[176] Als die Reisenden am folgenden Morgen – am 21. September – den kleinen Hafen von Mataweni verließen, befanden sie sich nur noch dreiundeinhalb Tagereisen von San-Fernando entfernt. Erlitten sie keine außergewöhnliche Verzögerung, so mußten sie – selbst bei minder günstiger Witterung – ihr nächstes Ziel in jener kurzen Zeit erreicht haben.
Die Fahrt wurde unter den gewöhnlichen Umständen wieder aufgenommen, unter Benutzung der Segel, wenn der Wind das zuließ, der Palancas und des Garapato, wenn die Piroguen sich das an den Strombiegungen vorhandene Stauwasser zunutze machten, oder endlich der Espilla, wenn die Stangen nicht ausreichten, die starke Strömung zu überwinden.
Die Temperatur hielt sich immer sehr hoch. Langsam zogen gewitterhafte Wolken am Himmel hin und lösten sich wiederholt in lauwarme Regengüsse auf. Dann folgte meist ein so brennender Sonnenschein, daß man unter den Deckhäusern Schutz suchen mußte. Im Ganzen blieb der Wind schwach, unstät und genügte nicht, die Gluth des Luftmeeres zu mildern.
Zahlreiche Rios ergossen sich, namentlich am linken Ufer, in den Strom – unbekannte Rios, deren Bett in der heißen Jahreszeit meist ganz trocken lag. Germain Paterne ließ sie übrigens ganz unbeachtet, und sie verdienten auch wirklich gar keinen Besuch der Geographen.
Wiederholt begegnete man indianischen Canots, bemannt mit Piaroas, die gewöhnlich am rechten Ufer dieses Theiles des Orinoco umherschweifen.
Die Indianer fuhren zutraulich an die Piroguen heran und boten ihre Dienste bei der ermüdenden Benutzung der Espilla an. Diese wurden ohne Zögern angenommen, und die Leute begnügten sich willig mit einer Abfindung in Gestalt von Stoffstücken, werthlosen Glaswaaren und Cigarren. Auch sie sind gewandte Stromschiffer, die bei der Fahrt über Stromschnellen gern herangezogen werden.
In Begleitung eines halben Dutzend von Curiares legte die kleine Flottille bei dem Dorfe Augustino am rechten Ufer an. Chaffanjon erwähnt des Dorfes[176] nicht, aus dem einfachen Grunde, weil es zu seiner Zeit überhaupt nicht bestand.
Die genannten Indianer sind eigentlich nicht seßhaft. So wie ihr Rindenboot, in dem sie über den Strom gesetzt sind, ebenso verlassen sie auch die Hütten wieder, die sie in Zeltform für einige Tage errichtet hatten.
Es hatte jedoch den Anschein, als hätte das Dorf Augustino etwas mehr Aussicht auf längeren Bestand, wenn es auch erst unlängst erbaut war. Es nahm zunächst eine recht glücklich gewählte Stelle an einer Biegung des Orinoco[177] ein. Vor ihm am Strande und hinter ihm bis zu mittelhohen, belaubten Cerros hin erhoben sich Hunderte von prächtigen Baumriesen. Links dehnte sich ein Kautschukbaumwald aus, aus dem die Gomeras große Mengen des werthvollen Federharzes gewannen.
Das Dorf umfaßte etwa vierzig cylindrische oder cylindrisch-konische Strohhütten und seine Bewohnerschaft mochte zweihundert Köpfe zahlen.
Bei ihrer Landung hätten Herr Miguel und seine Gefährten glauben können, daß es in Augustino weder Frauen noch Kinder gäbe.
Das erklärte sich indeß damit, daß Frauen und Kinder, sobald sich die Nachricht von der Annäherung fremder Männer verbreitete, entsetzt nach den Wäldern entflohen waren.
Dagegen erschien ein gut gewachsener Piaroa von etwa vierzig Jahren, kräftigem Körperbau, großer Schulterbreite und bekleidet mit dem üblichen Guayneo, das Haar, das ihm rückwärts auf die Schulter fiel, an der Stirn schon zur Kindeszeit abgesengt mit Ringen und Stricken unter den Knien und über den Knöcheln. Der Mann wandelte längs des Uferrandes hin und ihn begleiteten gegen zehn Indianer, die ihm einen gewissen Respect zu erweisen schienen.
Es war der Capitan, der Häuptling des Dorfes, der den Platz für dessen Anlage an recht gesunder Stelle bestimmt hatte, wo Augustino von der gewöhnlichen Geißel des Uferlandes, den verwünschten, unerträglichen Muskitos frei blieb.
Herr Miguel, dem die andern Passagiere folgten, ging auf den Capitan, der der venezuolanischen Sprache mächtig war, zu.
»Ihr seid hier willkommen, Deine Freunde und Du, begann der Indianer, ihm die Hand bietend.
– Wir sind nur für wenige Stunden hierher gekommen, antwortete Herr Miguel, und gedenken schon morgen mit Tagesanbruch weiter zu reisen.
– Bis dahin, sagte der Piaroa, kannst Du in unsern Hütten, die Dir zur Verfügung stehen, ausruhen.
– Nimm unsern Dank, Capitan, erwiderte Herr Miguel, wir werden Dir einen Besuch abstatten. Für eine einzige Nacht ist es für uns aber vortheilhafter, gleich an Bord der Falcas zu bleiben.
– Wie es Dir beliebt!
– Du bist der Häuptling dieses hübschen Dorfes? fuhr Herr Miguel, das Uferland hinansteigend, fort.[178]
– Ja... es ist zwar erst im Entstehen, doch es wird weiter gedeihen, wenn es den Schutz des Gouverneurs von San-Fernando findet. Ich glaube, es wird dem Präsidenten der Republik angenehm sein, am Orinoco noch ein Dorf mehr zu besitzen.
– Wir werden ihm bei unsrer Rückkehr mittheilen, erklärte Herr Miguel, daß der Capitan...
– Caribal, nannte der Indianer seinen Namen, und zwar mit demselben Stolz, als wenn es der eines Städtegründers oder Simon Bolivar's selbst gewesen wäre.
– Der Capitan Caribal, fuhr Herr Miguel fort, kann in San-Fernando gegenüber dem Gouverneur, wie in Caracas gegenüber dem Präsidenten, auf unsre guten Dienste rechnen.«
In glücklicherer Weise und in freundlicherem Tone hätte man zu diesen Piaroas gar nicht in Beziehung treten können.
Herr Miguel und seine Begleiter folgten den Indianern bis zu dem in Büchsenschußweite entfernten Dorfe.
Jacques Helloch und sein Freund Jean gingen nebeneinander vor dem Sergeanten Martial her.
»Ihr gewohnter Führer, das Buch unsers Landsmanns, lieber Jean, sagte Jacques, giebt Ihnen ohne Zweifel genaue Auskunft über diese Piaroas, so daß Sie von den Leuten jedenfalls mehr wissen, als wir.
– Ich ersehe daraus, antwortete der junge Mann, daß diese Indianer sanften Charakters und dem Kriege abhold sein sollen. Die meiste Zeit leben sie in den entlegensten Wäldern des Orinocobeckens. Man möchte glauben, daß die Sippe hier eine neue Lebensweise am Stromufer zu beginnen beabsichtige.
– Höchst wahrscheinlich, lieber Jean, und ihr geistig offenbar geweckter Capitan wird sie bestimmt haben, das Dorf an dieser Stelle zu gründen. Der venezuolanische Gouverneur hätte alle Ursache, derartige Unternehmungen zu unterstützen, und wenn einige Missionäre nach Augustino kämen, würden sich die Piaroas hier gewiß bald bis zur Stufe der civilisierten Indianer, der »Racionales«, wie man sie gewöhnlich nennt, erheben.
– Missionäre, Herr Helloch, antwortete Jean, ja, solche muthige, opferbereite Männer würden unter diesen Indianerstämmen gewiß Erfolge erzielen. Ich habe mir immer vorgestellt, daß diese Apostel, die das sorglose Leben, dessen sie sich erfreuen könnten, aufgeben, auf die Freuden der Familie verzichten, die[179] die Hingabe an ihren Beruf bis zur Aufopferung des Lebens treiben... daß gerade sie die edelste Mission zu Ehren der Menschheit erfüllen. Bedenken Sie, welche Erfolge – den Berichten nach – der Pater Esperante in Santa-Juana erzielt hat und wie sein Beispiel zur Nacheiferung mahnt!
– Ja, gewiß, gewiß,« stimmte Jacques Helloch zu.
Er war immer höchst erstaunt, bei dem jungen Mann so ernste, edelsinnige Gedanken zu finden. Offenbar war dieser geistig seinen Jahren voraus. So fuhr Jacques Helloch fort:
»Mein lieber Jean, das sind doch Dinge, an die man kaum denkt, so lange man noch so jung ist...
– O, ich bin schon alt, Herr Helloch, erwiderte Jean, leicht erröthend.
– Alt... ja freilich... ganze siebzehn Jahre!
– Siebzehn Jahre weniger zwei Monate und neun Tage, bestätigte der Sergeant Martial, der jetzt in das Gespräch eingriff, und ich begreife nicht, warum Du Dich als alt hinstellen willst, lieber Neffe...
– Bitte um Verzeihung, Onkelchen, es soll nicht wieder vorkommen,« gelobte Jean, der ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.
Darauf wandte er sich wieder Jacques Helloch zu.
»Um übrigens auf die Missionäre zurückzukommen, fuhr er fort, würden die, die sich in Augustino niederließen, gar arg gegen die Vorurtheile und den Aberglauben dieser Indianer anzukämpfen haben, denn meinem Führer nach zeichnen gerade die hiesigen Stämme sich in dieser Beziehung ganz besonders aus!«
Die Passagiere der Falcas sollten auch bald genug erfahren, wie begründet das Urtheil des frühern französischen Reisenden war.
Die Hütte (Case) des Capitan stand geschützt unter einer Gruppe prächtiger Bäume. Ein Dach von Palmenblättern bedeckte sie, und darüber erhob sich eine Art cylindrischer Krone, die wiederum von einem Büschel Blumen überragt war. Eine einzige Thür bildete den Eingang nach dem freien Innenraume, der fünfzehn Fuß im Durchmesser haben mochte. Die auf das unumgänglich Nöthige beschränkte Ausstattung bestand aus Bastkörben, Decken, einem Tische, einigen Sitzen von sehr grober Arbeit und den höchst einfachen Wirthschaftsgegenständen des Indianers, nebst seinen Bogen, Pfeilen und Ackergeräthen.
Diese Hütte war ganz eben erst fertig geworden und gestern mit einer Feierlichkeit eingeweiht worden – einer Feierlichkeit, die die Austreibung des bösen Geistes bezweckte.[180]
Der böse Geist verschwindet nun – dem Indianerglauben nach – nicht wie ein Dunst, und zerstreut sich nicht, wie etwa ein Nebel. Ein Klopfen und Schlagen an die Strohwände, wie es eine abergläubische europäische Hausfrau thun würde, genügte hier eben nicht. Der Geist gleicht nicht einem Staube, den man mit dem Besen ausfegen kann. Er ist ein körperloses Wesen, daß erst von einem lebenden Thiere eingeathmet und dann von diesem in die Luft hinausgetragen werden muß. Die Erledigung dieser Aufgabe muß also einem beliebigen Vogel überlassen werden.
Gewöhnlich bevorzugt man hierbei einen Tucan (Pfefferfresser), der sich stets bestens bewährt. Während er umherflattert, pflegt die in der Hütte versammelte, mit ihrer besten Tracht geschmückte Familie Gesänge anzustimmen, Tänze aufzuführen, Opfer zu bringen und dazu unzählige Tassen Bruquilla-Kaffee zu trinken, dem ein gutes Theil Aguardiente oder Tafia zugesetzt ist.
Da man sich am Vorabend einen Tucan nicht hatte beschaffen können, war ein Papagei als »Reiniger« verwendet worden.
Nachdem dieser im Innern gehörig hin und her geflogen war, hatte man ihn nach dem Walde zu freigelassen, und nun konnte das Strohhaus in aller Ruhe und Sicherheit bewohnt werden. Der Capitan zögerte selbst keinen Augenblick, Fremde da hineinzuführen, und diese waren sicher, nicht von dem bösen Geiste belästigt zu werden.
Beim Verlassen der Hütte des Capitan Caribal fanden die Reisenden die Bewohner Augustinos zahlreicher, vielleicht vollzählig versammelt. Die jetzt beruhigten, von ihren Vätern, Brüdern und Ehemännern zurückgerufenen Frauen und Kinder hatten das Dorf wieder zu betreten gewagt. Sie liefen von einer Hütte zur andern, schlenderten unter den Bäumen umher und begaben sich sogar nach dem Strande, wo die Falcas angebunden lagen.
Germain Paterne konnte bemerken, daß die kleinen, wohlgebauten Frauen mit regelmäßigen Zügen doch auf niedrigerer Stufe standen als die Männer.
Alle Piaroas versuchten nun, einen kleinen Handel anzufangen, wie sie das von jeher gewöhnt sind, wenn Reisende, Touristen oder Kaufleute, auf dem Orinoco hierherkommen. Sie boten dabei frische Gemüse, Zuckerrohr oder eine Art Bananen, die unter dem Namen Plantanos bekannt sind, an, eine Frucht, die, getrocknet oder eingemacht, den Indianern bei ihren Zügen vielfach als alleinige Nahrung dient.[181]
Dafür erhielten sie einige Päckchen Cigarren, wonach sie sehr lüstern sind, Messer, Beile, Glasperlen-Halsbänder u. dgl., und schienen über ihren Tauschhandel mit den Fremden sehr befriedigt zu sein.
Das Hinundherlaufen und Abschließen der Geschäfte hatte nur eine Stunde beansprucht. Ehe die Sonne unter den Horizont versank, blieb den Jägern noch genug Zeit, in den Wäldern der Nachbarschaft von Augustino ihr Glück zu versuchen.
Als ein solcher Vorschlag laut wurde, stimmten ihm Herr Miguel und Jacques Helloch natürlich im Augenblicke zu. Ihre Gefährten überließen es ihnen gern, Wasser- und Bisamschweine, Hirsche, Pavas, Huccos, Tauben und Enten zu erlegen, die dem Personal der Piroguen ja jeder Zeit willkommen waren.
Die Herren Varinas und Felipe, Jean von Kermor und der Sergeant Martial blieben demnach zurück, die einen in den Fahrzeugen, die andern auf dem Strande oder im Dorfe, während Jacques Helloch und Herr Miguel, denen Germain Paterne mit der von ihm unzertrennlichen Botanisiertrommel auf dem Rücken sich anschloß, in das Dickicht von Palmen, Flaschenkürbisbäumen, Coloraditos und unzähligen Morichals, das sich jenseits der Zuckerrohr- und Maniocfelder erhob, erwartungsvoll eindrangen.
Ein Verirren war dabei nicht zu befürchten, denn die Jagd sollte nicht über die nächste Umgebung von Augustino ausgedehnt werden, wenn sich die Jäger von ihrem cynegetischen Eifer nicht zu weit verleiten ließen.
Dazu lag übrigens gar keine Veranlassung vor. Schon in der ersten Stunde hatte Herr Miguel ein Bisamschwein erlegt und Jacques Helloch einen Hirsch zu Boden gestreckt. Mit diesen zwei Thieren hätten sie schon genug Beute nach den Falcas mitgebracht. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie einen oder zwei Indianer mit zur Jagd genommen hätten; da sich beim Aufbruch aber keiner zu ihrer Begleitung anbot, hatten sie auf eine solche Hilfe verzichtet. Da sie auch die mit kleinen Reparaturen an den Piroguen beschäftigten Schiffsleute nicht hatten abhalten wollen, waren sie eben allein gegangen, um allein nach dem Dorfe zurückzukehren.
Nachdem sie zwischen zwei und drei Kilometer weit hinausgezogen waren, befanden sie sich bereits, Herr Miguel das Bisamschwein auf der Schulter, Jacques Helloch und Germain Paterne den Hirsch tragend, auf dem Rückwege und nur noch fünf bis sechs Flintenschuß weit von Augustino, als sie einmal stehen blieben, um sich ein wenig zu erholen.[182]
Es war sehr warm und der Luftwechsel unter dem dichten Blätterdome obendrein noch besonders erschwert.
Da, als sie sich eben am Fuße eines mächtigen Palmenstammes niedergesetzt hatten, begann sich das Unterholz in einem Dickicht zu ihrer Rechten heftig zu bewegen. Es sah aus, als wollte eine gewaltige Masse durch das Gezweig des Buschwerks dringen.
»Achtung! rief Jacques Helloch seinen Begleitern zu. Da drin ist ein Raubthier!
– Ich habe zwei Kugelpatronen im Gewehre, antwortete Herr Miguel.
– Nun, so halten Sie sich schußfertig, während ich meine Flinte lade,« erwiderte Jacques Helloch.
Es bedurfte für ihn nur weniger Secunden, um auch mit seinem Hammerleßgewehre schußbereit zu sein.
Augenblicklich bewegten sich die Zweige des Gebüsches nicht. Bei scharfem Hinhorchen konnten die Jäger aber ein keuchendes Schnaufen und auch einen knurrenden Ton vernehmen, über dessen Natur kein Irrthum möglich war.
»Das muß ein sehr großes Thier sein, sagte Germain Paterne, auf das Dickicht zugehend.
– Bleib' hier... bleib' zurück! rief ihm Jacques Helloch zu. Wir haben es wahrscheinlich mit einem Jaguar oder einem Puma zu thun. Doch bei vier Kugeln, die den Burschen erwarten...
– Vorsicht!... Vorsicht! mahnte Herr Miguel. Mir scheint, ich sehe einen langen Rüssel, der sich durch die Zweige vorschiebt.
– Na, wer denn auch der Inhaber dieses Rüssels sein mag...« antwortete Jacques Helloch, und damit blitzten schon zwei Schüsse aus seinem Gewehre auf.
Jetzt theilte sich das Dickicht, einem mächtigen Drucke nachgebend, ein wüthendes Geheul scholl daraus hervor und eine gewaltige Masse brach durch das Gezweig.
Sofort krachten zwei weitere Schüsse.
Herr Miguel hatte dem Thiere seine Kugeln entgegengejagt.
Fast augenblicklich stürzte dieses mit lautem Todesschrei zusammen.
»Ah... das ist ja nur ein Tapir! rief Germain Paterne, der war eigentlich keine vier Ladungen Pulver und keine vier Kugeln werth!«[183]
Das war ja richtig, so weit die von dem harmlosen Thiere drohende Gefahr in Betracht kam, nicht aber, wenn man dessen Werth als Nahrungsmittel veranschlagte.
Statt mit einem Puma oder einem Jaguar, den gefährlichsten Raubthieren Mittelamerikas, hatten es die Jäger also nur mit einem Tapir zu thun gehabt. Es war ein ziemlich großes Exemplar mit braunem, auf dem Kopfe und an der Kehle mehr grauem Felle von spärlicher Behaarung, doch mit einer Art Mähne, dem Zeichen des männlichen Geschlechts. Dieses Thier, das mehr in der Nacht als am Tage umherschweift, bewohnt die Urwalddickichte und auch die Sümpfe des Landes. Seine Nase, ein kleiner Rüssel, verleiht ihm Aehnlichkeit mit dem Eber, auch mit einem Schweine von der Größe eines Esels.
Ein Angriff ist von dieser Art Dickhäutern nie zu befürchten. Das Thier frißt nur Pflanzen und Früchte und wäre höchstens imstande, einen Jäger über den Haufen zu rennen.
Die vier Gewehrschüsse waren indeß nicht als vergeudet anzusehen, wenn es gelang, den Tapir nach den Piroguen zu schaffen, wo die Mannschaften ihn gewiß auszunutzen verstanden.
Als das Thier aber zu Boden gestürzt war, hatten Herr Miguel und seine Begleiter nichts von dem Aufschrei eines Indianers gehört, der sie links von dem Dickicht her belauschte, und hatten den Mann auch nicht in größter Eile nach dem Dorfe zu fortlaufen sehen. Sie beluden sich arglos wieder mit dem Bisamschweine und dem Hirsche und setzten den Rückweg fort mit der Absicht, den Tapir durch einige Schiffsleute aus dem Walde holen zu lassen.
In Augustino angelangt, fanden sie die ganze Bevölkerung aber in wüthender Aufregung. Männer und Frauen drängten sich um den Capitan. Der Herr Caribal erschien nicht minder erregt, als seine getreuen Unterthanen, und als Germain Paterne, Herr Miguel und Jacques Helloch auf der Bildfläche erschienen, wurden sie mit schrecklichem Geschrei, mit Ausbrüchen des Hasses und der Rachsucht empfangen.
Was mochte hier vorgegangen sein?... Woher diese Veränderung des Benehmens?... Hatten die Piaroas etwa Feindseligkeiten gegen die Piroguen im Sinne?...
Darüber konnten sie sich bald beruhigen, als sie den jungen Mann, den Sergeanten Martial und die Herren Felipe und Varinas auf sich zukommen sahen.
»Was in aller Welt giebt es denn hier? fragten sie.[184]
– Valdez, der sich noch im Dorfe aufhielt, erklärte Jean, daß er einen Indianer aus dem Walde hervorstürzen, auf den Capitan zueilen gesehen und auch gehört habe, wie jener meldete, Sie hätten mit den Gewehren..
– Ein Bisamschwein und einen Hirsch erlegt, die wir hier mitbringen fiel Herr Miguel ein.
– Nicht auch einen Tapir?
– Gewiß, auch einen Tapir, antwortete Jacques Helloch. Was ist denn so Schlimmes dabei, einen Tapir zu tödten?
– Nach den Piroguen!... Schnell nach den Piroguen!« rief der Sergeant Martial.
In der That schienen die Dorfbewohner jetzt auf dem Punkte, zu Gewaltthätigkeiten überzugehen. Die so friedlichen, entgegenkommenden, dienstwilligen Indianer schäumten sichtlich vor Wuth. Einige davon waren mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Ihr Schreien und Toben wurde immer lauter.
Sie drohten über die Fremdlinge herzufallen. Dem Capitan Caribal gelang es offenbar nur schwierig, sie noch ein wenig im Zaume zu halten – wenn er sich überhaupt darum bemühte – und die Gefahr wuchs jetzt mit jeder Secunde.
War der Grund hierfür wirklich nur der Umstand, daß die Jäger einen Tapir erlegt hatten?
Ja, das einzig und allein, und es war zu bedauern, daß Jean sie vor ihrem Aufbruche nicht nach den Angaben seines Führers darüber unterrichtet hatte, daß sie einer solchen Pachyderme auf keinen Fall auch nur ein Haar krümmen dürften. In den Augen dieser Indianer ist der Tapir ein geheiligtes Thier, verehrt von den dem schlimmsten Aberglauben huldigenden Wilden, die auch noch auf eine Seelenwanderung schwören.
Sie glauben nicht allein an gute und böse Geister, sondern betrachten den Tapir auch als einen ihrer ehrwürdigsten und von ihren Vorfahren schon heilig verehrten Ahnen. In den Leib eines Tapirs zieht, ihrer Annahme nach, die Seele jedes verstorbenen Indianers ein. Ein Tapir weniger bedeutet demnach eine Wohnstätte weniger für diese Seelen, die aus Mangel an Unterkommen dann Gefahr liefen, in Ewigkeit durch das Weltall zu irren. Daher das strenge Verbot die Tage eines Thieres zu verkürzen, das die ehrenwerthe Bestimmung hat, als Hauswirth zu fungieren, und daher, wenn eines doch getödtet worden ist, die Wuth der Piaroas, die sie zu der furchtbarsten Wiedervergeltung treiben kann.[187]
Weder Herr Miguel noch Jacques Helloch wollten jedoch den Hirsch und das Bisamschwein, deren Erlegung keiner Beschränkung unterlag, im Stiche lassen. Die Schiffsleute, die inzwischen ebenfalls herbeigelaufen waren, ergriffen die Jagdbeute und Alle zogen sich eiligst nach den Piroguen zurück.
Mit wüthenden Geberden folgten ihnen die Insassen des Dorfes. Der Capitan suchte sie gar nicht mehr zu besänftigen... im Gegentheil, er marschierte jetzt, seinen Bogen schwingend, an ihrer Spitze, und die Aufregung der Eingebornen erreichte ihren Gipfel, als der von vier Mann auf einer Tragbahre herbeigeschaffte Tapir sichtbar wurde.
Im gleichen Augenblick waren die Passagiere auf ihren Falcas angelangt, wo das Dach der Deckhäuser sie gegen die Pfeile der noch nicht mit Feuerwaffen ausgerüsteten Indianer schützen mußte.
Jacques Helloch brachte Jean eiligst in der »Gallinetta« in Sicherheit, ehe noch der Sergeant Martial sich dieser Verpflichtung erledigen konnte, und empfahl ihm, sich unter dem Deckhause zu halten. Dann kletterte er, und Germain Paterne mit ihm, schleunigst nach der »Moriche« hinüber.
Die Herren Miguel, Felipe und Varinas hatten schon auf der »Maripare« Schutz gefunden.
Die Mannschaften eilten auf ihren Posten und trafen Anstalt, nach der Strommitte zu fahren.
Die Haltetaue waren eben losgeworfen, als ein Hagel von Pfeilen auf die Piroguen niederprasselte, die mittelst der Palaucas fortgestoßen wurden, um aus dem Wirbel zu kommen, der sich an der Rückseite der Landspitze befand. Ehe die regelmäßige Strömung erreicht wurde, ging die Bewegung der Fahrzeuge deshalb recht langsam vor sich, und sie mußten noch eine zweite Salve der am Ufer stehenden Eingebornen über sich ergehen lassen.
Die erste hatte niemand verletzt. Die meisten Pfeile flatterten über die Fahrzeuge hinaus und nur vereinzelte bohrten sich in das Dach der Deckhäuser ein.
Da sie nun ihre Gewehre wieder geladen hatten, begaben sich Herr Miguel und seine Collegen, Jacques Helloch, Germain Paterne und der Sergeant Martial theils nach dem Vorder- und theils nach dem Hintertheile der Piroguen hinaus.
Jetzt knatterten fünf Schüsse, denen nach ganz kurzer Zeit fünf andre folgten.[188]
Sieben bis acht Eingeborne stürzten mehr oder weniger verletzt zur Erde und zwei von den Piaroas, die dabei den Uferabhang hinunter kollerten, verschwanden im Wasser des kleinen Hafens.
Mehr bedurfte es nicht, um die bestürzte Bevölkerung zum Rückzug zu bringen, der bald in eine wilde Flucht ausartete, welche sich unter Geschrei und Geheul bis nach Augustino fortsetzte.
Jetzt außer Gefahr, weiter belästigt zu werden, segelten die Falcas um die Landspitze und dann mit Hilfe der Brise schräg über den Strom.
Es war sechs Uhr abends, als die »Moriche«, die »Maripare« und die »Gallinetta« am linken Ufer für die Nacht anlegten, die durch nichts gestört werden sollte.
Schon wollte sich der Schlaf auf die ermüdeten Lider senken, da richtete, anknüpfend an das eben Erlebte, Germain Paterne an seinen Freund noch eine Frage.
»Was meinst Du, Jacques, was werden jene Piaroas denn nun mit ihrem Tapir anfangen?
– O, den begraben sie mit allen einem so heiligen Thiere zustehenden Ehrungen!
– Ich dächte gar, Jacques!... Willst Du mit mir wetten, daß sie ihn aufessen und damit gar nicht Unrecht haben, denn es geht wirklich nichts über eine gut geröstete Tapirlende!«
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