Achtzehntes Capitel.
Die Abfahrt der »Licorne«. – Das Cap der Guten Hoffnung. – James Wolston und seine Familie. – Abschied von Doll. – Portsmouth und London. – Aufenthalt in England. – Die Vermählung Fritz Zermatt's und Jenny Montrose's. – Rückkehr nach Capetown.

[270] Am 20. October war die »Licorne« von der Neuen Schweiz abgesegelt, um nach England heimzukehren. Bei der Rückfahrt von da sollte sie, nach einem kurzen Aufenthalt am Cap der Guten Hoffnung, Fritz und Franz Zermatt, Jenny Montrose und Doll Wolston wieder mitbringen, wenn die Admiralität die amtliche Besitznahme der neuen Colonie im Indischen Meere veranlaßte. Die Plätze, die früher die Familie Wolston, welche jetzt auf der Insel wohnte, eingenommen hatte, waren nun von den beiden Brüdern besetzt. Jenny und ihrer jungen Begleiterin Doll, die nach Capetown zu James Wolston, seiner Frau und beider Kind gehen sollte, war eine bequeme Cabine eingeräumt worden.

Nach Umsegelung des Caps der Getäuschten Hoffnung steuerte die »Licorne« nach Süden und ein wenig nach Westen, wobei sie die Insel des Rauchenden Felsen an Steuerbord liegen ließ. Ehe die Neue Schweiz aus dem Gesichtskreise verschwand, kam dem Lieutenant Littlestone noch der Gedanke, deren Ostküste zu besichtigen, sich dabei zu überzeugen, daß es sich hier wirklich um eine, in diesem Meerestheile vereinzelt liegende Insel handelte, und annähernd den Werth und die Bedeutung einer Colonie abzuschätzen, die unter dem Inselbesitze Großbritanniens wahrscheinlich bald eine gewisse Rolle spielen sollte. Nach dieser Besichtigung segelte die Corvette bei günstiger Brise weiter und ließ die Insel, deren südliche Küste theilweise durch Nebel verhüllt geblieben war, im Nordwesten hinter sich.

Die ersten Wochen der Seefahrt verliefen in erwünschtester Weise. Die männlichen und weiblichen Passagiere der »Licorne« hätten eine bessere Witterung gar nicht treffen und ein freundlicheres Entgegenkommen, als es ihnen hier von dem Commandanten und den Schiffsofficieren zu theil wurde, gar nicht finden können. Saßen dann alle bei Tafel in der Officiersmesse oder unter dem Sonnendache des Decks bei einander, so bewegte sich das Gespräch meist um die Wunder der Neuen Schweiz. Diese hoffte man nach einem Jahre wiederzusehen,[270] wenn die Corvette im Verlaufe der Hin- und Rückfahrt, oder von Seiten der englischen Behörden keinerlei Verzögerung erlitt.

Fritz und Jenny sprachen bei ihren täglichen Plaudereien vor allem vom Oberst Montrose, von der unendlichen Freude, mit der er diese Tochter, die er ja wiederzusehen schon lange nicht mehr gehofft hatte, in die Arme pressen würde. Seit drei Jahren fehlte es an jeder weiteren Nachricht von dem »Dorcas«, dessen in Sydney gelandete Ueberlebende nur den gänzlichen Verlust des Schiffes gemeldet hatten. Und mit welchen, über die der Dankbarkeit hinausreichenden Gefühlen würde Jenny ihrem Vater den vorstellen, der sie gerettet hatte, mit welch glücklicher Empfindung würde sie ihn bitten, ihren Bund für's Leben zu segnen!

Was Franz und das vierzehnjährige junge Mädchen – für jetzt noch Doll Wolston – anging, mußte es für den einen sehr schmerzlich werden, die andere in Capetown zurückzulassen, und er sehnte sich gewiß herzlich danach, diese ebenda wieder abzuholen.

Als die »Licorne«, etwa in der Höhe der Ile de France, den Wendekreis überschritten hatte, traf sie weniger günstige Winde an, so daß sie den nächsten Ankerplatz erst am 17. December, also fast zwei Monate nach der Abfahrt von der Neuen Schweiz, zu erreichen vermochte.

Die Corvette, die etwa acht Tage lang in Capetown bleiben sollte, ging hier im Hafen vor Anker.

Einer der ersten, die an Bord kamen, war James Wolston. Er wußte, daß sein Vater, seine Mutter und seine beiden Schwestern von Australien mit der »Licorne« weggefahren waren, und er fühlte sich nicht wenig enttäuscht, als er hier nur die eine Schwester begrüßen konnte. Doll stellte ihm Fritz und Franz Zermatt, und danach Jenny Montrose vor.

»Ihr Vater, Ihre Mutter und Ihre Schwester Annah, Herr Wolston, sagte Fritz sofort zu ihm, befinden sich zur Zeit in der Neuen Schweiz, einer vorher unbekannten Insel, nach der unsere gesammte Familie vor zwölf Jahren infolge des Schiffbruches des »Landlord« verschlagen wurde. Die Ihrigen haben beschlossen, dort zu bleiben, und erwarten auch Sie daselbst. Auf der Rückreise von Europa soll die »Licorne« Sie nebst Gattin und Kind mitnehmen, wenn es Ihnen beliebt, uns dahin zu begleiten.

– Wann soll die Corvette hierher nach dem Cap zurückkommen? fragte James Wolston.[271]

– Nach acht bis neun Monaten, antwortete Fritz, und dann wird sie sofort nach der Neuen Schweiz segeln, über der die britische Flagge wehen soll. Mein Bruder und ich haben diese Gelegenheit benützt, die Tochter des Oberst Montrose nach London zu geleiten, und der Oberst wird, wie wir hoffen, jedenfalls bereit sein, sich mit ihr in unserem zweiten Vaterlande niederzulassen...

– Und zwar mit Dir, mein lieber Fritz, der Du dann ja sein Sohn geworden sein wirst, setzte Jenny, dem jungen Manne die Hand reichend, hinzu.

– Das wird die Verwirklichung meines sehnlichsten Wunsches sein, liebste Jenny... erwiderte Fritz.

– Ebenso wie es, James, der Wunsch unserer Eltern ist, daß Du Dich mit Deiner Familie in der Neuen Schweiz ansiedeln möchtest, erklärte Doll.

– Und vergessen Sie nicht hervorzuheben, Doll, ließ sich jetzt Franz vernehmen, daß unsere Insel eine der herrlichsten ist, die jemals dem Schoße des Meeres entstiegen sind.

– Das wird James sofort bestätigen, sobald er sie nur gesehen hat, antwortete Doll. Hat man nur erst den Fuß auf die Neue Schweiz gesetzt, nur die Wohnung in Felsenheim bezogen...

– Und auf Falkenhorst genistet, nicht wahr, Doll? fiel Jenny lachend ein.

– Ja, ja, genistet, fuhr das junge Mädchen fort, dann wird man die Neue Schweiz gewiß nicht wieder verlassen wollen, oder wenn man es doch thut, geschieht es sicherlich nur mit der Absicht, dahin zurückzukehren...

– Nun... hören Sie das, Herr James? sagte Fritz.

– Gewiß, Herr Zermatt, bestätigte James Wolston. Mich auf Ihrer Insel anzusiedeln, dort die ersten Handelsverbindungen mit Großbritannien anzuknüpfen, diese Aussicht könnte mich schon dorthin verlocken. Ich werde die Sache mit meiner Frau besprechen, und wenn sie zustimmt und unsere Angelegenheiten hier geordnet sind, werden wir uns fertig halten, an Bord der »Licorne« zu gehen, sobald diese nach Capetown zurückkehrt. Ich bin überzeugt, daß Suzan nicht zaudern wird...

– Ich thue gern, was mein Mann will, versicherte Frau Wolston, und James weiß, daß ich mich seinen Wünschen niemals widersetze. Wohin er auch gehen mag, ich folge ihm stets mit größter Zuversicht.«

Fritz und Franz drückten James Wolston warm die Hand, während Doll ihre Schwägerin herzlich küßte und Jenny Montrose diese mit freundschaftlicher Zärtlichkeit begrüßte.[272]

»Wir nehmen selbstverständlich an, daß die Tochter des Oberst Montrose ebenso wie Fritz und Franz Zermatt sich, so lange die Corvette hier liegt, als hochwillkommene Gäste unseres Hauses betrachten. Dadurch werden wir am besten mit einander bekannt werden und immer Gelegenheit haben, von der Neuen Schweiz zu sprechen«

Natürlich nahmen die Passagiere von der »Licorne« diese freundliche Einladung ebenso gern an, wie sie erfolgt war. Eine Stunde später empfingen Herr und Frau Wolston bereits ihre Gäste. Fritz und Franz wurden in einem Zimmer[273] zusammen untergebracht. Jenny theilte mit Doll das für diese bestimmte Zimmer, wie sie schon auf der Fahrt hierher die Cabine mit ihr getheilt hatte.


Von ihrer Tante hörte sie, daß der Oberst im letzten Feldzuge gestorben war. (S. 276.)
Von ihrer Tante hörte sie, daß der Oberst im letzten Feldzuge gestorben war. (S. 276.)

James Wolston's Gattin war eine noch junge Frau von vierundzwanzig Jahren, von sanftem, gutem Charakter und hervorragender Intelligenz, deren ganzes Leben in der herzlichsten Liebe zu ihrem Gatten aufging. Dieser wieder, ein ernster, thätiger Mann, erinnerte in der äußeren Erscheinung wie in den seelischen Eigenschaften unwillkürlich an seinen Vater. Die beiden Gatten hatten ein Kind von fünf Jahren, Bob mit Namen, das ihr Stolz und ihre Freude war. Frau Wolston, eine geborene Engländerin, gehörte einer Kaufmannsfamilie an, die schon seit langer Zeit in der Colonie ansässig war. Bei ihrer Verheiratung mit dem damals siebenundzwanzigjährigen James Wolston stand sie jedoch als Waise in der Welt allein.

Die vor fünf Jahren in Capetown gegründete Firma Wolston hatte sich recht glücklich entwickelt. Als umsichtiger, überaus praktischer Engländer mußte James wohl Erfolg haben in dieser Colonie, die 1805 – hundertvierundsechzig Jahre nach ihrer Entdeckung durch die Holländer – in britischen Besitz überging und als solcher 1815 endgiltig bestätigt wurde.

Vom 17. bis 27. December, in den zehn Tagen, die der Aufenthalt der »Licorne« währte, war nur die Rede von der Neuen Schweiz, von den Ereignissen, die sich daselbst abgespielt hatten, von den verschiedenen Arbeiten und den vielfachen Anlagen, die im Laufe von elf Jahren von der Familie Zermatt und zuletzt unter der Mitwirkung der Familie Wolston ausgeführt worden waren. Dieses Gesprächsthema erschien wirklich unerschöpflich. Man mußte nur Doll von all dem Schönen erzählen und Franz sie dabei noch anfeuern, ja gelegentlich ihr noch den Vorwurf machen hören, daß sie von dem Guten ihrer wunderbaren Insel noch nicht einmal genug sagte. Dann sang wohl Jenny, zur großen Befriedigung Fritzens, das Loblied weiter. Wie überglücklich aber würde sie erst sein, wenn sie nach dem Wiedersehen mit ihrem Vater diesen bestimmen könnte – und daran zweifelt sie gar nicht – sich in einer der Meiereien des Gelobten Landes niederzulassen! Welch verheißungsvolle Aussicht, sich den Gründern dieser Colonie anzuschließen, einer Colonie, der eine so blühende Zukunft winkte!

Kurz, die Zeit verstrich ungemein schnell, und es genügt hier wohl – ohne näher darauf einzugehen – die Bemerkung, daß James Wolston sich, in Uebereinstimmung mit seiner Gattin, entschlossen hatte, vom Cap nach der Neuen Schweiz überzusiedeln. Während der Fahrt der Corvette nach Europa und zurück[274] wollte er seine Geschäftsangelegenheiten ordnen und sein Vermögen flüssig machen, um zur Abreise bereit zu sein, sobald die »Licorne« wieder erschiene. Er würde also zu den ersten Auswanderern gehören, die der so glücklich aufblühenden Gründung der Zermatts und der Wolstons ihre Kräfte liehen – ein Entschluß, der beide Familien gewiß aufs höchste erfreute.

Die Abfahrt der »Licorne« war auf den 27. festgesetzt warden. Den Gästen James Wolston's erschien der Aufenthalt des Schiffes hier freilich recht kurz. Am genannten Tage wollte kaum jemand glauben, daß die Stunde zum Abschiede schon gekommen sei und der Lieutenant Littlestone die Corvette bereits segelfertig machen lasse.

Man mußte sich jedoch wohl oder übel in die Trennung fügen, doch mit dem tröstlichen Gedanken, nach acht bis neun Monaten in Capetown zurück zu sein und dann vereinigt nach der Neuen Schweiz abzufahren. Immerhin gestaltete sich der Abschied recht schmerzlich. Jenny Montrose und Suzan Wolston küßten sich thränenden Auges, auch Doll weinte bitterlich. Das junge Mädchen war ernstlich betrübt über den Weggang Franzens, dem bei seiner warmen Zuneigung für sie das Herz ebenfalls recht schwer geworden war. Als sein Bruder und er mit James Wolston den letzten Händedruck wechselten, konnten sie sich sagen, daß sie hier einen wahren Freund zurückließen.

Am Morgen des 27. stach die »Licorne« bei etwas bedeckter Witterung in See. Ihre Fahrt verlief mit mittlerer Geschwindigkeit, da der Wind wochenlang zwischen Nordwest und Südwest wechselte Die Corvette bekam dabei nach einander St. Helena, Ascension und die Inseln des Grünen Vorgebirges in Sicht, letztere etwa in der Höhe der westafrikaniscken Besitzungen Frankreichs. Nachdem sie darauf in der Nähe der Canarien und der Azoren, sowie ziemlich weit seitwärts der Küste Portugals und Frankreichs vorübergekommen war, lief sie in den Aermelcanal ein, umschiffte die Insel Wight und ging am 14. Februar 1817 in Portsmouth vor Anker.

Jenny Wolston wollte sofort nach London weiterreisen, wo ihre Tante, eine Schwägerin ihres Vaters, wohnte. War der Oberst noch in Dienst, so konnte sie ihn dort nicht finden, da der Feldzug, zu dem er von Indien her einberufen worden war, voraussichtlich mehrere Jahre dauerte. Hatte er dagegen den Dienst quittirt, so lebte er jedenfalls in seiner Schwägerin Hause, und hier sollte er dann endlich die wiedersehen, die er als ein Opfer des Schiffbruches des »Dorcas« betrauerte.[275]

Fritz und Franz boten sich Jenny zur Begleitung nach London an, wohin sie ihre Geschäfte ebenfalls riefen, und daß Fritz Eile hatte, mit dem Oberst Montrose zusammenzutreffen, wird ja niemand wundern. Jenny ging von Herzen gern auf das Anerbieten ein. Alle drei reisten noch am nämlichen Abend ab und trafen am Morgen des 23. in London ein.

Hier sollte Jenny Montrose leider eine tiefschmerzliche Ueberraschung erfahren: von ihrer Tante hörte sie, daß der Oberst im Laufe des letzten Feldzuges gestorben war, ohne zu wissen, daß seine so viel beweinte Tochter noch lebte. Jetzt hierher geeilt, weit vom Indischen Oceane her, um ihren Vater zu umarmen und sich nie wieder von ihm zu trennen, um ihm ihren Lebensretter vorzustellen und seinen Segen zu ihrer Verbindung mit diesem zu erbitten, war es Jenny beschieden, ihn überhaupt nicht wiederzusehen.

Ihr erdrückender Schmerz gegenüber einem so unerwarteten Unglück ist wohl begreiflich genug. Vergeblich bemühte sich ihre Tante, ihr Trost zuzusprechen, vergeblich vereinte Fritz seine Thränen mit den ihrigen, der Schlag war gar zu hart, denn niemals wäre ihr der Gedanke gekommen, daß der geliebte Vater, wenn er auch nicht gerade in England anwesend war, nicht mehr unter den Lebenden weilen sollte.

Fritz empfand einen kaum minder tiefen Schmerz. Er erwartete ja vor allem die Zustimmung des Oberst Montrose zu seiner Vermählung mit Jenny, und der Oberst war nicht mehr in dieser Welt!

Einige Tage darauf und nach einem längeren Gespräche, bei dem so manche Thräne vergossen, so mancher Seufzer ausgestoßen wurde, begann Jenny:

»Fritz, mein lieber Fritz, uns beide, Dich so gut wie mich, hat ja das schwerste Unglück heimgesucht, doch wenn Deine Gesinnungen noch die früheren sind...

– Ach, meine geliebte Jenny! rief Fritz.

– Ja ja, ich weiß es, fuhr Jenny fort, und mein Vater wäre gewiß so glücklich gewesen, Dich seinen Sohn zu nennen. So wie ich seine zärtliche Liebe für mich kannte, bezweifle ich nicht im mindesten, daß er uns gefolgt wäre, um unser Leben in der neuen englischen Colonie zu theilen. Auf dieses Glück muß ich nun verzichten! Jetzt stehe ich allein in der Welt und hänge nur von mir selbst ab. Allein?... o nein! Du bist ja da, mein Fritz...

– Jenny, betheuerte der junge Mann im Tone innigster Zärtlichkeit, mein ganzes Leben soll ausschließlich Deinem Glücke geweiht sein...[276]

– Wie das meine dem Deinigen, mein geliebter Fritz! Da nun aber mein Vater nicht mehr da ist, seine Zustimmung zu geben, da ich keine näheren Blutsverwandten und keine andere Familie habe, als die Deinige...

– Ja, die meinige, zu der Du schon seit drei Jahren gehörst, meine Herzensjenny, seit jenem Tage, wo ich Dich an dem Rauchenden Felsen fand...

– Eine Familie, die mich liebt und die ich liebe, Fritz! Nun wohl, nach wenigen Monaten werden wir wieder zurück, wieder in ihrem Kreise sein...

– Verheiratet, Jenny?...

– Ja, Fritz, wenn Du es wünschest, da Du die Zustimmung Deines Vaters hast und meine Tante die ihrige nicht verweigern wird...

– Jenny. meine geliebte Jenny! rief Fritz in die Knie sinkend. Du erfüllst meinen heißesten Wunsch, daß ich Vater und Mutter mein Weib zuführen darf!«

Jenny Montrose verließ jetzt nicht mehr das Haus ihrer Tante, wo Fritz und Franz sie täglich besuchten. Inzwischen wurde alles geordnet, um die Hochzeit nach Verlauf der gesetzlichen Frist feiern zu können.

Andererseits waren die zwei Brüder auch von den nicht so belanglosen Geschäftsangelegenheiten, der ersten Ursache ihrer Reise nach Europa, in Anspruch genommen.

Zunächst handelte es sich dabei um den Verkauf der werthvollen Erzeugnisse der Insel, der Korallen von der Walfischinsel, der Perlen, die in der gleichnamigen Bucht aufgefischt worden waren ebenso wie der Muskatnüsse und des reichlichen Vorrathes an Vanille. Zermatt hatte sich über den Handelswerth dieser Gegenstände nicht getäuscht, denn deren Verkauf ergab die Summe von achttausend Pfund Sterling (160.000 Mark).

Bedenkt man nun, daß die Bänke der Perlenbucht bisher nur ganz oberflächlich ausgebeutet waren, daß an sehr vielen Stellen der Küste Korallen vorkamen, daß Muskatnüsse und Vanille sehr reichliche Ernten versprachen, so wird man, ohne von den übrigen Schätzen der Neuen Schweiz zu sprechen, leicht zugeben, daß die Zukunft der Colonie eine Entwickelung erwarten ließ, die ihr unter den überseeischen Besitzungen Großbritanniens unzweifelhaft einen hohen Rang sicherte.

Nach den Anordnungen des älteren Zermatt sollte ein Theil der aus diesen Verkäufen gelösten Summe verwendet werden, verschiedene Gegenstände zur Vervollständigung der Ausstattung Felsenheims und der Meiereien des Gelobten Landes zu erwerben. Der Rest – etwa dreiviertel des Betrages –[277] wurde nebst zehntausend Pfund Sterling, der Hinterlassenschaft des Oberst Montrose, in der Bank von England niedergelegt, wo der ältere Zermatt bei späterem Bedarf, dank der bald einzurichtenden geregelten Verbindung mit der Reichshauptstadt, darüber nach Belieben verfügen konnte.

Es sei hierbei auch bemerkt, daß verschiedene Werthsachen und Geldbeträge, die den Familien der Verunglückten vom »Landlord« gehörten, diesen zurückgegeben wurden, soweit sich die berechtigten Empfänger hatten ermitteln lassen.

Einen Monat nach dem Eintreffen Fritz Zermatt's und Jenny Montrose's erfolgte in der Kirche der Parochie deren Trauung durch den Geistlichen der Corvette Die »Licorne« hatte beide als Verlobte mitgebracht und sollte sie als junge Eheleute nach der Neuen Schweiz zurückführen.

Die bisher geschilderten Ereignisse machten bei ihrem Bekanntwerden in Großbritannien nicht geringes Aufsehen. Alle Welt interessirte sich für die seit zwölf Jahren auf einer unbekannten Insel des Indischen Oceans verlassene Familie, ebenso wie für die Schicksale Jennys und deren Aufenthalt auf dem Rauchenden Felsen.

Der von Jean Zermatt niedergeschriebene Bericht darüber erschien in den Zeitungen Englands und des Auslandes. Unter dem Titel des »Schweizer Robinson« erlangte er fast dieselbe Berühmtheit wie das unvergängliche Werk Daniel de Foe's.

Selbstverständlich beschloß die Admiralität unter dem Drucke der im Vereinigten Königreich so mächtigen öffentlichen Meinung die Besitznahme der Neuen Schweiz, eines Stückchen Landes, das trotz seiner geringen Ausdehnung wichtige Vortheile zu bieten schien. Die Insel hatte im Osten des Indischen Oceans eine vorzügliche Lage fast am Eingange der Sonda-Meere nahe der Straße nach dem äußersten Asien. Von der Westküste Australiens trennten sie höchstens dreihundert Lieues. Dieser fünfte Erdtheil, der von den Holländern 1605 entdeckt, von Abel Tasman 1644 und vom Kapitän Cook 1774 besucht wurde, entwickelte sich schon mehr und mehr zu einem der wichtigsten Besitzthümer Englands auf der südlichen Halbkugel zwischen dem Indischen und dem Großen (Stillen) Oceane. Die Admiralität konnte sich also nur beglückwünschen, eine Insel in der Nähe dieses ausgedehnten Festlandes zu erwerben.

Auch die Entsendung der »Licorne« nach jener Gegend wurde nicht beanstandet. Die Corvette sollte nach einigen Monaten unter Führung des Lieutenant Littlestone, der aus diesem Anlaß zum Kapitän ernannt wurde, zurückkehren.[278]

Fritz und Jenny Zermatt sollten sich nebst Franz darauf einschiffen und mit ihnen noch einzelne Colonisten, in Erwartung, daß noch weitere sich mit anderen Schiffsgelegenheiten dem nämlichen Ziele zuwendeten.

Gleichzeitig wurde bestimmt, daß die Corvette das Cap anlaufen und da noch James, Suzan und Doll Wolston an Bord nehmen sollte.

Daß die »Licorne« in Portsmouth auffallend lange liegen blieb, lag daran, daß an ihr nach der Fahrt von Sydney bis Europa ziemilich umfängliche Ausbesserungen nöthig geworden waren.

Fritz und Franz hielten sich nicht die ganze Zeit über in London und in England auf. Das junge Ehepaar und Franz hielten sich für verpflichtet, einmal nach der Schweiz zu gehen, um ihren Eltern Nachrichten aus der Heimat bringen zu können.

Sie begaben sich also nach Frankreich und verwendeten acht Tage, die Hauptstadt Paris zu besuchen. Jener Zeit bestand das Kaiserreich nicht mehr und auch die langen Kriege mit England waren zu Ende.

Fritz und Franz kamen nach der Schweiz, nach dem Lande, dessen sie sich, da sie es sehr jung verlassen hatten, kaum noch erinnerten, und sie begaben sich von Genf aus nach dem Canton Appenzell.

Von ihrer Familie fanden sie hier nur noch einzelne entfernte Verwandte, zu denen Herr und Frau Zermatt niemals in näherer Beziehung gestanden hatten. Das Erscheinen der beiden jungen Männer erregte in der Helvetischen Republik immerhin einiges Aufsehen. Die Geschichte der Schiffbrüchigen vom »Landlord« war jetzt allgemein bekannt und man wußte, welche Insel ihnen Zuflucht geboten hatte. Und obwohl die Schweizer wenig Neigung haben, ihr Land zu verlassen und das ungewisse Los eines Auswanderers auf sich zu nehmen, erklärten doch verschiedene ihre Absicht, sich in der Neuen Schweiz anzusiedeln, wo sie auf eine gute Aufnahme rechnen könnten.

Fritz und Franz verließen ihre ursprüngliche Heimat doch mit recht schwerem Herzen. Wenn sie vielleicht auch hoffen konnten, in Zukunft noch einmal dahin zurückzukehren, so konnte für ihre schon etwas bejahrten Eltern davon doch kaum die Rede sein.

Nach der Rückreise durch Frankreich kamen Fritz, Jenny und Franz wieder nach England.

Die Vorbereitungen zur Abfahrt der »Licorne« näherten sich ihrer Vollendung. und in den letzten Tagen des Juni sollte die Corvette zum Absegeln bereit sein.[279]

Es versteht sich von selbst, daß Fritz und Franz von den Lords der Admiralität mit Auszeichnung empfangen wurden. England war Jean Zermatt dankbar dafür, dem Lieutenant Littlestone das Besitzrecht auf seine Insel aus freien Stücken angeboten zu haben.

Zur Zeit, wo die Corvette die Neue Schweiz verlassen hatte, war ein großer Theil von dieser noch unbekannt, denn eine Ausnahme hiervon machten nur das Gebiet des sogenannten Gelobten Landes, die Küste im Norden und ein Theil der östlichen Küste bis zur »Licorne«-Bucht. Der Kapitän Littlestone sollte deshalb die Aufnahme der Süd- und der Westküste ausführen und das Innere der Insel besichtigen. Hierzu sei noch bemerkt, daß nach einigen Monaten noch mehrere Schiffe mit Auswanderern dahin abgehen sollten, die auch weitere Gegenstände für die Colonisation und die Anlage von Vertheidigungswerken mitbringen sollten.

Von dem Zeitpunkte ihres Eintreffens an war dann auch eine regelmäßige Verbindung zwischen England und jenem Theile des Indischen Oceans in Aussicht genommen.

Am 27. Juni war die »Licorne« segelfertig und wartete nur noch auf Fritz, Jenny und Franz, und am 28. trafen diese in Portsmouth ein, wo das für Rechnung der Familie Zermatt erworbene Frachtgut bereits angelangt war.


Eine ungeheure Woge schäumte über die Reling herein. (S. 288.)
Eine ungeheure Woge schäumte über die Reling herein. (S. 288.)

An Bord der Corvette fanden sie den freundlichsten Empfang vom Kapitän Littlestone, den sie auch einigemale in London getroffen hatten. Das sollte eine Freude werden, in Capetown James und Suzan Wolston wiederzusehen, und auch die hübsche, lustige Doll, die Franz inzwischen von allem und von den Erlebnissen in England regelmäßig unterrichtet hatte.

Am Morgen des 29. Juni verließ die Corvette bei günstigem Winde den Hafen von Portsmouth – an der Gaffel die flatternde britische Flage, die sie an der Küste der Neuen Schweiz als Zeichen der Besitzergreifung hissen sollte.[280]

Quelle:
Jules Verne: Das zweite Vaterland. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXVII–LXXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1901, S. 270-281,283.
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