|
[148] Wenn Staffa nichts weiter ist als ein Eiland, so hat es die Natur wenigstens zum merkwürdigsten im ganzen Archipel der Hebriden gestaltet. Dieser große Felsblock von länglichrunder Gestalt, einer Meile Länge und einer halben Meile Breite, verbirgt im Innern höchst wunderbare Grotten basaltischen Ursprungs. Hier strömen ebenso Geologen wie Touristen mit gleich[148] lebendigem Interesse zusammen. Eigentlich zufällig hatten weder Miß Campbell, noch die Brüder Melvill Staffa bisher noch nicht besucht; nur Olivier Sinclair kannte dessen Wunder. Es verstand sich also von selbst, daß ihm das Amt als Führer der Gesellschaft zufiel auf der Insel, welche Allen für wenige Tage als Aufenthaltsort dienen sollte.
Dieser Felsen verdankte seine Entstehung ausschließlich der Krystallisation einer ungeheuren Basaltmasse, die in der ersten Bildungszeit der Erdkruste hier erstarrte. Dieser Zeitpunkt aber liegt sehr weit zurück. Nach den Untersuchungen von Helmholtz – ganz übereinstimmend mit den Beobachtungen Bischofs, über die Erkaltung des Basalts, welcher nur bei einer Temperatur von 2000 Grad schmelzen konnte – hat es zu dessen vollständiger Erkaltung eines Zeitraums von mindestens dreihundertfünfzig Millionen Jahren bedurft. Damit wäre die Consolidirung unserer Erdkugel, nachdem dieselbe einen gasförmigen und dann einen feurigflüssigen Zustand langsam durchgemacht hatte, in eine fabelhaft entlegene Epoche zurückgeführt.
Wenn Aristobulos Ursiclos hier gewesen wäre, hätte er reichliche Veranlassung gefunden zu so mancher schönen Abhandlung über die Erscheinungen der geologischen Geschichte. Doch er hielt sich fern; Miß Campbell dachte kaum an ihn, und es geschah, wie Bruder Sam zu Bruder Sib gesagt:
»Lassen wir die Fliege auf dem Zucker ruhig sitzen!«
Ein schottisches Sprichwort, mit dem übrigens ziemlich durchsichtigen Sinne: »Wecken wir die Katze nicht, wenn sie schläft«, wie die Franzosen sagen.
Jetzt sahen sich Alle an und in der Nachbarschaft um.
»Zuerst, begann Olivier Sinclair, empfiehlt es sich wohl, von unserem neuen Gebiete förmlich Besitz zu nehmen.
– Ohne zu vergessen, aus welchem Grunde wir überhaupt hierher gekommen sind, bemerkte Miß Campbell lächelnd.
– Sicherlich, ohne das zu vergessen! erwiderte Olivier Sinclair. Wir wollen also einen geeigneten Beobachtungspunkt aufsuchen und nachsehen, welcher Meereshorizont die Westseite unserer Insel begrenzt.
– Ich stimme Ihnen bei, antwortete Miß Campbell, nur ist die Witterung heute etwas dunstig, und ich glaube nicht, daß das Versinken der Sonne unter günstigen Umständen stattfinden wird.
– So werden wir warten, Miß Campbell, wenn's Noth thut, warten bis zur schlechten Witterung der Tag- und Nachtgleiche.[149]
– Ja, ja, wir warten, bestätigten die Brüder Melvill... so lange bis Helena bestimmen wird, wieder abzureisen.
– Ei, uns drängt ja nichts, liebe Onkels, antwortete das junge Mädchen, das sich seit der Abfahrt von Jona ganz glücklich fühlte, nein, es drängt uns nichts, und ich finde dieses Inselchen ganz entzückend. Eine Villa, welche man mitten in dieses, ihre Oberfläche gleich einem seinen Teppich verhüllende Wiesenland hinein erbaute, würde ganz behaglich zu bewohnen sein, selbst wenn die Stürme, die uns Amerika mit so freigebigen Händen schickt, sich an Staffas Grundfelsen brechen!
– Hm! meinte Onkel Sib, hier an dieser äußersten, nach dem Ocean zu liegenden Grenze müssen sie doch furchtbar wüthen!
– Das ist auch der Fall, erklärte Olivier Sinclair. Staffa liegt allen aus der offenen See kommenden Winden preisgegeben und bietet nur am östlichen Gestade, dort wo unsere »Clorinda« vor Anker gegangen ist, einigen Schutz. Die schlechte Jahreszeit dauert übrigens in dieser Gegend des Atlantischen Meeres volle neun Monate an.
– Nun, da erklärt es sich ja gleich, meinte Onkel Sam, warum man hier keinen einzigen Baum sieht. Auf der Hochfläche muß offenbar jedes Erzeugniß der Pflanzenwelt, wenn es den Erdboden nur um wenige Fuß überragt, unbedingt zugrunde gegen.
– Schön, aber zwei bis drei Sommermonate auf diesem Eilande zuzubringen, das lohnte sich wohl nicht der Mühe? rief Miß Campbell. Ihr müßtet Staffa unbedingt erwerben, liebe Onkels, wenn Staffa überhaupt käuflich wäre.«
Bruder Sam und Bruder Sib bewegten schon die Hand nach der Tasche, als wollten sie das Kaufsobject bezahlen – diese beiden Onkels ohne Gleichen, welche selbst der tollsten Laune ihrer Nichte nachgegeben hätten.
»Wem gehört denn eigenlich Staffa? fragte Bruder Sib.
– Der Familie der Mac-Donald, antwortete Olivier Sinclair. Sie verpachten dasselbe für zwölf Pfund Sterling (120 Gulden = 200 Mark) jährlich, aber ich glaube nicht, daß es ihnen um irgend einen Preis feil wäre.
– Das ist schade!« sagte Miß Campbell, welche, schon von Natur leicht zu enthusiasmiren, sich jetzt in dazu besonders neigender Gemüthsverfassung befand.
So plaudernd, wanderten die neuen Gäste Staffas über die unebene Oberfläche der Insel, auf der da und dort kleinere grüne Erhebungen emporragten. Am heutigen Tage traf kein Schiff der Dampfergesellschaft von Oban[150] zum Besuche der Kleinen Hebriden ein; Miß Campbell und ihre Gefährten hatten also keine Störung durch lärmende Touristen zu befürchten. Sie waren allein auf dem öden, weltverlassenen Felsen. Einige Pferde von kleinem Schlage und einzelne schwarze Kühe weideten auf der mageren Grasnarbe des Plateaus, dessen dünne Humusdecke an verschiedenen Stellen von lavaähnlichen Massen durchbrochen war. Einen Schäfer zu deren Bewachung gab es nicht, und wenn die vierfüßige Inselheerde überhaupt überwacht wurde, so konnte das nur aus der Ferne, vielleicht von Jona, wenn nicht gar von der fünfzehn Meilen weiter östlich gelegenen Küste von Mull aus der Fall sein.
Eine Wohnstätte zeigte sich nirgends; nur die Reste einer Hütte, welche die zu den Zeiten der Tag- und Nachtgleiche im März und September wüthenden Stürme zerstört hatten. In der That erscheinen zwölf Pfund Sterling als recht anständiger Pacht für einige Acres Wiesen, deren Gras wie bis auf die Kettenfäden abgenützter Sammet abgenagt ist.
Die Besichtigung der Inseloberfläche war also bald beendigt, und man beschäftigte sich nun ausschließlich mit Beobachtung des Horizonts.
Es war deutlich genug zu erkennen, daß man an diesem Abende vom Untergange der Sonne nichts erwarten durfte. In Folge der Veränderlichkeit, welche die Septembertage kennzeichnet, hatte sich der am Vortage ganz reine Himmel heute wieder mit Dünsten bedeckt. Gegen sechs Uhr Abends zogen einige röthliche Wolken, wie sie nahe bevorstehenden Störungen der Atmosphäre vorherzugehen pflegen, über den Gesichtskreis im Westen. Die Brüder Melvill machten auch zu ihrem großen Leidwesen die Beobachtung, daß das Aneroïdbarometer der »Clorinda« nach »Veränderlich« zurückging, und unter diesen Stand gar noch hinausgehen zu wollen schien.
Nachdem die Sonne hinter einer, durch den Wellenschlag auf hoher See gezackten Linie versunken war, kehrten Alle an Bord zurück. Ruhig verstrich die Nacht in der kleinen, durch die Ausläufer der Clam Shell-Grotte gebildeten Ausbuchtung.
Am folgenden Morgen, dem 7. September beschloß man, das Eiland erst sorgfältiger in Augenschein zu nehmen. Nach Besichtigung des oberen Theiles galt es nun den unterirdischen Theil desselben zu untersuchen. Sollte man die Zeit nicht bestens ausnützen, da ein wirkliches – Aristobulos Ursiclos nicht zur Last zu legendes – Mißgeschick bisher jede Beobachtung des ersehnten Phänomens vereitelt hatte? Uebrigens hat Niemand Ursache, einen Besuch der Höhlen zu
bereuen, welche dieses verlorene Eiland des Archipels der Hebriden berühmt gemacht haben.[151]
Der heutige Tag wurde dazu verwendet, den »Keller« von Clam Shell zu untersuchen, vor dem die Yacht verankert lag. Der Koch traf auf Veranlassung Olivier Sinclair's sogar Vorbereitungen, das zweite Frühstück in demselben zu serviren. Hier konnten sich die Tischgäste fast in den unteren Raum eines Schiffes versetzt wähnen. Wirklich ähnelten die vierzig bis fünfzig Fuß langen Prismen. welche die Rippen der Wölbung bilden, ungemein dem inneren Bau eines Fahrzeuges.[152]
Diese gegen dreißig Fuß hohe, etwa fünfzehn breite und hundert Fuß tiefe Höhle bietet einen sehr leichten Zugang. Offen nur nach Osten, dadurch geschützt gegen die schlimmsten Winde, wird sie auch nicht von den fürchterlichen Wogen heimgesucht welche bei stürmischem Wetter in die anderen Höhlen der Insel gewälzt werden. Dafür erklärt man sie auch für die minder sehenswerthe Grotte Staffas.
Immerhin erregt die Anordnung ihrer Basaltbögen, welche mehr auf die Hand des Menschen als auf ein Werk der Natur hinweist, die ungetheilte Bewunderung des Beschauers.[153]
Miß Campbell war ganz entzückt von diesem Besuche. Olivier Sinclair erklärte ihr liebenswürdig die Schönheiten von Clam Shell, ohne Zweifel mit weniger wissenschaftlichem Bombast als Aristobulos Ursiclos, gewiß aber mit mehr künstlerischem Feingefühl.
»Ich möchte wohl ein Andenken an unseren Besuch von Clam Shell besitzen, sagte Miß Campbell.
– Nichts leichter als das!« antwortete Olivier Sinclair.
Mit wenigen sicheren Bleistiftstrichen entwarf er eine Skizze dieser Grotte, gesehen von dem Felsen aus, welcher am Ende der großen Basalttreppe emporragt. Die Vorderöffnung der Grotte, gleichsam das Bild eines riesenhaften Seesäugethieres, dessen Skelet ihre Wände darstellen, die leichte, nach dem Gipfel des Eilands hinausführende Treppe, das so ruhige und überraschend klare Wasser am Eingange, unter dem man den gewaltigen Basaltunterbau schimmern sieht, Alles entstand mit vieler Kunstfertigkeit sehr schnell auf einer Seite von Helenas Album.
Darunter setzte der Maler die Worte:
»Miß Campbell gewidmet von Olivier Sinclair.
Staffa, 7. September 1881.«
Nach eingenommenem Frühstück ließ Capitän John Olduck das größte der beiden Boote der »Clorinda« klar machen; seine Passagiere nahmen darin Platz und begaben sich, rund um die pittoreske Insel, nach der »Grotte des Schiffes«, so genannt, weil das Meer den Grund derselben im Innern ganz bedeckt, und man dieselbe trockenen Fußes überhaupt nicht besuchen kann.
Diese Grotte liegt im südwestlichen Theile des Eilandes. Bei einigermaßen starkem Seegange wäre es höchst unklug, in dieselbe einzudringen, denn der Wogenschlag darin ist gar so heftig; an jenem Tage jedoch hatte, trotz des ziemlich bedrohlichen Aussehens des Himmels, der Wind noch nicht aufgefrischt, und ein Besuch der Höhle war mit keinerlei Gefahr verknüpft.
In dem Augenblicke, wo das Boot der »Clorinda« vor der Mündung der tiefen Höhle still hielt, ging der von Touristen besetzte Dampfer von Oban an der Insel vor Anker. Glücklicher Weise brachte dieser Zeitraum von zwei Stunden, während welcher Staffa sozusagen den Fahrgästen des »Pioneer« gehört, für Miß Campbell und die Anderen keinerlei Belästigung mit sich Sie blieben in der Grotte des Schiffes unbemerkt, während die Fremdlinge ihre reglementmäßige Promenade, die sich nur nach der Fingalshöhle und der Oberfläche[154] des Eilands erstreckt, ausführten. Sie hatten also keine Gelegenheit, mit diesem etwas geräuschvoll auftretenden Häuflein in Berührung zu kommen – ein Umstand, über den sie sich aus mehrfachem Grunde beglückwünschten. Warum sollte z.B. Aristobulos Ursiclos nach dem plötzlichen Verschwinden der kleinen Gesellschaft, als deren Mitglied er sich doch betrachtete, nicht den Jona regelmäßig anlaufenden Dampfer benützt haben, um nach Oban zurückzukehren? – Ein Zusammentreffen mit ihm wünschte man aber auf jeden Fall zu vermeiden.
Doch wie dem auch sein mochte, ob der ausgestoßene Prätendent sich unter den Touristen des 7. September befand oder nicht, jedenfalls war nach der Wiederabfahrt des Schiffes Niemand hier zurückgeblieben. Als Miß Campbell, die Brüder Melvill und Olivier herauskamen aus dem langen Schlauche, aus dem ausgangslosen Tunnel, der fast künstlich in eine Basaltschichte getrieben zu sein scheint, fanden sie wieder die Ruhe vor, welche auf Staffa, diesem an der Grenze des Atlantischen Oceans verlorenen Eilande, gewöhnlich herrscht.
Man kennt eine gewisse Anzahl berühmter unterirdischer Höhlen an sehr verschiedenen Stellen der Erde, aber meist innerhalb der Gebiete vulkanischer Thätigkeit; alle unterscheiden sich durch ihren Ursprung, der entweder neptunischer oder plutonischer Art ist.
Von diesen Aushöhlungen sind nämlich die einen entstanden durch unterirdische Wässer, welche im Laufe der Jahrtausende sogar harte Granitmassen annagen, auflösen und wegführen, bis an deren Stelle oft gewaltige leere Räume getreten sind; dahin gehören die Grotten von Crozen in der Bretagne, die von Bonifacio auf Corsika, von Morghatten in Norwegen, von Saint Michel in Gibraltar, von Saratchell am Ufer der Insel Whigt, von Tourane in dem steil abfallenden Marmorgestade von Cochinchina.
Die anderen, von ganz abweichendem Ursprunge, verdanken ihre Bildung dem durch Erkaltung früher feurig-flüssiger Gesteinsmassen bedingten Zurückweichen von Granit- oder Basaltwänden, und diese bieten in ihrer Gliederung alle Spuren gewaltsamer Vorgänge, welche den Grotten neptunischen Ursprungs völlig fehlen.
Treu ihren Principien, hat die Natur bei den einen die Wirkungen der Kraft, bei den anderen die der Zeit benützt.
Zu den Aushöhlungen, deren Baumaterial einst durch das Urfeuer geologischer Epochen geschmolzen erhalten wurde, gehört die berühmte Fingalshöhle[155] – »Fingals Keller«, wie die höchst prosaische englische Bezeichnung derselben lautet.
Der näheren Untersuchung dieses Wunders der Erdkugel sollte der nächste Tag gewidmet werden.
Buchempfehlung
Die ältesten Texte der indischen Literatur aus dem zweiten bis siebten vorchristlichen Jahrhundert erregten großes Aufsehen als sie 1879 von Paul Deussen ins Deutsche übersetzt erschienen.
158 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro