschlag erschien gewiß annehmbar, war aber doch nicht ganz nach dem Sinn der Notablen von Werst. Ihrer Meinung nach konnten weder Gendarmen noch Polizisten, nicht einmal Soldaten mit den übersinnlichen Wesen fertig werden, die sich ja mit ganz unbekannten Mitteln zu vertheidigen verstanden.[115]

»Doch da fällt mir ein, meine Herren, nahm der junge Graf noch einmal das Wort, Sie haben mir ja noch gar nicht gesagt, wem das Karpathenschloß gehört oder doch gehört hat.

– Einer alten im Lande angesessenen Familie, Herr Graf, der der Barone von Gortz, antwortete Meister Koltz.

– Der Familie von Gortz... rief Franz von Telek.

– Ja, dieser.

– Zu derselben gehörte auch Baron Rudolph?

– Gewiß, Herr Graf.

– Und weiß Jemand, was aus diesem geworden ist?

– Nein. Seit einer Reihe von Jahren ist der Baron von Gortz nicht im Schlosse erschienen.«

Franz von Telek war kreidebleich geworden, und unwillkürlich wiederholte er mit halbgebrochener Stimme den Namen:

»Rudolph von Gortz.«

Quelle:
Jules Verne: Das Karpathenschloß. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXI, Wien, Pest, Leipzig 1894, S. 101-116.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Karpathenschloß
Das Karpathenschloss
Das Karpathenschloss
Das Karpathenschloss

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.

70 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon