[47] Zum besseren Verständniß für den Leser folge nun hier eine gedrängte Uebersicht über die ersten Jahre, die die Schiffbrüchigen vom »Landlord« in der Neuen Schweiz zugebracht hatten.
Am 7. October 1806 wurde eine ganze Familie an ein unbekanntes Land im Osten des Indischen Oceans geworfen.
Das Haupt der aus der Schweiz stammenden Familie nannte sich Johann Zermatt; seine Gattin hieß Betsie. Der erstere zählte damals sechsunddreißig, die zweite dreiunddreißig Jahre. Sie hatten vier Kinder, vier Söhne, dem Alter nach geordnet: Fritz von fünfzehn, Ernst von zwölf, Jack von zehn und Franz von fünf Jahren.
Am siebenten Tag eines furchtbaren Sturmes war der »Landlord«, auf dem sich Zermatt mit den Seinen befand, inmitten dieses ausgedehnten Meeres aus seinem Curs verschlagen worden. Wahrscheinlich weiter nach Süden, als die Linie seiner Fahrt, getrieben, war das Schiff an seinem Bestimmungsorte Batavia, ohne diesen gesehen zu haben, vorübergekommen und auf einer Felsenbank, etwa zwei Lieues von der Küste, gescheitert.
Zermatt war ein intelligenter und wohlunterrichteter Mann, Betsie eine muthige und opferwillige Frau. Ihre Kinder zeigten von einander abweichende Charakterzüge. Fritz war unerschrocken und körperlich sehr gewandt, Ernst der lernbegierigste, dabei aber etwas egoistisch, Jack war ziemlich unüberlegt und recht muthwillig, und Franz jener Zeit ja noch ein Kind. Im übrigen hielt die Familie aber fest zusammen und war sicherlich fähig, sich in jeder Lage zu helfen, selbst unter den höchst traurigen Verhältnissen, in die ein unglückliches Geschick sie gestürzt hatte. Daneben hegten alle ein tiefes, religiöses Gefühl. Sie hatten den einfachen und aufrichtigen Glauben des Christen, der an den Lehren der Kirche nicht mäkelt und dessen Freudigkeit auch abweichende Anschauungen nicht zu trüben vermögen.[47]
Zermatt hatte nach Veräußerung des Besitzthums der Familie jener Zeit die Heimat verlassen, um sich in einer der überseeischen holländischen Colonien anzusiedeln, die gerade in verlockendster Blüthe standen und einem unternehmenden, fleißigen Manne die günstigsten Aussichten boten.[48]
Nach einer glücklichen Fahrt über den Atlantischen Ocean und einen großen Theil des Indischen Meeres sollte aber der »Landlord«, auf dem er sich mit seiner Familie eingeschifft hatte, zu Grunde gehen. Von der ganzen Besatzung und den Passagieren des Fahrzeuges blieben er selbst, seine Gattin und seine[49] Kinder als die einzigen übrig, die sich aus dem Schiffbruche retten konnten.
Dazu war es aber nöthig gewesen, das zwischen den Rissen auf und ab schwankende Wrack so schnell wie möglich zu verlassen. Dessen Rumpf war schon geborsten, die Masten geknickt, der Kiel fast durchgebrochen, und es lag die Gefahr nahe, daß es bei seiner gegen den Wogenschlag ungeschützten Lage durch den nächsten heftigen Windstoß vollends zertrümmert und versenkt werden könnte.
Durch die Vereinigung eines halben Dutzends leerer Tonnen mittelst tüchtiger Taue und starker Planken war es Zermatt mit Unterstützung seiner Söhne gelungen, noch vor Ablauf des Tages eine Art Boot oder Floß herzustellen, das alle die Seinen aufnehmen konnte. Das Meer hatte sich inzwischen so weit beruhigt, daß es nur noch eine mäßige Dünung zeigte, und die steigende Fluth trieb das Wasser dem Strande zu. Nachdem das Nothfahrzeug an einem ausgedehnten, an der Steuerbordseite liegenden Vorgebirge vorübergekommen war, stieß es bei einem kleinen Einschnitte, durch den ein Bach ausmündete, ans Land.
Während noch die verschiedensten vom Schiffe mitgenommenen Gegenstände ans Ufer geschafft wurden, errichtete man schon ein Zelt an dieser Stelle, die später den Namen Zeltheim erhielt. Nach und nach wurde das Lager hier vollständiger ausgestattet mit vielen Frachtstücken, die Zermatt und seine Söhne an den nächsten Tagen noch aus dem Laderaume des »Landlord« bargen. Darunter befanden sich Geräthe und Werkzeuge aller Art, Leibwäsche, conservirtes Fleisch, Sämereien, Pflanzen, Gewehre, Fässer mit Wein und Liqueuren, Kistchen mit Bisquit, Käse und Schinken, Kleidungsstücke, Bettzeug – kurz alles, was ein Fahrzeug von vierhundert Tonnen an Bedürfnissen für eine neue Niederlassung mitzuführen pflegt.
Außerdem erwies sich die Küste sehr reich an Haar- und Federwild. Gruppenweise zogen Agutis, eine Art Hafen mit Eberkopf, Ondatras, eine Art Moschusratten, Büffel, Enten, Flamingos, Trappen, Auerhähne, Wasserschweine und Antilopen vorüber. Im Gewässer einer Bai, die sich vor der Bucht ausbreitete, wimmelte es von Lachsen, Stören, Heringen und vielerlei anderen Fischen; von Mollusken gab es da Miesmuscheln und Austern, von Krustenthieren Hummern, Langusten (Heuschreckenkrebse) und Krabben. Das benachbarte Land erzeugte Cassava und Bataten und war von Baumwollstanden, Cacaobäumen, Magnolien, Palmen und anderen Gewächsen der Tropenzone bedeckt.[50]
Auf diesem Lande, von dessen Lage sie keine Ahnung hatten, schien das Leben der Schiffbrüchigen reichlich gesichert zu sein.
Wir erwähnen nebenbei, daß auch einige Hausthiere nach und nach bei Zeltheim ans Ufer gesetzt werden konnten: Türk, eine englische Dogge, Bill, eine dänische Hündin, zwei Ziegen, sechs Schafe, eine tragende Zuchtsau, ein Esel, eine Kuh, eine Menge Federvieh, wie Hähne, Hühner, Kapaune, Gänse, Enten und Tauben, die sich voraussichtlich an den Wasserlachen, Sümpfen und auf den Wiesenstrecken in der Nähe der Küste halten und vermehren würden.
Die letzten Fahrten nach dem Schiffe entleerten dieses vollständig von allem, was es an werthvollen und nützlichen Dingen noch enthielt. Mehrere kurze Vierpfünder wurden ans Land geschafft, um im Nothfalle zur Vertheidigung des Lagers zu dienen, ebenso wie eine Pinasse, ein leichtes Fahrzeug, dessen sorgsam numerirte Stücke ohne große Mühe zusammengestellt werden konnten, und das man zu Ehren Betsies auf den Namen »Elisabeth« taufte. Zermatt verfügte damit über ein als Brigantine getakeltes Fahrzeug von fünfzehn Tonnen mit viereckigem Heck und mit Verdeck über dem Hintertheile. Mit diesem war es nun leicht, die Gewässer nach Osten und nach Westen hin zu befahren und die naheliegenden Vorgebirge, das eine, das sich scharf zugespitzt im Norden erhob, und das zweite, das sich Zeltheim gegenüber aufthürmte, bei Gelegenheit zu umschiffen.
Da die Mündung des Rio von hohen, schwer zugänglichen Felsen umschlossen war, mußte es leicht sein, sich hier, wenigstens gegen Raubthiere, zu vertheidigen. Ungelöst blieb aber die Frage, ob Zermatt und die Seinigen sich jetzt auf der Küste einer Insel oder eines Festlandes befanden, das die Gewässer des Indischen Oceans begrenzten.
Vor dem Schiffbruche war in dieser Beziehung von dem Kapitän des »Landlord« nur folgendes zu erfahren gewesen:
Das Schiff näherte sich bereits Batavia, als es von einem Sturme überfallen wurde. Im Laufe von sechs Tagen war es jedenfalls weit aus seinem Curse verschlagen und nach Südosten zu getrieben worden. Am letzten Tage vorher lautete das Besteck (die Ortsbestimmung) des Kapitäns: 13 Grad 40 Minuten südlicher Breite und 114 Grad 5 Minuten östlicher Länge von Ferro (Canarien). Da der Wind beständig aus Norden geweht hatte, war anzunehmen, daß bezüglich des Längengrades keine bedeutende Aenderung eingetreten sei. Hielt er an dem hundertvierzehnten Längengrade als annähernd richtig fest, so konnte Zermatt[51] bei einer Breitenbestimmung mittelst Sextanten schließen, daß der »Landlord« etwa um sechs Grade (667 Kilometer) nach Süden verschlagen worden sei, und daß die Küste bei Zeltheim zwischen dem neunzehnten und dem zwanzigsten Parallelkreise liegen werde.
Das Land hier war in runder Zahl also gegen dreihundert Seemeilen westlich von Australien oder Neuholland entfernt. Obwohl sich Zermatt jetzt im Besitze einer Pinasse sah, würde er sich, trotz des Verlangens nach einer Heimkehr ins Vaterland, nie ent schlossen haben, seine Familie auf diesem gebrechlichen Fahrzeuge der Wuth der in den hiesigen Meerestheilen so häufigen Cyklone und Tornados auszusetzen.
Unter den Verhältnissen, in denen die Schiffbrüchigen sich befanden, konnten sie weitere Hilfe nur von der Vorsehung erwarten. Jener Zeit kamen die Segelschiffe, die nach den holländischen Colonien steuerten, wenn sie durch diesen Theil des Indischen Oceans fuhren, stets sehr weit von hier vorüber. Die damals noch so gut wie unbekannte und übrigens auch schwer zugängliche Westküste Australiens hatte für den Handel wie für die Geographie keinerlei Bedeutung.
Zu Anfang begnügte sich die Familie damit, unter dem Zelte in Zeltheim zu wohnen, das am rechten Ufer des Wasserlaufes lag, der infolge eines Angriffes durch Raubthiere nach diesen der Schakalbach genannt wurde. Inmitten der hohen Felsen wurde die von keinem Seewinde gemäßigte Hitze aber nahezu erstickend.
Zermatt beschloß deshalb, sich auf dem nordsüdlich verlaufenden Theile der Küste anzusiedeln, und zwar etwas jenseits der Rettungsbucht, welch bezeichnenden Namen die Bai erhalten hatte.
Bei Gelegenheit eines Ausfluges nach dem Ende eines prächtigen Waldes, nicht fern vom Meere, gelangte Zermatt zu einem ungeheuern Magnolienbaume, der zu der Abart der Bergmagnolien gehörte und dessen niedrigste Aeste sich gegen sechzig Fuß oberhalb des Erdbodens ausbreiteten. Auf mehreren dieser starken Aeste gelang es dann dem Vater und seinen Söhnen, aus verschiedenen, vom Schiffe herrührenden Planken eine Plattform zusammenzuzimmern. Darauf wurde eine Wohnung »in der Luft« erbaut und mit einem festen Dache versehen, die man in mehrere Räume oder Zimmer theilte und ihrer Lage wegen »Falkenhorst« nannte. Bald zeigte sich hier, wie bei gewissen Weiden, die sozusagen nur noch von ihrer Rinde leben, daß diese Magnolie ihr Kernholz zum größten Theile verloren hatte. In dem Hohlraume, worin sich übrigens viele[52] Bienenschwärme angesiedelt hatten, ließ sich bequem eine Wendeltreppe errichten zum Ersatze der Strickleiter, die zuerst den Zutritt nach Falkenhorst vermittelt hatte.
Inzwischen waren mehrfache Auskundschaftungen über eine Strecke von drei Lieues unternommen und bis zum Cap der Getäuschten Hoffnung ausgedehnt worden, bis zu dem Cap, das diesen Namen davon erhielt, daß Zermatt hier die Hoffnung aufgegeben hatte, noch einzelne Matrosen oder Passagiere vom »Landlord« wiederzufinden.
Am Eingange zur Rettungsbai und Falkenhorst gegenüber lag ein Eiland von einer halben Lieue Umfang, das man Haifischinsel nannte, weil hier am Tage, wo das Tonnenfloß die Hausthiere nach Zeltheim brachte, ein solcher Raubfisch gestrandet war.
Hatte hier ein Hai die Veranlassung gegeben, diese Insel nach ihm zu benennen, so war es einige Tage später ein Walfisch, nach dem ein, nur eine Viertellieue umfassendes Eiland vor der kleinen Flamingobucht, nördlich von Falkenhorst, getauft wurde. Der Verkehr zwischen dieser Wohnung und dem etwa eine Lieue davon entfernten Zeltheim wurde durch die Erbauung der Familienbrücke erleichtert, die man später durch eine über den Schakalbach geschlagene Drehbrücke ersetzte.
Die ersten Wochen hindurch wohnte die Familie unter dem Zelte. Da aber die bessere Jahreszeit noch anhielt, als Falkenhorst schon fertig war, siedelte Zermatt mit den Hausthieren noch dahin über Die riesigen Bodenwurzeln des Magnolienbaumes wurden mit getheerter Leinwand überdeckt und dienten nun als Ställe. Von Raubthieren hatte sich bisher keine Spur gezeigt.
Inzwischen rüstete man sich gegen die Wiederkehr der Wintersaison, die, wenn sie auch keine eigentliche Kälte brachte, doch mit den heftigen Stürmen der Tropenzone drohte, mit Stürmen, die neun bis zehn Wochen hindurch sehr häufig auftraten. In Zeltheim wohnen zu bleiben, nachdem dort alles Frachtgut vom »Landlord« untergebracht wäre, das hieß, die ganze werthvolle Ladung, die aus dem Schiffbruche geborgen worden war, wieder aufs Spiel setzen. Dieses einfache Lager versprach keine hinreichende Sicherheit. Die Regenfälle mußten den Bach stärker füllen, ihn zum reißenden Bergstrome verwandeln, und wenn er dabei aus den Ufern trat, wären alle leichten Anlagen von Zeltheim mit weggerissen worden.
Der ältere Zermatt bemühte sich, mit gutem Grunde, eine sichere Zufluchtsstätte zu finden; da kam ihm der Zufall unter folgenden Umständen zu Hilfe:[53]
Nahe dem rechten Ufer des Schakalbaches, ein wenig hinter Zeltheim, erhob sich eine dicke Felswand, in der sich mit Spitzaxt und Hammer, wenn nöthig durch Sprengung mit Pulver, eine Grotte aushöhlen ließ. Fritz, Ernst und Jack machten sich an die Arbeit; diese schritt aber nur sehr langsam vorwärts, bis eines Morgens die Spitzhaue Jacks plötzlich die Felsenwand durchschlug.
»Ich habe den Berg durchbrochen!« rief der junge Mann.
Und siehe da, in der Steinmasse bestand schon eine geräumige Höhle. Ehe sie jemand betrat, wurden zum Reinigen der Luft brennende, trockene Grasbüschel und nachher noch einige Granaten hineingeworfen. die aus den Vorräthen des Feuerwerkers vom »Landlord« herrührten. Bei loderndem Fackelscheine betraten der Vater, die Mutter und deren Söhne die Höhle und staunten voller Bewunderung über die von der Decke herabhängenden Stalaktiten, über die Krystallisationen aus Steinsalz, womit sie geschmückt war, und über den Teppich aus seinem Sande, der den Boden bedeckte.
Die Grotte wurde sofort als Wohnstätte eingerichtet. Man versah sie mit Fenstern von der früheren Galerie des Schiffes und mit Schloten zum Abzuge des Rauches aus den Oefen. Nach links hin folgten sich dann ein Arbeitszimmer, die Ställe für das größere Vieh und für die Hausthiere, und nach rückwärts lagen mehrere, durch Plankenwände getrennte Schuppen. Nach rechts hin wurden drei Zimmer angelegt, das erste für die Eltern der Familie, das zweite als Eßzimmer und das dritte für die vier Kinder, deren Hängematten an der Decke befestigt waren. Noch einige Wochen, und diese Wohnung ließ gewiß nichts mehr zu wünschen übrig.
Daneben wurden auf den Wiesenflächen und in den Gehölzen an der Westseite des Uferlandes, das sich zwischen Falkenhorst und dem Cap der Getäuschten Hoffnung auf drei Lieues hin ausdehnte, noch weitere Anlagen geschaffen. So legte man z. B. die Meierei von Waldegg in der Nähe eines kleinen Sees an, der der Schwanensee genannt worden war; ferner etwas weiter im Innern die Meierei von Zuckertop, auf einem Hügel, nahe dem Cap, die Villa des Prospect-Hill, und endlich die sogenannte Einsiedelei von Eberfurt bei dem Engpasse der Cluse, der diesen Theil des Gelobten Landes nach Westen zu abschloß.
Das Gelobte Land, so nannte man diese überraschend fruchtbare Gegend, die im Süden und Westen eine vom Schakalbache bis zum Ufer einer anderen Bai, der Nautilusbai, reichende Felsenwand schützte. Nach Osten zu dehnte sich die Küste zwischen Felsenheim und dem Cap der Getäuschten Hoffnung aus.[54]
Im Norden lag das offene Meer. Dieser Landstrich von vier Lieues Länge und drei Lieues Breite genügte allein schon für alle Bedürfnisse der Familie. Hier lagen die Gehege und Weideplätze für die Hausthiere und für die, die man später theils gezähmt, theils nur eingefangen hatte, wie für einen Onagra (wilden Esel), zwei Büffel, einen Strauß, einen Schakal, einen Affen und einen Adler. Hier blühten und wuchsen neben den einheimischen Bäumen die Obstbäume, von denen der »Landlord« allerlei Arten mitgeführt hatte, wie Orangenbäume, Pflaumen-, Aepfel-, Aprikosen-, Maronen-, Kirsch- und Birnbäume, und dazu Weinreben, die unter der heißen Sonne des Landes einen Wein zu liefern versprachen, der den gewöhnlichen Palmenwein der Tropenzone jedenfalls beiweitem übertraf.
Gewiß unterstützte die Natur sehr wesentlich die beklagenswerthen Schiffbrüchigen, immerhin blieb diesen noch genug Arbeit übrig, die ebensoviel Thatkraft wie Intelligenz erforderte. Sie bedingte erst das Gedeihen dieses Landes, das jene zur Erinnerung an ihre Heimat die Neue Schweiz getauft hatten.
Ehe noch das erste Jahr verging, war von dem auf der Klippenbank gescheiterten Schiffe nichts mehr übrig. Eine von Fritz vorbereitete Explosion hatte davon die letzten Trümmer zerstreut, die dann nach und nach am Strande aufgelesen wurden. Natürlich war vorher noch alles, was es an Werthgegenständen enthielt, daraus entfernt worden, die Waaren, die zum Handel mit den Pflanzern von Port-Jackson oder mit den Wilden Oceaniens hätten dienen sollen, ebenso wie das kostbarere Eigenthum der anderen Passagiere, z. B. Uhren, silberne Schnupftabakdosen, Ringe, Halsbänder und an Gold- und Silbermünzen eine recht ansehnliche Summe in Piastern, die freilich in diesem unbekannten, im Indischen Ocean verlorenen Lande zunächst keinen Werth hatten. Weit nützlicher waren dagegen andere, aus dem »Landlord« geborgene Dinge, wie Eisenstangen, Bleibarren, Wagenräder, die zum Ansetzen fertig waren, Wetzsteine, Spitzhauen, Sägen, Hacken, Schaufeln, Pflugschaare, Eisendrahtrollen, Werkbänke, Schraubstöcke, Werkzeuge für Tischler, Schlosser und Schmiede, Handmühlen, Sägemühlenzubehör und dazu allerlei Sämereien von Nutzpflanzen, von Mais, Hafer, Erbsen, Wicken und andern Hülsenfrüchten, die der Neuen Schweiz von großem Nutzen zu sein versprachen.
Es sei hier noch nebenbei hervorgehoben, daß die Familie die erste Regenzeit unter recht günstigen Verhältnissen verlebte. In der Hauptsache waren alle beschäftigt, die Grottenwohnung so gut wie möglich herzurichten.[55] Die Mutter der Familie leitete diese Arbeiten, die vom besten Erfolge gekrönt wurden.
Die vom Schiffe herübergeholten Möbel, Stühle und Bänke, Schränke und Wandgestelle, Sophas, Betten – alles wurde in die verschiedenen Räumlichkeiten der Wohnung vertheilt, und da diese jetzt nicht mehr[56] aus einem Zelte bestand, gab man ihr an Stelle der früheren den Namen Felsenheim.
Mehrere Jahre verstrichen. Kein Fahrzeug war in dieser entlegenen Gegend erschienen, obwohl nichts unterlassen worden war, den Aufenthaltsort der Ueberlebenden[57] vom »Landlord« auch von weither erkennen, wenigstens vermuthen zu lassen. Von einer auf der Haifischinsel errichteten Batterie, die aus zwei kurzen Vierpfündern bestand und von einer Flagge überragt war, gaben Fritz und Jack von Zeit zu Zeit einige Kanonenschüsse ab, freilich ohne je eine Antwort vom offenen Meere her zu erhalten.
Es schien übrigens nicht so, als ob die Neue Schweiz in der Nachbarschaft des von hier aus übersehbaren Landestheils bewohnt wäre. Sie mußte offenbar ziemlich groß sein, denn eines Tages bei einem Ausflug nach Süden und bis zu der Felsenwand, die der Engpaß der Cluse unterbrach, erreichten Zermatt und seine Söhne eine von üppiger Vegetation erfüllte Thalmulde, die sie Grünthal nannten. Oben von der jenseitigen Thalwand aus bot sich ein umfassender Fernblick bis zu dem von einer Bergkette abgeschlossenen Horizonte, eine Entfernung, die gegen zehn Lieues betragen mochte. Ob auf diesem gänzlich unbekannten Gebiete wilde Volksstämme hausten, war eine gewiß ernst zu nehmende Frage. In der Umgebung des Gelobten Landes hatte sich davon allerdings noch keine Andeutung gezeigt. Hier bildeten die einzige Gefahr etwaige Ueberfälle von Raubthieren, die sich außerhalb des eigentlichen Ansiedlungsbezirkes aufhielten, z. B. von Bären, Tigern, Löwen oder Schlangen, unter anderen einer ungeheuern Boa (Riesenschlange), der schon der Esel zum Opfer gefallen war, als sie sich einmal bis in die Nähe von Felsenheim herangeschlichen hatte.
Wir zählen hier die einheimischen Naturerzeugnisse auf, die der ältere Zermatt, dank seinen gründlichen Kenntnissen in der Naturgeschichte, der Botanik und der Geologie, recht vortheilhaft zu verwerthen wußte. Zunächst wäre da ein Baum zu nennen, der einem wilden Feigenbaume ähnelte und aus dessen gefurchter Rinde ein harzartiger Stoff ausschwitzte, der ihm Kautschuk lieferte, das, außer zu mancherlei Gegenständen, vorzüglich zur Anfertigung wasserdichter Stiefel Verwendung fand. Aus gewissen, in Dickichten zusammenstehenden Büschen der »Myrica cerifera« gewann man eine Art Wachs, das sich zu Kerzen eignete. Die Schalen der Cocosnüsse, ohne von deren wohlschmeckendem Inhalt zu reden, verwandelten sich in Becher und Tassen, die jedem Stoße widerstanden. Aus den Schößlingen der Palmen gewann man ein erfrischendes Getränk, den sogenannten Palmenwein, aus Cacaoschoten eine freilich etwas bittere Chocolade, aus dem Mark der Sagopalme, das erst angefeuchtet und dann gedörrt wurde, ein sehr nahrhaftes Mehl, das Betsie häufig bei der Speisebereitung verwendete. Auch an Süßstoffen fehlte es niemals, dank den zahlreichen Bienenvölkern, die Honig[58] in Ueberfluß erzeugten. Flachs erhielt man aus den lanzettförmigen Blättern des Phormium tenax, die zu kardätschen und zu verspinnen allerdings einige Mühe verursachte. Eine Art Gips gewann man durch das Ausglühen und Pulverisiren der Felsabfälle von den Wänden in Felsenheim; selbst Baumwolle, dieses so begehrte Material, fand sich in dichtgefüllten Kapseln des hier wild wachsenden Strauches. Aus dem zarten Mehle von Walkerde, die sich in einer anderen Grotte fand ließ sich eine ganz brauchbare Seife erzeugen. Ferner gab es hier die unter dem Namen Cachiman bekannten, überaus saftigen Zimmetäpfel. Die Rinde der Ravensara lieferte ein Gewürz, worin der Wohlgeruch der Muskate und der Würznägelein sich vereinigte. In einer kleinen Höhle der Nachbarschaft wurde mit Amiantfäden überkreuzter Glimmer entdeckt, der sich recht gut zu Fensterscheiben verarbeiten ließ. Pelzwerk lieferten die zahlreich vorkommenden Moschusratten und Angorakaninchen. Außerdem fand sich Euphorbiumharz für mancherlei medicinischen Gebrauch, Porzellanerde und gab es Honigwein (Meth) als Erquickungsgetränk und sogar eine Art vortrefflicher Confitüren aus Meeralgen, die an der Walfischinsel gewonnen wurden, und die Frau Zermatt ganz ähnlich denen des Caps der Guten Hoffnung zuzubereiten verstand.
Diesen Bodenerzeugnissen sind noch die Hilfsquellen hinzuzurechnen, die die Thierwelt der Neuen Schweiz den muthigen Jägern darbot. Unter den Raubthieren, gegen die sie sich, wenn auch selten, zu vertheidigen hatten, gab es hier Tapire, Löwen, Bären, Schakale, Tiger und Tigerkatzen, Krokodile, Panther, Elephanten und auch große Mengen von Affen, die wegen der Verwüstungen, die sie anrichteten, vor allem abgeschossen werden mußten. Von Vierfüßlern, von denen einzelne gezähmt werden konnten, wären zu nennen: wilde Esel und Büffel, sowie von Vögeln: ein Adler, den sich Fritz zum Jagdgehilfen abrichtete, und ein Strauß, den Jack mit Vorliebe als Reitthier benutzte.
Feder- und Haarwild gab es in den Wäldern von Waldegg und der Einsiedelei Eberfurt in Ueberfluß. Der Schakalbach lieferte vorzügliche Krebse. Zwischen den Uferklippen wimmelte es von Schal- und Krustenthieren, und endlich war auch das Meer noch reich an Heringen, Stören, Lachsen und verschiedenen anderen Fischen.
Die Ausflüge der Ansiedler dehnten sich, trotz ihres langen Aufenthaltes hier, nach der einen Seite doch niemals weiter aus, als von der Nautilusbai bis zur Rettungsbucht, auf der anderen, jenseits des Caps der Getäuschten[59] Hoffnung, wurde die Küste dagegen auf eine Strecke von zehn Lieues genauer besichtigt. Zermatt besaß jetzt ja, außer der Pinasse, eine unter seiner Leitung gebaute Schaluppe. Außerdem wurde auf Verlangen Fritzens eines jener Boote, wie sie die Grönländer benützen, ein sogenannter Kajak, hergestellt, zu dessen Rippen man Knochen eines am Eingange der Flamingobai gestrandeten Walfisches verwendete, während Seehundhäute als Wandbekleidung dienten. Dieses tragbare und infolge seiner Kalfaterung mit Pech und Moos völlig wasserdichte Canot hatte oben nur zwei Oeffnungen für zwei Ruderer, doch konnte die zweite auch hermetisch verschlossen werden, wenn das Fahrzeug nur von einer Person gebraucht werden sollte. Es wurde zuerst auf den Schakalbach gesetzt, der es nach der Rettungsbucht hinaustrug, wobei es sich ganz nach Wunsch bewährte.
Zehn Jahre verliefen so ohne ernstere Unfälle. Der nun fünfundvierzig Jahre alte Zermatt erfreute sich einer unerschütterlichen Gesundheit, einer geistigen und körperlichen Ausdauer, die die Anforderungen einer so außergewöhnlichen Existenz nur noch verstärkt hatten. Betsie, seine muthige Gattin, die energische Mutter von vier Söhnen, trat jetzt in das dreiundvierzigste Jahr ein. Körperlich kräftig und frischen Herzens, hatte weder die Liebe zu ihrem Gatten, noch die zärtliche Zuneigung für ihre Kinder bei der wackeren Frau abgenommen.
Der jetzt fünfundzwanzigjährige Fritz zeigte eine bemerkenswerthe Kraft, Geschmeidigkeit und Geschicklichkeit; er hatte ein hübsches Gesicht, offene Züge, ein sehr scharfes Auge und zeichnete sich durch hohe Charakterfestigkeit aus.
Ernst, der für seine zweiundzwanzig Jahre mehr als gesetzt erschien und mehr nach geistiger als nach körperlicher Ausbildung strebte, unterschied sich hierdurch von Fritz und hatte sich durch fleißige Benützung der aus dem »Landlord« geretteten Büchersammlung recht umfassende Kenntnisse angeeignet.
An Jack erkannte man seine zwanzig Jahre. Er war die Lebhaftigkeit selbst, immer in Bewegung, unternehmungslustig wie Fritz und ein Freund der fröhlichen Jagd wie dieser.
Obgleich der kleine Franz nun schon ein großer Knabe von sechzehn Jahren geworden war, behandelte und liebkoste ihn seine Mutter doch ganz so, als ob er noch ein zehnjähriges Kind wäre.
Das Leben dieser Familie verlief also so glücklich wie möglich, und wiederholt äußerte sich Frau Zermatt darüber gegen ihren Gatten.
»Ach, lieber Mann, sagte sie dann, wäre es nicht ein rechtes Glück, wenn wir mit unseren Kindern immer vereint bleiben könnten, wenn wir, auch hier[60] in unserer Einsamkeit, nicht auch einer nach dem anderen dahingehen und unsere Nachkommen in Trauer um die Verlorenen zurücklassen müßten! O, wie würd' ich den Himmel segnen für das Paradies, das er uns hier geschaffen hat!... Doch, ach!... es wird auch der Tag kommen, wo wir die Augen schließen!«
Das war der größte Kummer, der immer an Betsies Seele nagte. Wiederholt tauschten Zermatt und sie die Sorgen aus, die sie in dieser Hinsicht drückten. Da trat in diesem Jahre ein Ereigniß ein, das ihre gegenwärtige Lage, vielleicht die ganze Zukunft der Ansiedlung, ändern konnte.
Als Zermatt mit Ernst, Jack und Franz am 9. April um sieben Uhr früh aus der Wohnung trat, suchte er vergeblich nach seinem ältesten Sohne, den er draußen mit irgend einer Arbeit beschäftigt glaubte.
Fritz pflegte sich ja häufiger allein zu entfernen, was seine Eltern nicht weiter beunruhigte, obwohl seine Mutter sich immer etwas sorgte, wenn ihr Sohn sich über die Rettungsbucht hinausbegab.
Es unterlag auch jetzt keinem Zweifel, daß der abenteuerlustige junge Mann sich auf dem Meere befand, denn der Kajak fehlte an seinem Anlegeplatze.
Als es schon etwas später am Nachmittage war, begaben sich Zermatt, Ernst und Jack auf der Schaluppe nach der Haifischinsel, um dort die Rückkehr des ältesten Sohnes abzuwarten. Um Betsie nicht in Ungewißheit zu lassen, hatte ihr Gatte versprochen, einen Kanonenschuß abzufeuern, wenn seine Heimkehr sich verzögern sollte.
Das wurde indeß nicht nöthig. Kaum hatte er mit seinen beiden Söhnen den Fuß auf das Eiland gesetzt, als Fritz schon um das Cap der Getäuschten Hoffnung gefahren kam. Sobald sie ihn bemerkten, begaben sich Zermatt, Ernst und Jack in ihr Boot zurück und trafen in der Bucht bei Felsenheim gerade ein, als auch Fritz ans Ufer sprang.
Dieser mußte nun über seine Fahrt, die gegen zwanzig Stunden gedauert hatte, Bericht erstatten. Seit einiger Zeit hatte er sich schon mit dem Gedanken getragen, die westliche Küste einmal näher in Augenschein zu nehmen. An dem betreffenden Morgen hatte er deshalb den Kajak bestiegen und seinen Adler Blitz mitgenommen. Außerdem hatte er sich mit einigem Mundvorrathe versehen und mit einer Axt, einer Harpune, einem Fischhaken, Netzen, einer Flinte nebst einem Paar Pistolen, auch mit einer Jagdtasche und einer Flasche mit Meth ausgerüstet. Der vom Lande her wehende Wind führte ihn bald über das Cap[61] hinaus, und unter Mithilfe der Ebbeströmung war er der Küste gefolgt, die sich weiter draußen wieder mehr nach Südwesten wendete.
Hinter dem Cap und einer Reihe riesiger Felsentrümmer, die hier durch eine mächtige geologische Umwälzung in tollstem Durcheinander verstreut worden sein mochten, dehnte sich wieder eine geräumige Bucht aus, die an der gegenüberliegenden Seite durch ein ganz steil abfallendes Vorgebirge begrenzt war. Diese Bai bildete den Sammelplatz aller Arten von Seevögeln, deren Gekreisch hier die Luft erfüllte. Auf ihrem Strande sonnten sich gewaltige Amphibien, Seewölfe, Robben, Walrosse und andere, während sich auf der Wasserfläche zahllose Völker eleganter Nautilen (sogenannte Perlen- oder Schiffsboote – eine Weichthiergattung) umhertummelten.
Fritz hütete sich weislich, jene furchtbaren Säugethiere aufzuscheuchen, noch mehr aber, ihrem Angriffe in seinem gebrechlichen Fahrzeuge zu begegnen; er ruderte deshalb am Außenrande der Bai immer nach Westen weiter.
Nachdem er eine Landspitze von seltsamer Gestalt umschifft hatte, der er den Namen eines Cap Camus gab, drang Fritz unter ein natürliches Bogengewölbe ein, an dessen Pfeilersüßen das Meer heftig brandete. Hier hielten sich Tausende von Schwalben auf, deren Nester an allen Furchen der Wand und der Deckenwölbung angeheftet oder richtiger angeklebt waren. Fritz löste einige von diesen, recht merkwürdig gebauten Nestern ab und steckte sie in seine Jagdtasche.
»Diese Schwalbennester, damit unterbrach der ältere Zermatt den Bericht seines Sohnes, haben auf den Märkten des Himmlischen Reiches einen hohen Handelswerth.«
Jenseits des Bogengewölbes fand Fritz den Eingang zu einer zweiten Bucht, die zwischen zwei, etwa anderthalb Lieue von einander entfernten Landvorsprüngen lag. Diese waren wieder durch eine Klippenkette sozusagen verbunden und hatten zwischen einander nur eine sehr enge Wasserstraße, die nicht einmal einem Schiffe von drei- bis vierhundert Tonnen die Einfahrt ermöglicht hätte.
Hinter der Bucht lagen bis über Sehweite hinausreichende Savannen (Grasflächen), die von klaren Wasserläufen durchzogen waren, ferner Gehölze, sumpfige Niederungen und überhaupt eine Landschaft von vielfach wechselndem Aussehen. Die Bucht selbst hätte Fischern aus Asien, Amerika und Europa unerschöpfliche Schätze von Perlenmuscheln geboten, und Fritz brachte auch einige Prachtstücke von solchen mit heim.[62]
Nachdem er längs des Innenrandes der Bucht hingefahren und dabei auch an der mit Wasserpflanzen dicht bedeckten Mündung eines Flusses vorübergekommen war, erreichte der Kajak das Vorgebirge gegenüber dem Bogengewölbe.
Noch weiter wollte Fritz seinen Ausflug nicht fortsetzen. Da schon viel Zeit verstrichen war, schlug er wieder einen Curs nach Osten ein, nach dem Cap der Getäuschten Hoffnung zu, und umschiffte dieses, ehe noch ein Geschütz auf der Haifischinsel abgefeuert worden war.
Das war es, was der abenteuerlustige, junge Mann über seine Fahrt berichtete, die zur Entdeckung der Perlenbucht geführt hatte. Als er sich dann mit seinem Vater allein sah, hatte dieser große Mühe, sein Erstaunen zu verhehlen, als ihm sein Sohn noch folgendes mittheilte:
Unter den zahllosen Vögeln, Meerschwalben, Möven und Fregattvögeln, die das Vorgebirge umschwärmten, zeigten sich auch mehrere Paare von Albatrossen, von denen Fritz einen mit dem Fischhaken erlangen konnte.
Als er den Vogel aber auf seinen Knien hielt, bemerkte der junge Mann ein Stück grobes Segeltuch, das um einen Fuß des Thieres gewickelt war und in englischer Sprache folgende ganz gut leserliche Inschrift trug:
»Wer es auch sein mag, dem Gott diese Botschaft einer Unglücklichen übermitteln wird: durchsucht eine vulcanische Insel, erkennbar an der Flamme, die aus einem ihrer Krater emporsteigt. Rettet eine unglückliche Verlassene von dem Rauchenden Felsen!«
Irgendwo in der Neuen Schweiz lebte oder schmachtete also, vielleicht schon seit mehreren Jahren, eine Unglückliche – Mädchen oder Frau – auf einer Insel und gewiß ohne die Hilfsmittel, die der »Landlord« der schiffbrüchigen Familie geliefert hatte.
»Und was hast Du gethan? fragte der ältere Zermatt.
– Das einzige, was zunächst zu thun war, antwortete Fritz. Ich suchte den Albatros, der durch den Schlag mit dem Haken nur betäubt war, wieder zu beleben, und das gelang auch, als ich ihm ein wenig Meth durch den Schnabel eingegossen hatte. Dann schrieb ich mit dem Blute einer Fischotter auf ein Stück von meinem Taschentuche: »Vertraut auf Gott!... Vielleicht ist seine Hilfe nahe!« Hierauf befestigte ich das Leinenstückchen wieder an einem Beine des Albatrosses, in der Ueberzeugung, daß der Vogel ein gezähmter sei, nach dem Rauchenden Felsen zurückkehren und meine Botschaft dahin bringen werde. Sobald ich ihm die Freiheit wiedergegeben hatte, flog der Albatros so[63] schnell davon, daß ich ihn bald aus dem Auge verlor. Ihm zu folgen wäre mir also ganz unmöglich gewesen.«
Der ältere Zermatt fühlte sich tief ergriffen. Was konnte wohl geschehen, um jene Unglückliche zu retten? Wo lag der Rauchende Fels? In der Nachbarschaft[64] der Neuen Schweiz oder Hunderte von Seemeilen davon im Westen? Die Albatrosse sind so kräftige und unermüdliche Vögel, daß sie leicht sehr große Strecken durchfliegen können. Wer konnte nun wissen, ob nicht auch der, um den es sich hier handelte, aus so weiter Ferne hergekommen war, daß die[65] Pinasse dahin gar nicht kommen konnte? Daß Fritz dieses Geheimniß nur seinem Vater anvertraut hatte, wurde von diesem völlig gebilligt, denn Frau Zermatt und seine Brüder würde diese Mittheilung nutzlos aufgeregt haben; warum ihnen also eine gewiß schmerzliche Unruhe bereiten?
Uebrigens blieb es ja fraglich, ob die Schiffbrüchige am Rauchenden Felsen überhaupt noch lebte. Die gefundenen Zeilen trugen kein Datum und es konnten vielleicht Jahre verflossen sein, seit sie am Beine des Albatrosses befestigt worden waren.
Das Geheimniß wurde also vorläufig gewahrt; leider schien es aber, als ob gar kein Versuch unternommen werden könnte, die Engländerin aus ihrer trostlosen Einsamkeit zu retten.
Inzwischen hatte der ältere Zermatt beschlossen, die Perlenbucht einmal zu besuchen, um womöglich die Ausdehnung der dortigen Muschelbänke kennen zu lernen.
Betsie erklärte sich, wenn auch ungern, bereit, mit Franz allein in der Wohnstätte Felsenheim zurückzubleiben. Fritz, Ernst und Jack sollten nämlich ihren Vater begleiten.
Am zweitfolgenden Tag, am 11. April, verließ die Schaluppe also den kleinen Landeinschnitt im Schakalbach und dessen Strömung trug sie rasch nach Norden hinaus. Auch mehrere Hausthiere wurden auf die Fahrt mitgenommen, darunter der Affe Knips II., der Schakal Jacks, die Hündin Bill, die für die Anstrengungen einer solchen Kundschaftsfahrt eigentlich zu alt war, und endlich Braun und Falb, die beiden Hunde, die jetzt bei besten Kräften waren.
Fritz fuhr der Schaluppe in seinem Kajak voraus und schlug nach Umschiffung des Caps der Getäuschten Hoffnung die Richtung nach Westen ein, quer durch ein Gewirr von Klippen, worauf sich Walrosse und andere an den Küsten heimische Amphibien in großer Menge tummelten.
Diese Thiere waren es jedoch nicht, die die besondere Aufmerksamkeit des älteren Zermatt erweckten, sondern die unzähligen Nautilen, die Fritz schon einmal gesehen hatte. Gleichwie mit einer Flotille beweglicher Blumen war die ganze Bai von diesen hübschen Cephalopoden bedeckt, deren Flügel sich im Winde blähten.
Nach ungefähr drei Lieues langer Fahrt vom Cap der Getäuschten Hoffnung aus, wies Fritz nach dem am äußersten Ende der Nautilusbucht gelegenen Cap Camus (Stumpfnase) hin, das genau die Form einer solchen[66] Nase zeigte. Anderthalb Lieues weiterhin tauchte das Bogengewölbe auf, jenseits dessen sich die Perlenbucht ausdehnte. Beim Einfahren durch das Thor des Gewölbes sammelten Jack und Ernst eine Anzahl der dort hängenden Salanganennester, ein Unterfangen, dem sich deren Bewohner mit begreiflicher Hitze widersetzten.
Als die Schaluppe durch die enge Wasserstraße zwischen dem Bogengewölbe und den Klippenreihen gekommen war, lag die geräumige Bucht, die einen Umfang von sieben bis acht Lieues haben mochte, in ihrer ganzen Ausdehnung vor ihr frei.
Es war ein wirkliches Vergnügen, die herrliche Wasserfläche zu befahren, aus der drei oder vier bewaldete Holme emporragten und die von grünem Wiesenland, dichten Gehölzen und malerischen Hügeln eingerahmt war. Das westliche Ufer durchbrach ein hübscher Fluß, dessen Bett sich weiterhin unter Bäumen verlor.
Die Schaluppe landete in einem kleinen Landeinschnitte in der Nähe der Perlmuschelbank. Da es bereits Abend wurde, ließ Zermatt gleich ein Lager am Ufer des Flusses aufschlagen. Dann wurde ein Feuer angezündet und in der heißen Asche kochte man einige Eier, die neben dem mitgeführten Pemmican, den Bataten und dem Maiszwieback das Abendbrot lieferten. Aus Vorsicht bestiegen nachher aber alle wieder die Schaluppe und überließen es Braun und Falb, das provisorische Lager gegen die Schakale zu vertheidigen, deren heulendes Bellen von weiter landeinwärts her am Flusse hörbar war.
Drei Tage, vom 12. bis zum 14, verwendete man zum Auffischen von Muscheln, die alle Perlen als kleinere und größere Kugeln in der Perlmuttersubstanz der Schalen eingebettet enthielten. Gegen Abend erlegten Fritz und Jack dann noch Enten und Rebhühner in einem kleinen Gehölze am rechten Ufer des Flusses. Bei dieser Jagd machte sich einige Vorsicht nöthig, denn in dem Gehölze hausten nicht wenige Wildschweine und auch noch gefährlichere Thiere.
Am Abend des 14. erschienen nämlich ein Löwe und eine Löwin, die laut brüllten und die Pranken mit dem mächtigen Schwanze peitschten. Dem männlichen Thiere jagte Fritz eine Kugel wohlgezielt ins Herz und auch die Löwin brach bald darauf von einer solchen getroffen zusammen, zerschmetterte vorher aber noch mit einem Tatzenschlage den Kopf des armen, alten Bill, was dessen Herrn tief bekümmerte.[67]
Außerhalb des Gebietes des sogenannten Gelobten Landes hausten in diesem Theile der Neuen Schweiz also verschiedene Raubthiere. Daß bisher noch keines davon durch den Engpaß der Cluse eingedrungen war, konnte nur als glücklicher Zufall gelten. Zermatt entwarf jetzt aber sofort einen Plan, diesen Engpaß, der, wie wir wissen, die Felswand durchschnitt, möglichst zu versperren.
Inzwischen empfahl er ganz allgemein die größte Vorsicht, vor allem aber Fritz und Jack, die ihr Jagdeifer zuweilen zu unüberlegten Ausflügen verleitete, da eine gefährliche Begegnung mit Raubthieren dabei ja niemals ausgeschlossen war..
Der laufende Tag war im übrigen benützt worden, die am Strande aufgehäuften Muscheln zu entleeren, da die große Menge abgestorbener Mollusken einen recht übeln Geruch zu verbreiten anfing. Am nächsten Tage wollte Zermatt mit seinen Söhnen schon frühzeitig zur Rückkehr aufbrechen, da seine Gattin sich wegen ihres langen Ausbleibens doch wohl beunruhigen mochte. Wiederum fuhr der Kajak der Schaluppe voraus. Am Bogengewölbe angelangt, übergab Fritz seinem Vater aber einen Zettel und wandte sich selbst nach Westen. Zermatt konnte schon im voraus annehmen, daß sein Aeltester im Begriffe war, nach dem Rauchenden Felsen zu suchen.
Buchempfehlung
1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.
220 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro