[340] Es war im Jahre 1668 und unter dem Befehle des Cavalier de la Salle, als die Franzosen das erste französische Fahrzeug auf dem Gewässer des Ontario segeln ließen. An dem südlichen Ende desselben angekommen, wo sie das Fort Niagara errichteten, drang ihr Schiff in den Fluß gleichen Namens ein bis zu dessen Stromschnellen, drei Meilen von den berühmten Wasserfällen. Dann wurde ein zweites Fahrzeug, stromaufwärts von letzteren gebaut und vom Stapel gelassen, welches auf den Erie-See einfuhr und seine kühne Reise bis zum Michigan-See fortsetzte.
Der Niagara ist ja in der That weiter nichts als ein natürlicher Canal von etwa sechzehn (englische) Meilen Länge, der den Gewässern des Erie-Sees Abfluß nach dem Ontario-See gestattet. Fast genau in der Mitte dieses Canals fällt dessen Grund plötzlich um hundertsechzig Fuß, und zwar an der Stelle, wo der Strom eine Biegung macht und eine Art Hufeisen bildet. Ein Eiland – Goat-Island – schneidet denselben in zwei ungleiche Theile. Zur Rechten wälzt der amerikanische, zur Linken der canadische Fall brausend und donnernd furchtbare Wassermassen in einen Abgrund, über den unablässig dichte Wolken von zerstäubtem Wasser hin- und herwallen.
Die Insel Navy liegt stromaufwärts von diesen Fällen, also nach der Seite des Erie-Sees zu, zehn Meilen von der Stadt Buffalo und drei Meilen von dem Dorfe Niagara-Falls, welch' letzteres am obern Theile der Fälle erbaut ist, deren Namen es trägt.
Hier hatten die Patrioten gleichsam die letzte Schutzwehr des Aufstandes errichtet, eine Art Feldlager, mitten im Niagara zwischen Canada und Amerika, an der natürlichen Grenze beider Länder.
Diejenigen der Führer, welchen es gelang, den Verfolgungen der Loyalisten zu entgehen, nachdem diese bei St. Denis und St. Charles den Sieg behielten, hatten das canadische Gebiet verlassen und die Grenze überschritten, um sich auf der Insel Navy zu sammeln.[340]
Entschied das Waffenglück gegen sie und gelang es den Königlichen, den linken Arm des Stromes zu überschreiten und sie von der Insel zu vertreiben, so blieb ihnen doch noch immer der Ausweg, nach dem anderen Ufer zu entweichen, wo es ihnen an thatkräftiger Theilnahme nicht fehlen konnte. Jedenfalls sollte es nur eine kleine Anzahl sein, welche bei den Amerikanern dann Asyl sachte, denn Alle waren bereit, in diesem letzten Kampfe bis aufs Aeußerste auszuhalten.
Die gegenseitige Stellung der französischen Canadier und der von Quebec aus entsandten königlichen Truppen war anfangs December die folgende:
Die Reformer – und genauer Diejenigen, welche man als »Blaumützen« bezeichnete – hielten die Insel Navy besetzt, welche zur Vertheidigung des Stromes freilich nicht hinreichte.
Trotz der herrschenden außerordentlichen Kälte blieb der Niagara nämlich noch immer schiffbar, was durch die Schnelligkeit seines Laufes bedingt ist. In Folge dessen war also auch eine Verbindung mittelst Booten zwischen der Insel Navy und den beiden Ufern nicht behindert. Die Amerikaner und Canadier verkehrten denn auch fortwährend zwischen dem Lager und dem Dorfe Schlosser am rechten Ufer des Niagara. Sehr häufig glitten größere und kleinere Boote über diesen Flußarm, von denen die einen Schießbedarf, Waffen und Nahrungsmittel brachten, die anderen von Fremden besetzt waren, welche in der Voraussicht eines bevorstehenden Angriffs der Königlichen in Schlosser zusammenströmten.
Ein Bürger der Vereinigten Staaten, Wills mit Namen und Eigenthümer des kleinen Dampfers »Caroline«, benützte diesen zu täglichen Fahrten gegen ein geringes Entgelt, welches die Neugierigen gern entrichteten.
Am entgegengesetzten Ufer des Niagara und folglich Schlosser gegenüber lagen die Engländer unter dem Befehle des Obersten Mac Nab in dem Dorfe Chippewa.
Ihre Truppenstärke war hinlänglich groß, um die auf der Insel Navy versammelten Farmer einfach zu erdrücken, wenn es ihnen nur gelang, nach der Insel hinüber zu kommen. Zum Zwecke eines Landungsversuches waren denn in Chippewa auch große Boote bereit gelegt, und jener sollte, sobald die Vorbereitungen des Oberst Mac Nab vollendet waren, das heißt schon in einigen Tagen, unternommen werden. Der Ausgang dieses letzten Kampfes an der Grenze Canadas war also von ausschlaggebender Bedeutung.[341]
Es kann nicht Wunder nehmen, daß die Persönlichkeiten, welche in den verschiedenen Entwickelungsstufen dieser Erzählung schon mehrfach besonders hervortraten, sich auf der Insel Navy zusammengefunden hatten. André Farran, der unlängst von seinen Wunden genesen, war ebenso wie William Clerc nach dem Lagerplatze geeilt, wo sich auch Vincent Hodge bald bei ihnen einfand. Nur der noch im Gefängniß zu Montreal schmachtende Abgeordnete Sebastian Gramont hatte seine Stelle unter den Waffengefährten noch nicht wieder eingenommen.
Nachdem es ihm seinerzeit gelungen, die Heimkehr Bridgets und Clarys de Vaudreuil zu sichern, welche Dank seinem Dazwischentreten das geschlossene Haus wieder erreichen konnten, war es Vincent Hodge gelungen, sich sowohl von den betrunkenen Soldaten, die ihn umringten, als von denen, die ihm den Rückzug abzuschneiden drohten, glücklich zu befreien.
Er flüchtete hierauf durch den Wald und befand sich schon mit Tagesanbruch außer Gefahr, den Königlichen in die Hände zu fallen. Achtundvierzig Stunden später erreichte er St. Albans, jenseits der Grenze. Als sich seine Landsleute auf der Insel Navy zu sammeln begannen, begab er sich dorthin mit einigen Amerikanern, welche der Sache der canadischen Unabhängigkeit mit Leib und Seele anhingen.
Hier befand sich auch Thomas Harcher mit seinen vier Söhnen, Pierre, Jacques, Tomy und Michel; nachdem sie dem Gemetzel bei St. Charles entgangen, wäre eine Rückkehr nach Chipogan die größte Unklugheit gewesen, und zwar nicht nur in Bezug auf sie selbst, sondern auch wegen Catherine Harcher's. Sie hatten sich deshalb nach dem Dorfe St. Albans geflüchtet, wo Catherine sie durch Boten über ihr Schicksal und das der übrigen Kinder unterrichtet halten konnte. Von der ersten Woche des December ab hatten auch sie sich nach der Insel Navy zurückgezogen, fest entschlossen, noch einmal in den Kampf einzutreten, und bereit, den Tod Remys zu rächen, der unter den Kugeln der Loyalisten gefallen war.
Was den Meister Nick betrifft, so wäre von ihm der hellsehendste Weissager des Far-West, der ihm prophezeit hätte: »Der Tag wird noch kommen, wo Du, königlicher Notar, friedlich von Charakter, klug durch Passion, Dich an der Spitze eines Huronenstammes gegen die von Gott verordneten Behörden Deiner Heimat schlagen wirst!« – dieser Weissager wäre von ihm für würdig erachtet worden, unverzüglich in das nächste Irrenhaus eingesperrt zu werden.[342]
Und dennoch befand sich der Meister Nick jetzt an der Spitze der Krieger dieses Stammes. Nach einer feierlichen Verhandlung waren die Mahogannis dahin überein gekommen, sich den Patrioten anzuschließen. Ein großer Häuptling, in dessen Adern das Blut der Sagamores rollte, konnte da nicht zurückbleiben. Vielleicht wagte er noch zuletzt einige Einwendungen... Diese wurden gar nicht angehört. Am nächstfolgenden Tage, nachdem Lionel, der den Abbé Joann begleitete, Walhatta verlassen und das Feuer in der Mitte des Berathungsplatzes erloschen, hatte sich Meister Nick, gefolgt – doch nein, angeführt von etwa fünfzig Kriegern, nach dem Ontario-See begeben, um nach dem Dorfe Schlosser zu gelangen.
Der freundliche Leser begreift gewiß leicht, welcher Empfang hier dem Meister Nick zu Theil wurde. Thomas Harcher drückte ihm die Hand so übermäßig kräftig, daß es ihm vierundzwanzig Stunden lang unmöglich war, den Bogen oder Tomahawk zu handhaben. Dieselbe Bewillkommnung erfuhr er von Seiten Vincent Hodge's, Farran's, Clerc's und aller Derjenigen, welche seine Freunde oder in Montreal seine Clienten gewesen waren.
»Ja... ja freilich... stammelte er, ich hielt mich für verpflichtet... oder vielmehr diese wackeren Leute hier...
– Die Krieger Ihres Stammes?... fragten Mehrere.
– Ja... meines Stammes!« antwortete er.
Wenn der vortreffliche Mann auch selbst eine höchst klägliche Rolle spielte, der gegenüber sich Lionel um seinetwillen geschämt hätte, so begrüßte man es doch mit Freuden, daß die Huronen herbeikamen, um der nationalen Sache ihre Hilfe zu leihen. Folgten jetzt die anderen Stämme ebenfalls ihrem Beispiele und verbanden sich deren Krieger aus denselben Beweggründen mit den Reformern, so konnte die Regierung kaum im Stande sein, der aufständischen Bewegung Herr zu werden.
In Folge der letzten Vorkommnisse hatten die Patrioten freilich aus der Offensive zur Defensive übergehen müssen. Und im Fall, daß die Insel Navy in die Gewalt des Obersten Mac Nab fiel, war die Sache der Unabhängigkeit unwiderruflich verloren.
Die Anführer der Blaumützen hatten sich bemüht, den Widerstand mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu organisiren. An verschiedenen Stellen der Insel hatte man hierzu Wälle aufgeworfen, um jeden Landungsversuch unter besseren Verhältnissen zurückweisen zu können, und Waffen, Schießbedarf,[343] sowie Proviant, der nach dem Dorfe Schlosser kam, wurden in größter Eile und mit rühmlichstem Eifer besorgt. Am schwersten empfanden es die Patrioten, daß sie hier verurtheilt waren, einen Angriff abzuwarten, statt einen solchen selbst zu unternehmen, da es ihnen an Transportmitteln, den Niagara zu überschreiten, vollständig fehlte. Wie konnten sie sich aber ohne diese Hilfsmittel auf das Dorf Chippewa stürzen und zum Sturm auf das am linken Stromufer errichtete und befestigte Lager vorgehen?
Begreiflicher Weise mußte sich ihre Lage, je länger sie in dieser Weise andauerte, nur weiter verschlimmern. Wirklich erhielten die Streitkräfte des Oberst Mac Nab immer noch Verstärkungen, während die Vorbereitungen zur Ueberschreitung des Niagara mit allem Eifer betrieben wurden. Bis zur Grenze zurückgedrängt, hätten die Vertheidiger der franco-canadischen Sache gewiß vergeblich gesucht, mit den Bevölkerungen der Provinzen Ontario und Quebec im Einvernehmen zu bleiben. Wie sollten sich denn aber die Kirchspiele sammeln, um die Waffen zu ergreifen, und wer hätte sich jetzt an ihre Spitze stellen sollen, wo die Colonnen der Königlichen alle Grafschaften am St. Lorenzo durchzogen?
Ein Einziger hätte das vermocht. Ein Einziger hatte genug Einfluß auf die Volksmassen, das war Johann ohne Namen. Seit der Niederlage von St. Charles aber war dieser verschwunden, und alle Wahrscheinlichkeiten sprachen dafür, daß derselbe unbemerkt den Tod gefunden hatte, da er an der amerikanischen Grenze noch nicht erschienen war. Die Annahme, daß er erst neuerlich der Polizei in die Hände gefallen sein könne, erschien unhaltbar; seine Gefangennahme wäre von den Behörden in Quebec und Montreal gewiß nicht geheim gehalten worden.
Ebenso verhielt es sich bezüglich des Herrn de Vaudreuil. Vincent Hodge, Farran und Clerc wußten nicht, was aus ihm geworden sei. Ihnen war nur bekannt, daß er bei St. Charles eine schwere Verwundung erhalten; Niemand hatte aber gesehen, daß Johann ihn vom Schlachtfeld weggetragen und in Sicherheit gebracht hatte, und eine Nachricht von seiner Gefangennahme war auch nicht eingetroffen. Was Clary de Vaudreuil betrifft, so hatte Vincent Hodge nach dem Augenblicke, wo er sie aus den Händen der umherschweifenden betrunkenen Soldaten befreite, ihre Spur nicht wiederfinden können.
Nun stelle man sich die Freude vor, welche alle Freunde Herrn de Vaudreuil's empfinden mußten, als sie diesen im Laufe des 10. December in Begleitung seiner Tochter und einer bejahrten Frau, welche Niemand kannte, auf der Insel Navy eintreffen sahen.
Diese Frau war Bridget.
Nach dem Weggange Johanns wäre es ohne Zweifel das Beste gewesen, auch noch ferner im geschlossenen Hause zu bleiben, da Herr de Vaudreuil hier kaum noch Gefahr lief, entdeckt zu werden. Wo hätte seine Tochter ein anderes und sichereres Obdach finden sollen? Die durch die Freiwilligen bei ihrem Zuge durch die Insel Jesus niedergebrannte Villa Montcalm war nur noch eine Ruine. Uebrigens wußte Herr de Vaudreuil noch nicht, aus welchem Grunde Rip im geschlossenen Hause keine weiteren Untersuchungen hatte anstellen lassen. Clary hatte das Geheimniß dieser befleckenden Protection bewahrt, und er wußte also nicht, daß er der Gast einer Bridget Morgaz war.
Mehr für seine Tochter als für sich selbst das wiederholte Eindringen von Polizisten fürchtend, hatte Herr de Vaudreuil an dem einmal entworfenen Plan nichts geändert sehen wollen. Am Nachmittage des nächstfolgenden Tages, und als er sicher war, daß die Königlichen St. Charles verlassen, hatte er mit Clary und Bridget in dem Planwagen des Farmers Archambaud Platz genommen. Alle Drei begaben sich ohne Aufenthalt nach dem Süden der Grafschaft St. Hyazinthe, und sobald sie von der Wiederansammlung der Patrioten auf der Insel Navy erfuhren, beeilten sie sich, die amerikanische Grenze zu erreichen. Am Abend vorher und nach einer recht beschwerlichen und nicht minder gefährlichen Fahrt in Schlosser angelangt, befanden sie sich jetzt inmitten ihrer Freunde.
Bridget hatte also zugestimmt, Clary de Vaudreuil zu folgen, obwohl diese ihre Vergangenheit kannte?... Ja, die unglückliche Frau hatte ihren Bitten nicht zu widerstehen vermocht.
Die Abreise war unter folgenden Verhältnissen vor sich gegangen:
Als sie nach der Flucht Johanns ebenso wie dieser es empfand, daß sie ihren Gästen nur ein Gegenstand des Entsetzens sein könne, hatte sich Bridget nach ihrem Zimmer zurückgezogen. Welch' schreckliche Nacht verbrachte hier das arme Weib! Wußte sie doch nicht, ob Clary ihrem Vater verheimlichen würde, was sie erfahren hatte. Nein, wahrscheinlich nicht; und am nächsten Tage schon mußte dann Herr de Vaudreuil nichts Eiligeres zu thun haben, als das geschlossene Haus zu fliehen... ja, zu fliehen, selbst auf die Gefahr hin, den Königlichen in die Hände zu fallen; lieber zu fliehen, als noch eine Stunde unter dem Dache der Morgaz zu verweilen.[347]
Auch Bridget wollte ja selbst nicht länger in St. Charles bleiben. Sie wollte es nicht abwarten, unter öffentlicher Beschimpfung von hier vertrieben zu werden. Weit, weit fort wollte sie gehen und von Gott erflehen, daß er sie von diesem entsetzlichen Leben bald erlöse.
Am folgenden Morgen schon mit Tagesanbruch sah Bridget aber das junge Mädchen in ihr Zimmer treten. Sie wollte eben daraus weggehen, um nicht mit ihr zusammenzutreffen, als Clary sie mit trauriger und doch so theilnehmender Stimme anredete.
»Frau Bridget, begann sie, ich habe vor meinem Vater Ihr Geheimniß bewahrt. Er weiß nichts und wird nie etwas wissen von Ihrer Vergangenheit, und auch ich will dieselbe vergessen. Ich werde mich nur erinnern, daß, wenn Sie die unglücklichste der Frauen, Sie doch auch die ehrenwertheste von allen sind!«
Bridget erhob nicht einmal den Kopf
»Hören Sie mich an, fuhr Clary fort. Ich hege für Sie gern und willig die Achtung, auf welche Sie ein so volles Recht haben, und ich habe für Ihr Unglück das Mitgefühl, die Theilnahme, welche dasselbe verdient. Nein!... Sie sind nicht verantwortlich für das Verbrechen, das Sie so grausam gesühnt haben. Jenen abscheulichen Verrath haben Ihre Söhne überreichlich gut gemacht; Sie werden noch einmal gerechte Anerkennung finden; für jetzt lassen Sie mich Sie lieben, als wären Sie meine Mutter. Ihre Hand, Frau Bridget, geben Sie mir Ihre Hand!«
Gegenüber dieser rührenden Darlegung ihrer innersten Gefühle, welcher sie so ungewohnt war, ließ sich die Unglückliche erweichen und preßte die Hand des jungen Mädchens, während ihr große Thränen aus den Augen perlten.
»Und nun, nahm Clary wieder das Wort, nun sei davon niemals mehr die Rede, denken wir vielmehr an die Gegenwart. Mein Vater fürchtet, daß Ihre Wohnung doch erneuten Haussuchungen schwerlich entgehen werde. Er will, daß wir zusammen schon nächste Nacht, wenn die Straßen frei geworden sind, abfahren. Sie, Frau Bridget, können und dürfen nicht länger in St. Charles bleiben. Ich erwarte von Ihnen das Versprechen, daß Sie uns folgen werden. Wir suchen unsere Freunde wieder auf, finden Ihren Sohn wieder, und ihm gegenüber werd' ich wiederholen, was ich Ihnen soeben gesagt, und was ich für eine die Vorurtheile der Menschen weit überwiegende Wahrheit halte, deren Quelle in meinem Herzen liegt. – Hab' ich Ihr Versprechen, Frau Bridget?[348]
– Ich werde von hier fortgehen, Clary de Vaudreuil.
– Mit meinem Vater und mit mir?...
– Ja, und doch wär's besser, mich in der Fremde an Unglück und Schande ruhig sterben zu lassen.«
Clary mußte Bridget, die schluchzend zu ihren Füßen lag, emporrichten.
Am Abend des folgenden Tages hatten alle Drei das geschlossene Haus verlassen.
Vierundzwanzig Stunden später, auf der Insel Navy, vernahmen sie die für die nationale Sache so schmerzliche Neuigkeit:
Johann ohne Namen sei durch den Polizeihauptmann Comeau gefangengenommen und nach dem Fort Frontenac gebracht worden.
Dieser letzte Schlag vernichtete Bridget. Was aus Joann geworden, wußte sie nicht; was Johann erwartete – das wußte sie nur zu gut... Ihm drohte der Tod in allernächster Zeit.
»Ach, wenn wenigstens Niemand erfährt, daß sie die Söhne Simon Morgaz' sind!« murmelte sie.
Nur Fräulein de Vaudreuil allein kannte dieses Geheimniß. Doch was hätte sie sagen können, um Bridget zu trösten?
An dem Schmerze, den sie beim Eintreffen jener Nachricht empfand, fühlte Clary nur zu deutlich, daß ihre Liebe zu Johann keine Einbuße erlitten habe. Sie sah in ihm nichts Anderes als den glühenden, dem Tode geweihten Patrioten.
Die Gefangennahme Johanns ohne Namen hatte übrigens im Lager der Insel Navy große Entmuthigung erzeugt, und auf diese Wirkung rechnete die Regierung ganz besonders, als sie jene Nachricht möglichst geräuschvoll verbreitete. Sobald dieselbe nach Chippewa gelangte, gab der Oberst Mac Nab Befehl, sie in der ganzen Provinz bekanntzumachen.
Wie war diese Kunde auch über die canadische Grenze gekommen?... Davon hatte Niemand eine Ahnung. Ganz unerklärlich schien es obendrein, daß sie auf der Insel Navy sogar noch eher bekannt war als im Dorfe Schlosser. – Doch änderte das ja nichts an der Sachlage.
Leider war jene Verhaftung nur zu gewiß, und Johann ohne Namen mußte zu der Stunde fehlen, wo das Schicksal Canadas sich auf dem letzten Schlachtfelde entscheiden sollte.[349]
Gleich nach Bekanntwerden der Gefangennahme wurde im Laufe des 11. December eine Berathschlagung abgehalten.
Mit Vincent Hodge, André Farran und William Clerc wohnten derselben die hervorragendsten Anführer bei.
Herr de Vaudreuil, als Befehlshaber des Lagers auf der Insel Navy, führte dabei den Vorsitz.
Vincent Hodge äußerte sich zunächst in dem Sinne, ob es nicht möglich sei, Johann ohne Namen durch einen Gewaltstreich zu befreien.
»In Fort Frontenac ist er eingeschlossen, sagte er; die Garnison dieses Forts ist nur schwach an Zahl, und so etwa hundert entschlossene Männer würden sie zwingen können, sich zu ergeben. Es erscheint mir nicht unmöglich, das binnen vierundzwanzig Stunden auszuführen.
– Vierundzwanzig Stunden, wiederholte Herr de Vaudreuil. Vergessen Sie denn ganz, daß Johann ohne Namen schon verurtheilt war, ehe man ihn gefangen hatte? Mindestens noch in dieser Nacht oder in höchstens zwölf Stunden müßten wir in Frontenac sein, um etwas ausrichten zu können.
– Wir werden dort sein, erklärte Vincent Hodge. Längs des Ontario-Flusses kann uns kein Hinderniß aufhalten bis zur Grenze des St. Lorenzo, und da die Königlichen von unserem Plane nicht unterrichtet sind, werden sie uns das Ueberschreiten desselben nicht streitig machen können.
– So versuchen Sie Ihr Heil, sagte Herr de Vaudreuil, doch marschieren Sie ganz im Geheimen ab. Die Spione des Lagers von Chippewa dürfen nichts von Ihrem Aufbruche bemerken!«
Nachdem der kühne Zug einmal beschlossene Sache war, fiel es nicht schwer, die hundert Mann, welche daran theilnehmen sollten, zusammenzubringen. Um Johann ohne Namen dem Tode zu entreißen, hatten alle Patrioten sich angeboten. Das von Vincent Hodge geführte Detachement setzte nach der rechten Seite des Niagara, nach Schlosser über, und schräg über das amerikanische Gebiet hinziehend, gelangte es gegen drei Uhr Morgens an das rechte Ufer des St. Lorenzo, dessen Eisdecke die Männer leicht überschreiten konnten. Das Fort Frontenac lag von hier aus nur noch fünf Meilen nach Norden zu. Vor Tagesanbruch konnte Vincent Hodge die Besatzung desselben überrumpelt und den Verurtheilten befreit haben. Den Canadiern war aber, direct von Chippewa geschickt, ein reitender Bote vorausgeeilt. Die den Wachtdienst längs der Grenze versehenden Truppen hielten das linke Stromufer besetzt.[350]
Deshalb mußte man auf jeden Weitermarsch verzichten; das Detachement wäre einfach aufgerieben worden und kein Mann nach der Insel Navy zurückgekehrt.
Vincent Hodge und seine Begleiter sahen sich gezwungen, wieder nach Schlosser zu umzukehren.
Der gegen das Fort Frontenac geplante Handstreich war also offenbar nach dem Lager von Chippewa gemeldet worden.
Daß die durch die Zusammenziehung von hundert Mann nöthig werdenden Vorbereitungen nicht vollständig geheim verlaufen konnten, lag ja am Ende auf der Hand, erklärte aber noch nicht, wie der Oberst Mac Nab davon Kenntniß erhalten hatte. Jedenfalls legte das den Gedanken nahe, daß sich unter den Patrioten ein, wenn nicht gar mehrere Spione befänden, welche mit dem Lager von Chippewa durch Zeichen sich zu verständigen vermochten. Schon bei anderen Gelegenheiten war der Verdacht aufgestiegen, daß die Engländer von dem unterrichtet würden, was auf der Insel vorging; dieses Mal konnte man nicht länger daran zweifeln, da jene an der Grenze von Canada liegenden Truppen zeitig genug benachrichtigt worden waren, um Vincent Hodge an der Ueberschreitung derselben zu verhindern.
Uebrigens hätte der von Herrn de Vaudreuil organisirte Versuch eine Befreiung des Verurtheilten gar nicht herbeizuführen vermocht. Vincent Hodge wäre doch zu spät nach dem Fort Frontenac gekommen.
Am folgenden Tage, schon zeitig des Morgens, verbreitete sich die Nachricht, daß Johann ohne Namen am Vortage innerhalb der Umplankung des Forts erschossen worden sei.
Die Loyalisten aber wünschten sich Glück, nichts mehr von diesem volksthümlichen Helden zu fürchten zu haben, der von jeher die Seele der franco-canadischen Aufstandsversuche gewesen war.[351]
Buchempfehlung
Der Teufel kommt auf die Erde weil die Hölle geputzt wird, er kauft junge Frauen, stiftet junge Männer zum Mord an und fällt auf eine mit Kondomen als Köder gefüllte Falle rein. Grabbes von ihm selbst als Gegenstück zu seinem nihilistischen Herzog von Gothland empfundenes Lustspiel widersetzt sich jeder konventionellen Schemeneinteilung. Es ist rüpelhafte Groteske, drastische Satire und komischer Scherz gleichermaßen.
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro