Dreißigstes Capitel.
Endlich vereint! – Ein gedrängter Bericht über alle Ereignisse seit der Abfahrt der »Licorne«. – Die Familien in ihrem Kummer. – Keine Hoffnung mehr. – Das Auftauchen der Piroguen.

[429] Nach wenigen Minuten waren – jetzt vollzählig – die beiden Familien. der Kapitän Harry Gould und John Block in dem Vorrathshause in der Mitte des Eilandes versammelt... hundert Schritte von dem kleinen Batteriehügel, über dem die Flagge der Neuen Schweiz wehte.

Eine Schilderung der Scene des Wiedersehens zu geben, zu beschreiben, wie das Zermatt'sche Elternpaar Fritz, Franz und Jenny stürmisch ans Herz drückte, wie James, Doll, Suzan und Bob sich den Umarmungen des Herrn und der Frau Wolston kaum zu entwinden vermochten, und wie diese alle dem wackeren Kapitän Gould und dem Obersteuermanne die Hände drückten – das mit Worten auszudrücken, was nur ein Gemisch von Jubelrufen, Thränen und Liebkosungen war, wäre doch unmöglich, und deshalb wollen wir es lieber gar nicht erst versuchen.[429]

Als sich dann die erste Aufregung etwas beruhigt hatte, ging es kurze Zeit an ein eifriges Erzählen der Geschichte der fünfzehn Monate seit dem Tage, wo die »Licorne«, die Jenny Montrose, Fritz, Franz und Doll hinwegführte, hinter den letzten Anhöhen des Caps der Getäuschten Hoffnung verschwunden war.

Doch bevor man auf die Ereignisse der Vergangenheit eingehender zurückkommen konnte, mußte man der Gegenwart gerecht werden.

Obwohl die beiden Familien jetzt wieder vollzählig beisammen waren, befanden sie sich doch in einer recht ernsten, recht bedrohten Lage. Die Wilden mußten sich dieses Eilandes schließlich doch bemächtigen, wenn es an Munition oder an Mundvorrath zu mangeln begann. Auf irgend eine Hilfe von außen war ja nicht zu rechnen.

Mit kurzen Worten berichtete Fritz über die »Licorne«, und wie diese am Cap habe zurückbleiben müssen, von der Meuterei an Bord der »Flag«, der Aussetzung der Schaluppe ins offene Meer, von der Ankunft an dem öden und unfruchtbaren Theile einer unbekannten Insel, wie von den Umständen, unter denen der Kapitän Gould und seine Gefährten erkannt hatten, daß diese Insel die Neue Schweiz sei, ferner von der Wanderung der kleinen Gesellschaft bis zum Gebiete des Gelobten Landes, ihrem Aufenthalte in Falkenhorst und von dem Erscheinen der Eingeborenen...

»Und wo sind diese? fragte Fritz schließlich.

– In Felsenheim, antwortete sein Vater.

– In großer Zahl?

– Nun, mindestens hundert, denn sie kamen, wahrscheinlich von der Küste Australiens her, in fünfzehn Piroguen hier an.

– Und dem Himmel sei Dank, daß Ihr vor ihnen habt fliehen können! rief Jenny.

– Ja, mein liebes Kind, antwortete der ältere Zermatt, sobald wir der Piroguen ansichtig geworden waren, die nach Umsschiffung des Caps im Osten in die Rettungsbucht einliefen, haben wir uns nach der Haifischinsel in der Hoffnung zurückgezogen, hier einen Angriff besser abwehren zu können.

– Die Wilden wissen also, fiel Fritz ein, daß Ihr Euch jetzt auf diesem Eilande befindet?

– Das wissen sie zwar, antwortete sein Vater, doch, Gott sei Dank, haben sie hier bisher nicht landen können, und noch weht über uns die alte, theuere Flagge!«[430]

Hier folge nun in kurzem Auszuge, was sich seit dem Zeitpunkte. mit dem der erste Theil dieser Erzählung abschloß, in der Neuen Schweiz ereignet hatte.

Bei dem Wiedereintritte der schönen Jahreszeit und nach den Ausflügen, die zur Entdeckung des Montrose-Flusses führten, wurde ein Aufklärungszug bis zu der früher erwähnten Bergkette unternommen, wobei Herr Wolston, Ernst und Jack auf dem Gipfel des Pic Zermatt die britische Flagge hißten. Das war etwa zwölf Tage vor der Landung der Schaluppe an der Südküste der Insel geschehen, und wenn dieser Zug bis jenseit der Bergkette ausgedehnt worden wäre, hätte nicht viel daran gefehlt, dem Kapitän Gould an der Schildkrötenbucht zu begegnen. Und wenn dieser Fall eintrat, wieviel Kummer, wieviel Sorge und Qual wäre beiden Theilen erspart geblieben! Wie der Leser weiß, überschritten Herr Wolston und die beiden Brüder aber nicht die dürre, sich nach Süden zu ausdehnende Hochebene, sondern schlugen sofort wieder den Weg nach dem Grünthale ein.

Wir wissen ebenfalls, daß Jack, von seinem heißen Wunsche, einen jungen Elephanten zu fangen, verführt, mitten in ein Lager von Wilden gerathen war, die ihn gefangen nahmen. Nachdem er deren Händen entronnen war, hatte er die ernste Nachricht mit heimgebracht, daß eine Rotte Eingeborener an der Ostküste der Insel gelandet war.

Welche Besorgniß das allen einflößte, welche Entschließung man angesichts der Möglichkeit eines Angriffes auf Felsenheim faßte und wie eine Tag und Nacht andauernde Bewachung der Wohnstätte eingeführt wurde, darauf brauchen wir hier nicht näher zurückzukommen.

Drei volle Monate gingen indeß ohne Störung vorüber; die Wilden erschienen weder von der Seite des Caps im Osten, noch von dem Hinterlande des Gelobten Landes her; es sah aus, als hätten sie die Insel endgiltig verlassen.

Sehr beunruhigend blieb es jedoch, daß die »Licorne«, die im September oder October hätte zurückkommen sollen, auf dem Gewässer der Neuen Schweiz nicht eintraf. Vergeblich begab sich Jack wiederholt nach der Anhöhe auf dein Prospect-Hill, um nach der Corvette auszulugen... immer kam er nach Felsenheim zurück, ohne etwas von dieser entdeckt zu haben.

Hier sei auch – um nicht wieder darauf zurückzukommen – erwähnt, daß das Schiff, das Herr Wolston, Jack und Ernst gesehen hatten, als sie auf dem Pic Jean Zermatt standen, die »Flag« gewesen war, was man aus der[431] Uebereinstimmung der Daten feststellen konnte. Ja, es war jener, in die Gewalt Robert Borupt's gefallene Dreimaster, der nach einer anfänglichen Annäherung an die Insel durch die Gegend der Sundainseln nach dem Großen Ocean zu gesteuert war und von dem man später nie wieder etwas gehört hat.

Die letzten Wochen des Jahres verliefen endlich allen in einer Traurigkeit, die bald zur Verzweiflung ausartete. Nach fünfzehn Monaten hegten die Herren Zermatt und Wolston, ebenso wie Ernst und Jack, keine Hoffnung mehr, die »Licorne« je wiederzusehen. Frau Zermatt, Frau Wolston und Annah hörten gar nicht mehr auf, die Abwesenden – die Verschollenen – zu beweinen. Keine von ihnen hatte noch Muth zu irgend etwas.

»Was nützt es – so war ihr Gedankengang – für das weitere Gedeihen unserer Insel zu arbeiten? Warum sollen wir noch weitere Farmen anlegen, noch andere Felder besäen, warum ein Gebiet noch weiter verbessern, das für uns schon zu groß, für unsere Bedürfnisse zu ergiebig ist? Unsere Kinder, unsere Brüder und Schwestern werden ja doch nicht wieder zurückkehren nach diesem zweiten Vaterlande, wo ihnen die Zukunft so verlockend winkte, wo sie so glücklich waren und wir es so lange Zeit noch hätten sein können!«

Nach einem so überaus langen Ausbleiben setzten sie keinen Zweifel mehr darein, daß die »Licorne« Schiffbruch gelitten habe, daß sie mit allem, was sie trug, untergegangen sei, und daß man von ihr weder in England noch im Gelobten Lande je wieder etwas hören werde.

Hatte die Corvette nämlich ihre Fahrt nach Europa ohne Unfall vollendet, so mußte sie nach einem Aufenthalte von wenigen Tagen am Cap der Guten Hoffnung binnen drei Monaten in Portsmouth, ihrem Heimatschafen, eingetroffen sein. Von dort wäre sie einige Monate später mit der Bestimmung nach der Neuen Schweiz wieder abgesegelt und bald wären ihr dann mehrere Auswandererschiffe nach der neuen englischen Colonie gefolgt. Da nun aber kein Schiff diesen Theil des Indischen Oceans besucht hatte, mußte die »Licorne« jedenfalls in den gefährlichen Meeren zwischen Australien und Afrika verunglückt sein, ohne nur ihre erste Landungsstelle in Capetown erreicht zu haben. Dann wußte aber noch niemand von dem Vorhandensein der Insel und diese blieb auch in Zukunft unbekannt, wenn nicht der Zufall ein Fahrzeug in diese fernen Gewässer verschlug, durch die jener Zeit noch keine Schiffahrtsstraße führte.

Diese Verkettung der Thatsachen war nur zu richtig, und nur zu logisch die Folgerungen, die sich daraus ergaben, und deren letzte darauf hinauskam, daß die Neue Schweiz bis jetzt noch nicht dem Colonialreiche Großbritanniens einverleibt sei.

In der ersten Hälfte der besseren Jahreszeit hatten der ältere Zermatt und Herr Wolston nicht daran gedacht, Felsenheim zu verlassen. Sonst verlebten sie gewöhnlich die schönste Zeit des Sommers in Falkenhorst und widmeten je eine Woche den Meiereien von Waldegg. Zuckertop, des Prospect-Hill und der Einsiedelei Eberfurt. Diesmal beschränkten sie sich auf ganz kurze Besuche, soweit die Sorge für die Thiere daselbst solche nothwendig machte. Die übrigen Theile der Insel, außerhalb des Gebietes des Gelobten Landes, ließen sie jetzt ganz unbeachtet. Weder die Pinasse, noch die Schaluppe glitten um das Cap im Osten oder um das der Getäuschten Hoffnung, um weitere Untersuchungen vorzunehmen, weder die Nautilusbai, noch die Perlenbucht wurde bis zu ihrem Ende besichtigt.


Der ältere Zermatt entdeckte eine Flotille. (S. 436.)
Der ältere Zermatt entdeckte eine Flotille. (S. 436.)

Kaum unternahm Jack mit dem Kajak einige Fahrten über die Rettungsbucht, er begnügte sich vielmehr mit der Jagd in der Nähe von Felsenheim und ließ Brausewind, Sturm und Brummer gemächlich ausruhen. Manche von Wolston geplante Arbeiten, zu denen sein Instinct als Ingenieur ihn antrieb, wurden jetzt nicht unternommen. Wozu auch... ja, wozu denn? Mit diesen drei Worten kam die traurige Entmuthigung der beiden, hart geprüften Familien zum Ausdruck.

Auch am 25. December, als sie sich zum Weihnachtsabend versammelten, zu dem Feste, das in den früheren Jahren stets mit heller Freude gefeiert worden war, entströmten nur Thränen ihren Augen und beteten sie für die, die jetzt nicht hier waren.

So begann das Jahr 18!7. Noch niemals hatte in dem herrlichen Sommer desselben die Natur ein so reiches Füllhorn ihrer Gaben über sie ausgeschüttet. Ihre Freigebigkeit ging aber über die Bedürfnisse dieses häuslichen Herdes hinaus, um den sich jetzt nur sieben Personen scharten. Die große Wohnung erschien fast leer und todt gegenüber der schönen Zeit, wo hier ein so reges Leben geherrscht hatte.

Wie mußten jetzt das Zermatt'sche und das Wolston'sche Ehepaar es bereuen, daß sie der Abreise ihrer Kinder zugestimmt, ja diese dazu fast noch ermuthigt hatten, wo sich doch schon alle eines so andauernden, ungetrübten Glückes erfreuten. War es denn klug und weise von ihnen, das noch vermehren zu wollen? Zeigten sie sich nicht vielmehr undankbar gegen den Himmel, der die Ueberlebenden vom »Landlord« schon viele Jahre so sichtlich gesegnet hatte?[435]

Und doch, was Herr und Frau Zermatt für ihre zwei Söhne gethan hatten, das mußte ja geschehen, und Jenny hatte ja die Verpflichtung, ihren Vater aufzusuchen; Fritz aber mußte wiederum die begleiten, die seine Gattin werden und deren Hand er vom Oberst Montrose erbitten sollte. Franz endlich lag es ob, Doll nach dem Cap der Guten Hoffnung zu begleiten, sie James Wolston zu übergeben und bei der Rückkehr der »Licorne« beide, nebst Suzan und deren Kinde, ihren Eltern zuzuführen. Der ältere Zermatt hielt sich übrigens auch für verpflichtet, so viele Colonisten hierherzuziehen, als die Ertragsfähigkeit der Neuen Schweiz aufzunehmen gestattete.

Ja... alle hatten klug und weise gehandelt. Wer hätte denn voraussehen können, daß die Corvette von dieser Fahrt nicht zurückkehren sollte, und daß man darauf verzichten müßte, sie jemals wieder erscheinen zu sehen?

Und dennoch konnte man wohl fragen, ob denn wirklich alles unrettbar verloren sei. Die Verzögerung der »Licorne« konnte ja auch durch andere Ursachen als durch einen totalen Schiffbruch veranlaßt sein; vielleicht hatte sie schon länger in Europa liegen bleiben müssen und konnte man ihrem Erscheinen jenseit des Caps im Osten oder des Caps der Getäuschten Hoffnung doch noch entgegensehen; vielleicht tauchten ihre hohen Segel recht bald am Horizonte auf und flatterte ihr langer Wimpel grüßend am Top des Großmastes.

In der zweiten Januarwoche dieses traurigen Jahres war es gewesen, als der ältere Zermatt eine Flottille von Piroguen in dem Augenblick entdeckte, als sie die Spitze des Caps im Osten umschiffte und der Rettungsbucht zusteuerte. Ueber die Thatsache selbst brauchte man nicht zu staunen, denn nachdem Jack vorher in die Hände von Wilden gefallen war, mußten diese wissen, daß die Insel selbst bewohnt war.

Wie dem aber auch sein mochte, jedenfalls mußten die von der Fluth getragenen Piroguen vor Ablauf von zwei Stunden die Mündung des Schakalbaches erreicht haben. Wahrscheinlich brachten die Boote gegen hundert Mann, denn jedenfalls hatte sich die ganze, an der Insel gelandete Bande an dieser Fahrt betheiligt, und wie hätte man einer so großen Zahl einen ernsthaften Widerstand leisten können? Was war nun zu thun? Sollten die Insassen Felsenheims nach Falkenhorst, dem Prospect-Hill, nach Zuckertop oder gar nach der Einsiedelei Eberfurt fliehen? Würden die beiden Familien dann mehr in Sicherheit sein? Hatten die Eindringlinge überhaupt erst auf die reichen Gefilde des Gelobten Landes den Fuß gesetzt, so durchstreiften sie diese gewiß auch bald[436] in ihrem ganzen Umfange. Sollten die Bewohner von Felsenheim also vielleicht eine mehr verborgene Zufluchtstätte in den unbekannten Theilen der Insel suchen, und gab ihnen das die Gewißheit, dort nicht entdeckt zu werden?

Nach reiflicher Ueberlegung trat da Herr Wolston mit dem Vorschlage hervor, Felsenheim zu verlassen und nach der Haifischinsel überzusetzen. Schifften sich alle hinter der Landspitze der Rettungsbucht schleunigst auf der Schaluppe ein und steuerte diese nahe dem Ufer nach Falkenhorst zu dahin, so konnten die Flüchtlinge das Eiland vielleicht noch vor dem Eintreffen der Piroguen erreichen. Dort lag, unter dem Schutze der beiden Caronnaden der Batterie, wenigstens die Möglichkeit vor, sich wirksamer zu vertheidigen, wenn die Eingeborenen eine Landung an der kleinen Insel versuchen sollten.

Mangelte auch die Zeit, allerlei Geräthe und den nöthigen Proviant für einen längeren Aufenthalt hinüber zu schaffen, so konnte doch das auch Lagerstätten enthaltende Vorrathshaus des Eilandes die beiden Familien aufnehmen. Uebrigens wollte der ältere Zermatt wenigstens auf der Schaluppe verladen, was die ersten Bedürfnisse zu decken versprach. Außerdem diente bekanntlich die mit Mango-, Cocos- und anderen Bäumen bestandene Insel als Park für eine Antilopenherde, und eine klare Quelle lieferte, selbst in der heißesten Jahreszeit, gutes Wasser in Ueberfluß.

Wegen der nöthigen Nahrung für einige Monate brauchte man sich also keine Sorge zu machen. Ob die beiden Vierpfünder freilich genügen würden, die Flottille abzuwehren, wenn sie in voller Stärke gegen die Haifischinsel heranrückte, das konnte vorläufig niemand sagen. Jedenfalls war aber den Eingeborenen die Macht der Feuerwaffen unbekannt, und schon der Geschätzdonner mußte den Schrecken in ihre Reihen tragen ohne von den Geschossen und den Kugeln zu reden, womit die beiden Geschütze und die Carabiner sie gewiß nicht verschonen sollten. Gelang es etwa fünfzig der Wilden aber dennoch Faß zu fassen, was... ja, was dann?...

Herrn Wolston's Vorschlag warde angenommen, und jetzt war kein Augenblick mehr zu verlieren. Jack und Ernst lotsten die Schaluppe nach der Mündung des Schakalbaches. Mit größter Eile wurden Conserven von Cassave, nebst Reis und Mehl, auch Waffen und Schießbedarf darin verladen. Die beiden Zermatts, das Wolston'sche Ehepaar, sowie Ernst und Annah stiegen ein, während Jack in seinem Kajak Platz nahm, der im Nothfalle eine Verbindung zwischen der Küste und dem Eiland unterhalten konnte. Die Thiere in Felsenheim – mit[437] Ausnahme der beiden Hunde, die ihre Herren begleiten sollten – mußten sich selbst überlassen bleiben. Der Schakal, der Strauß und der Adler würden sich ihr Futter schon zu beschaffen wissen.

Die Schaluppe stieß von der Mündung des Baches ab, als die Piroguen bereits gegenüber der Walfischinsel sichtbar wurden, sie lief aber nicht Gefahr, in dem Theile des Meeres zwischen Felsenheim und der Haifischinsel entdeckt zu werden.

Herr Wolston und Ernst hatten sich an die Ruder gesetzt und der ältere Zermatt steuerte in der Weise, daß er wiederholt Wasserwirbel benützte, die das Fahrzeug ohne zu große Mühe gegen die steigende Fluth aufkommen ließen. Eine Seemeile weit erforderte es dennoch eine tüchtige Anstrengung, nicht nach der Rettungsbucht hin zurückgetragen zu werden, und dreiviertel Stunden nach der Abfahrt lag das zwischen den Felsen hingesteuerte Boot glücklich am Fuße des Batteriehügels. Sofort wurden nun die von Felsenheim mitgenommenen Kisten, Waffen und sonstigen Gegenstände ausgeladen und in dem Vorrathshause untergebracht. Herr Wolston und Jack stiegen jedoch gleich nach dem Batterieschuppen hinauf und stellten sich dort so auf, daß sie die Umgebung des Eilandes übersehen konnten.

Natürlich wurde die noch am Signalmast wehende Flagge sogleich eingezogen. Immerhin war zu befürchten, daß die Wilden, deren Piroguen sich nur noch in der Entfernung von einer Seemeile befanden, sie bereits bemerkt hätten. Jetzt galt es also, sich in Voraussicht eines unmittelbar drohenden Angriffes für die Vertheidigung bereit zu halten.

Dieser Angriff erfolgte indeß nicht. Auf der Höhe des Eilandes angelangt, wendeten die Piroguen sich nach Süden und die Strömung trug sie nach der Mündung des Schakalbaches. Nach der Landung brachten die Eingeborenen sie in der kleinen Einbuchtung in Sicherheit, wo die Pinasse verankert lag.

Das war also die Lage der Dinge. Seit vierzehn Tagen bereits hatten die Wilden Felsenheim besetzt, ohne die Wohnstätte – dem Anscheine nach – verwüstet zu haben. Dagegen war es Falkenhorst schlimmer ergangen, denn von dem Hügel aus hatte der ältere Zermatt beobachten können, wie die Thiere herausgetrieben wurden, nachdem dort die Zimmer und die Baulichkeiten im Hofe offenbar geplündert und zerstört worden waren.

Daß die wilden Eindringlinge entdeckt hätten, daß die Haifischinsel den Bewohnern der großen Insel jetzt als Zufluchtsstätte diente, das war bald nicht[438] mehr zu bezweifeln. Wiederholt glitten ein halbes Dutzend Piroguen über die Rettungsbucht und steuerten auf das Eiland zu. Mehrere von Ernst und Jack abgefeuerte Geschosse bohrten eine oder zwei davon in Grund und trieben die anderen in die Flucht. Von diesem Zeitpunkte an wurde es aber nöthig, Tag und Nacht aufmerksam zu wachen. Am meisten zu fürchten und am schwierigsten abzuweisen war ja offenbar ein Angriff, der im Dunkel der Nacht erfolgte.

Aus diesem Grunde hatte der ältere Zermatt, nachdem der Zufluchtsort hier einmal bekannt geworden war, auch die Flagge auf dem Batteriehügel wieder aufgezogen für den – freilich höchst unwahrscheinlichen – Fall, daß ein Schiff in Sicht der Neuen Schweiz vorübersegelte.

Quelle:
Jules Verne: Das zweite Vaterland. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXVII–LXXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1901, S. 429-433,435-439.
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