Sechstes Capitel.
Meister Nick in Walhatta.

[301] Nach dem Vorfall in Chipogan und dem Mißerfolg der Polizisten und Freiwilligen waren Thomas Harcher und seine Söhne, welche sich nach außerhalb des canadischen Gebietes hatten flüchten müssen, zurückgekehrt, um an dem Kampfe von St. Charles theilzunehmen. In Folge dieser traurigen Niederlage aber, welche Remy das Leben gekostet, hatten Thomas, Pierre, Michel, Tomy und Jacques sich den Reformern in St. Albans an der amerikanischen Grenze angeschlossen.

Was den Meister Nick angeht, weiß der Leser, daß dieser sich wohl gehütet hatte, in Montreal wieder zu erscheinen, da er sein Auftreten in Chipogan nur schwer hätte erklären können. Trotz der Achtung, die er überall genoß, würde Gilbert Argall doch nicht gezögert haben, ihn wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu verfolgen. Dann hätten sich die Pforten des Gefängnisses von Montreal sicherlich hinter ihm geschlossen, und in Gesellschaft mit ihm hätte Lionel hinreichend Muße gefunden, sich seinen poetischen Eingebungen intra muros zu widmen.

Meister Nick hatte also das einzige Theil erwählt, welches die Umstände ihm aufnöthigten: den Mahogannis nach Walhatta zu folgen und unter dem Dache seiner Ahnen zu warten, bis eine Beruhigung der Gemüther ihm gestattete, seine Rolle als Häuptling eines Indianerstammes aufzugeben und bescheiden in seine Expedition wieder einzuziehen.

Lionel freilich begriff das nicht. Der junge Dichter rechnete sicher darauf, daß der Notar für immer sein amtliches Schild am Markte Bon Secours abreißen und den berühmten Namen der Sagamores bei den Huronen verewigen würde.[301]

Zwei Meilen von der Farm zu Chipogan, im Dorfe Walhatta, hatte sich Meister Nick seit einigen Wochen häuslich eingerichtet. Hier begann ein ganz neues Leben für den Gerichtsschreiber. Wenn Lionel begeistert war von dem Empfang, den die Männer, Greise, Weiber und Kinder seinem Patron zu Theil werden ließen – so ist es nicht genug, das auszusprechen, man mußte es vielmehr selbst sehen.

Das Flintenknattern, das ihn begrüßte, die Ehrenbezeigungen, die man ihm darbrachte, die Freudenrufe, die für ihn ertönten, die feierlichen Reden, die an ihn gerichtet wurden, die Antworten, welche er in der bilderreichen Sprache der Phraseologie des Fernen-Westen ertheilen mußte – alles das war gewiß dazu angethan, der menschlichen Eitelkeit zu schmeicheln. Jedenfalls betrachtete der vortreffliche Mann mit bitterer Empfindung die verzwickte Geschichte, in wel che er gegen seinen Willen verwickelt worden war; und wenn auch Lionel dem Dunste der Schreibstube und den staubigen Acten die freie Luft der Prairie beiweitem vorzog, wenn die Redekunst der Mahoganni-Krieger ihm dem Jargon der Rechtsbeflissenen hoch überlegen schien, so theilte Meister Nick diese Anschauungen doch nicht im mindesten.

Das veranlaßte auch zwischen ihm und seinem Schreiber manche Auseinandersetzungen, welche damit endeten, daß Beide auf recht gespanntem Fuße zu einander standen.

Obendrein fürchtete Meister Nick, daß er noch gar nicht am Ende dieser Prüfungen sei. Er sah schon die Huronen sich rüsten, um für die Patrioten mit in den Kampf einzutreten, ohne daß er die Möglichkeit erkannte, sich ihnen zu widersetzen, wenn diese aufbrechen wollten, wenn Johann ohne Namen sie zu Hilfe riefe oder wenn Thomas Harcher und seine Söhne in Walhatta seine Vermittelung in Anspruch nähmen. Schon jetzt schwer compromittirt, wie würde er das erst sein, wenn er an der Spitze einer wilden Völkerschaft gegen die anglo-canadische Regierung ins Feld zog! Wie konnte er dann jemals hoffen, in Montreal seine Thätigkeit als Notar wieder aufnehmen zu dürfen!

Und doch sagte er sich, daß die Zeit am Ende ja Alles ausgleicht. Schon waren mehrere Wochen seit dem Handgemenge zu Chipogan verstrichen, und da sich dieses zu einem einfachen Act des Widerstandes gegen die Polizei reducirte, so ließ man die ganze Sache wahrscheinlich in Vergessenheit gerathen. Uebrigens war die eigentliche aufständische Bewegung noch gar nicht zum Ausbruch gekommen, und nichts wies darauf hin, daß dieser besonders nahe bevorstehe.[302]

Herrschte in Canada fernerhin die gewünschte Ruhe, so würden sich die Behörden jedenfalls tolerant zeigen, und Meister Nick konnte dann ohne Gefahr nach Montreal heimkehren.

Lionel dagegen rechnete stark darauf, daß diese Hoffnung nicht in Erfüllung gehen werde. Er... er wollte seine Beschäftigung in der Expedition nicht wieder aufnehmen und je sechs Stunden von zehn trockene Urkunden abschreiben!... Nein, lieber wollte er Waldläufer oder Bienenjäger werden! Er sollte seinem Brodherrn gestatten, die hohe Stellung, welche jener bei den Mahogannis einnahm, wieder aufzugeben?... Niemals! Für ihn gab es überhaupt keinen Meister Nick mehr; es war nur noch der legitime Abkomme der uralten Rasse der Sagamores! Auch die Huronen würden ihn voraussichtlich nicht wieder die Streitaxt des Krieges mit der Feder des Amtsschreibers vertauschen lassen!

Seit seinem Eintreffen in Walhatta hatte Meister Nick in dem Wigwam wohnen müssen, von dem aus sein Vorgänger dahin gegangen war, um seine Ahnen in den seligen Jagdgründen aufzusuchen. Lionel hätte alle Gebäude Montreals, Hôtels und Paläste für diese ungemüthliche Hütte hingegeben, nach der sich freilich junge Männer und junge Frauen drängten, seinen Herrn und Meister zu bedienen. Auch er erhielt einen guten Theil ihrer Ehrenbezeigungen. Die Mahogannis betrachteten ihn ja als die rechte Hand ihres großen Häuptlings. Und wenn dieser nicht umhin konnte, am Berathungsfeuer das Wort zu ergreifen, konnte Lionel sich nicht enthalten, die Reden Nicolas Sagamore's mit den ausdrucksvollsten Gesten zu begleiten.

Es ergibt sich hieraus, daß der junge Schreiber der Glücklichste unter den Sterblichen gewesen wäre, wenn sein Herr und Meister sich nicht hartnäckig geweigert hätte, seinen liebsten Wunsch zu erfüllen. Meister Nick hatte nämlich die Tracht der Mahogannis noch immer nicht angelegt. Lionel wünschte aber nichts sehnlicher, als ihn endlich einmal in Huronenkleidung zu sehen, mit Mocassins an den Füßen, hochaufstrebenden Federn auf dem Kopfe und mit dem gestreiften Mantel um die Schultern. Immer und immer wieder hatte er ihn dazu zu bewegen versucht – stets vergeblich; doch ließ er sich durch die schlechte Aufnahme, welche sein Vorschlag fand, keineswegs abschrecken.

»Er wird schon nachgeben! wiederholte er sich. Ich lasse ihn einmal nicht in der Kleidung eines Notars die Herrschaft führen! Ich bitte einen Menschen, wonach sieht er denn aus in seinem langen Ueberrock, der Sammetweste und der weißen Halsbinde? Noch hat er den alten Adam nicht ausgezogen, doch


 »Das ist die Gattin jenes braven Simon Morgaz«. (S. 300.)
»Das ist die Gattin jenes braven Simon Morgaz«. (S. 300.)

[303] das wird schon kommen! Wenn er in der Versammlung der Vornehmsten seines Standes den Mund aufthut, fürchte ich immer ihn sagen zu hören: »In Anwesenheit des Meister Nick und seines Amtsbruders...!« Das kann nicht so fortgehen! Ich bestehe darauf, daß er die Tracht der eingebornen Krieger anlegt, und wenn es einer Gelegenheit bedarf, ihn dazu zu bestimmen, so werd' ich eine solche schon herbeizuführen wissen!«

Zu diesem Zwecke kam Lionel denn auch auf einen höchst einfachen Gedanken. Aus seinen gelegentlichen Gesprächen mit den ersten Männern in Walhattaerkannte er, daß diese ihren Häuptling nur mit großem Leidwesen noch nach europäischer Art gekleidet sahen. Auf die Einflüsterungen des jungen Schreibers hin beschlossen die Mahogannis also, eine feierliche Throneinsetzung ihres Häuptlings vorzunehmen, und entwarfen deshalb das Programm zu dieser Festlichkeit, an der auch die benachbarten Stämme theilnehmen sollten. Dazu war ein Feuerwerk, Tänze und Festmahl vorgesehen, wobei doch Meister Nick unmöglich den Vorsitz führen konnte, ohne in der Nationaltracht zu erscheinen.

Dieser Beschluß war in der zweiten Hälfte des Monats November endgiltig gefaßt worden, wobei man die Festlichkeit selbst für den 23. desselben Monats bestimmte, so daß alle Vorbereitungen beschleunigt werden mußten, um dieser den möglichsten Glanz zu verleihen.


Meister Nick in Walhatta.
Meister Nick in Walhatta.

Hätte Meister Nick sich am bezeichneten Tage nur darauf zu beschränken gehabt, daß er die Huldigung seines Volkes entgegennahm, so hätte man ihm wohl die ganze Sache verheimlichen und ihn zuletzt damit überraschen können. Da er aber in der Stellung und Kleidung eines Huronenhäuptlings dabei eine thätige Rolle zu spielen hatte, wurde der junge Schreiber beauftragt, ihn von dem Plane zu unterrichten.

Aus diesem Grunde nun hatte Lionel am 22. November mit ihm ein Zwiegespräch, in dem die schwebende Frage zum größten Mißvergnügen Meister Nick's ausführlich behandelt wurde.

Zuerst, als dieser vernahm, daß der Stamm ihm zu Ehren eine Festlichkeit vorhatte, begann er damit, diesen gleich mit seinem Schreiber zum Teufel zu wünschen.

»Möge Nicolas Sagamore geruhen, dem Rathe eines Bleichgesichtes zu folgen, antwortete Lionel.

– Von welchem Bleichgesicht sprichst Du? fragte Meister Nick, der ihn nicht verstand.

– Von Ihrem ergebenen Diener, großer Häuptling.

– Nun, dann nimm Dich in Acht, daß ich aus Deinem bleichen Gesichte nicht mit einer gepfefferten Ohrfeige ein rothes mache!«

Lionel hielt es nicht für nothwendig, dieser Drohung die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, und fuhr unbeirrt fort:

»Möge Nicolas Sagamore niemals vergessen, daß ich ihm stets tief ergeben bin! Fiele er je in die Gefangenschaft der Sioux, der Oneidas, der Irokesen oder anderer Wilder, wäre er schon an den Marterpfahl gefesselt, so würde ich[307] es sein, der ihn gegen jede Gewaltthat, gegen die Klauen der alten Weiber schützte, und nach seinem Tode würde ich es sein, der seine Axt und seine Friedenspfeife in sein Grab niederlegte.«

Meister Nick wollte Lionel nach Belieben schwatzen lassen, da er sich schon vorgenommen hatte, das Gespräch auf eine Art zu beendigen, von der Lionels Ohren noch lange Zeit die Spuren zeigen sollten.

So begnügte er sich denn zu antworten:

»Es handelt sich also darum, mich den Wünschen der Mahogannis geneigt zu machen?

– Ja, den Wünschen des Stammes.

– Nun gut, es sei darum. Wenn es nicht anders geht, werd' ich dem Feste beiwohnen.

– Sie hätten es gar nicht abschlagen können, da ja das Blut der Sagamores in Ihren Adern fließt.

– Das Blut der Sagamores gemischt mit dem Blute eines Notars!« knurrte Meister Nick.

Darauf berührte Lionel den kitzlichsten Punkt der Sache.

»Einverstanden, sagte er, der große Häuptling wird der Feierlichkeit beiwohnen. Doch um sich dort in seinem Range entsprechender Erscheinung zu zeigen, wird es nöthig sein, daß er sich auf dem Schädeldache ein Büschel Haare nach oben hin in eine Spitze auslaufend ordnen läßt.

– Und warum?

– Aus Rücksicht auf die Ueberlieferungen...

– Was?... Die Ueberlieferungen verlangten, daß...

– Ja; und wenn der Chef der Mahogannis jemals auf dem Kriegspfade fiele, so muß ihn doch, als Zeichen des Sieges, ein Feind regelrecht skalpiren können.

– Richtig! antwortete Meister Nick. Es ist nothwendig, daß meine Feinde mich skalpiren können... Da faßt er dann wohl an jenem Haarschopf an?...

– Das ist Indianersitte, und kein Krieger würde von derselben abgehen. Jede andere Haartracht müßte die Kleidung beleidigen, welche Nicolas Sagamore am Tage der Feierlichkeit anlegen wird.

– Ach, ich werde mich schmücken mit...

– Die Leute arbeiten augenblicklich an diesem Feierkleide. Es wird prächtig ausfallen, das Wams aus Damhirschfell, die Mocassins aus Naturleder, der[308] Mantel, den der Vorgänger Nicolas Sagamore's trug, ohne die Bemalung des Gesichts zu rechnen...

– Das Gesicht wird dazu auch noch bemalt?

– Erst nachdem die berühmten Künstler des Stammes die Tätowirung der Arme und der Brust vollendet haben...

– Fahre nur fort, Lionel, antwortete Meister Nick mit zusammengepreßten Zähnen, Du rufst mein lebhaftestes Interesse wach. Die Gesichtsmalerei, der Haarschopf, die Mocassins aus Naturleder, die Tätowirung der Brust... Du hast doch nichts vergessen?

– Nichts, versicherte der junge Schreiber, und wenn der große Häuptling sich dann in der Tracht, die seine Vorzüge nur noch mehr hervorheben wird, den versammelten Kriegern zeigt, so zweifle ich keinen Augenblick, daß die schönsten Indianerinnen sich darum streiten werden, seinen Wigwam mit ihm theilen zu dürfen...

– Wie? Die Indianerinnen sollten kämpfen um die Gunst?...

– Und um die Ehre, dem Erwählten des großen Geistes eine lange Nachkommenschaft zu sichern!

– Da wird es also rathsam, daß ich eine Huronin heirate? fragte Meister Nick.

– Ja, könnte es um der Zukunft der Mahagannis willen denn anders sein? Sie haben übrigens schon eine Sqwaw von edler Geburt ausgewählt, die sich dem Glücke des großen Häuptlings weihen wird...

– Und kannst Du mir auch sagen, wer die rothhäutige Prinzessin sein wird, die sich zu opfern bereit wäre?...

– O, gewiß! antwortete Lionel, sie ist der Ahnenreihe der Sagamore ganz würdig!

– Und wer ist sie?

– Die Witwe des Vorgängers...«

Es war ein Glück für die Wangen des jungen Schreibers, daß er diese in respectvoller Entfernung von Meister Nick hielt, denn dieser holte zu einer wirklich preiswerthen Ohrfeige aus. Diese gelangte nur nicht an ihre Adresse, da Lionel die Entfernung weislich berechnet hatte, und sein Herr mußte sich wohl oder übel begnügen, ihn anzudonnern:

»Höre wohl auf, Lionel, wenn Du jemals auf diese Geschichte zurückkommst, zerre ich Dir die Ohren so lang, daß Du Methusalems Esel, sowie den David La Gamme's um die seinigen nicht mehr zu beneiden brauchst!«[309]

Nach diesem Vergleiche, der im letzten Theile Lionel an einen alten Helden von Cooper's »Letzten der Mohikaner« erinnerte, zog sich dieser, da er seine Mittheilungen beendet hatte, wohlweislich zurück. Meister Nick hingegen war nicht weniger wüthend auf seinen Schreiber, wie auf alle Vornehmen des Stammes. Er... er sollte zu jener Ceremonie ganz die Mahogannitracht anlegen! Er sollte gezwungen werden, sich das Haar anders ordnen, sich aufputzen, ausmalen und tätowiren zu lassen, wie es seine Vorfahren gethan und gelitten hatten!

Und doch sah der höchst ärgerliche Meister Nick keinen Ausweg, sich den begleitenden Anforderungen seiner dermaligen Stellung zu entziehen. Und je mehr der große Tag herannahte, desto mehr quälte ihn die Frage, ob er es wagen sollte und könnte, den Blicken seiner Krieger in diesem Notaranzuge, vielleicht die friedlichste Tracht aller jener, welche die Tradition den Männern des Gesetzes je aufgezwungen, gegenüberzutreten.

Inzwischen traten – zum Glück für den Erben der Sagamores – sehr ernsthafte Ereignisse ein, welche die Pläne der Mahogannis in weitere Ferne zu rücken versprachen.

Am 23. gelangte eine wichtige Nachricht nach Walhatta. Die Patrioten von St. Denis hatten – wie im Vorhergehenden geschildert – die von dem Obersten Gore befehligten Truppen zurückgeschlagen.

Diese Neuigkeit erregte unter den Huronen laute Ausbrüche der Freude. Wir sahen schon, damals bei der Farm von Chipogan, daß ihre Sympatien der Sache der Unabhängigkeit zugewendet waren, und es bedurfte gewiß nur der passenden Gelegenheit, um sie zum Anschluß an die französischen Canadier zu bewegen.

Dieser Sieg freilich war es nicht – das wußte Meister Nick nur zu gut – der die Krieger seines Stammes veranlassen konnte, die Vorbereitungen zu dem ihm zu Ehren geplanten Feste aufzugeben. Im Gegentheile würden sie dasselbe nur mit noch mehr Begeisterung feiern und ihr Häuptling konnte dann einer Art Krönung unmöglich aus dem Wege gehen.

Drei Tage später folgten diesen guten Neuigkeiten aber die schlechten. Nach dem Siege von St. Denis die Niederlage von St. Charles.

Und als sie von den blutigen Repressalien hörten, zu denen sich die Loyalisten hatten hinreißen lassen, welche Ueberschreitungen diese begangen, wie sie geplündert, Brand gelegt, gemordet und zwei Ortschaften zerstört hatten, da konnten die Mahogannis ihre Wuth kaum noch zurückhalten. Von hier aus aber[310] bis zu einer Massenerhebung, um den Patrioten zu Hilfe zu eilen, das war dann nur noch ein Schritt, und Meister Nick konnte fürchten, daß sie auch diesen unverzüglich thun würden.

Das legte dem Notar, der gegenüber den Behörden in Montreal schon etwas compromittirt war, die Frage nahe, ob er sich damit nicht das eigene Grab graben würde. Wenn er sich nun gar gezwungen sah, an die Spitze seiner Krieger zu treten und gemeinschaftliche Sache mit den Aufständischen zu machen? Jedenfalls konnte unter solchen Verhältnissen wenigstens von der großen Festlichkeit nicht mehr die Rede sein. Doch welchen Empfang bereitete er Lionel, als der junge Schreiber mit der Meldung kam, die Stunde habe geschlagen, um den Tomahawk auszugraben und ihn auf dem Kriegspfade zu schwingen!

Von diesem Tage an ließ es sich Meister Nick die vornehmste Sorge sein, jene kriegerischen Gelüste herabzustimmen. Wenn die Streitlustigsten kamen, um ihm zuzusetzen, daß er sich gegen die Unterdrücker erklären sollte, gab er sich die größte Mühe, weder ja noch nein zu sagen. Es empfehle sich, antwortete er etwa, nur nach reifster Ueberlegung zu handeln und erst abzuwarten, welche Folgen die Niederlage bei St. Charles haben werde... Vielleicht waren die Grafschaften jetzt schon von den Königlichen besetzt?... Und dann wußte man auch nicht, was die augenblicklich in alle Winde zerstreuten Reformer schon etwa planten, nach welchem Orte sie sich zurückgezogen und wo man zu ihnen stoßen könne. Sollten sie nicht gar ihre Pläne für jetzt aufgegeben haben, um zur Wiederaufnahme derselben eine günstigere Gelegenheit abzuwarten? Die Hauptführer befanden sich auch vielleicht in der Gewalt der Bureaukraten und wurden in den Gefängnissen von Montreal zurückgehalten?

Das waren doch recht vernünftige Gegengründe, welche Meister Nick seinen ungeduldigen Prätorianern vorführte. Diese nahmen dieselben freilich nicht so ohne Widerspruch hin. Einen oder den andern Tag konnten dieselben sich doch von ihrem Zorn hinreißen lassen, und dann mußte der Häuptling ihnen ja wohl oder übel folgen. Vielleicht kam dem geängstigten Notar gar der Gedanke, sich von seinem Stamme wegzustehlen. Doch das hatte seine Schwierigkeiten, denn man überwachte ihn schärfer, als er wohl selbst glaubte.

Und dann, in welchem Lande hätte er sein Wanderleben führen sollen? Das verleidete es ihm, Canada, seine Heimat, zu verlassen. Hielt er sich aber in einem Dorfe der Grafschaft verborgen, wo höchst wahrscheinlich Beamte Gilbert Argall's auf der Lauer lagen, so lief er Gefahr, diesen bald genug in die Hände zu fallen.[311]

Ueberdies wußte Meister Nick nicht, was aus den Hauptführern des Aufstandes geworden war. Obgleich einige Mahogannis bis zu den Ufern des Richelieu und des St. Lorenzo hinausritten, hatten sie hierüber nichts Bestimmtes erfahren können. Selbst in der Farm zu Chipogan wußte Catherine nicht, was aus Thomas Harcher und ihren Söhnen, was aus Herrn de Vaudreuil und dessen Tochter, nicht, was aus Johann ohne Namen geworden sei, der sich nach den Ereignissen bei St. Charles in das geschlossene Haus zurückgezogen hatte.

Er mußte die Dinge also ihren Lauf nehmen lassen, und das gefiel Meister Nick nicht gar so wenig. Nur Zeit gewinnen und mit der Zeit einen friedlicheren Zustand der Dinge sich herausgestalten sehen, dahin vereinigten sich alle seine Wünsche.

In Bezug hierauf kam es wieder zu neuen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und seinem jungen Schreiber, der die Loyalisten reinweg verfluchte. Die letzten Nachrichten hatten bei ihm dem Fasse noch den Boden ausgeschlagen. Jetzt war keine Zeit mehr zum Scherzen! Er machte keine Witze mehr über den Kriegspfad, über die auszugrabende Streitaxt, über das Blut der Sagamores, noch über den Indianeraufputz, den er sonst so gern im Munde führte. Er dachte jetzt nur noch an die so bedrohte nationale Sache. Was mochte aus dem heldenhaften Johann ohne Namen geworden sein? War er bei St. Charles etwa gefallen? Nein, dann hätte sich die Nachricht von seinem Tode gewiß verbreitet, und die Behörden würden nichts unterlassen haben, diese Verbreitung zu unterstützen. Das hätte Jedermann in Chipogan wie in Walhatta gehört. Doch, wenn er noch lebte, wo befand er sich dann? Lionel hätte das Leben daran gewagt, es zu wissen.

Mehrere Tage verstrichen ohne besondere Veränderung der Lage. Ein- oder zweimal drang allerdings das Gerücht bis zum Dorfe der Mahogannis, daß die Patrioten sich wieder zum Kampfe rüsteten, dasselbe blieb aber ohne Bestätigung.

Auf ausdrücklichen Befehl Lord Gosford's wurden in den Grafschaften von Montreal und Laprairie die Nachsuchungen fortgesetzt. Zahlreiche Truppenabtheilungen hielten die beiden Ufer des Richelieu besetzt. Fort und fort wurden die Bewohner der verschiedenen Ortschaften durch Haussuchungen in Athem gehalten. Sir John Colborne hatte seine Colonne bereit, sofort nach jeder Stelle abzumarschiren, wo die Fahne der Empörung wieder aufflatterte. So bald die Patrioten es wagten, die amerikanische Grenze zu überschreiten, mußten sie überall auf beträchtliche Streitkräfte stoßen.


Die Huronen zeigten sich bereit, mit ins Feld zu ziehen. (S. 315.)
Die Huronen zeigten sich bereit, mit ins Feld zu ziehen. (S. 315.)

Am 5. December hörte Lionel, der zur Einziehung[312] von Erkundigungen in der Richtung nach Chambly zu gegangen war, daß im ganzen District von Montreal der Belagerungszustand erklärt worden war. Gleichzeitig bot der General-Gouverneur eine Belohnung von viertausend Piastern Jedem, der den Abgeordneten Papineau einliefern würde. Andere Preise wurden ferner ausgesetzt auf die Gefangennahme der Führer – unter Anderen auf die des Herrn de Vaudreuil und Vincent Hodge's. Man sagte auch, daß eine große Anzahl Reformer schon in den Gefängnissen von Quebec saßen,[313] daß sie vor das Kriegsgericht gestellt würden und daß das politische Schaffot bald weitere Opfer verschlingen sollte.

Das waren sehr ernste Dinge. Würden nun die Söhne der Freiheit auf die gegen sie erlassenen Decrete durch eine letzte Ergreifung der Waffen antworten? Oder sank ihnen vielleicht der Muth angesichts dieser unwiderstehlichen Gewaltmaßregeln? Das war die Ansicht des Meister Nick. Er wußte, daß die Aufstände, wenn sie nicht gleich im Anfange durchschlagenden Erfolg haben, nur selten oder niemals noch später Aussicht dazu besitzen.

Freilich war das nicht die Anschauung der Mahoganni-Krieger und ebensowenig die Lionels.

»Nein! wiederholte er dem Notar, nein! Die Sache ist noch nicht verloren, und so lange Johann ohne Namen lebt, verzweifeln wir nicht daran, unsere Unabhängigkeit wieder zu erlangen.«

Im Laufe des Tages trat ein Vorfall ein, der Meister Nick wieder derselben schwierigen Lage aussetzen sollte, der er sich glücklich entronnen glaubte, da jener die kriegerischen Neigungen der Huronen bis zum Paroxysmus steigerte.

Seit einigen Tagen hatte man aus verschiedenen Kirchspielen des Landes die Anwesenheit des Abbé Joann gemeldet. Der junge Priester durchwanderte die Grafschaft Laprairie und predigte den Massenaufstand der franco-canadischen Bevölkerung. Seine flammensprühenden Reden kämpften nicht ohne Mühe gegen die Entmuthigung an, von welcher verschiedene Patrioten seit der Niederlage von St. Charles ergriffen waren.

Der Abbé Joann gab sich einer solchen nicht hin. Er ging seinen Weg geradeaus, beschwor seine Mitbürger sich bereit zu halten, um die Waffen zu ergreifen, sobald ihre Führer wieder im Districte erschienen.

Sein Bruder war freilich jetzt nicht da, und er wußte auch nicht, was aus ihm geworden sei. Ehe er seine Wanderpredigten wieder aufnahm, hatte er sich nach dem geschlossenen Hause begeben, um seine Mutter zu umarmen und Nachrichten von Johann einzuziehen...

Das geschlossene Haus blieb vor ihm verschlossen!

Joann machte sich auf, seinen Bruder zu suchen. Auch er konnte nicht glauben, daß derselbe gefallen sei, denn die Nachricht von seinem Tode hätte den verbreitetsten Widerhall finden müssen. So sagte er sich, daß Johann jedenfalls an der Spitze seiner Gefährten zurückkehren werde.[314]

Die Anstrengungen des jungen Geistlichen richteten sich dann vorzüglich dahin, die Indianer aufzuwiegeln, und vor Allen die Krieger huronischen Stammes, welche ja danach verlangten, in den Kampf eintreten zu können. Unter diesen Verhältnissen traf der Abbé Joann bei den Mahogannis ein. Meister Nick mußte ihn schon gut aufnehmen; er hätte den Neigungen seines Stammes sich doch nicht zu widersetzen vermocht.

»Nun, sei es darum! sagte er sich kopfschüttelnd, es kann einmal Niemand seinem Schicksal entgehen. Wenn ich auch nicht weiß, wie die Rasse der Sagamores einst angefangen hat, so weiß ich leider zu gut, wie sie endigen wird!... Das wird vor dem Kriegsgericht sein!«

In der That zeigten sich die Huronen gern bereit, mit ins Feld zu ziehen, und Lionel hatte nicht wenig beigetragen, sie dazu anzureizen.

Seit seinem Eintreffen in Walhatta hatte sich der junge Schreiber als einer der wärmsten Anhänger des Abbé Joann erwiesen. Er fand in demselben nicht allein die ganze Gluth seines eigenen Patriotismus wieder, sondern er wurde auch ganz eigenthümlich berührt von der auffallenden Aehnlichkeit zwischen dem jungen Pater und Johann ohne Namen: fast dieselben Augen, dieselben feurigen Blicke, fast dieselbe Stimme und die gleichen Bewegungen! Er glaubte wirklich seinen Helden im Gewande eines Priesters wiederzusehen, glaubte ihn zu hören... War es nur eine Sinnestäuschung? Er hätte es nicht sagen können.

Seit zwei Tagen befand sich der Abbé Joann in der Mitte der Mahogannis, und diese verlangten nur, sich den Patrioten anzuschließen, welche ihre Streitkräfte in der Entfernung von etwa vierzig Lieues im Südosten, auf der Insel Navy, einer der Inseln des Niagara, zusammengezogen hatten.

Meister Nick sah sich also gezwungen, den Kriegern seines Stammes zu folgen.

In Walhatta wurden die nöthigen Vorbereitungen unmittelbar getroffen. Wenn die Mahogannis ihr Dorf verlassen hatten, wollten sie durch die angrenzenden Grafschaften ziehen, die Bevölkerung indianischen Stammes aufwiegeln, dann sich nach den Ufern des Ontario-Sees begeben und, bis zum Niagara weiter marschirend, sich den letzten Parteigängern der nationalen Sache anschließen.

Da unterbrach eine Nachricht diese Bewegung – wenigstens zeitweilig.

Am Abend des 9. December brachte ein von Montreal zurückkehrender Hurone die Nachricht mit, daß Johann ohne Namen, den die Agenten Gilbert[315] Argall's an der Grenze von Ontario gefangen hätten, in das Fort Frontenac gebracht worden sei.

Die Wirkung dieser Nachricht kann man sich leicht vorstellen: Johann ohne Namen befand sich in der Gewalt der Königlichen!

Die Mahogannis waren wie vom Donner gerührt, und man denke sich erst die Aufregung, als der Abbé Joann, von dieser Verhaftung unterrichtet, ausrief:

»Mein Bruder!«

Dann fuhr er fort.

»Ich werde ihn vom Tode retten!

– Laßt mich mit Euch gehen! bat Lionel.

– Komm, mein Kind!« antwortete der Abbé Joann.

Quelle:
Jules Verne: Die Familie ohne Namen. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LVII–LVIII, Wien, Pest, Leipzig 1893, S. 301-305,307-316.
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