Elftes Capitel.
Von den Sandwich-Inseln nach dem Polarkreise.

[148] Sechs Tage nach der Abfahrt erreichte die Goëlette, die nun einen südwestlichen Curs einhielt und immer von der Witterung begünstigt wurde, die Gruppe der New-South-Orkneys.

Zu ihr gehören zwei Hauptinseln; im Westen die größere, Coronation genannt, deren riesiger Gipfel bis zweitausendfünfhundert Fuß hoch ansteigt, und im Osten die Insel Laurie, die nach Westen hin im Cap Doundas ausläuft. Rundherum tauchen noch kleinere Inseln (Saddele und Powell) und eine Menge zuckerhutförmiger Eilande aus dem Meere auf. Endlich liegen noch weiter westlich die Inseln Inaccessible und du Désespoir, ohne Zweifel so genannt,[148] weil ein Seefahrer an der einen nicht landen konnte und daran verzweifelte, die andere zu erreichen.

Der Archipel wurde von dem Amerikaner Palmer im Vereine mit dem Engländer Botwel 1821 und 1822 entdeckt. Vom einundsechzigsten Breitengrade durchschnitten, ist er zwischen dem vierundvierzigsten und siebenundvierzigsten Meridian zu suchen.

Bei dem Näherkommen der »Halbrane« konnten wir an der Nordseite zusammengewürfelte Felsmassen und oben schroff ansteigende Hügel erblicken, deren untere Abhänge, vorzüglich auf der Insel Coronation, sich nach dem Ufer zu sanfter abdachten. An ihrem Fuße lagen gewaltige Eismassen in furchtbarem Durcheinander aufgehäuft, die vor Ablauf von zwei Monaten nach wärmerem Wasser hin treiben sollten.

Dann kam die Zeit, wo sich die Walfänger hier einstellten, um der Erbeutung von Spritzfischen obzuliegen, während einzelne ihrer Leute am Lande blieben, wo sie Robben und See-Elephanten erlegten.

O, wie treffend sind sie benannt, diese Länder der Trauer und des Reifs, solange ihr Winterbahrtuch von den ersten Sonnenstrahlen des südlichen Sommers noch nicht durchlöchert ist.

Um die von Eilanden und Eisschollen halbverstopfte Meerenge zu vermeiden, die die Gruppe in zwei deutliche Inselhaufen scheidet, segelte der Kapitän Len Guy zunächst an dem südöstlichen Ausläufer der Insel Laurie hin, wo ein Tag, der 24., zugebracht wurde; dann hielt er sich, nach deren Umschiffung am Cap Doundas, nahe der Südküste der Insel Coronation, wo die Goëlette am 25. liegen blieb. Das Ergebniß unserer Nachsuchungen bezüglich etwaiger Leute von der »Jane« war gleich Null.

Wenn Weddell 1822 – freilich noch im September – in der Absicht, an dieser Gruppe auf Pelzrobben zu jagen, seine Zeit und Mühe verlor, so lag das an der Strenge des noch herrschenden Winters. Die »Halbrane« hätte sich jetzt eine volle Ladung dieser Amphibien beschaffen können.

Vögel gab es auf den Inseln und Eilanden zu Tausenden. Ohne von den Pinguinen auf den mit Guano dick bedeckten Felsen zu reden, schwärmten hier in großen Mengen jene weißen Tauben umher, von denen ich schon früher einige Exemplare gesehen hatte. Es sind das Strandläufer, keine mit Schwimmhäuten ausgerüsteten Plattfüßter, mit etwas länglich-spitzem Schnabel und roth umränderten Augen, die man ohne große Mühe einfangen kann.[149]

Was die Pflanzenwelt der New-South-Orkneys, wo thonige Quarze nicht vulcanischen Ursprungs vorherrschen, angeht, so enthielt diese nur mattgraue Flechten und wenige Fucusarten aus der Familie der Laminarien. Außerdem wimmelte es längs der Uferfelsen von Schüsselmuscheln, von denen viele eingesammelt wurden.

Ich muß wohl auch anführen, daß sich der Hochbootsmann und seine Leute die Gelegenheit nicht entgehen ließen, einige Dutzend Pinguine mit Stöcken zu erschlagen. Sie folgten dabei nicht einer tadelnswerthen Mordlust, sondern dem ganz gerechtfertigten Wunsche, sich frische Nahrung zu verschaffen.

»So ein Vogel wiegt ein Masthuhn auf, Herr Jeorling, versicherte mir der wackre Hurliguerly. Haben Sie auf den Kerguelen keinen gegessen?

– Ja freilich, Hochbootsmann, doch den hatte Atkins zubereitet.

– Nun, hier thut das Endicott, und Sie werden da keinen Unterschied merken!«

In der That labte man sich im Deckhause und im Eßraume der Mannschaft an diesen Pinguinen, die der Kunst unseres Schiffskochs alle Ehre machten.

Am 26. November früh sechs Uhr ging die »Halbrane« nach Süden zu wieder unter Segel. Sie steuerte dabei bis zum dreiundvierzigsten Meridian, dessen Lage durch eine recht günstige Beobachtung sicher festgestellt werden konnte. Das war derselbe, dem Weddell und später William Guy gefolgt waren, und wenn die Goëlette von ihm weder nach Osten noch nach Westen hin abwich, mußte sie endlich auf die Insel Tsalal treffen. Jedenfalls waren hier aber manche Fahrhindernisse in Rechnung zu ziehen.

Sehr stetige östliche Winde begünstigten unser Vorwärtskommen und die Goëlette konnte ihre gesammte Leinwand entfalten. Bei dieser starken Segelbesetzung glitt sie mit der Geschwindigkeit von elf bis zwölf Seemeilen dahin Hielt das auch weiter so an, so mußte die Strecke zwischen den New-South-Orkneys und dem Polarkreise in sehr kurzer Zeit zurückgelegt werden.

Jenseits desselben, das wußt' ich ja, galt es freilich, die Pforte des mächtigen Packeises zu sprengen oder – was jedenfalls praktischer war – eine Bresche in diesem Eisgrenzwall zu entdecken.

Als der Kapitän Len Guy und ich uns einmal darüber unterhielten, sagte ich:

»Bis hierher hat die »Halbrane« immer prächtigen Seitenwind gehabt, und wenn das so fortgeht, werden wir das Packeis vor der Eisschmelze erreichen.[150]

– Vielleicht... vielleicht auch nicht... Herr Jeorling, denn die Jahreszeit ist heuer außergewöhnlich vorgeschritten. Auf der Insel Coronation habe ich schon häufig beobachtet, daß sich Eisblöcke sechs Wochen vor dem gewöhnlichen Zeitpunkte loslösten.

– Ein glücklicher Umstand, Herr Kapitän; danach wäre es ja möglich, daß unsere Goëlette schon in den ersten Decemberwochen das Packeis passieren könnte, was den Schiffen doch sonst erst gegen Ende Januar gelingt.

– In der That, wir wurden bisher von der Milde der Witterung außerordentlich begünstigt, antwortete der Kapitän Len Guy.

– Ich erwähne noch, fuhr ich fort, daß Biscoë bei seiner zweiten Forschungsreise erst gegen Mitte Februar das Land in Sicht bekam, das unter dem vierundsechzigsten Längengrade vom Mont William und Mont Stowerby überragt wird. Die Reisewerke, die Sie mir zur Verfügung stellten, berichten das...

– In unzweideutigster Weise, Herr Jeorling.

– Also noch vor Ablauf eines Monats, Herr Kapitän...

– Vor Ablauf eines Monats denke ich jenseits der Polargrenze das offene Meer wiedergefunden zu haben, von dem Weddell und Arthur Pym mit so großer Zuverlässigkeit sprechen, und dann haben wir nur unter gewohnten Verhältnissen weiter zu segeln, erst nach der Insel Bennet und dann nach der Insel Tsalal. Welches Hinderniß könnte uns auf jenem weit offenen Meere aufhalten oder nur zu Verspätungen Anlaß geben?...

– Ich sehe keines, Herr Kapitän, wenn wir nur erst die Eisgrenze hinter uns haben. Diese zu durchbrechen, darin liegt die Schwierigkeit, darauf haben wir unser Augenmerk in erster Linie zu richten, und wenn der Ostwind aushält...

– Der hält hier aus, Herr Jeorling; alle Seeleute, die die südlichen Meere befahren haben, bestätigen die auch von mir gemachte Beobachtung, daß der Ostwind hier beständig weht. Ich weiß wohl, daß zwischen dem dreißigsten und dem sechzigsten Breitengrade zuweilen Stürme aus Westen losbrechen. Tiefer unten aber kehrt sich die Sache um, die entgegengesetzten Winde behalten die Oberhand, und wenn Sie jene Grenze mit uns überschritten haben, werden Sie sich von dieser Thatsache selbst überzeugen können.

– Das freut mich wirklich, Herr Kapitän. Ich gestehe übrigens, ohne deshalb zu erröthen, daß ich anfange, etwas abergläubisch zu werden....[151]

– Warum soll das einer nicht, Herr Jeorling?... Welche Unvernunft läge denn in der Annahme des Eingreifens einer übernatürlichen Macht auch in die gewöhnlichsten Ereignisse des Lebens?... Und wir Seeleute von der »Halbrane«, sollten wir gar daran zweifeln? Erinnern Sie sich nur der Auffindung des unglücklichen Patterson auf dem Wege unserer Goëlette... an die Eisscholle, die bis in jene von uns durchfahrenen Gewässer getrieben worden war und die fast sofort darauf zerfloß. Ueberlegen Sie sich, Herr Jeorling, erkennen Sie daran nicht etwas, wie den Finger der Vorsehung? Ich gehe noch weiter, ich behaupte, daß Gott, nachdem er soviel gethan hat, um uns unseren Landsleuten von der »Jane« zuzuführen, seinen ferneren Beistand uns auch nicht versagen wird.

– Ganz meine Ansicht, Herr Kapitän. Nein, seine thätige Mitwirkung ist gar nicht wegzuleugnen, und ich meine, der Zufall spielt auf der Bühne des Menschenlebens nur die Rolle, die eine höhere Macht ihm zutheilte. Alle Thatsachen sind durch ein geheimnisvolles Band verknüpft... durch eine Kette...

– Eine Kette, Herr Jeorling, deren erstes Glied, was uns angeht, die Eisscholle Patterson's war und deren letztes die Insel Tsalal sein wird!... Ach, mein Bruder, mein armer Bruder!... Dort seit elf Jahren verlassen... mit den Genossen seines Unglücks... und ohne jede Hoffnung auf Hilfe!... Und Patterson, weit von ihnen weg verschlagen – unter welchen Umständen wissen wir nicht, so wenig, wie jene wissen, was aus ihm geworden ist. Wenn mein Herz zerspringen will, wenn ich an jene Unglücksfälle denke... jedenfalls wird es nicht eher brechen, Herr Jeorling, als in dem Augenblicke, wo mein Bruder sich mir in die Arme wirst!«

Der Kapitän Len Guy war so tief erregt worden, daß sich auch aus meinen Augen eine Thräne stahl. Jetzt fehlte mir der Muth, ihm zu sagen, daß das Rettungswerk doch recht wenig günstige Aussichten habe. Wohl war nicht daran zu deuteln, daß sich William Guy mit den fünf Matrosen von der »Jane« vor sechs Monaten noch auf der Insel Tsalal befand, denn das bestätigten die Aufzeichnungen in Patterson's Notizbuche... doch welcher Art war dort ihre Lage?... Befanden sie sich in der Gewalt der Eingebornen, deren Kopfzahl Arthur Pym, auch ohne die Bewohner der Nachbarinseln, auf mehrere Tausende schätzte?... Hatten wir uns dann nicht vom Häuptlinge der Insel Tsalal, jenem wilden Too-Wit, eines Angriffs zu versehen, dem die »Halbrane« vielleicht ebensowenig gewachsen war, wie seinerzeit die »Jane«?[152]

Ja, in dieser Beziehung war gewiß die Vorsicht die Mutter der Weisheit, wenn wir auch der Vorsehung vertrauten. Sie hatte ja schon einmal in so auffälliger Weise zu unseren Gunsten eingegriffen, und die uns von Gott anvertraute Sendung wollten wir durchführen, soweit das menschlicher Kraft und Einsicht möglich war!


 »So ein Vogel wiegt ein Masthuhn auf, Herr Jeorling.« (S. 150.)
»So ein Vogel wiegt ein Masthuhn auf, Herr Jeorling.« (S. 150.)

Von den gleichen Empfindungen erfüllt, theilte die Mannschaft der Goëlette auch die gleiche Hoffnung – ich beziehe mich hierbei auf die alten Leute an Bord, deren Hingebung für ihren Kapitän erprobt war. Die neuen Mannschaften[153] mochten der Sache vielleicht ganz oder doch nahezu theilnahmslos gegenüberstehen, wenn sie nur die für die Fahrzeit ausbedungene Heuer erhielten.

Das behauptete wenigstens der Hochbootsmann, wobei er übrigens für Hunt eine Ausnahme gelten ließ Dieser Mann schien nicht um des Lohnes oder einer späteren Prämie willen Dienst genommen zu haben. Jedenfalls ließ er davon kein Wort verlauten und sprach überhaupt mit niemand über irgend etwas.

»Ich meine, er denkt an dergleichen gar nicht, sagte Hurliguerly zu mir. Ich werde schon noch aus ihm klug werden! In seinen Reden geht er freilich nicht weiter, als ein Schiff, das vor seinem Hauptanker liegt.

– Wenn er mit Ihnen nicht spricht, Hochbootsmann, so that er es noch weniger mit mir.

– Ich habe da eine Idee... was, meinen Sie, mag der Sonderling in seinem Leben schon gethan haben?

– Nun... was denn?

– Er wird weit in die südlichen Meere hineingekommen sein... ja... sehr weit, obgleich er darüber schweigt, wie der Karpfen im Siedekessel. Warum er nicht spricht... na, das ist am Ende seine Sache. Doch wenn dieser Seeigel nicht über den Südpolarkreis hinaus und vielleicht seine zehn Grade noch weiter hinausgefahren ist, da soll mich doch die nächste überschlagende Welle gleich über die Reling hinwegspülen.

– Woran wollen Sie das gemerkt haben, Hochbootsmann?

– An seinen Augen, Herr Jeorling, an seinen Augen!... Die Goëlette mag gerade steuern, wohin es auch sei, sie bleiben stets nach Süden gerichtet... es sind Augen, die nie unerwartet aufleuchten, sondern wie Positionslichter still glänzen.«

Hurliguerly übertrieb damit nicht, ich hatte das auch schon beobachtet. Hunt hatte, um den Ausdruck Edgar Poë's zu gebrauchen, funkelnde Falkenaugen.

»Wenn er nicht beschäftigt ist, fuhr der Hochbootsmann fort, dann lehnt dieser Wilde die ganze Zeit über der Schanzkleidung. Wahrlich, er gehörte eigentlich für immer an den Vordersteven, wo er als Gallion der »Halbrane« dienen könnte!... Ein verdächtiges Gesicht, das er hat!... Und wenn er einmal am Ruder steht, Herr Jeorling, dann betrachten Sie ihn nur aufmerksam!... Seine gewaltigen Hände klammern sich an die Griffe des Rades, als wären[154] Sie daran festgenietet. Sein Blick liegt auf dem Compaßhäuschen, als würde er von der Magnetnadel angezogen. Ich meine doch auch ein tüchtiger Steuermann zu sein, an Kraft kann ich mich mit Hunt aber nicht messen. Bei ihm schwankt die Nadel auch nicht um einen halben Strich aus der rechten Richtung, das Wasser mag nun so wild sein, wie es will!... Ich sage Ihnen... in der Nacht... wenn die Laterne für den Compaß verlöschte, Hunt brauchte sie gar nicht wieder anzuzünden. Schon mit dem Feuer seiner Pupillen würde er die Scheibe beleuchten und sich im rechten Curse halten!«

Der Hochbootsmann wollte sich in meiner Gesellschaft offenbar für die mangelnde Beachtung entschädigen, die der Kapitän Len Guy und Jem West seinen endlosen Schwätzereien zu schenken pflegten. Hatte sich Hurliguerly über Hunt eine etwas über das Ziel hinausschießende Anschauung gebildet, so muß ich doch zugeben, daß die Haltung dieser sonderbaren Persönlichkeit ihn dazu berechtigte. Man konnte ihn thatsächlich der Kategorie halb-phantastischer Wesen zugesellen, und wenn Edgar Pon ihn gekannt hatte, erschien es erklärlich, daß er ihn zum Typus seiner außergewöhnlichsten Helden stempelte.

Mehrere Tage lang ging unsere Fahrt – ohne jeden Unfall, doch auch ohne jede Unterbrechung ihrer Eintönigkeit – unter den günstigsten Umständen weiter fort. Bei mäßig frischem Ostwind erreichte die Goëlette ihre größtmögliche Geschwindigkeit, was man aus dem langen, flachen und regelmäßigen Kielwasser erkannte, das sich mehrere Seemeilen weit hinter ihr herzog.

Andererseits meldete sich nun das Frühjahr deutlicher. Walfische begannen in kleinen Heerden aufzutauchen. Hier hätte auch für Schiffe von großem Tonnengehalt eine Woche genügt, sich eine volle Ladung des geschätzten Thranes zu verschaffen. Die neuangeworbenen Matrosen – vorzüglich die Amerikaner darunter – verhehlten auch gar nicht ihr Bedauern über die Gleichgiltigkeit des Kapitäns gegen diese werthvollen Thiere, die sich in früher nie gesehener Menge vor ihnen tummelten.

Von der ganzen Mannschaft war es vorzüglich Hearne, der seine Enttäuschung zu erkennen gab – er galt als besonders erfahrener Walfänger, dessen Worten seine Genossen gern lauschten. Bei der brutalen Art und der wilden Tollkühnheit, die ihn auszeichneten, hatte er gegenüber den andern Matrosen ein gewisses Uebergewicht zu erlangen gewußt. Dieser, jetzt vierzigjährige Segelwerksmaat war amerikanischer Abkunft. Gewandt und kräftig wie er war, stellte ich mir ihn gern vor, wenn er, auf dem zweispitzigen Fangboote[155] stehend, die Harpune schwang, sie einem Walfisch in die Seite schleuderte und diesen dann am nachschießenden Seile behielt – das mußte einen stolzen Anblick bilden! Bei seiner brennenden Leidenschaft für diesen Beruf konnte es nicht wundernehmen, daß er seiner Unzufriedenheit jetzt gelegentlich Ausdruck gab.

Unsere Goëlette war aber nicht zum Walfang ausgerüstet und ihr fehlten alle dazu nöthigen Geräthe. Seitdem er mit der »Halbrane« fuhr, hatte sich der Kapitän einzig darauf beschränkt, zwischen den südlichen Inseln des Atlantischen und des Stillen Oceans Handelsgeschäfte zu betreiben.

Jedenfalls war die Menge von Spritzfischen, die wir im Umkreise von wenigen Kabellängen beobachteten, eine außerordentlich große zu nennen.

An jenem Tage, gegen drei Uhr des Nachmittags, lehnte ich am Vordertheile auf der Schanzkleidung, um dem Spiele mehrerer Paare der mächtigen Thiere zuzusehen. Hearne zeigte sie seinen Kameraden mit der Hand und machte mehrfach unter brochene Bemerkungen dabei.

»Da... da... das ist ein Finnfisch... und dort, dort sind noch zwei... drei von den Burschen... mit der fünf bis sechs Fuß langen Flosse auf dem Rücken!... Seht Ihr ihn dort hinschwimmen... so gemächlich... ohne einen Sprung zu machen!... Ah, wenn ich jetzt eine Harpune bei der Hand hätte... meinen Kopf zum Pfande, daß ich sie ihnen in einen der gelben Flecke bohrte, die sie am Leibe haben! In dieser alten Krämerlade ist aber nichts anzufangen – nicht einmal den Arm kann man sich ausarbeiten!... Alle Teufel, wenn man auf diesen Meeren fährt, so geschieht es, um zu fischen, nicht um...«

Er unterbrach sich noch mit einem kräftigen Seemannsfluche.

»Und da drüben... der andere Wal! rief er dann wieder.

– Der, der einen Buckel wie ein Dromedar hat? fragte einer der Matrosen.

– Ja, das ist ein Buckelwal (Blaaghwal der Norweger), antwortete Hearne. Kannst Du seine faltigen Seiten und die lange Rückenflosse erkennen? Sie sind beschwerlich zu fangen, diese Burschen, denn sie tauchen in große Tiefen und zerren ein gewaltiges Ende Tau nach!... Wahrlich, wir verdienten von ihm einen Schlag in die Flanke zu bekommen, weil wir ihm keine Harpune in seine Flanken jagen.

– Achtung!... Aufgepaßt!« rief eben der Hochbootsmann.

Das bezog sich nicht etwa darauf, daß der vom Segelwerksmaat gewünschte furchtbare Schlag mit dem Schwanze zu fürchten gewesen wäre. Nein! Dagegen[156] zog eben ein gewaltiger Spritzfisch an der Seite der Goëlette hin und fast sofort ergoß sich aus seinen Athmungslöchern ein Schwall übelriechendes Wasser mit einem Geräusch, das dem Krachen entfernter Geschütze zu vergleichen war. Das ganze Vorderdeck bis zur großen Luke wurde davon überschwemmt.

»Brav gemacht!« murmelte Hearne, die Achseln zuckend, während seine Kameraden sich schüttelten und über die unfreiwillige Taufe durch den Buckelwal schimpften.

Außer diesen beiden Arten von Walen sah man auch noch eine Anzahl anderer, der von den Seeleuten Right-wales genannten Art; das sind übrigens die, die in den südlichen Meeren am häufigsten vorkommen. Sie haben keine Flossen, dagegen eine sehr dicke Speckschicht und ihr Fang bietet keine besonderen Gefahren. Man stellt ihnen auch meist hier in den antarktischen Gewässern nach, wo es in unzählbaren Mengen kleine Krustenthiere – die »Walfischspeise« genannt – giebt, von denen jene sich ausschließlich ernähren.

Gerade jetzt schwamm kaum drei Kabellängen von der Goëlette ein solcher Right-wale hin, der gut sechzig Fuß Länge hatte, d. h. genug, um hundert Faß Thran zu liefern. Die Ausbeute von diesen riesigen Thieren ist so groß, daß drei davon hinreichen, einem mittelgroßen Schiffe die vollständige Fracht zu bieten.

»Ja... das ist ein Right-wale! rief Hearne. Schon an seinem dicken und niedrigen Wasserstrahl würde man ihn erkennen... der, den Ihr da drüben über Backbord seht... wie eine niedrige Rauchsäule sieht es aus... der kommt von einem Right-wale. Und das alles geht uns an der Nase vorbei... geht unwiderbringlich verloren!... Sapperment, seine alten Tonnen nicht zu füllen, wenn man es kann, ist dasselbe, wie Piaster ins Meer zu werfen!... So ein Unglücks-Kapitän, der sich all diese werthvolle Waare aus der Hand gehen läßt und seine Mannschaft obendrein schädigt...

– Hearne, ertönte da eine befehlerische Stimme, steig' auf die Marsen! Da wirst Du's bequemer haben, die Walfische zu zählen!«

Es war die Stimme Jem West's.

»Lieutenant...

– Keine Widerrede, oder Du bleibst bis morgen früh da oben! Nun schnell die Wanten hinan!«

Da es ihm schlecht bekommen wäre, sich zu widersetzen, gehorchte der Segelwerksmaat, ohne ein Wort zu sagen. Die »Halbrane« – ich wiederhole[157] es – hatte sich nach diesen hohen Breiten nicht begeben, um Seesäugethiere zu erbeuten, und die neuen Leute waren auf den Falklands-Inseln nicht als Fischer angeworben worden. Das einzige Ziel unserer Fahrt kennt ja der Leser und nichts sollte uns diesem abwendig machen.

Die Goëlette fuhr jetzt mit vollen Segeln über ein röthlichbraunes Wasser hin, dem große Züge von Crustaceen, einer Art zur Familie der Thysanopoden gehörigen Krabben, die Farbe verlieh.

Da lagen Walfische sorglos auf der Seite und sammelten das kleine Gethier an den Fäden ihrer Barten, die einem Netze ähnlich zwischen den beiden Kinnladen hingen. Dann verschluckten die Riesen jene Zwerge gleich zu Myriaden.

Daß sich jetzt im November und in diesem Theile des südatlantischen Oceans eine solche Menge Cetaceen verschiedener Art vorfanden, kam, wie schon erwähnt, von der vorzeitig milden Witterung her. Ein Walfänger zeigte sich in dieser Gegend aber nirgends.

Hier sei beiläufig bemerkt, daß die Walfänger schon jener Zeit angefangen hatten, sich aus dem nördlichen Polarmeere zurückzuziehen, wo infolge unausgesetzter Vernichtung die Walfische recht selten geworden waren. Jetzt suchen Franzosen, Amerikaner und Engländer vorzugsweise die Gewässer der südlichen Polarzone zu diesem Zwecke auf, obgleich die Jagd hier mit noch größeren Schwierigkeiten verknüpft ist. Diese früher so ertragreiche Industrie droht übrigens über kurz oder lang ein Ende zu nehmen.

Aus der augenblicklich so großen Ansammlung von Cetaceen ließen sich gewisse weitere Schlüsse ziehen.

Seit der Kapitän Len Guy mit mir jenes Gespräch über den Roman Edgar Poë's gehabt hatte, war er entschieden weniger zurückhaltend geworden. Wir plauderten öfters von dem oder jenem, und heute sagte er zu mir:

»Die Anwesenheit dieser Cetaceen weist im allgemeinen darauf hin, daß eine Küste nicht mehr fern sein kann, und zwar aus zweierlei Gründen. Der erste ist der, daß sich die Crustaceen, die ihnen als Nahrung dienen, niemals weit vom Lande entfernen; der zweite der, daß die weiblichen Wale seichteres Wasser brauchen, um ihre Jungen abzusetzen.

– Wenn das der Fall ist, Herr Kapitän, bemerkte ich, warum haben wir dann zwischen den New-South-Orkneys und dem Polarkreise keine einzige Insel zu Gesicht bekommen?...[158]

– Ihr Einwand ist ganz richtig, antwortete der Kapitän Len Guy, doch um auf eine Küste zu treffen, hätten wir um eine Mandel Grade nach Westen hin abweichen müssen, wo die New-South-Shetlands Bellingshausen's, die Inseln Peter und Alexander und endlich das von Biscoë entdeckte Grahamland liegen.

– Das Vorkommen von Walfischen, fuhr ich darauf fort, deutet also nicht nothwendig auf die Nachbarschaft eines Landes hin?

– Ich bin in Verlegenheit, darauf zu antworten, Herr Jeorling, und es ist ja möglich, daß die Beobachtung, von der ich Ihnen sprach, unbegründet wäre. Vielleicht ist es richtiger, die Ansammlung jener Thiere aus den klimatischen Verhältnissen dieses Jahres abzuleiten...

– Ich sehe keine andere Erklärung, sagte ich, sie deckt sich auch mit unseren eigenen Beobachtungen.

– Nun, wir werden nicht unterlassen, aus diesen uns so günstigen Verhältnissen Nutzen zu ziehen, versicherte der Kapitän Len Guy.

– Und ohne auf die Einsprüche eines Theiles der Manschaft Rücksicht zu nehmen, setzte ich hinzu.

– Wie kämen die Leute dazu, Einspruch zu erheben?... rief der Kapitän Len Guy. Meines Wissens sind sie nicht zum Walfischfange angeworben worden. Es kann ihnen nicht unbekannt sein, zu welchem Zwecke wir sie an Bord nahmen, und Jem West hat sehr recht daran gethan, jeden Ausbruch von Unzufriedenheit im Keime zu ersticken. Meine alte Mannschaft hätte sich so etwas nicht erlaubt!... Sie sehen, Herr Jeorling, wie bedauerlich es war, daß ich mich nicht mit meinen bisherigen Leuten begnügen konnte. Leider war das in Hinsicht auf die eingeborene Bevölkerung von Tsalal ganz unmöglich!«

Ich füge hier gleich ein, daß an Bord außer der Walfischjagd keine andere Art von Fischfang verboten war. Bei der Geschwindigkeit der Goëlette war die Benützung eines Schleppnetzes allerdings so gut wie ausgeschlossen. Der Hochbootsmann hatte aber wenigstens Schleppleinen herstellen lassen und der tägliche Speisezettel profitierte davon zur größten Befriedigung der von dem ewigen Salzfleisch etwas erschöpften Magen. Die Fangleinen lieferten uns hauptsächlich Trichtersische, Lachse, Kabeljaue, Makrelen, Meeraale, Seebarben und Papageifische. Mit Harpunen wurden gelegentlich auch Delphine mit schwärzlichem Fleisch erlegt, das der Mannschaft recht gut mundete und von dem die Lendenstücke und die Leber wirklich als Leckerbissen gelten können.[159]

Was die Vögel betrifft, waren es immer dieselben, die aus allen Windrichtungen her zusammenschwärmten, Sturmvögel verschiedener Art – die einen mit weißem, die andern mit bläulichem Gefieder, doch alle von eleganter Gestalt – ferner Eisvögel, Taucher und Captauben in zahllosen Schaaren.

Ich beobachtete auch, leider außer Schußweite, einen riesigen Sturmvogel, dessen Größe Alle in Erstaunen setzte. Es war einer von den Quebrantahuesos, wie die Spanier sie genannt haben. Dieser Vogel der Magellanländer ist sehr merkwürdig wegen der Krümmung und Verzackung seiner breiten Flügel und der dreizehn bis vierzehn Fuß betragenden Spannweite, die also der der Albatrosse nahe kommt. Die letzteren fehlten hier ebenfalls nicht, unter andern dieser mächtigen Flieger vorzüglich der Albatros mit ganz dunkelm Gefieder, der Sommergast der kalten Breiten, der jetzt nach der Eiszone hinauszog.

Zu bemerken ist hierbei, daß, wenn Hearne und die meisten seiner Landsleute, die wir unter den neu Angeworbenen zählten, beim Anblick jener Heerden von Cetaceen ebensoviel Jagdlust wie Bedauern verriethen, sich das aus ihrer Stammeseigenschaft als Amerikaner erklärte, die ihre Jagdzüge zum allergrößten Theile in den südlichen Meeren unternehmen. Ich erinnere mich auch, daß eine von den Vereinigten Staaten gegen 1827 angeordnete Zählung den Nachweis brachte, daß die Zahl der zur Jagd auf diesen Meeren ausgerüsteten Schiffe schon etwa zweihundert mit zusammen fünfzigtausend Tonnen Tragfähigkeit betrug, und daß jedes Schiff durchschnittlich siebzehnhundert Fässer Thran heimbrachte, der von achttausend abgehäuteten Walfischen herrührte. Daneben waren noch gegen zweitausend dieser erlegten Thiere den Walfängern verloren gegangen. Bei einer zweiten Zählung vor vier Jahren (1835) hatte sich jene Zahl auf vierhundertsechzig Schiffe und der Tonnengehalt auf hundertzweiundsiebzigtausendfünfhundert gehoben – d. h. er betrug den zehnten Theil der ganzen amerikanischen Handelsflotte – im Werthe von achtzehnhunderttausend Dollars, während in dieser Industrie im Ganzen vierzig Millionen Dollars festgelegt waren.

Der Leser begreift hiernach, daß der Segelwerksmaat und einige Andere mit Leib und Seele diesem rauhen, aber gewinnreichen Berufe anhingen. Die Amerikaner sollten sich aber vor einer schonungslosen Ausbeutung der Fischgründe hier hüten. Allmählich werden die Walthiere auch in den südlichen Meeren seltener werden und dann müßten jene sich zum Fange derselben jenseits des Packeises hinauswagen.


 »Da... da... das ist ein Finnfisch..« (S. 156.)
»Da... da... das ist ein Finnfisch..« (S. 156.)

Auf diese Bemerkung, die ich gegen den Kapitän Len Guy fallen ließ, erklärte er mir, daß sich wunderbarer Weise die Engländer hierin überlegter erwiesen, was gewiß Nachahmung verdiente.

Am 30. November wurde nach einem um zehn Uhr abgelesenen Stundenwinkel eine recht genaue Messung der Mittagshöhe erhalten. Die Berechnungen ergaben, daß wir uns zur Zeit unter 66°23'33'' der Breite befanden.

Die »Halbrane« sollte also sofort den Polarkreis überschreiten, der die Antarktischen Gebiete umschließt.

Quelle:
Jules Verne: Die Eissphinx. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXI–LXXII, Wien, Pest, Leipzig 1898, S. 148-161,163.
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