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[303] So vollendete sich das Jahr 1882, das in den Activen und Passiven Findlings mit so vielen glücklichen und unglücklichen Conten, mit der Vertreibung und dem Verschwinden der Familie Mac Carthy, von der er nie wieder etwas gehört hatte, mit den drei auf Trelingar-castle zugebrachten Monaten, seinem Zusammentreffen mit Bob, der Niederlassung in Cork und mit dem Gedeihen seines kleinen Handels, verzeichnet stand.
Während der ersten Monate des neuen Jahres erlahmte der Verkehr zwar noch nicht, er schien aber seinen Höhepunkt überschritten zu haben. Da Findling einsah, daß er unter solchen Umständen nicht weiter vorwärts kommen könne, trug er sich stets mit dem Gedanken, nun eine einträglichere Operation – nicht in Cork, sondern in einer bedeutenderen Stadt Irlands zu wagen. Immer lag ihm dafür Dublin im Sinn, und er hoffte, es werde sich schon eine Gelegenheit bieten, sein Vorhaben auszuführen.
Januar, Februar und März verstrichen. Die beiden Knaben sparten, wo sie konnten, jeden Penny. Ihr kleines Vermögen nahm einmal auch plötzlich mehr zu, als ihnen ein besondres »Geschäft« mit recht gutem Nutzen zufiel. Es handelte sich dabei um eine politische Flugschrift bezüglich der Wahl Parnell's, zu deren Vertrieb in den Straßen von Cork und von Queenstown Findling das ausschließliche Recht erhielt. Wer die Broschüre kaufen wollte, mußte sich also an ihn, allein an ihn wenden, und Birk trag einen hübschen Posten davon auf dem Rücken. Die Sache hatte überraschenden Erfolg, und beim Abschluß der Rechnung zu Anfang des April befanden sich in der Cassa dreißig Pfund, achtzehn Schillinge und sechs Pence. So reich waren die Knaben noch niemals gewesen.
Jetzt entstanden lange Verhandlungen über die Frage der Ermiethung eines kleinen Ladens in der Nähe des Bahnhofs. Es wäre ja so hübsch gewesen, ein eignes Heim zu haben. Gerade Bob, dem schon nichts mehr unerreichbar schien, drängte mehr und mehr dazu. Da wäre nun ein Zeitungs-[303] und Bücherladen entstanden mit einem Chef von elf und einem Gehilfen von acht Jahren – Ladeninhabern, die nun schon hätten Steuern entrichten müssen. Voraussichtlich hätten die Kinder, die bereits das öffentliche Interesse erregt hatten, auch gute Geschäfte gemacht. Findling dachte jedoch auch noch an das und jenes andre und erwog es nach allen Richtungen. Vor allem beschäftigte ihn der Gedanke der Uebersiedlung nach Dublin, wohin es ihn wie eine Ahnung zog. Dennoch zögerte er und fügte sich Bobs Einwürfen, als sich etwas ereignete, was für seine Zukunft sofort entscheidend werden sollte.
Es war am Sonntag dem 8. April. Findling und Bob hatten sich vorgenommen, den Tag in Queenstown zuzubringen. Vorzüglich bestimmte sie dazu das Verlangen, einmal in einer wirklichen Matrosenschänke zu frühstücken und zu speisen.
»Da giebts wohl Fische? fragte Bob.
– Ja, antwortete Findling, sogar Hummern, und wenn nicht diese, dann wenigstens Krabben, wenn Du diese magst....
– Ich?... Natürlich!«
Die Knaben legten die besten, sorgsam gereinigten Kleider an, zogen blank gewichste Stiefeln an die Füße und brachen frühzeitig mit dem glattgebürsteten Birk zu ihrem Ausfluge auf.
Heut' war prächtiges Wetter, glänzend strahlte die Frühlingssonne herab und über dem Wasser wehte eine leichte, laue Brise. Die Fahrt auf der Lee in einem Fährboot machte ihnen schon das größte Vergnügen. Hier befanden sich nämlich Musiker an Bord, Straßenvirtuosen, deren Vorträge Bob geradem entzückten. Der Tag begann also in angenehmster Weise, und es war nur zu wünschen, daß er ebenso endigte.
Kaum auf dem Quai von Queenstown angelangt, entdeckte Findling eine Schänke mit der Firma zum »Old Seaman«, die ihm ganz passend erschien, um darin einzukehren.
Vor der Thür stand ein Kübel, in dem ein halb Dutzend Krustenthiere ihre Beine und Scheeren durcheinander bewegten, bis sie in den Kochtopf wanderten, wenn ein Gast den dafür verlangten Preis anlegen wollte. Von einem Tische neben dem Fenster aus konnte man die an den Pfählen im Wasser befestigten Schiffe übersehen.
Findling und Bob wollten eben in die vielversprechende Schänke eintreten, als ihre Aufmerksamkeit durch ein großes Dampfschiff abgelenkt wurde, das[304] am Abend vorher in Queeastown angelaufen war und noch seine Sonntagstoilette machte.
Es war der »Vulcan«, ein Dampfer, von acht- bis neunhundert Tonnen, der von Amerika kam und am nächsten Tage nach Dublin weiter gehen sollte. Das hatte wenigstens ein Matrose in gelber Wachstuchjacke Findling auf dessen Fragen mitgetheilt.
Beide betrachteten noch das eine halbe Kabellänge vom Quai vertäute Fahrzeug, als sich ein großer Bursch mit geschwärztem Gesicht und noch[305] schwärzeren Händen Findling näherte, ihn ansah und den Mund weit aufsperrend rief:
»Du... Du!... Bist Du es wirklich?«
Findling wurde ganz bestürzt, und Bob war es nicht minder. Der junge, fremde Mann duzte ihn? Und noch dazu ein Neger?... Kein Zweifel, hier mußte ein Irrthum vorliegen.
Der vermeintliche Neger ließ sich durch die Zurückhaltung des Knaben jedoch nicht abschrecken.
»Ich bin's ja!... Kennst Du mich denn nicht?... Ich bin's... Die Ragged-School... Grip!...
– Grip!« wiederholte Findling ganz außer sich.
In der That war das Grip, und nun fielen sich beide in die Arme und küßten sich mit solcher Innigkeit, daß Findling selbst dabei so schwarz wie ein Kohlenträger wurde.
Das war eine Freude des Wiedersehns! Der alte Aufseher der Lumpenschule war jetzt ein großer, kräftiger junger Mann von zwanzig Jahren, der durch nichts mehr an die Leidenszeit in Galway erinnerte, oder höchstens nur dadurch, daß sein Gesicht noch den gleichen gutmüthigen Ausdruck zeigte.
»Grip... Grip... Du bist es... Du! rief Findling immer und immer wieder.
– Ja, ich bin's... und ich hatte Dich auch niemals vergessen, mein Junge!
– Und Du bist jetzt Matrose?...
– Nein, Heizer an Bord des »Vulcan«!«
Die Eigenschaft als Heizer machte auf Bob, der dabei ans Kochen dachte, einen sehr tiefen Eindruck.
»Was machen Sie denn da am Feuer? fragte er. Wohl Suppe?...
– Nein, Kleiner, erwiderte Grip lachend, ich koche gar nichts, ich heize nur den Dampfkessel, der unsre Maschine in Bewegung setzt und die dann das Schiff vorwärts treibt.«
Findling stellte seinem alten Beschützer aus der Ragged-School nun seinen Bob vor.
»Eine Art Bruder, sagte er, den ich auf der Landstraße gefunden habe... und der Dich gut genug kennt, denn ich habe ihm unsre Geschichte oft erzählt. Ach, mein guter Grip, wie viel mußt Du mir erst zu erzählen haben, wo wir nun seit sechs langen Jahren getrennt gewesen sind![306]
– Und Du doch wohl auch? entgegnete der Heizer.
– Nun, komm, komm, frühstücke mit uns... dort in jener Schänke, in die wir eben gehen wollten....
– O nein, erwiderte Grip, im Gegentheil, Ihr werdet mit mir frühstücken. Zunächst kommt jedoch einmal mit an Bord....
– An Bord des »Vulcan«?...
– Natürlich.«
Wie, beide sollten auf das Schiff gehen? – Findling und Bob wagten kaum, Grip zu glauben. Das war ja für sie dasselbe, als hätte man ihnen vorgeschlagen, ins Paradies einzutreten.
»Ja, aber unser Hund?...
– Welcher Hund?...
– Birk.
– Das Thier, das hier um mich herumstolziert?... Ist das Euer Hund?
– Unser Freund, Grip... ein Freund, fast in der Art wie Du!«
Wer weiß, ob Grip sich durch diesen Vergleich besonders geschmeichelt fühlte, jedenfalls streichelte er das Thier, das so warm gelobt worden war.
»Doch der Kapitän?... warf Bob noch ein, dem dieser Gedanke eine starke Zurückhaltung auferlegte.
– Der Kapitän ist am Lande, und der Oberbootsmann wird Euch wie große Herren empfangen!«
Daran zweifelte Bob, wenn er in Gesellschaft Grips kam, weit weniger. Ein erster Heizer... das hat doch etwas zu bedeuten!
»Uebrigens, fuhr Grip fort, muß ich noch ein bischen Toilette machen und mich vom Kopf bis zu den Füßen waschen, da mein Dienst zu Ende ist.
– Du hast also den ganzen Tag frei, Grip?
– Den ganzen Tag.
– Das war doch ein herrlicher Gedanke, Bob, heute nach Queenstown zu fahren!
– Ja, ich glaub's Dir, sagte Bob.
– Und Du, nahm Grip lachend wieder das Wort, Du mußt Dich auch etwas abseifen, ich habe Dich ja ganz schwarz gemacht, Findling. Du heißt doch noch immer so?
– Jawohl, Grip.
– Das ist mir lieb.[307]
– Grip... ich möchte Dich noch einmal umarmen!
– Geniere Dich nicht, mein Junge, wir stecken nachher doch die Nase in den Kübel!
– Nun, und ich? ließ sich Bob vernehmen.
– Du auch!«
Der junge Mann küßte auch den Kleinen, der davon ebenso negerähnlich wie Grip selbst wurde.
Was schadete das? Sie konnten sich ja an Bord des »Vulcan« und in der kleinen Cabine, worin der Heizer schlief, Gesicht und Hände wieder reinigen. – An Bord und in einer Cabine!... Bob konnte noch gar nicht daran glauben!
Einen Augenblick danach bestiegen alle drei – Birk nicht zu vergessen – das kleine Boot des Dampfers, das Grip mittelst Riemens vorwärts trieb – zur größten Freude Bobs, sich so herrlich geschaukelt zu sehen – und binnen zwei Minuten legten sie am »Vulcan« an.
Der Hochbootsmann machte Grip ein einladendes Zeichen mit der Hand und der Heizer ließ seine Gäste durch die Luke des Feuerraums hinabsteigen, während Birk auf dem Verdeck umhertrottete.
Hier wurde ein Faß neben dem Lager Grips mit warmem Wasser gefüllt, so daß sie ihre natürliche Farbe wieder erlangen konnten. Während er sich dann umkleidete, erzählte Grip seine Geschichte.
Beim Brande der Ragged-School ziemlich ernstlich verwundet, hatte er gegen sechs Wochen im Krankenhause gelegen, das er zum Glück wieder völlig hergestellt verließ, nur daß es ihm an allen Mitteln zum Unterhalt gebrach.
Die Stadt ging eben daran, die Lumpenschule wieder herzustellen, denn man konnte deren Insassen doch nicht auf der Straße liegen lassen. In Erinnerung an die in jenem abscheulichen Obdach zugebrachten Jahre, empfand Grip aber nicht das geringste Verlangen, dahin zurückzukehren. Auch ferner mit O'Bodkins und der alten Kriß zu leben, so boshafte Schlingel wie Carker und dessen Kameraden zu überwachen, das erschien ihm keineswegs verlockend. Nun war ja auch Findling nicht mehr dort. Grip wußte zwar, daß diesen eine schöne Dame mitgenommen habe, doch wohin... das konnte er nicht erfahren; und als er das Krankenhaus verlassen hatte, da blieben seine Erkundigungen danach leider ohne jeden Erfolg.[308]
Grip verließ also Galway und durchstreifte auf gut Glück das Land. Zur Erntezeit fand er zuweilen auf einer Farm Beschäftigung, doch keine feste Anstellung, was ihn natürlich beunruhigte. So wanderte er von Ort zu Ort, manchmal bittre Noth leidend, im ganzen aber doch glücklicher als früher in der Lumpenschule.
Ein Jahr später war Grip nach Dublin gekommen, er wollte auf die See gehen. Der Beruf als Seemann schien ihm sichrer als irgend ein andrer. Mit achtzehn Jahren ist es aber zu spät, Schiffsjunge, ja sogar Leichtmatrose zu werden. Da er sich also nicht als Matrose einschiffen konnte, schon weil ihm die dazu nöthigen Kenntnisse fehlten, so begnügte er sich, als Kohlenschaufler einzutreten, und als solcher war er an Bord des »Vulcan« aufgenommen worden. Da unten in der Tiefe, in einer von schwarzem Rauch geschwängerten Luft zu verweilen und noch dazu bei erstickender Hitze, das erscheint zwar nicht als das Ideal des Wohllebens hienieden. Grip war jedoch entschlossen und arbeitsam. Sauber und eifrig von Natur, gewöhnte er sich schnell an die Disciplin an Bord. Niemals zog er sich einen Vorwurf zu. So erwarb er sich die Achtung des Kapitäns und der Officiere, die sich für den armen Teufel ohne Familie interessierten.
Der »Vulcan« fuhr zwischen Dublin und New-York oder andern Häfen der Ostküste von Amerika. In zwei Jahren war Grip vielmals über den Ocean gekommen, immer damit betraut, die Bunker richtig zu füllen und das Heizmaterial vor die Feueröffnung zu schaffen. Da erwachte in ihm der Ehrgeiz. Er hielt darum an, unter dem Befehl des Maschinisten als Heizer verwendet zu werden. Man stellte ihn probeweise als solchen an und er befriedigte bald seine Vorgesetzten. So wurde er nach einiger Zeit erster Heizer, und als solchen fand Findling seinen alten Genossen von der Lumpenschule auf dem Quai von Queenstown wieder.
Der brave junge Mann, der keine Ausschreitungen liebte und dem unsinniges Zechen zuwider war, während das bei Matrosen der Handelsmarine, wenn die Leute ans Land kommen, so oft zu finden ist, hatte seinen Lohn stets zum größten Theil zurückgelegt. Er besaß also ein kleines Vermögen, das er mit Vergnügen wachsen sah – einige sechzig Pfund, an deren Verwendung er noch niemals gedacht hatte. Von seinem Gelde Interessen zu beziehen, das konnte ihm ja gar nicht in den Sinn kommen; war es ja schon wunderbar genug, daß Grip überhaupt vorräthige Geldmittel sein eigen nannte.[309]
Das war die Geschichte, die Grip lustig erzählte und nach der auch Findling die seinige zum Besten gab. Diese war freilich bewegter, und Grip wollte kaum seinen Ohren trauen, als er von dem künstlerischen Erfolge der Miß Anna Walston hörte, von der glücklichen, schönen Zeit in der Farm von Kerwan, von dem Unglück, das die ehrenwerthe Familie betroffen hatte. Es schmerzte ihn mit, daß Findling von seinen Pflegeeltern gar nichts weiter hatte in Erfahrung bringen können, er staunte aufrichtig über den Reichthum und die Pracht von Trelingar-castle und empörte sich über die Hochmüthigkeit des Grafen Ashton, die Findling veranlaßt hatte, seiner Existenz daselbst ein Ende zu machen.
Auch Bob mußte einiges aus seiner Lebensgeschichte erzählen. Sie war freilich mehr als einfach, denn in der That hatte er gar keine. Sein Leben begann ja eigentlich erst mit dem Tage, wo ihn Findling auf der Straße gefunden oder vielmehr aus der Dripsey wieder aufgefischt hatte, als er sich den Tod geben wollte.
Birks Geschichte fiel natürlich mit der seines Herrn zusammen und brauchte nicht weiter geschildert zu werden.
»Na, nun ist es an der Zeit, frühstücken zu gehen, sagte der erste Heizer des »Vulcan«.
– Doch nicht, bevor wir uns das Schiff angesehen haben? erwiderte Findling lebhaft.
– Und bevor wir einmal auf die Masten geklettert sind? setzte Bob hinzu.
– Wie es Euch beliebt, meine Boys!« erwiderte Grip.
Nun ging's durch die Luken im Verdeck hinunter in den Schiffsraum, was für unsern Handelsmann das allergrößte Vergnügen war. Hier lagen Baumwollenballen, Zuckerfässer, Säcke mit Kaffee, und Kisten, die allerlei überseeische Naturerzeugnisse enthielten, deren Duft Findling begierig einsog. Diese Schätze waren nun also aus weiter Ferne für Rechnung der Rheder des »Vulcan« eingekauft, um auf den Märkten des Vereinigten Königreichs wieder veräußert zu werden. O, wenn Findling jemals in die Lage kam....
Grip unterbrach den schönen Traum mit der Einladung, wieder nach dem Deck hinauszugehen, um die im Hintertheil des Schiffes gelegenen Cabinen des Kapitäns und der Officiere zu besuchen, während Bob außen auf den Wanten umherkletterte und wirklich bis auf die Stenge des Fockmastes gelangte. Im ganzen Leben war er noch nicht so entzückt, aber auch so gewandt im Klettern gewesen. Vielleicht steckte das Zeug zu einem Schiffsjungen in dem Knaben.[310]
Gegen elf Uhr saßen Grip, Findling und Bob vor einem Tische in der Schänke zum »Old Seaman«, Birk natürlich dahinter, der mit der Schnauze bis zur Höhe des Tischtuchs reichte, und es ist wohl kein Wunder, daß jetzt alle tüchtigen Appetit verspürten.
Dafür gab es auch eine vortreffliche Mahlzeit, deren Kosten Grip auf sich nahm. Nämlich Eier mit brauner Butter, kalten Schinken mit gelblichem zitternden Gelée darüber, ferner Chesterkäse und zu dem allen vorzüglich schäumendes Ale! Außerdem wurde Hummer aufgetischt, nicht die gewöhnlichen Krabben des Armen, nein, wirklicher Hummer mit weißrothem Fleisch in der hochrothen Schale, der Hummer der reichen Leute, ein Leckerbissen, den Bob als das weitaus beste bezeichnete, womit man sich den »Magen füllen« könnte.
Natürlich wurde auch während des Essens geplaudert. Wenn es in seinem Kreise nicht vorkommt, mit vollem Munde zu sprechen, so hatte unsre kleine Gesellschaft doch die Entschuldigung. daß sie keine Zeit verlieren durfte.
Dabei tauschten nun Grip und Findling alte Erinnerungen aus von der Zeit her, wo sie in der erbärmlichen Ragged-School gelebt hatten... sie erwähnten den Vorfall mit der armen Möve, die als Geschenk erhaltene wollene Jacke... die schlechten Streiche Carker's u. s. w.
»Was ist denn aus dem Thunichtgut geworden? fragte Grip.
– Ich weiß es nicht und habe mich nicht darum gekümmert, antwortete Findling. Das schlimmste für mich wär's jedenfalls gewesen, wenn ich wieder mit ihm zusammengetroffen wäre.
– Beruhige Dich, Du wirst ihm nicht wieder begegnen, versicherte Grip; da Du aber Zeitungen verkaufft, mein Boy, so rathe ich Dir, sie auch zuweilen zu lesen.
– Das thu ich wohl auch.
– Dann wirst Du sehr bald erfahren, daß jener Bösewicht Carker kürzlich an einem Hanffieber gestorben ist.
– Gehenkt?... Ach, Grip...
– Jawohl, gehenkt! Es war ja nicht anders zu erwarten!«
Hierauf kamen die Einzelheiten von der Feuersbrunst zur Sprache. Grip war es ja, der den Knaben mit eigner Lebensgefahr gerettet hatte, und jetzt hatte dieser zum ersten Male Gelegenheit, ihm zu danken.
»Ich habe, seit wir getrennt waren, immer und immer an Dich gedacht! sagte er.
– Das freut mich herzlich, mein Boy![311]
– Nur ich, ich habe nicht an Grip gedacht, rief Bob mit dem Ausdrucke lebhaften Bedauerns.
– Weil Du mich nur dem Namen nach gekannt hast, Bob, antwortete Grip. Jetzt kennst Du mich...
– Und ich werde auch immer von Dir sprechen, wenn wir beide mit einander plaudern, wir beide, Birk!«
Birk antwortete zustimmend mit Bellen, was ihm ein mit Speck belegtes Stück Brod einbrachte, das er auf einmal verschlang. Trotz der[312] Versicherung Bobs schien er dem Hummer dagegen keinen Geschmack abgewinnen zu können.
Grip wurde nun über seine Reisen nach Amerika gefragt. Er erzählte von den großen Städten Amerikas, von ihrer Industrie, ihrem Handel, und Findling hörte so aufmerksam zu, daß er darüber sogar das Essen ganz vergaß.
»Uebrigens, bemerkte Grip, giebt es auch sehr große Städte in England, und wenn Du jemals nach London, Liverpool oder Glasgow kommst...[313]
– Ja, Grip, das weiß ich. Ich hab' es in den Journalen gelesen, große Handelsstädte, sie liegen nur gar so weit von hier....
– O nein, nicht so weit....
– Für Seeleute, die dahin fahren, ja, doch für alle andern...
– Nun, aber zum Beispiel Dublin? rief Grip. Das ist nur dreihundert Meilen von hier entfernt. Ein Bahnzug erreicht es in einem Tage, ohne daß man über See zu gehen braucht....
– Ach ja, Dublin!« murmelte Findling.
Das entsprach so genau seinem lebhaften Wunsche, daß er nachdenklich wurde.
»Sieh, fuhr Grip fort, das ist eine sehr schöne Stadt mit sehr lebhaftem Geschäftsverkehr. Dort legen die Schiffe nicht nur vorübergehend an, wie hier in Cork. Dort nehmen sie Fracht ein und kehren mit solcher dahin zurück....«
Findling lauschte voller Spannung... seine Gedanken trugen ihn mit sich fort.
»Du solltest Dich in Dublin versuchen, sagte Grip. Ich bin überzeugt, da würden sich die Verhältnisse für Dich besser gestalten als hier; und wenn Du etwa Geld brauchst...
– Wir haben etwas erübrigt, Bob und ich, unterbrach ihn Findling.
– Das will ich meinen, fiel Bob ein, der einen Schilling sechs Pence aus der Tasche zog.
– Ich auch, erklärte Grip, und ich weiß nicht, was ich damit beginnen soll.
– Warum legst Du das Geld nicht an... irgendwo... in einer Bank?
– Dazu hab' ich kein Vertrauen....
– Ja, dann verlierst Du aber die Zinsen, die es Dir einbringen würde, Grip....
– Das ist besser, als alles zu verlieren, was man besitzt. Wenn ich keins zu andern Leuten habe, zu Dir würde ich es haben, mein Boy, und wenn Du nach Dublin kämst, nach dem Heimathafen des »Vulcan«, da würden wir uns auch oft sehen können. Ich wiederhole Dir, wenn Du, um einen Handel anzufangen, etwas Geld brauchst, so wär' ich gern erbötig, es Dir zu geben....«[314]
Der wackre Bursche war schon daran, das zu thun. Er fühlte sich ja überglücklich, seinen Findling wie der getroffen zu haben, und ihm schien es, als wären sie durch Bande verknüpft, die kein Zufall lösen könnte.
»Komm' nach Dublin, wiederholte Grip. Soll ich Dir sagen, was ich denke?
– Sprich. lieber Grip.
– Nun, siehst Du, mir schwebt immer der Gedanke vor... daß Du... dort Dein Glück machen müssest....
– Mir wohl auch... ich habe immer denselben Gedanken gehabt, antwortete Findling einfach. Seine Augen leuchteten aber in hellerem Glanze auf.
– Ja, ja, fuhr Grip fort, ich sehe Dich dort eines Tages schon reich... sehr reich. In Cork freilich wirst Du nicht so viel verdienen. Ueberlege Dir meine Worte, denn man soll niemals ohne Ueberlegung handeln.
– Ganz recht, Grip.
– Jetzt aber. wo es nichts mehr zu essen giebt... seufzte Bob aufstehend.
– Du willst sagen, Junge, fiel ihm Grip ins Wort, daß Du wohl auch keinen Hunger mehr hast....
– Ja, vielleicht... ich weiß nicht. Das ist das erste Mal, daß mir das vorkommt....
– So wollen wir also ein wenig spazieren gehen,« schlug Findling vor.
So verlief der Nachmittag, wobei die Freunde vielerlei Pläne schmiedeten, während sie auf den Quais und durch die Straßen Queenstowns lustwandelten.
Als dann die Trennungsstunde gekommen war und Grip die Knaben nach dem Landungsplatze des Fährbootes begleitet hatte, begann er:
»Wir werden uns wiedersehen. Man kann sich nicht gefunden haben, um einander nie wieder zu begegnen.
– Gewiß, Grip... in Cork... sobald der »Vulcan« hier wieder anlegt...
– Warum nicht in Dublin, wo er meist einige Wochen liegen bleibt?... Ja, in Dublin, und wenn Du Dich entschließen kannst...
– Leb wohl, leb wohl, Grip!
– Auf Wiedersehen, mein Boy!«
Sie umarmten sich herzlich und mit tiefer Erregung, die keiner von beiden zu verheimlichen sich bemühte.[315]
Bob und Birk nahmen ebenfalls mit Abschied, und als das Fährboot abgestoßen war, da folgte ihm Grip noch lange mit den Augen, während jenes den Fluß empordampfte.
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