Zehntes Kapitel.
Wo sich die Wüstenei mehr als erwünscht bevölkert.

[365] Nachdem Summy Skim und Neluto sich zur Jagd auf die Orignale wegbegeben hatten, unterrichtete sich Ben Raddle noch einmal von dem Stande der Arbeiten. Wenn nichts dazwischen kam, konnte der Kanal noch an diesem Abend fertig sein. Dann war nur noch der Durchstich am linken Ufer des Rio Rubber herzustellen und die dünne Kraterwand mit wenigen Axthieben zu beseitigen und hierauf konnte sich das Wasser in vollem Strome in die Eingeweide des Golden Mount ergießen.

Die gewaltige und durch das Zentralfeuer schnell verdampfte Flüssigkeitsmenge mußte bald einen heftigen Ausbruch verursachen, bei dem die vulkanischen Stoffe hinausgeschleudert werden sollten. Ohne Zweifel enthielten diese eine reichliche Beimischung von Lava, Schlacken und andern wertlosen Stoffen, doch auch die Pepiten neben goldhaltigen Quarzbrocken, und die brauchte man dann nur aufzuheben, ohne sie erst mühsam herauszuholen.

Die Tätigkeit der unterirdischen Kräfte nahm noch weiter stetig zu; von Tag zu Tag war das Brodeln und Brausen im Innern lauter geworden, so daß die Frage entstand, ob die Zuleitung des Wassers zum Krater überhaupt noch nötig wäre.

»Das werden wir bald sehen, antwortete Ben Raddle dem Scout, der diese Frage an ihn gerichtet hatte. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir mit einer knappen Zeit zu rechnen haben, denn die Hälfte des Juli ist ja schon vorbei.

– Und es wäre unklug, fuhr der Scout ihm zustimmend fort, sich einen Monat länger an der Mackensiemündung aufzuhalten. Drei Wochen werden wir für die Rückfahrt bis zum Klondike ohnehin brauchen, vorzüglich wenn unsre Wagen schwerer als vorher beladen sind.

– Und das wird der Fall sein, Scout; zweifeln Sie nicht daran!

– Dann aber, Herr Raddle, wird die Jahreszeit schon weit vorgeschritten sein, ehe wir in Dawson City eintreffen. Träte der Winter etwas vorzeitig ein,[365] so würden wir auf dem Wege nach Skagway im Gebiete der Seen manche Beschwerden zu überstehen haben.

– Sie sprechen goldne Worte, lieber Scout, antwortete der Ingenieur scherzend, und das ist ja auch ganz am Platze, wenn man am Fuße des Golden Mount lagert. Doch beruhigen Sie sich getrost. Es sollte mich sehr wundern, wenn unsre Wagen nicht binnen acht Tagen auf dem Wege zum Klondike wären.«

Der Tag verlief wie gewöhnlich und am Abend war der Kanal von dem einen Ende bis zum andern fix und fertig.

In der fünften Nachmittagsstunde war auf der Ebene im Westen noch keiner der beiden Jäger bemerkt worden. Vorläufig beunruhigte das Ben Raddle nicht. Summy Skim hatte ja noch eine Stunde vor sich, ohne seinem Versprechen untreu zu werden. Wiederholt begab sich der Scout indessen ein Stück jenseit des Kanals hinaus, um zu sehen, ob er ihn entdecken könnte. Er sah aber niemand; keine Silhouette tauchte am Horizont auf.

Eine Stunde später begann auch Ben Raddle unruhiger zu werden und nahm sich vor, seinem Vetter ordentlich Vorwürfe zu machen, ein Entschluß, der freilich ein platonischer blieb, da der Schuldige immer noch nicht erschien.

Auch um sieben zeigten sich Summy Skim und Neluto ebensowenig. Der Unmut Ben Raddles verwandelte sich zu einer wirklichen Angst und diese verdoppelte sich noch, als die Abwesenden auch eine Stunde später noch nicht zurück waren.

»Die haben sich von ihrem Eifer verführen lassen, sagte er. Auf diesen Racker von Skim ist doch nie zu rechnen, wenn er ein Tier vor sich und eine Flinte in der Hand hat. Dann stürmt er unbesonnen vorwärts... nichts vermag ihn noch zurückzuhalten. O, ich hätte mich dieser Jagd widersetzen sollen.

– Vor zehn Uhr wird es ja nicht dunkel, sagte Bill Stell, um den Ingenieur zu beruhigen, und daß sich Herr Skim hätte verirren können, ist doch kaum anzunehmen. Den Golden Mount sieht man ja von weitem und im Dunkeln würden noch seine Flammen den Weg hierher zeigen.«

Hieran war ja wirklich etwas Wahres. Wie weit vom Lager die Jäger auch umherschweifen mochten, den Vulkan mußten sie doch immer sehen können. Wenn ihnen nun aber ein Unfall zugestoßen war? Wenn es ihnen unmöglich war, zurückzukehren?

Zwei Stunden vergingen. Ben Raddle konnte sich nicht mehr an Ort und Stelle halten und der Scout wurde auch allmählich nervös. Schon versank die[366] Sonne bald unter den Horizont und dann wurde der Himmel nur noch von dem Dämmerschein dieser hohen Breiten beleuchtet.

Kurz nach zehn Uhr gingen Ben Raddle und der Scout, die in ihrer Besorgnis das Lager verlassen hatten, am Fuße des Berges hin, als der Sonnenball eben im Westen verschwand. Der letzte Blick, den sie über die Ebene hinwarfen, zeigte, daß diese gänzlich verlassen war. Regungslos lauschten sie mit gespanntem Ohr, während die Nacht nach und nach niedersank. Alles ringsum war totenstill, nirgends das leiseste Geräusch zu vernehmen.

»Was soll man nun davon halten, Herr Raddle? begann der Scout. Von Gefahr kann bei einer Jagd auf Orignale doch nicht die Rede sein; Herr Skim und Neluto müßten es gerade mit Bären zu tun gehabt haben...

– Mit Bären... oder mit Raubgesindel, Bill... Ja, mir ahnt, daß ihnen ein Unglück zugestoßen ist.«

Da ergriff Bill Stell die Hand des Ingenieurs.

»Achtung!... Horchen Sie!« sagte er.

In der zunehmenden Finsternis ließ sich jetzt ein fernes Gebell vernehmen, doch vermischt mit Klagelauten, als ob der Hund verwundet worden wäre.

Ben Raddle und sein Gefährte liefen Stop entgegen, den sie auch zweihundert Schritt weit draußen antrafen.

»Verwundet!... Angeschossen!« rief Ben Raddle, dessen Herz stürmisch klopfte.

Der Scout machte jedoch dazu die Bemerkung:

»Vielleicht ist er wider Willen von seinem Herrn oder von Neluto verletzt worden; es kann ihn ja eine verirrte Kugel getroffen haben.

– Warum wäre er da nicht bei Summy geblieben, da dieser ihm doch etwas helfen und ihn mit zurücknehmen konnte? wandte Ben Raddle dagegen ein.

– Jedenfalls, sagte der Scout, wollen wir den Hund nach dem Lager führen und ihm seine Wunde verbinden. Ist diese nur leichter Art, so kann er uns viel leicht noch auf die Fährte seines Herrn leiten.

– Ja, und dann machen wir uns in größrer Zahl und gut bewaffnet auf, ohne erst den Tag abzuwarten.«

Der Scout nahm das Tier auf den Arm. Zehn Minuten später waren beide im Lager zurück.

Der Hund wurde in das Zelt getragen und seine Verwundung sorgsam untersucht. Sie schien nicht besonders ernst zu sein und bestand nur in einer[367] etwas tiefen Schramme, die nur die Muskelschicht, doch kein inneres Organ betraf.

Das Tier war von einer Kugel getroffen worden und der in solchen Operationen erfahrne Scout zog diese bald heraus.

Ben Raddle ergriff das Geschoß und betrachtete es aufmerksam.

»Das ist keine Kugel Summys, sagte er. Sie ist größer und auch aus keiner Jagdflinte abgefeuert.

– Sie haben recht, bestätigte Bill Stell, das ist eine Büchsenkugel.

– Sie sind mit Abenteurern, mit Landstreichern zusammengetroffen, rief der Ingenieur, und haben sich verteidigen müssen. Bei dem Gefecht ist Stop mit getroffen worden und wenn er nicht bei seinem Herrn geblieben ist, kommt das daher, daß dieser weggeschleppt oder gar samt Neluto getötet worden ist. Ach, mein armer Summy... mein lieber, armer Summy!«

Was hätte Bill Stell hierzu sagen sollen? Daß die Kugel von keinem der beiden Jäger abgefeuert worden war und daß der Hund allein zurückkam, bestätigte das nicht die Befürchtungen Ben Raddles? Konnte man noch daran zweifeln, daß hier ein Unglück passiert wäre? Entweder waren Summy Skim und sein Begleiter, während sie sich verteidigten, umgekommen oder sie befanden sich jetzt, da sie nicht zurückgekehrt waren, in den Händen der Angreifer.

Um elf Uhr entschieden sich Ben Raddle und der Scout dafür, ihre Reisegefährten mit der Lage der Dinge bekanntzumachen. Das Personal des Lagers wurde geweckt und mit wenigen hastigen Worten verständigte der Ingenieur die Leute dahin, daß Summy Skim und Neluto seit ihrem Aufbruche am frühen Morgen noch nicht zurückgekehrt seien. Jane Edgerton gab da dem Gedanken aller übrigen Ausdruck.

»Jetzt heißt's: aufbrechen, mahnte sie mit zitternder Stimme, und das im ersten Augenblick!«

Sofort wurden die nötigen Vorbereitungen getroffen. Lebensmittel brauchte man nicht mitzunehmen, da sich die Karawane, wenigstens bei der ersten Nachsuchung, vom Golden Mount nicht weit entfernen sollte. Alle Welt war aber bewaffnet und entschlossen, entweder sich zu verteidigen, wenn ein Angriff erfolgte, oder auch, wenn das notwendig würde, die beiden Gefangnen mit Gewalt zu befreien.

Stop war sorgfältig gepflegt, die Kugel entfernt und die Wunde verbunden worden. Nachdem er reichlich gefressen hatte, denn er war vor Hunger und Durst gänzlich erschöpft, verriet er schon wieder das Verlangen, seinen Herrn aufzusuchen.


»Was ist denn geschehen?« (S. 372.)
»Was ist denn geschehen?« (S. 372.)

»Wir nehmen ihn mit, tragen ihn, wenn er noch zu ermüdet ist, erklärte Jane Edgerton. Vielleicht findet er die Spuren des Herrn Skim wieder.«

Blieben die Nachforschungen in der Nacht erfolglos, so sollten sie am nächsten Tage fortgesetzt werden, ja man wollte nötigenfalls die ganze Gegend zwischen dem Eismeer und dem Porcupine River absuchen. Vom Golden Mount war gar keine Rede mehr, ehe Summy Skim nicht wiedergefunden oder sein Schicksal zuverlässig aufgeklärt sein würde.

So brach die Gesellschaft auf.

Jane Edgerton an der Spitze, ihr zur Seite Ben Raddle und Bill Stell, der jetzt den Hund trug, führte der Weg jetzt zuerst wieder am Fuße des Berges hin, unter dessen donnerndem Dröhnen die Erde in der Umgebung erzitterte. An seinem mit Rauchwolken gekrönten Gipfel schossen lange, jetzt im schwachen Lichte der Halbdämmerung weithin sichtbare Flammen in die Höhe.

Am Fuße des östlichen Abhangs angelangt, machten alle zu einer weitern Beratung Halt. Welche Richtung sollte man nun einschlagen? Es erschien hier nichts ratsamer, als sich auf den Instinkt des Hundes zu verlassen, den der Scout wieder auf die Füße gestellt hatte. Das intelligente Tier schien zu verstehen, was man von ihm erwartete. Es suchte schweifwedelnd mit der Nase auf der Erde, leise kläffend, umher.

Nach einigem Schwanken trottete Stop in nordwestlicher Richtung voran.

»Als Herr Skim uns heute Morgen verließ, ging er mehr nach Süden zu, bemerkte der Scout.

– Wir wollen aber dem Hunde folgen, erklärte Jane Edgerton, er weiß besser, was das Richtige ist.«

Eine Stunde lang durchmaß die kleine Gesellschaft die Ebene in derselben Richtung. Dann erreichte sie den Saum des Waldes, in den die beiden Jäger gestern etwas weiter unten unter die Bäume eingedrungen waren. Hier blieben alle noch einmal unentschlossen stehen.

»Nun, worauf warten wir denn? fragte Jane etwas nervös.

– Auf den Tag, antwortete Bill Stell. Unter den Baumkronen würden wir jetzt ja doch nichts sehen können. Stop selbst ist sich jetzt unsicher.«

Nein, für Stop traf das nicht zu. Plötzlich machte er einen Sprung und verschwand laut bellend zwischen den Bäumen.[371]

»Ihm nach... schnell, schnell! drängte Jane Edgerton.

– Nein, wir wollen jetzt warten, sagte Bill Stell fast befehlerisch, während er seine Gefährten zurückhielt. Mache jeder seine Waffe fertig!«

Das war aber eine unnötige Empfehlung. Geführt von dem Hunde, der seine Verletzung gar nicht mehr zu spüren schien, traten plötzlich zwei Männer zwischen den Bäumen hervor und einen Augenblick später lag Summy in den Armen seines Vetters.

»Zum Lager... zurück zum Lager! war sein erstes Wort.

– Was ist denn geschehen? fragte Ben Raddle.

– Das wirst du bald erfahren, antwortete Summy Skim, doch erst dort; zum Lager, sage ich euch... zum Lager!«

Von den Flammen des Golden Mount geleitet, schritten alle sofort rasch dahin. Nach kaum einer Stunde erreichten sie den Rio Rubber. Nun hellte es sich auch bald auf.

Schon glühte das Morgenrot am nordöstlichen Horizonte. Bevor sie sich im Zelte zusammenfanden, ließen Ben Raddle, Jane Edgerton, der Scout und Summy Skim die Blicke noch einmal über die Umgebungen des Golden Mount hinschweifen. In dem schwachen Morgenscheine bemerkten sie aber nichts Auffälliges.

Als sie dann allein waren, erzählte Summy Skim kurz, was sich gestern zwischen sechs Uhr morgens und fünf Uhr nachmittags zugetragen hatte. Er sprach von der ersten bis zur Mittagsstunde fortgesetzten nutzlosen Verfolgung der Orignale, dann von dem zweiten Teile der Jagd, als das Bellen des Hundes hörbar geworden war, und endlich, wie sie kriegsmüde am Rande der Lichtung Halt gemacht und da die erkaltete Asche entdeckt hätten.

»Es ist ganz unzweifelhaft, setzte er hinzu, daß an dieser Stelle Menschen, Eingeborne oder Fremde, gelagert hatten, und das ist ja am Ende nicht zu verwundern.

– Gewiß nicht, bestätigte der Scout. Es kommt häufiger vor, daß hier Mannschaften von Walfängern ans Land gehen, ohne von den Indianern zu reden, die in der schönen Jahreszeit häufig darin umherziehen.

– Mag sein, fuhr Summy fort. Als wir aber zum Golden Moun zurückkehren wollten, hat Neluto im Grase diese Waffe hier gefunden.«

Ben Raddle und der Scout besichtigten den Dolch und erkannten auf den ersten Blick, daß er spanischen Ursprungs war.[372]

»Das Aussehen dieses Dolches, setzte Summy noch hinzu, überzeugt uns, daß er erst ganz kürzlich verloren worden sein konnte. Was den auf dem Griffe sichtbaren Buchstaben M betrifft...

– Gab uns dieser auch keinen weitern Aufschluß, unterbrach ihn der Scout.

– Nein, Bill, zunächst nicht; und doch glaub' ich richtig zu vermuten, auf welchen Namen er hindeutet.

– Und dieser Name wäre? fragte Ben Raddle.

– Der des Texaners Malone.

– Malones!

– Jawohl, Ben.

– Des Kumpans jenes Hunter? fragte Bill Stell weiter.

– Gewiß, dessen Gefährte.

– Die wären also vor einigen Tagen hier gewesen? sagte der Ingenieur.

– Sie sind sogar noch hier in der Nähe, antwortete Summy Skim.

– Haben Sie sie denn gesehen? fragte jetzt Jane Edgerton.

– Hört mich alle erst weiter an, dann werdet ihr darüber klar sein.«

Summy Skim setzte nun seinen Bericht mit folgenden Worten fort:

»Wir, Neluto und ich, wollten nach der Auffindung des Dolches eben aufbrechen, da dieser Fund uns nicht wenig beunruhigte, als in kurzer Entfernung ein Schuß krachte.

»Daß Jäger im Walde waren, konnte demnach ja nicht zweifelhaft sein und es konnte sich dabei nur um Fremdlinge handeln, denn die hiesigen Indianer benützen keine Feuerwaffen. Wer jene aber auch sein mochten, es erschien uns jedenfalls geboten, nun auf der Hut zu sein.

»Ob der Flintenschuß einem der Orignale gegolten hatte, einem von denen, die wir vorher vergeblich verfolgt hatten... das habe ich angenommen, bis ich vor hin die Verwundung unsres Hundes sah. Die Burschen hatten ohne Zweifel auf ihn geschossen.

– Und als wir ihn ohne dich zurückkommen sahen, unterbrach ihn hier Ben Raddle, und als er sich so mit Mühe fortschleppte, da kannst du dir wohl vorstellen, wie mir dabei zumute war! Ich lebte schon in schrecklicher Angst, weil du nicht rechtzeitig zurückkehrtest. Konnte ich aber etwas andres glauben, als daß du nebst Neluto überfallen worden wärst und daß der Hund bei dem Gefechte seine Wunde bekommen hätte? Ach, Summy, Summy, wie könnte ich je vergessen, daß ich es war, der dich hierher verlockt hat!«[373]

Ben Raddle war die Beute einer tiefschmerzlichen Erregung. Summy Skim begriff, was in der Seele seines Vetters vorging, der die auf ihm lastende Verantwortlichkeit fühlte.

»Ben, mein lieber Ben, sagte er, indem er ihm warm die Hand drückte, was geschehen ist, ist geschehen. Mache dir keine Vorwürfe. Ist unsre Lage jetzt auch ernster, verzweifelt ist sie darum nicht, und wir werden, hoffe ich, alle Schwierigkeiten überwinden. Übrigens wirst du das selbst beurteilen können.

»Als wir, östlich von uns, also in der Richtung, der wir zur Heimkehr ins Lager hatten folgen wollen, den Knall des Schusses hörten, beeilten wir uns, die Waldblöße zu verlassen, wo wir hätten entdeckt werden können, und uns in dem Gebüsch ihrer Umgebung zu verbergen.

»Bald ließen sich Stimmen vernehmen, es waren ihrer viele. Offenbar kam uns eine ganze Menge Leute allmählich näher.

»Wenn wir aber nicht gesehen sein wollten, so wollten wir selbst doch sehen, welche Art Leute wir vor uns hätten und was diese so in der Nähe des Golden Mount wohl machten. Wir fragten uns, ob ihnen das Vorhandensein des Vulkans vielleicht bekannt sein möchte, ob sie auf diesen zu marschierten, lauter Fragen, die für uns natürlich das größte Interesse hatten.

»Überzeugt, daß die Unbekannten sich für die Nacht jedenfalls auf der Lichtung lagern würden, zogen wir uns hinter einen dichten Busch zurück, von dem aus diese im ganzen Umfange zu übersehen war. Zwischen hohem Grase und hinter dem blätterreichen Busche kauernd, liefen wir nicht weiter Gefahr, entdeckt zu werden, und – die Hauptsache – wir konnten alles sehen und voraussichtlich vieles hören.

»Es war die höchste Zeit gewesen. Fast sofort tauchten die Fremdlinge auf, etwa vierzig Männer, je zur Hälfte Amerikaner und Eingeborne. Wir hatten uns nicht getäuscht. Sie beabsichtigten wirklich, an dieser Stelle die Nacht zuzubringen, und zündeten sogleich mehrere Feuer zur Bereitung des Abendessens an.

»Von den Männern kannte ich keinen und Neluto ebensowenig. Sie waren mit Gewehren und Revolvern bewaffnet, die sie am Rande neben den Bäumen niederlegten. Übrigens sprachen sie kaum miteinander oder doch nur mit so leiser Stimme, daß ich es nicht hören konnte.

– Aber Hunter?... Malone? fragte Ben Raddle.[374]

– Die kamen erst eine Viertelstunde später, antwortete Summy Skim, und zwar in Begleitung eines Indianers und des Werkführers, der die Arbeiten auf dem Claim 131 geleitet hatte.

»Ah, die erkannten wir gleich, Neluto und ich. Ja, die Kerle befinden sich jetzt in der Nachbarschaft des Golden Mount und eine ganze Bande Abenteurer ihres Schlages mit ihnen.

– Was mögen sie aber vorhaben? fragte der Scout. Wissen sie etwas vom Golden Mount und auch, daß bereits eine Karawane Goldsucher bei diesem tätig gewesen ist?

– Dieselben Fragen habe ich mir gestellt, lieber Bill, erwidert Summy Skim, eine Antwort darauf habe ich freilich nicht gefunden.«

In diesem Augenblicke machte der Scout Summy Skim ein Zeichen, still zu sein. Er glaubte draußen ein Geräusch vernommen zu haben und trat aus dem Zelte, die Umgebung des Lagers zu besichtigen.

Die weite Ebene war aber leer. Kein Trupp näherte sich dem Berge, dessen Grollen und Dröhnen die Stille der Nacht unterbrach. Als der Scout wieder Platz genommen hatte, fuhr Summy Skim folgendermaßen fort:

»Die beiden Texaner setzten sich dicht an den Rand der Waldblöße, kaum zehn Schritt von dem Busche, hinter dem wir versteckt waren. Erst sprachen sie von einem Hunde, der ihnen in den Weg gelaufen wäre, und ich verstehe jetzt, daß da von dem unsrigen die Rede war.« – »Das ist eine merkwürdige Erscheinung inmitten dieses Waldes, sagte Hunter, denn es ist kaum möglich, daß er sich allein so weit von jedem bewohnten Platze verirrt hätte.« – »Ja freilich; es, werden wohl Jäger hier sein, meinte Malone, ja, das ist sogar gewiß. Doch wo stecken sie? Der Hund flüchtete in dieser Richtung.« Malone wies dabei mit der Hand nach Osten. – »Oho, rief Hunter, wer sagt uns denn, daß es Jäger sind? So weit zieht man nicht hinaus, Wiederkäuer zu erbeuten oder Raubtiere zu erlegen.« – »Du kannst recht haben, Hunter, gab Malone zu; hier mögen Goldgräber umherschweifen, die nach neuen Lagerstätten suchen.« – »Darauf werden wir die Hand legen, polterte Hunter heraus, und die mögen sehen, was für sie dann übrig bleibt!« – »Nicht so viel, eine Schüssel oder einen Napf damit zu füllen,« erwiderte Malone, der sein rohes Lachen mit lästerlichen Flüchen begleitete.

»Zunächst wurde es ein Weilchen still, dann singen die Raubgesellen wieder an zu schwatzen, und dabei hörte ich alles, was für uns Interesse haben kann.[375]

»Hunter und Malone lagerten zum zweitenmal auf jener Lichtung. Vor zweieinhalb Monaten von Circle City aufgebrochen, waren sie auf gut Glück hinausgezogen unter einem eingebornen Führer – Krarak nannten sie ihn – der den Golden Mount zwar gerüchtweise, nicht aber dessen genaue Lage kannte. Nachdem die Bande nutzlos weit nach Osten hinausgezogen war, ist sie einige Tage vor uns längs des Peel River hingezogen und sie ist es offenbar gewesen, gegen die sich die Besatzung des Fort Macpherson verteidigen mußte. Von da aus ist sie nach Westen weitergezogen und hat, doch viel weiter südlich, den Wald erreicht, worin sie noch jetzt sitzt und in dem sie sich verirrt hat. Dabei ist sie bereits vor zehn Tagen einmal nach der Waldblöße gekommen, wo sie sich eben mit uns befand. Der Feuerherd, den wir dort sahen, rührte von ihrer Hand her, und sein Rauch ist es gewesen, den Neluto bei unsrer letzten Besteigung des Vulkangipfels gesehen hat.

»Nach der ersten Rast sind Hunter und seine Spießgesellen, von ihrem Führer falsch beraten, zunächst weiter nach Westen vorgedrungen. Natürlich haben sie in dieser Richtung nichts entdeckt. Endlich ermüdet von der vergeblichen Nachsuchung, haben sie sich dahin entschieden, umzukehren und einen Versuch von der Ostseite her zu unternehmen, nötigenfalls das ganze Küstengelände abzulaufen, um den Golden Mount zu finden.

»Augenblicklich wissen sie noch immer nicht, wo der Vulkan liegt, doch wird das, meiner Ansicht nach, nur eine Frage von Stunden sein, und wir müssen also auf alles vorbereitet sein.«

So lautete der Bericht Summy Skims.

Ben Raddle, der seinem Vetter ohne weitre Unterbrechung zugehört hatte, versank in Nachdenken. Was er immer gefürchtet hatte, war nun also eingetroffen. Der Franzose Jacques Ledun hatte nicht als einziger vom Golden Mount Kenntnis gehabt. Ein Indianer besaß ebenfalls dieses Geheimnis und hatte es den Texanern enthüllt. Diese mußten sich bald über die Lage des Vulkans klar werden ohne die Notwendigkeit, deshalb die ganze Küste des Arktischen Meeres abzusuchen. Sobald sie nur den Fuß aus dem Walde gesetzt hätten, würden sie ihn erblicken und den Rauch und die Flammen sehen, die über seinem Krater emporwirbelten. Binnen einer Stunde konnten sie dessen Fuß erreichen und wenige Minuten später im Lager ihrer alten Nachbarn vom Forty Miles Creek angelangt sein.

Was würde aber dann geschehen?
[376]

Der Scout besichtigte die Umgebung des Lagers. (S 375)
Der Scout besichtigte die Umgebung des Lagers. (S 375)

»Wieviele, sagtest du, daß ihrer wären? fragte Ben Raddle seinen Vetter.

– Gegen vierzig bewaffnete Männer.

– Zwei gegen einen!« murmelte Ben Raddle etwas sorgenvoll.

Da mischte sich Jane Edgerton mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit ein.

»Was tut das! rief sie. Die Lage ist ernst, doch nicht verzweifelt, wie Herr Skim erst vorhin gesagt hat. Wenn sie den Vorteil der Zahl haben, so haben wir den der Stellung. Das gleicht die Aussichten aus.«[377]

Ben Raddle und Summy Skim betrachteten mit Befriedigung das mutige Mädchen.

»Sie haben recht, Fräulein Jane, pflichtete ihr Ben Raddle bei. Wenn's nötig wird, werden wir uns verteidigen. Vorläufig wollen wir aber dahin trachten, womöglich unbemerkt zu bleiben.«

Der Scout schüttelte ungläubig mit dem Kopfe.

»Das scheint mir sehr schwierig zu sein, sagte er.

– Versuchen wollen wir's doch, meinte Summy.

– Nun ja, meinetwegen, gab der Scout zu. Es muß aber alles vorgesehen sein. Was machen wir denn, wenn sie uns doch aufspüren? Wenn wir gezwungen sind, handgemein zu werden, da sie vielleicht über uns herfallen?«

Der Ingenieur beruhigte ihn durch eine bezeichnende Handbewegung.

»Das wird sich finden,« sagte er kurz.

Quelle:
Jules Verne: Der Goldvulkan. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIX–XC, Wien, Pest, Leipzig 1907, S. 365-369,371-378.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon