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[53] Wenn Oban auch einen ebenso großen Zusammenfluß von Badegästen nach seinem Strande gelockt hätte, wie die so stark besuchten Küstenstationen von Brigthon, Margate oder Ramsgate, eine so werthvolle Persönlichkeit wie Aristobulos Ursiclos hätte darunter nicht unbemerkt bleiben können.[53]
Ohne sich zu der Höhe seiner Rivalen zu erheben, ist Oban nichtsdestoweniger ein von den Müßiggängern des Vereinigten Königreichs gern aufgesuchter Badeort. Seine Lage an der Meerenge von Mull, sein Geschütztsein vor den scharfen Westwinden, deren directe Einwirkung die Insel Kerrera abhält, zieht eine Menge Fremder hierher. Die Einen kommen wohl, sich in dem heilsamen Wasser wirklich zu stärken, Andere lassen sich hier gleichsam an einem Centralpunkt nieder, von dem die Wege nach Glasgow, Inwerneß und nach den merkwürdigsten Inseln der Hebriden ausstrahlen Es verdient auch hervorgehoben zu werden, daß Oban nicht wie mancher anderer Badeplatz, eine Art Hospital darstellt; die Meisten, welche hier die warme Jahreszeit zu verbringen lieben, sind völlig gesund, und man riskirt nicht, wie an gewissen anderen Badeplätzen, seinen Whist mit zwei Kranken und einem Todten zu spielen.
Obans Existenz reicht kaum auf fünfzig Jahre zurück; es trägt deshalb in der Lage seiner Plätze, in der Einrichtung der Häuser und der Anordnung der Straßenzüge ganz den Stempel der Neuzeit. Doch bietet seine Kirche, eine Art normanisches Bauwerk, mit hübschem Glockenthurm, das alte von dichtem Epheu umrahmte Schloß von Dunolly, dessen Gemäuer sich nach Norden zu auf einem losgerissenen Felsblocke erhebt, ferner das Panorama seiner weißen Häuser und bunten Villen, die verstreut aus der Hügelreihe hinter der Stadt hervorblinken, endlich das ruhige Wasser seiner Bucht, auf der sich nicht wenige elegante Lustyachten schaukeln, Alles das im Verein ein liebliches, abwechslungsreiches Bild.
In diesem Jahre, und vor Allem im Monat August, mangelte es der kleinen Stadt nicht an Touristen oder Badegästen. In der Fremdenliste eines der besten Gasthäuser konnte man schon seit einigen Wochen unter anderen mehr oder weniger bekannten Namen auch den des Herrn Aristobulos Ursiclos aus Dumfries (Nieder-Schottland) lesen.
Es war das eine »Personnage« von achtundzwanzig Jahren, welche niemals jung gewesen zu sein und niemals alt zu werden bestimmt schien. Der Mann hatte das Licht der Welt unzweifelhaft gleich in dem Alter erblickt, in dem er sich später gleichbleibend halten sollte. Sein Auftreten nahm weder für, noch gegen ihn ein; von Gesicht war er »gewöhnlich«, wie es in Steckbriefen heißt, von Haar für einen Mann etwas zu blond; unter seiner Brille leuchteten ein Paar kurzsichtige Augen; dazu hatte er eine kurze Nase, welche man gar nicht für die richtige Nase seines Gesichtes hielt. Von den hundertdreißigtausend Haaren, welche jeder menschliche Schädel nach den neuesten Erfahrungen tragen soll,[54] waren ihm höchstens noch sechzigtausend übrig geblieben. Eine Krause von Barthaar umrahmte ihm Wangen und Kinn, was seinem Gesicht etwas von dem eines Affen verlieh. Wäre er ein solcher gewesen, so hätte man ihn einen hübschen Affen nennen und vielleicht als den bezeichnen können, der in der Stufenleiter der Darwinisten noch fehlt, um als Verknüpfung des Thiergeschlechts mit der Menschheit zu dienen.
Aristobulos Ursiclos war reich an Gut und Geld, aber noch reicher an Ideen. Viel zu unterrichtet für einen jungen Gelehrten, der oft nichts Anderes weiß, als Jedermann mit seiner allumfassenden Weisheit zu langweilen, graduirt auf den Universitäten Oxford und Edinburghh, vereinigte er in sich mehr Kenntnisse der Physik, Chemie, Astronomie und Mathematik, als solche der Literatur. Im Grunde ziemlich anspruchsvoll, fehlte ihm oft nicht gar viel zum vollständigen Narren. Seine Hauptmanie oder seine Monomanie, wie man eben will, war es, zur ungeschickten Zeit und am unpassendsten Orte Aufklärung über Alles zu geben, was mit der Naturgeschichte in irgend welchem Zusammenhange stand; mit einem Worte, er war Pedant mit manchmal recht unliebenswürdigen Eigenschaften. Man lachte nicht gerade direct über ihn, weil er selbst nicht lachensfähig war, vielleicht aber hinter seinem Rücken, weil dieser Mangel eben lächerlich erschien. Niemand wäre minder würdig gewesen als dieser junge Mann, eigentlich gefälscht junge Mann, sich die Devise der englischen Freimaurer: Audi, vide, tace! (Höre, sieh' und schweige) zuzulegen. Er hörte nicht, er sah nicht und er schwieg niemals. Um einen Vergleich zu gebrauchen, der im Lande Walter Scott's ganz angebracht erscheint, erinnerte Aristobulos Ursiclos mit seinem positiven Industrialismus mehr an den Landrichter Nicol Jarvie, als an dessen poetischen Vetter Rob-Roy Mac-Gregor.
Welche Tochter der Hochlande, Miß Campbell nicht ausgenommen, hätte aber Rob-Roy nicht dem Nicol Jarvie vorgezogen?
So war Aristobulos Ursiclos Wie hatten die Brüder Melvill nur auf diesen Pedanten verfallen können, um ihn gar zu ihrem gesetzmäßigen Neffen zu erhöhen? Wie konnte er überhaupt den würdigen Sechzigern Gefallen einflößen? Vielleicht einzig und allein dadurch, daß er als der Erste mit einem Vorschlage die ser Art bezüglich ihrer Nichte aufgetreten war. In einer Art naiver Entzückung hatten sich Bruder Sam und Bruder Sib ohne Zweifel gesagt:
»Das ist ein reicher junger Mann aus guter Familie, der über das Vermögen, welches sich durch Erbschaft von Eltern und Anverwandten auf seinem
[55] Haupte angehäuft hat, frei zu verfügen vermag, und der sich nebenbei durch einen gleich großen Reichthum an Kenntnissen auszeichnet. Das wäre eine prächtige Partie für unsere liebe Helena! Die Heirat wird sich ganz allein machen; sie muß ja alle passenden Verhältnisse darbieten, weil sie – uns passend[56] vorkommt.«
Sie hielten sich selbst auch für ganz besonders pfiffig, Miß Campbell – Dank deren eigenthümlicher Schrulle, betreffend den Grünen Strahl – nach Oban verlockt zu haben. Hier würde sie, ohne daß die Sache vorbereitet erschien,[57] wieder mit Aristobulos Ursiclos zufällige Begegnungen haben, welche seit dessen Abwesenheit unterbrochen worden waren.
Jetzt hatten die Brüder Melvill nebst Miß Campbell die Cottage Helenenburg gegen die schönsten Zimmer des Caledonian-Hôtels vertauscht. Im Fall sich ihr Aufenthalt in Oban länger hinzog, empfahl es sich vielleicht, eine Villa auf den die Stadt beherrschenden Anhöhen zu miethen; inzwischen sahen sich aber Alle mit Hilfe der Frau Beß und des treuen Patridge höchst bequem und wohnlich in dem Etablissement des Meister Mac-Fyne untergebracht. Weitere Entschlüsse blieben vorbehalten.
So traten denn die Brüder Melvill gegen neun Uhr des Morgens, am Tage nach ihrer Ankunft, aus dem Vestibül des am Strande, fast genau gegenüber dem Pfahldamme am Hasen gelegenen Caledonian-Hôtels. Miß Campbell ruhte noch in ihrem Zimmer der ersten Etage, ohne die leiseste Ahnung davon, daß ihre Onkels nur ausgingen, um Aristobulos Ursiclos aufzusuchen.
Die beiden Unzertrennlichen begaben sich hinunter nach dem Strande und schlugen, unterrichtet davon, daß ihr »Prätendent« in einem der am Nordende der Bai erbauten Hôtels wohne, die Richtung nach jenen Gebäuden ein.
Man muß zugeben, daß dieselben sich von einem gewissen Vorgefühle leiten ließen. In der That begegnete ihnen, kaum zehn Minuten nach ihrem Aufbruche von zuhause, Herr Aristobulos Ursiclos, der jeden Morgen seine wissenschaftliche Promenade nach den letzten Anschwemmungen der Fluth unternahm, und wechselte mit ihnen einen jener banalen Händedrücke, welche so häufig mehr mechanisch ausgetauscht werden.
»Herr Ursiclos! sagten beide Brüder Melvill.
– Ah, die Herren Melvill! antwortete Aristobulos in einem Tone, der seine Ueberraschung ausdrücken sollte. Die Herren Melvill... hier... in Oban?
– Seit gestern Abend, belehrte ihn Bruder Sam.
– Und wir schätzen uns glücklich, Herr Ursiclos, Sie bei so vortrefflicher Gesundheit zu sehen, sagte Bruder Sib.
– O, ich danke, meine Herren, – Sie kennen ohne Zweifel schon die gestern eingetroffene Depesche?
– Depesche? fragte Bruder Sam. Sollte etwa das Ministerium Gladstone schon...
– Hier handelt es sich nicht um das Ministerium Gladstone, erwiderte Aristobulos Ursiclos ziemlich wegwerfend, sondern um eine meteorologische Depesche.[58]
– Ah so! antworteten beide Onkels.
– Ja, man kündigt darin an, daß die über Swinemünde liegende Depression sich unter beträchtlicher Vertiefung mehr nach Norden gewendet hat. Ihr Centrum liegt heute über Stockholm, wo das Barometer, das um einen Zoll – gleich fünfundzwanzig Millimeter, um dem unter den Gelehrten gebräuchlichen Decimalsystem zu folgen – gefallen ist, nur noch achtundzwanzig sechs Zehntel Zoll, d. h. siebenhundertsechsundzwanzig Millimeter zeigt. Wenn der Luftdruck in England und Schottland noch so ziemlich der gleiche geblieben ist, ist er doch gestern in Valencia um ein Zehntel und in Stornoway um zwei Zehntel gefallen.
– Und diese Depression?... fragte Bruder Sam.
– Führt zu welchem Schlusse?... setzte Bruder Sib hinzu.
– Daß das schöne Wetter nicht mehr andauern wird, erklärte Aristobulos Ursiclos, und daß der Himmel unter Auftreten südwestlicher Windströmungen bald von den Ausdünstungen des Nord-Atlantischen Oceans bedeckt erscheinen dürfte.«
Die Brüder Melvill dankten dem jungen Gelehrten, ihnen diese interessanten Vorhersagungen mitgetheilt zu haben, und folgerten daraus, daß der Grüne Strahl lange genug auf sich warten lassen werde – ein Umstand, der ihnen nicht besonders unangenehm erschien, da er ihren Aufenthalt in Oban verlängern mußte.
»Und Sie sind gekommen, meine Herren?...« fragte Aristobolus Ursiclos, nachdem er einen Strandkiesel aufgehoben, den er mit größter Aufmerksamkeit prüfte.
Die beiden Onkels hüteten sich wohl, ihn bei diesem Studium zu stören.
Doch als der Silex sich der schon vorhandenen Sammlung in der Tasche des jungen Gelehrten zugesellte, sagte Bruder Sib:
»Wir sind in der sehr natürlichen Absicht gekommen, einige Zeit hier zu verweilen.
– Und müssen hinzufügen, sagte Bruder Sam, daß auch Miß Campbell uns begleitet hat....
– Ah, Miß Campbell! rief Aristobulos Ursiclos. – Ich glaube dieser Silex stammt aus der gaëlischen Epoche... er enthält noch Spuren... wirklich, es wird mich besonders freuen, Miß Campbell wieder zu sehen!... von meteorologischem Eisen. Dieses ganz besondere milde Klima wird ihr ausgezeichnet wohlthun.[59]
– Sie befindet sich übrigens ganz nach Wunsch, bemerkte Bruder Sam, und hat nicht etwa das Bedürfniß, ihre Gesundheit wieder herstellen zu müssen.
– Thut nichts, erwiderte Aristobulos Ursiclos. Die Luft hier ist vorzüglich. Null Komma einundzwanzig Sauerstoff, null neunundsechzig Stickstoff mit nur wenig Wasserdampf, gerade soviel, wie physiologisch von Vortheil ist. Von Kohlensäure nur Spuren. Ich nehme jeden Tag eine Analyse vor.«
Die Brüder Melvill glaubten darin eine zarte Aufmerksamkeit gegen Miß Campbell erblicken zu dürfen.
»Aber, fragte Aristobulos Ursiclos, wenn Sie nicht aus Gesundheitsrücksichten nach Oban gekommen sind, meine Herren, darf ich dann wissen, aus welchem Grunde Sie Ihre Cottage Helenenburg verlassen haben?
Wir haben keine Ursache, es vor Ihnen zu verbergen, in Erwägung der Lage, in welcher wir uns befinden... antwortete Bruder Sib zögernd.
– Darf ich in dieser Ortsveränderung, nahm der junge Mann, die angefangene Phrase unterbrechend, das Wort, den übrigens ganz natürlichen Wunsch erblicken, mir Gelegenheit zu geben. mit Miß Campbell häufiger und unter Verhältnissen zusammenzutreffen, unter denen wir uns besser kennen, d. h. schätzen lernen können.
– Ganz recht, erklärte Sib. Wir glaubten, auf diese Weise würde sich unser gemeinsames Ziel leichter erreichen lassen....
– Ich stimme Ihnen vollkommen zu, meine Herren, sagte Aristobulos Ursiclos. Hier auf neutralem Boden werden Miß Campbell und ich beste Gelegenheit finden, mit einander plaudern zu können, z.B. über die Bewegungen des Meeres, über die Richtung der Winde, die Höhe der Wellen, die Wechsel der Gezeiten und andere physikalische Phänomene, welche sie ja in hohem Grade interessiren müssen.«
Nachdem die Brüder Melvill ein Lächeln der Befriedigung ausgetauscht, verneigten sie sich als Zeichen der Zustimmung und fügten hinzu, daß sie bei ihrer Rückkehr nach der Cottage Helenenburg sehr glücklich sein würden, ihren liebenswürdigen Gast unter einem anderen Titel begrüßen zu können.
Aristobulos Ursiclos antwortete, daß das noch mehr auf seiner Seite sein werde und um so besser passe, als die Regierung gerade jetzt in dem Clyde ausgedehnte Baggerarbeiten zwischen Helensbourgh und Greenock vornehmen lasse, bei denen man sich des elektrischen Lichtes zu bedienen gedenke, und wobei auch neue elektrische Maschinen versucht werden sollten.[60]
Befand er sich dann erst in der Cottage, so werde er deren Anwendungsweise bequem beobachten und ihren Nutzeffect berechnen können.
Die Brüder Melvill konnten nur anerkennen, daß dieses Zusammentreffen unter Umständen ihren Projecten besonders günstig sei. Während der Mußestunden in der Cottage würde der junge Gelehrte den verschiedenen Phasen der hochgelehrten, interessanten Arbeiten ohne Beschwerde folgen können.
»Sie haben aber doch, fragte Aristobulos Ursiclos, einen Vorwand gebraucht, hierher zu gehen, denn Miß Campbell erwartet jedenfalls nicht, mich hier in Oban zu treffen?
– Ja freilich, antwortete Bruder Sib, und diesen Vorwand hat uns Miß Campbell gar selbst geliefert.
– Ach, sieh' da, rief der junge Gelehrte, und welcher ist es?
– Es handelt sich ihr um Beobachtung einer physikalischen Erscheinung, für welche in Helensbourgh die Vorbedingungen nicht gegeben sind.
– Wahrhaftig, meine Herren, platzte Aristobulos Ursiclos heraus, indem er seine Brille zurechtschob, das beweist ja schon, daß zwischen Miß Campbell und mir eine gewisse sympathische Verwandtschaft herrscht! Darf ich erfahren, welches Phänomen es ist, das in Helensbourgh nicht studirt werden konnte?
– Dieses Phänomen ist ganz einfach der Grüne Strahl, belehrte ihn Bruder Sam.
– Der Grüne Strahl? rief Aristobulos Ursiclos erstaunt, von dem habe ich ja niemals reden gehört! Erlauben Sie mir, da weiter zu fragen, was es mit diesem Grünen Strahl für eine Bewandtniß hat?«
Die Brüder Melvill erklärten, so gut sie konnten, die Erscheinung, welche die »Morning-Post« unlängst der Aufmerksamkeit der Leser empfohlen hatte.
»Pah, machte Aristobulos Ursiclos, das ist nur eine simple Curiosität ohne großes Interesse, welches schon mehr zu dem kindischen Gebiete der unterhaltenden Physik gehört.
– Miß Campbell ist ja ein junges Mädchen, entschuldigte sie Bruder Sib, und sie scheint diesem Phänomen eine unzweifelhaft weit übertriebene Bedeutung beizulegen...
– Denn sie will sich nicht verheiraten, hat sie gesagt, bevor sie es nicht beobachtet hat, setzte Bruder Sam hinzu.
– Nun wohl, meine Herren, prahlte Aristobulos Ursiclos, wir werden ihr ihn zeigen, ihren Grünen Strahl?«[61]
Hierauf begaben sich alle Drei längs eines durch Wiesen in der Nähe des Strandes verlaufenden Weges nach dem Caledonian-Hôtel zurück.
Aristobulos Ursiclos konnte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den Brüdern Melvill darzulegen, wie der Geist der Frauen noch immer an Kleinigkeiten hänge, und er legte dabei in großen Zügen Alles dar, was nothwendig sei, um das Niveau ihrer ganz falsch aufgefaßten Erziehung zu heben, obwohl er gewiß nicht glaubte, daß deren, gegenüber dem des Mannes mit weniger Gehirnsubstanz ausgestattetes Gehirn, dessen Faseranordnung außerdem eine andere sei, sie jemals zu wirklich hohen Speculationen geeignet erscheinen lassen werde. Aber ohne so weit zu gehen, könne man doch vielleicht dahin gelangen, dasselbe durch speciell berechnete Erziehung, respective Trainirung zu vervollkommnen, wiewohl, so lange die Welt besteht, sich noch keine Frau durch derartige Entdeckungen ausgezeichnet hat, wie etwa Aristoteles, Euklid, Hervey, Hahnemann, Pascal, Newton, Laplace, Arago, Humphry Davy, Edison, die Humboldt's, Virchow, Pasteur, Siemens u. A. Hierauf erging er sich in der Erklärung verschiedener Naturerscheinungen und schwatzte von omni re scibili – Miß Campbell freilich erwähnte er mit keinem Worte.
Die Brüder Melvill hörten andächtig zu – um so bereitwilliger, als sie unfähig gewesen wären, zwischen diesen, in einer Schnurre declamirten Monolog, den Aristobulos Ursiclos mit den nöthigen hums! hums! spickte und verzierte, ein Wörtchen einzuschieben.
So gelangten sie bis etwa hundert Schritte vor das Caledonian-Hôtel und blieben einen Augenblick stehen, um von einander Abschied zu nehmen.
Da zeigte sich eine jugendliche Erscheinung am Fenster ihres Zimmers. Sie schien eifrig beschäftigt, wenn nicht gar ganz außer Fassung zu sein. Sie blickte gerade hinaus, nach links und nach rechts und sachte offenbar einen Horizont, den sie nicht finden konnte.
Plötzlich bemerkte Miß Campbell – denn sie war es – ihre Onkels. Sofort flog das Fenster klirrend zu und wenige Minuten später kam das junge Mädchen die Arme halb gekreuzt, das Gesicht sehr ernst, die Stirn voll drohender Vorwürfe, nach dem Strande hinab.
Die Brüder Melvill sahen einander an. Was mochte Helena fehlen? War es nur die Anwesenheit Aristobulos Ursiclos', welche diese Symptome außerordentlicher Aufregung hervorrief?[62]
Inzwischen trat der junge Gelehrte einen Schritt vor und begrüßte Miß Campbell mechanisch.
»Herr Aristobulos Ursiclos, sagte Bruder Sam, indem er den Gelehrten mit einiger Förmlichkeit vorstellte.
– Der sich rein infolge eines glücklichen Zufalles... gerade in Oban aufhält, setzte Bruder Sib hinzu.
– Ah,... Herr Ursiclos!«
– Miß Campbell ließ sich kaum herab, den Gruß zu erwidern.
Dann wendete sie sich gleich an die höchst verlegenen Brüder Melvill, welche gar nicht wußten, woran sie waren.
– Meine Onkels? sagte sie sehr ernst.
– Liebe Helena, antworteten die beiden Onkels mit sichtlich unruhiger Stimme.
– Wir sind doch wohl in Oban? fragte sie.
– In Oban... ganz gewiß.
– Am Hebridenmeere?
– Sicherlich.
– Nun gut, in einer Stunde werden wir nicht mehr hier sein!
– In einer Stunde?
– Hatte ich nicht als Hauptsache einen freien Horizont verlangt?
– Das bestreitet Niemand, liebe Tochter...
– Wollt Ihr vielleicht die Güte haben, mir zu zeigen, wo derselbe sich findet?«
Verdutzt drehten sich die Brüder Melvill nach allen Seiten um.
Geradeaus, aber ebenso nach Südwesten, wie nach Nordosten, zeigte sich zwischen den vorgelagerten Inseln kein freier Raum, wo Himmel und Wasser hätte zusammentreffen können. Seil, Kerrera und Kismore bildeten eine ununterbrochene Brücke von einem Lande zum andern. Man mußte wohl oder übel zugestehen, daß der verlangte und versprochene Horizont in Oban fehlte.
Die beiden Brüder hatten darauf bei ihrer Promenade längs des Strandes gar nicht geachtet. So machte sich ihre Verwunderung in den zwei echt schottischen Interjectionen Luft, welche eine gewaltige Enttäuschung, vermischt mit etwas übler Laune, bezeichnen, indem der Eine
»Pooh! ausrief, und der Andere mit
– Pswha!« antwortete.[63]
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