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[208] Summy Skims Optimismus hielt freilich nur eine Nacht über an. Beim Erwachen am nächsten Morgen verfiel er wieder in seine gewöhnlichen Anschauungen, deren er sich unter einer unerklärlichen Beeinflussung kurze Zeit entschlagen hatte, und als er sich sagen mußte, daß alle seine Befürchtungen sich bewahrheiten würden, da wurde er so schlechter Laune, wie es sein glücklicher Charakter nur zuließ.
Bis zu dem Zeitpunkte, wo er den Claim würde verkaufen können, wollte ihn Ben Raddle also selbst in Betrieb nehmen. Wer konnte übrigens wissen, ob er sich entschließen würde, ihn überhaupt abzutreten?
»Eine verteufelte Geschichte! murrte der weise Summy für sich. Ach, Onkel Josias, wenn wir zu Minenarbeitern, zu Goldgräbern, zu Prospektoren oder wie man derlei Volk auch nennen mag, geworden sind, Leute, die ich lieber Elendsucher nennen würde, so bist du daran schuld. Einmal mit der Hand in diesem Rädergetriebe, so wird auch der ganze Körper mit hineingezerrt und jedenfalls kommt der nächste Winter heran, bevor wir wieder auf dem Wege nach Montreal sind... Ein Winter in Klondike!... Mit seiner Kälte, für die man hat so hübsche Thermometer her stellen müssen, deren Gradeinteilung vom Nullpunkt[208] an weit tiefer hinabreicht, als bei den andern darüber hinauf! Eine verlockende Aussicht!... Ach, Onkel Josias, Onkel Josias!«
So murrte Summy Skim vor sich hin. Doch ob es nun die natürliche Wirkung der Philosophie war, der hinzugeben er sich schmeichelte, oder ob hier noch eine andre Ursache ins Spiel kam, jedenfalls stand seine Überzeugung nicht so wurzelfest wie früher. War Summy Skim also vielleicht im Zuge, einer gewissen Evolution zu unterliegen, und gewann der ruhige Gutsherr von Green Valley Geschmack am Leben eines Abenteurers?
Für die Lagerstätten am Yukon hatte die Betriebszeit eben erst angefangen, waren sie doch erst seit vierzehn Tagen durch das Auftauen des Erdbodens und den Eisabtrieb von den Creeks zugänglich geworden. Wenn der von der grimmigen Kälte erhärtete Erdboden der Spitzhaue und der Hacke auch noch mehr oder weniger Widerstand bot, so konnte man doch schon ein Stück weit in ihn eindringen und auch die goldführenden Schichten erreichen ohne die Befürchtung, daß die vom Winter erhärteten Brunnenschächte etwa zusammen »brächen.
Wegen Mangels vollkommneren Arbeitsgerätes und wegen Mangels an Maschinen, die er mit großem Vorteil anzuwenden verstanden hätte, mußte sich Ben Raddle vorläufig mit dem Napf oder der Schüssel (Pfanne) – im Jargon der Goldsucher pan genannt – behelfen. Diese rudimentären Hilfsmittel genügten jedoch, den schlammigen Sand in der Nähe des Forty Miles Creek auszuwaschen.
Im ganzen handelt es sich ja hier um erzhaltige Gänge, nicht um eigentliche Stromclaims, die eine mehr industrielle Ausbeutung erfordern. Schon waren zum Zerkleinern des Quarzes in den bergigen Lagerstätten von Klondike Stampfmaschinen aufgestellt, die wie in den andern Grubendistrikten Kanadas und Englisch-Kolumbiens arbeiteten.
Ben Raddle hätte übrigens keinen bessern Vertreter als den Werkmeister Lorique finden können. Alles konnte er ihm überlassen, einem Manne von reicher Erfahrung, der mit dieser Art von Arbeiten sehr vertraut und überdies befähigt genug war, alle ihm vom Ingenieur vorgeschlagenen Verbesserungen einzuführen.
Hier sei auch erwähnt, daß eine zu lange Unterbrechung der Ausbeutung des Claims 129 Beschwerden seitens der Verwaltungsbehörde hervorgerufen hätte. Sehr begierig nach den Abgaben, die ihr vom Ertrage der Fundstätten zufallen, ist sie auffallend geneigt, in der guten Jahreszeit die unbenützten Konzessionen nach verhältnismäßig kurzer Zeit für verfallen zu erklären.[209]
Der Werkmeister fand bei der Anwerbung eines Personals mehr Schwierigkeiten, als er vorausgesetzt hatte. Die Nachrichten über neue Fundstätten in dem von den »Domes« überragten Gebiete hatten die Arbeitsuchenden dahin gezogen, weil dort auf einen hohen Lohn zu rechnen war. Zwar trafen in Dawson City Karawanen noch ohne Unterbrechung ein, da jetzt bei der wärmern Witterung die Fahrt über die Seen und den Yukon hinunter wesentlich leichter war. Nach Handarbeitern herrschte aber jenerzeit, wo die Anwendung der Maschinen noch nicht sehr verbreitet war, von allen Seiten die regste Nachfrage.
Während es sich Lorique nun angelegen sein ließ, die nötige Zahl von Arbeitern aufzutreiben, beeilte sich Ben Raddle, sein Jane Edgerton gegebenes Versprechen einzulösen, und unverzüglich überstiegen Summy Skim und er den Hügel, der ihr Besitztum von dem der jungen Nachbarin trennte.
Die merkwürdige Verteilung des Claims in zwei Höhenlagen, die obere stromauf-, die untre stromabwärts, fiel dem Ingenieur beim ersten Blick ins Auge. Nachdem er bis zum Ufer des Creek gekommen war und die Gestaltung seiner Ufer sorgfältig besichtigt hatte, faßte er sein vorläufiges Urteil in folgende Worte zusammen:
»Den tatsächlichen Wert Ihres Claims, liebes Fräulein, sagte er zu Jane Edgerton, vermöchte wohl niemand richtig abzuschätzen. Anderseits glaube ich Ihnen aber versichern zu können, daß Sie mit dem Versuche, die untre Stufe abzubauen, einen falschen Weg eingeschlagen haben.
– Warum das? fragte Jane. Mir war doch die Wahl durch die Lage der Schächte vorgeschrieben.
– Gerade das Vorhandensein dieser Schächte, entgegnete Ben Raddle, ist es, das Sie davon hätte abhalten sollen. Liegt es nicht auf der Hand, daß in einer von so vielen Goldgräbern aufgesuchten Gegend die von ihnen abgeteuften und dann aufgegebenen Schächte keinen Ertrag mehr geliefert haben werden? Warum sollten Sie erfolgreicher arbeiten, wo das den andern fehlschlug?
– Das ist freilich richtig, gestand Jane gegenüber dieser überzeugenden Darstellung.
– Es gibt auch noch ein andres Argument, fuhr Ben Raddle fort, doch um dessen Gewicht zu begreifen, müssen Sie erst eine klare Erkenntnis von der Art und Weise haben, wie die von Ihnen und von uns ausgebeutete goldführende Schicht entstanden ist. Diese Schicht ist nichts andres als eine vom Forty Miles Creek in sehr entlegner Zeit, wo er noch nicht in seine jetzigen Ufer gedrängt war,[210] zurückgelassene Ablagerung. Der weit breitere Fluß bedeckte damals, wie den hundertneunundzwanzigsten und wie die andern Claims der nächsten Umgebung, auch den Platz, worauf wir stehen, und die Schlucht, in der Sie unten Ihre Nachsuchungen begonnen haben, bildete eine Art Golf, in den der von dem Hügel abgelenkte Fluß sich mit einer gewissen Gewalt hinabstürzte. Doch wohlverstanden: das Wasser mußte vorher die obere Stufe durchströmen, weil diese stromaufwärts liegt, dann stürzte es von der Felsenbarre als Wasserfall auf den untern Absatz, um von hier aus seinen Lauf fortzusetzen. Die Felsenbarre aber bildete notwendigerweise ein Hindernis, an dem sich das Wasser in Wirbeln brach. Es ist also höchst wahrscheinlich, daß es jenseit dieses Hindernisses alle mitgerissenen schweren Körper, und vor allem die Goldklümpchen, die es etwa schwebend enthielt, verlieren mußte. Die hinter der Felsenbarre entstandene Mulde oder Vertiefung wird sich allmählich mit dem Niederschlag der schwereren Geschiebeteile angefüllt haben und dann ist ein Tag gekommen, wo das Gold endlich auf den untern Absatz hinabgeschwemmt werden konnte; es ist aber anzunehmen, daß gerade zu dieser Zeit eine Erderschütterung die Gesteinsmasse in Bewegung gesetzt hat, die jetzt die früher vorhandne Sandschicht bedeckt und verbirgt, und daß der durch diesen Felssturz nach Norden verdrängte Fluß das Uferland, wie wir es heute sehen, nicht mehr bewässern konnte.«
Summy Skim verhehlte nicht seine Bewunderung über das eben Gehörte.
»Eine einleuchtende Darstellung! rief er. Du bist ja der wahre Ausbund eines Gelehrten, Ben!
– Na na, nur gemach, antwortete Ben Raddle. Alles in allem sind das doch nur Hypothesen. Ich glaube mich jedoch nicht zu täuschen mit der Behauptung, es könne der Claim 127b Gold nur enthalten unter dem Haufen von Felsblöcken, die seine obere Hälfte bedecken.
– Das werden wir bald sehen!« sagte Jane, kurz entschlossen wie immer.
Die beiden Vettern und ihre Begleiterin gingen in der Schlucht etwa zweihundert Meter weit hinauf, betraten dann an der Stelle, wo die Felsbarre allmählich auf den Talweg austrat, den obern Absatz und kamen damit wieder an den Creek. Der Marsch über die wahllos zusammengewürfelten Blöcke war ungemein beschwerlich und sie brauchten fast eine Stunde, den Fluß zu erreichen.
Nirgends konnte Ben Raddle trotz angestrengtester Aufmerksamkeit eine Spur von Sand entdecken. Überall nur ein Chaos von Steinen und Felsblöcken, durch deren Zwischenräume man noch andre darunter eingeklemmte Felsen wahrnahm.[211]
»Es wird seine Schwierigkeiten haben, meine Theorie experimentell zu beweisen, äußerte Ben Raddle, als er an den fast senkrecht vom Fluß aufragenden Uferrand kam.
– Vielleicht weniger als du glaubst, antwortete Summy, der nur wenige Meter von ihm entfernt eine interessante Entdeckung gemacht zu haben schien. Hier... hier ist Sand, Ben.«
Ben Raddle trat auf seinen Vetter zu Eine viereckige sandige Fläche, kaum so groß wie ein Taschentuch, schimmerte wirklich zwischen zwei Felsen hervor.
»Ah, sogar ein prächtiger Sand! rief Ben, nachdem er ihn kurz besichtigt hatte. Ein wahres Wunder, daß den vor uns noch niemand gefunden hatte. Betrachte nur seine Farbe, Summy, sehen Sie sich den Sand an, Fräulein Jane! Ich wette hundert gegen eins, daß der auf jede Schüssel seine fünfzig Dollars ergibt!«
Der Ingenieur konnte seine Behauptung freilich nicht an Ort und Stelle bekräftigen. Alle füllten deshalb eiligst Taschen und Hüte mit dem kostbaren Niederschlag und begaben sich auf dem frühern Wege zurück.
Am Creek angelangt, wurde der Sand durch Auswaschen von seinem Metallgehalt getrennt und Ben Raddle konnte zu seiner Befriedigung nachweisen, daß seine bescheidene Schätzung viel zu niedrig gewesen war: der Ertrag einer Schüssel belief sich tatsächlich wenigstens auf den Wert von hundert Dollars.
»Hundert Dollars! riefen Jane und Summy freudig erstaunt.
– Und zwar mindestens, versicherte Ben Raddle mit. Überzeugung.
– Doch dann... dann ist ja mein Glück gemacht! stammelte Jane, die trotz ihrer sonst unerschütterlichen Kaltblütigkeit sich einer tiefen Erregung jetzt nicht erwehren konnte.
– Halt... halt, nicht gleich durchgehn! mahnte Ben Raddle. Ich glaube ja bestimmt, daß Ihr Claim Pepiten von sehr großem Werte enthält, doch abgesehen von der Möglichkeit, daß der reiche Schatz der gefundenen kleinen Stelle nur eine Zufälligkeit ist, dürfen Sie die ungeheuern Kosten nicht vergessen, die die Freilegung des Erdbodens erfordern wird. Da brauchen Sie Arbeiter. Hilfswerkzeuge... ja selbst Dynamit wird nicht zu entbehren sein, Sie von jenem Haufen von Felsentrümmern zu befreien.
– Wir werden gleich, noch heute ans Werk gehen, sagte Jane entschlossen. Patrick und ich werden versuchen, eine weitre kleine Stelle ohne fremde Hilfe abzuräumen. Was sich da findet, wird mir erlauben, die nötige Mannschaft anzustellen[212] und das unentbehrliche Gerät zu beschaffen, um die Arbeit nachdrücklich betreiben zu können.
– So ist's recht, stimmte ihr Ben Raddle zu, uns bleibt nun bloß noch übrig, Ihnen aufrichtig Glück zu wünschen...
– O, und Ihnen ebenso wie Herrn Summy, meinen herzlichsten Dank anzunehmen. unterbrach ihn Jane. Ohne Ihr Dazwischentreten wäre ich schon nahe daran gewesen, die Grenze zu überschreiten, um mein Heil in Alaska zu versuchen, und dann hätte doch niemand voraussagen können...
– Da ich Ihr Teilhaber bin, fiel ihr Ben Raddle etwas kühl ins Wort, lag es ja in meinem Interesse, Fräulein Edgerton, Ihnen beizustehen, die beste Lösung zu finden und nach Möglichkeit das Kapital, das Sie mir repräsentieren, vor Gefahren zu schützen.
– Ja, das ist richtig,« gab Jane sichtlich befriedigt zu.
Summy Skim unterbrach jetzt das Zwiegespräch, das ihm offenbar auf die Nerven fiel.
»Ihr seid doch eingefleischte Geschäftsleute, Ihr beide! Ja, auf Wort, ein erstaunliches Paar! Mich, der ich nicht »Associé« bin, mich hindert doch nichts, vollauf zufrieden zu sein.«
Die beiden Vettern überließen es nun Jane, ihre neue Ausbeutung zu beginnen, und begaben sich nach dem Claim 129 zurück, wo schon einige Arbeiter eingetroffen waren. Lorique hatte bis gegen Ende des Tages etwa dreißig anwerben können, freilich nur unter Zusicherung eines sehr hohen Lohnes, der meist zehn Dollars für den Tag überstieg.
Das war gegenwärtig übrigens der gewöhnliche, an der Bonanza übliche Lohnsatz. Manche Arbeiter brachten es zu einem Tagesverdienst von fünfundsiebzig bis achtzig Francs und nicht wenige davon wurden verhältnismäßig reich, da sie das Geld nicht so leicht ausgaben, wie sie es eingenommen hatten.
Über diese Steigerung des Arbeitslohnes braucht man sich übrigens nicht zu verwundern. Auf den Fundstätten des Sockum z. B. förderte ein Arbeiter öfters bis zu hundert Dollars in der Stunde, so daß er als Lohn immer nur den zehnten Teil von dem erhielt, was er an Gold ausgewaschen hatte.
Es wurde schon erwähnt, daß die Arbeitsgeräte auf Nummer 129 nur sehr unzureichende waren: Schöpfkellen und Schüsseln oder Tröge, weiter nichts. Hatte Josias Lacoste sich nun auch nicht veranlaßt gefühlt, die so primitiven Hilfsmittel zu vervollständigen, so wollte, was er unterlassen, doch sein Neffe nachholen. Mit[213] Unterstützung des Werkmeisters und unter Anlegung eines ansehnlichen Preises wurden den Geräten des Claims 129 zwei »Rockers« (Wiegen) hinzugefügt.
Ein solcher Rocker besteht einfach aus einem drei Fuß langen und zwei Fuß breiten Kasten – fast einer Art Sarg – der auf einem Schaukelgestell angebracht ist. Darin liegt ein Sack mit einem viereckigen Einsatz lose gewebten Wollenstoffes, der die Goldkörnchen zurückhält und nur den seinen Sand durchfließen läßt. Am untern Ende dieses Apparates, dem durch das Schaukelgestell regelmäßige Anstöße erteilt werden können, befindet sich eine gewisse Menge Quecksilber, das sich mit dem Golde amalgamiert, wenn dessen Körnchen so klein sind, daß sie mit der Hand nicht gut gefaßt und entfernt werden können.
Noch lieber als solche Wiegen hätte sich Ben Raddle ein »Sluice« (eine Art Schleusenvorrichtung) angeschafft und da er keine solche erhalten konnte, gedachte er, sie selbst herzustellen. Eine Sluice besteht im Grunde eigentlich nur aus einem längeren Gerinne, mit sechs Zoll voneinander verlaufenden Querfurchen am Boden. Leitet man einen Strom flüssigen Schlammes hinein, so werden die Erd- und Quarzteile daraus weggeschwemmt, während die Furchen das spezifisch weit schwerere Gold zurückhalten.
Diese beiden, recht wirksamen Verfahrensarten geben sehr gute Erträgnisse, sie bedingen aber die Anlage einer Pumpe zum Heben des Wassers nach dem obern Ende des Rockers oder der Sluice, was natürlich die Kosten des Apparates steigert. Handelt es sich um Claims in bergiger Lage, so kann man zuweilen natürliche Wasserfälle benützen, auf den im Niveau des Flusses gelegenen Claims muß man aber zu mechanischen Hilfsmitteln greifen, was eine ziemlich große Auslage dafür erfordert.
Die Ausbeutung des Claims Nummer 129 begann jetzt also unter bessern Bedingungen als früher wieder.
Summy Skim machte sich freilich seine eignen Gedanken darüber, als er bemerkte, mit welchem Eifer, ja mit welcher Leidenschaft sich Ben Raddle dieser Arbeit widmete.
»Ben ist, so sagte er sich, entschieden der hier herrschenden Seuche nicht entgangen und Gott gebe nur, daß ich nicht auch noch davon befallen werde. Ich fürchte immer, man erholt sich von ihr niemals wieder, selbst wenn man ein Vermögen zusammengescharrt hat, und es genügt dazu jedenfalls nicht, genug Gold zu besitzen. Nein, zuviel muß man davon haben und vielleicht ist auch das dann noch nicht genug!«[214]
So weit hatten es die Besitzer des 129. Claims jetzt natürlich noch lange nicht gebracht. Die Fundstätte mochte ja, wenn man dem Werkmeister glauben wollte, recht erzreich sein. Jedenfalls gab sie ihre Schätze aber nicht so leicht her. Es machte arge Schwierigkeit, die goldführende Schicht zu erreichen, die sich neben dem Forty Miles Creek tief im Boden hinzog. Ben Raddle überzeugte sich bald, daß die vorhandenen Brunnenschächte noch nicht tief genug waren und noch weiter ausgehoben werden müßten. Zu dieser Jahreszeit eine halb beschwerliche und halb gefährliche Arbeit, da die Wände durch keinen Frost mehr erstarrt wurden.
Doch war es denn klug und weise, die immerhin kostspielige Arbeit zu unternehmen, und erschien es nicht ratsamer, sie den Syndikaten oder den Privatpersonen zu überlassen, die den Claim später etwa erwarben? Hätte sich Ben Raddle nicht besser auf die Ausbeute der Schüsseln und der Wiege beschränken sollen?
Die Schüsseln lieferten allerdings nur je für einen Vierteldollar Gold. Bei dem Lohne, der dem Personal zugebilligt war, ergab sich nur ein verschwindend kleiner Nutzen und unwillkürlich drängte sich die Frage auf, ob die Anschauungen des Werkmeisters über den Reichtum des Bodens wirklich begründet wären oder nicht.
Im Laufe des Juni herrschte eine sehr schöne Witterung. Zwar kamen einige heftige Gewitter zum Ausbruch, sie gingen aber schnell vorüber. Die dadurch kurze Zeit unterbrochnen Arbeiten längs des Forty Miles Creek wurden danach sofort wieder aufgenommen.
In den ersten Tagen des Juli waren die Besitzer des Claims 129 nur imstande, eine Summe von dreitausend Dollars nach Dawson zu schicken, wo das Gold für ihre Rechnung in den Panzerschränken der Anglo-American Transportation and Trading Company deponiert wurde.
»Wenn meine Tasche nicht leer wäre, sagte Summy Skim, würde ich noch etwas zulegen, um der Gesellschaft mehr senden zu können, damit sie es bedauern lernte, sich den Claim Nummer 129 haben entgehen zu lassen. Aber dreitausend Dollars!... Die Leute lachen uns ja einfach aus!
– Geduld, Summy, nur Geduld! mahnte ihn Ben Raddle. Das wird mit der Zeit schon noch anders werden.«
Damit das »anders werde«, wie der Ingenieur sich ausdrückte, hieß es freilich, sich nun zu beeilen. Den Juli eingerechnet, dauerte die gute Jahreszeit[215] nur noch zwei Monate. Die jetzt um halb elf Uhr untergehende Sonne tauchte schon um halb zwei Uhr wieder über dem Horizont auf und auch in der dazwischenliegenden Zeit herrschte eine so helle Dämmerung, daß man die Sterne in der Umgebung des Pols kaum schimmern sah. Mit einer zweiten, die erste regelmäßig ablösenden Mannschaft hätten die Prospektoren die Arbeit ohne Unterbrechung fortsetzen können. So verfuhr man auf den jenseits der Grenze auf alaskischem Gebiete liegenden Placers, wo die Amerikaner eine unglaubliche Tätigkeit entwickelten.
Zum großen Bedauern Ben Raddles war es aber unmöglich, es ihnen nachzutun. Lorique konnte trotz aller Bemühungen nicht mehr als vierzig Leute anwerben.
Auf dem Claim 127b begegnete Jane Edgerton ähnlichen Schwierigkeiten: sie mußte sich gar nur mit zwölf Hilfskräften begnügen, da überhaupt zu keinem noch so hohen Preise mehr Leute zu bekommen waren.
Jeden Abend erhielten Ben Raddle und Summy Skim eine Mitteilung über den Erfolg ihrer Mühen. Ohne gerade den beim ersten Versuch gelieferten Ertrag zu erreichen, erwies sich der Metallgehalt des Claims doch als recht vielversprechend. Der durchschnittliche Ertrag der Schüsseln belief sich auf vier Dollars, es war aber auch nicht selten, daß er den Wert von zehn Dollars erreichte. Unter solchen Umständen hätten schon zehn Arbeiter genügt, bis zum Ende der Betriebszeit mehrere hunderttausend Francs Überschuß zu geben.
Leider waren die Arbeiter Jane Edgertons aber hauptsächlich damit beschäftigt, das Terrain freizulegen, und trotz des Eifers und der erstaunlichen Körperkraft Patricks ging das nur langsam vonstatten. Nach und nach wurde aber doch eine größere Sandfläche sichtbar, je nachdem die Felsblöcke auf den untern Absatz hinuntergestürzt worden waren, und es ließ sich voraussehen. daß der Claim Nummer 127b seiner Besitzerin schon von Mitte Juli an einen recht erklecklichen Nutzen abwerfen würde.
Für den hundertneunundzwanzigsten Claim waren die Aussichten, trotz der von Ben Raddle entwickelten rastlosen Tätigkeit, weniger verlockend.
Bei seinem Temperament konnte es nicht verwundern, daß er sich manchmal an den Arbeiten unmittelbar beteiligen wollte. Er verschmähte es nicht, sich seinen Leuten zuzugesellen und, während er diese gleichzeitig beaufsichtigte, mit der Schüssel in den Händen selbst den schlammigen Sand seines Claims auszuwaschen. Manchmal hielt er auch die Wiege in Bewegung, wobei ihm Summydann und wann etwas hohnlächelnd zusah. Dieser wenigstens bewahrte seine gewohnte Ruhe, aus der ihn sein Vetter sich trotz wiederholter Anläufe vergeblich aufzurütteln bemühte.
»Na, Summy, willst du nicht auch einmal dein Glück versuchen? sagte er.
– Nein, antwortete Summy allemal auf eine solche Aufforderung, ich fühle mich dazu nicht berufen.
– O, die Sache ist ja ganz leicht: Man schüttelt eine Schüssel, spült den Sand daraus weg und auf ihrem Boden bleiben die Goldkörnchen liegen.
– Alles ganz gut und schön, Ben, die Sache gefällt mir aber einmal nicht, auch wenn man mir zwei Dollars die Stunde dafür bezahlte.
– Ich bin überzeugt, du würdest eine glückliche Hand haben!« sagte dann Ben Raddle mit einem Ausdruck des Bedauerns.
Eines schönen Tages gab Summy Skim aber doch solchem Zureden nach. Gelehrig packte er die Schüssel, füllte sie mit ein wenig von der Erde, die aus einem der Schächte herausgebracht worden war, und nachdem er sie mit Wasser in einen Schlamm verwandelt hatte, ließ er diesen unter fortwährendem Rütteln langsam ausfließen.
Von dem Metall, das Summy Skim von jeher verwünschte, zeigte sich jedoch keine Spur.
»Schneider geworden! rief er. Nicht so viel, eine Pfeife Tabak damit zu bezahlen!«
Mit der Jagd hatte Summy dagegen mehr Glück. Obgleich ihn der Zufall beim Aufspüren des Wildes alle Tage – als hätte es so sein sollen – nach dem Claim 127b führte, wo er in der Erwartung, daß Jane ihre Arbeit unterbräche, oft viel Zeit verlor, kehrte er doch gewöhnlich mit reichgefüllter Jagdtasche zurück.
Daß der dauernde Erfolg seinem weidmännischen Geschick zuzuschreiben war, unterlag ja keinem Zweifel, doch hatte der Überfluß an Wild auf den benachbarten Ebenen und in den Bergschluchten gewiß auch reichlich teil daran. Kanadische Elen- und Renntiere tummelten sich in großer Zahl in den Wäldern, Heerschnepfen, Schnee-, Rebhühner und Wildenten belebten in Mengen die sumpfigen Wasserflächen zu beiden Seiten des Forty Miles Creek. Das tröstete Summy Skim einigermaßen über seinen Aufenthalt in Klondike, obwohl er daneben noch immer mit Bedauern an die wildreichen Fluren von Green Valley d achte.[219]
In den ersten vierzehn Tagen des Juli lieferte die Goldsandwäscherei bessre Ergebnisse. Der Werkmeister war endlich auf die richtige erzführende Schicht getroffen, die mit der Annäherung an die Grenze immer reicher wurde. Die Schüsseln und die Wiegen gaben jetzt eine recht ansehnliche Ausbeute an Pepiten. Obgleich keine solche von besonders hohem Werte gefunden wurde, wurden in diesen vierzehn Tagen doch nicht weniger als fünfunddreißigtausend Francs gewonnen. Das bestätigte also die Vorhersage Loriques, stachelte aber das ehrgeizige Verlangen Ben Raddles nur noch mehr an.
Durch Gerüchte, die sich unter den Arbeitern verbreitet hatten, wußte man auf dem hundertneunundzwanzigsten Claim auch, daß auf dem Claim 131, dem des Texaners Hunter, eine gleiche Ertragssteigerung stattgefunden hatte, je mehr sich dessen Bearbeitung der Grenze im Osten näherte. Bei der stetigen Zunahme des Metallgehaltes der goldführenden Schicht auf beiden Seiten ließ sich gar nicht bezweifeln, daß sich in der Nähe der Grenze oder gar an dieser selbst eine »Tasche«, eine Bonanza gebildet haben werde.
Von dieser Aussicht angefeuert, arbeiteten die Leute Hunters und Malones und ebenso die der beiden Kanadier einander mit erhöhtem Eifer entgegen und der Tag konnte nicht mehr fern sein, wo sie an der gegenwärtigen Linie der augenblicklich bestrittnen Grenze zwischen beiden Staaten aufeinandertreffen mußten.
Die Hilfskräfte des Texaners, einige dreißig Männer, waren von amerikanischer Herkunft. Es wäre schwierig gewesen, eine schlimmere Truppe von Abenteurern aufzutreiben. Von rohem Aussehen, mehr Halbwilde, heftig, gewalttätig und streitsüchtig, waren sie ihrer Herren würdig, die im ganzen Gebiete von Klondike in so unvorteilhaftem Rufe standen.
Es besteht übrigens im allgemeinen ein gewisser Unterschied zwischen den an den Fundstätten beschäftigten Amerikanern und den Kanadiern. Die zweiten erweisen sich gewöhnlich anstelliger, ruhiger und mehr ordnungsliebend, weshalb sie auch von den Syndikaten bevorzugt werden. Die amerikanischen Gesellschaften wählen dagegen mehr ihre Landsleute, trotz deren Gewalttätigkeit und Neigung zum Rebellieren, trotz der fast täglichen Schlägereien, der traurigen Folgen berauschender Getränke, die in den Goldländern schon so viel Unheil angerichtet haben. Selten vergeht da ein Tag, wo die Polizei nicht auf dem einen oder dem andern Claim einschreiten müßte. Da werden Dolchstöße und Revolverschüsse gewechselt und einen Menschen getötet zu haben, läßt die Raufbolde sehr gleichgültig. Die Verwundeten werden dann einfach dem Krankenhause in Dawson City[220] eingeliefert, das infolge der nicht aufhörenden Epidemien schon sowieso oft überfüllt ist.
In der dritten Juliwoche blieb die Ausbeute so ergiebig wie kurz vorher, ohne daß Ben Raddle, Lorique oder einer der Leute je einen größern Goldklumpen gefunden hätte. Jetzt überstieg der Gewinn immerhin bedeutend die Unkosten und am 20. Juli konnte für Rechnung der Herren Summy Skim und Ben Raddle in den Kassen der Anglo-American Transportation and Trading Company der Betrag von zwölftausend Dollars niedergelegt werden.
Summy Skim rieb sich schmunzelnd die Hände.
»Hei, was wird der Herr William Broll da für Augen machen!« sagte er.
Jetzt war mit Sicherheit anzunehmen, daß das Ergebnis der Betriebsperiode sich auf mehr als hunderttausend Francs belaufen würde... Grund genug, für den Claim Nummer 129 auf einem hohen Preise zu bestehen, wenn sich Käufer dafür einstellten.
Auf dem Claim 127b gestalteten sich die Dinge ebenfalls in erwünschtester Weise. Nach der Freilegung eines kleinern Teiles ihres Terrains kam auch für Jane Edgerton die Zeit größerer Erträgnisse. Schon hatte sie im Häuschen der beiden Vettern Goldpulver im Werte von dreitausend Dollars niedergelegt, das mit der nächsten Sendung nach Dawson geschickt werden sollte. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde sie zu Ende der Saison aus ihrem Claim einige fünfzigtausend Francs gewonnen haben und das trotz der anfänglichen Schwierigkeiten und des langsamen Fortschreitens der Aufschließung ihrer Fundstätte.
Gegen Ende Juli wagte Summy Skim einen Vorschlag, dem man eine gewisse Berechtigung nicht absprechen konnte:
»Ich sehe nicht ein, sagte er, warum wir genötigt wären, hier sitzen zu bleiben, und warum Fräulein Jane und wir unsre Claims jetzt nicht verkaufen sollten.
– Weil das, erklärte darauf Ben Raddle, vor der endgültigen Festlegung der Grenze zu angemessenem Preise nicht tunlich ist.
– Ach, erwiderte Summy, der Kuckuck hole doch diesen hunderteinundvierzigsten Meridian! Ein Verkauf kann durch Briefwechsel, durch einen Vermittler, kann in Montreal im Bureau des ehrenwerten Herrn Snubbin ebensogut abgeschlossen werden wie in Dawson City.
– Nicht unter gleichmäßig günstigen Bedingungen, widersprach ihm Ben Raddle.[221]
– Warum in aller Welt denn nicht? Sind wir, und Fräulein Jane ebenso, jetzt nicht im klaren über den Wert unsrer Claims?
– Nach einem Monat oder nach sechs Wochen wird das noch mehr der Fall sein, erklärte der Ingenieur, und dann ist keine Rede mehr von vierzigtausend Dollars, dann wird man uns für unsre Nummer 129 achtzigtausend, leicht auch hunderttausend Dollars bieten.
– Was machen wir aber mit dem vielen Gelde? rief Summy Skim.
– Wir machen davon den besten Gebrauch, verlaß dich nur darauf, versicherte Ben Raddle. Siehst du denn gar nicht, daß die Ader immer reicher wird, je mehr wir ihr nach Westen nachgehen?
– Jawohl; doch wenn das kein Ende nimmt, werden wir am hunderteinunddreißigsten Claim ankommen, wandte Summy Skim warnend dagegen ein, und wenn unsre Leute erst mit denen des vortrefflichen Hunter zusammentreffen, dann weiß ich wirklich nicht, was daraus werden soll.«
In der Tat hatte man alle Ursache, das Auflodern von Streitigkeiten zwischen den beiden Arbeitergruppen zu befürchten, die sich der gemeinschaftlichen Grenze der beiden Placers jeden Tag bedenklich näherten. Schon waren grobe Redensarten hinüber und herüber geflogen und zuweilen hörte man sogar Drohungen der schlimmsten Art. Lorique war schon in Auseinandersetzungen geraten mit dem amerikanischen Werkführer, einem dicken, brutalen Athleten, und es war zu befürchten, daß solche Wortgefechte zu Tätlichkeiten ausarten würden, wenn Hunter und Malone erst eingetroffen wären. Schon so mancher Stein war von dem einen Claim zum andern hinübergeflogen... freilich erst, nachdem man sich überzeugt hatte, daß er kein Körnchen Gold enthielt.
Unter diesen Umständen tat Lorique, unterstützt von Ben Raddle, sein Möglichstes, seine Mannschaft zurückzuhalten und zur Ruhe zu ermahnen. Der amerikanische Werkführer dagegen hetzte seine Leute ohne Unterlaß auf und ließ keine Gelegenheit vorüber, einen Streit mit Lorique vom Zaune zu brechen.
Die Ausbeute auf dem amerikanischen Gebiete war augenblicklich obendrein eine magere geworden und jetzt war der Claim 131 dem Nummer 129 entschieden nicht am Werte gleich. Es schien vielmehr, als ob die goldführende Schicht Neigung hätte, mehr nach Süden und weiter vom Forty Miles Creek abzuweichen, so daß man annehmen konnte, die »Tasche« – die Bonanza, der man nachging, werde ganz auf kanadischem Gebiete gefunden werden.[222]
Am 27. Juli waren die beiden Arbeiterkolonnen nur noch zehn Meter voneinander entfernt und es konnten kaum noch vierzehn Tage vergehen, bis sie auf der Trennungslinie zusammentrafen. Summy Skim hatte also gewiß nicht unrecht gehabt, für diesen Zeitpunkt eine unangenehme Kollision vorauszusehen.
Gerade am 27. Juli ereignete sich nun etwas, was die Lage ernstlich zu verschlimmern drohte:
Hunter und Malone waren auf dem Claim Nummer 131 eingetroffen.
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