|
[100] Während der nächstfolgenden Tage ging die Reise ohne bemerkenswerthe Zwischenfälle von statten. Die Nächte waren so schön, daß der lange Holzzug ohne Aufenthalt mit der Strömung weiter trieb. Die beiden reizenden Ufer des[100] Flusses schienen fortzurücken, wie die Panoramen, welche vor den Augen des Zuschauers vorübergezogen werden. In Folge einer optischen Täuschung, an welche die Augen sich unbemerkt gewöhnten, schien die Jangada still zu stehen und das Uferland zu beiden Seiten sich rückwärts zu bewegen.
Benito konnte jetzt natürlich nicht auf die Jagd gehen, da nirgends Halt gemacht wurde; das fehlende Wild wurde dafür aber durch den reichen Ertrag des Fischfangs ersetzt.
Man erlangte dadurch nämlich viele verschiedene und ausgezeichnete Fische, wie »Pacos«, »Surubis«, »Gamitanas« mit vortrefflichem Fleische, und mehrere Exemplare jener großen »Duridaris« genannten Rochen, die am Bauche roth, am Rücken schwarz gefärbt sind und ziemlich giftige Stacheln besitzen. Zu Tausenden fing man auch »Candirus«, eine Art kleiner Welse, von denen eine Abart mikroskopisch klein ist und den Badenden, der unvorsichtiger Weise unter dieselben geräth, scheinbar mit einer weichen Kruste von Schlamm überzieht.
Die Fluthen des Amazonenstromes waren aber auch von anderen Wasserthieren bevölkert, welche die Jangada manchmal stundenlang begleiteten.
Da gab es riesige, zehn bis zwölf Faß lange, »Pirarucus« mit breiten, scharlachroth geränderten Schuppen, deren Fleisch freilich nur von den Eingebornen gegessen wird. Diesen stellte man natürlich nicht nach, so wenig wie den großen zahllosen Delphinen, welche sich zu Hunderten lustig umhertummelten, mit dem Schwanze an die Planken des Floßes schlugen, vor und hinter demselben ihr Spiel trieben und die Wellen des Flusses mit farbigen Reflexen und Wasserstrahlen schmückten, die sich durch Lichtbrechung in ebensoviele Regenbogen verwandelten.
Am 16. Juni traf die Jangada, nachdem sie bei Annäherung an die Ufer mehrere Untiefen glücklich passirt hatte, an der großen Insel San Pablo ein und hielt am nächstfolgenden Abend bei dem am linken Ufer des Amazonenstromes gelegenen Dorfe Moromoros an. Nach weiteren vierundzwanzig Stunden, während der sie an den Mündungen des Atacoari, des Cocha und endlich des »Furo« oder des Kanals vorüberkamen, der mit dem See von Cabello Cocha in Verbindung steht, hielt sie am rechten Ufer in der Höhe der Mission von Cocha an. Hier ist das Land der Mara huas-Indianer, die rings um den Mund eine Art Fächer von sechs Zoll langen Palmendornen tragen, was ihnen eine gewisse Aehnlichkeit mit einer Katze verleiht, eine Sitte, welche, nach Paul Marcroy's Angabe, daher rührt, daß sie sich bemühen, an Aussehen dem Tiger zu gleichen,[101] den sie seiner Kühnheit, Kraft und Schlauheit wegen über Alles hochhalten. Es ließen sich auch einige Marahuasweiber sehen, welche rauchten, das brennende Ende der Cigarre aber zwischen den Zähnen hielten. Wie der König der Amazonenwälder gingen Alle nahezu nackt.
Die Mission von Cocha wurde jener Zeit von einem Franziskanermönch geleitet, der dem Padre Passanha einen Besuch abzustatten wünschte.
Joam Garral nahm den Geistlichen sehr zuvorkommend auf und lud ihn sogar ein, an der Familientafel Platz zu nehmen.
Gerade an diesem Tage machte das Mittagessen der indianischen Köchin alle Ehre.
Die herkömmliche Bouillon mit würzigen Kräutern, Pastete, welche meist als Ersatz des brasilianischen Brotes genossen und aus Maniocmehl mit Fleischbrühe und Tomatensauce hergestellt wurde, Reis mit Geflügel in pikanter Sauce aus Essig und »Malagueta«, ein Gericht aus gewürztem Gemüse, mit Zimmet überstreuter Kuchen, das war schon ein außerordentlicher Speisezettel für den armen Mönch, der sich meist auf die mageren Fastenspeisen des Kirchspiels beschränkt sah. Man suchte ihn also zurückzuhalten. Yaquita und ihre Tochter thaten dazu Alles, was in ihren Kräften stand, der Franziskaner mußte aber noch denselben Abend einen in Cocha krank darniederliegenden Indianer besuchen. Er dankte also für das gastfreundliche Anerbieten und ging wieder weg, nachdem ihm einige Geschenke aufgenöthigt worden waren, die von den Neubekehrten seiner Mission gewiß willkommen geheißen wurden.
Die beiden nächsten Tage hatte der Pilot Araujo viel zu thun. Das Bett des Stromes erweiterte sich zwar mehr und mehr, es lagen aber auch zahlreiche Inseln darin und die Schnelligkeit der durch jene Hindernisse verengerten Strömung nahm merkbar zu. Es bedurfte aller Vorsicht, um zwischen den Inseln Caballo-Cocha, Tarapote und Cacao hindurchzukommen, auch mußte wiederholt Halt gemacht und die Jangada mehrmals von Sandbänken, auf welche sie zu laufen drohte, abgedrängt werden. Dann waren alle Hände bei der Arbeit und unter solchen schwierigen Umständen kam am Abend des 20. Juni Nuestra Senora de Loreto in Sicht.
Loreto ist die letzte peruanische Stadt am linken Stromufer, ehe man an die Grenze von Brasilien gelangt. Eigentlich besteht sie nur aus einem Dorfe mit gegen zwanzig Häusern auf hügeligem Lande, dessen Hervorragungen aus Ockererde und Thon gebildet sind.[102]
Die Mission daselbst wurde von jesuitischen Missionären im Jahre 1770 gegründet. Die Ticumas-Indianer, welche die Gebiete nördlich vom Strome bewohnen, haben röthliche Haut, dichtes Haar und sehen mit ihrem streifig bemalten Gesicht fast wie ein lackirter chinesischer Tisch aus; Männer und Frauen tragen als Kleidung weiter nichts als Baumwollenstücke, die sie um Brust und Lenden winden. Ihre Anzahl an den Ufern des Atacoari wird auf höchstens zweihundert geschätzt, der letzte Rest einer sonst mächtigen Nation, die von vielen Häuptlingen beherrscht wurde.
In Loreto lebten auch einige peruanische Soldaten und zwei oder drei portugiesische Kaufleute, welche mit Baumwollenstoffen, gesalzenen Fischen und Sarsaparille Handel trieben.
Benito ging an's Land, um womöglich einige Ballen dieser, auf allen Märkten am Amazonenstrome sehr gesuchten Smilacee einzukaufen. Joam Garral unterbrach auch hier seine Arbeit nicht, welche überhaupt alle seine disponible Zeit in Anspruch nahm. Yaquita, ihre Tochter und Manoel blieben ebenfalls an Bord der Jangada. Die Muskitos von Loreto sind nämlich so berüchtigt, daß sie Jedermann, der nicht entschlossen ist, den entsetzlichen Dipteren etwas von seinem Blute zum Opfer zu bringen, von einem Besuche der Stadt abhalten.
Manoel hatte darüber einige Worte geäußert, welche Niemand Lust machen konnten, sich den Stichen jener Insecten auszusetzen.
»Man behauptet, fügte er hinzu, daß die neun Arten, welche an den Ufern des Amazonenstromes vorkommen, sich bei dem Dorfe Loreto ein Stelldichein zu geben pflegen. Ich will es glauben, ohne es übrigens beweisen zu können. Du wirst hier, liebe Minha, also die Auswahl haben zwischen den grauen, den behaarten, den weißfüßigen und den Zwergmuskitos, zwischen den Fanfarenbläsern, den kleinen Querpfeifern, den Urtuquis, Harlequins, den großen Negern und den Waldfüchsen, oder sie würden vielmehr über Dich ohne Auswahl herfallen, so daß Du gewiß ganz unkenntlich zurückkämst. Ich habe die Ueberzeugung, daß diese blutdürstigen Dipteren die brasilianische Grenze besser schützen als die elenden, mageren armen Teufel von Soldaten, die wir dort am Strande sehen!
– Wenn aber Alles in der Natur einen Zweck hat, fragte das junge Mädchen, zu was in aller Welt sind die Muskitos da?
– Wahrscheinlich nur zum Ergötzen der Entomologen, antwortete Manoel, ich wäre mindestens außer Stande, Dir eine bessere Aufklärung zu geben.«
Was Manoel über die Muskitos von Loreto gesagt hatte, war nur allzurichtig. Zum Beweise dafür erschien auch Benito, als er nach Abschluß seiner Einkäufe wieder an Bord kam, im Gesicht und an den Händen von Tausenden rother Punkte tätowirt, ohne die Sandflöhe zu erwähnen, die sich trotz dichter Le[103] derstiefeln unter seinen Zehen eingenistet hatten.
»Fort, fort, so schnell als möglich! rief Benito. Die Legionen verwünschter Insecten könnten uns sonst überfallen und die Jangada wäre gar nicht mehr zu bewohnen.
– Und dazu importirten wir jene auch noch nach[104] Para, setzte Manoel hinzu das für den eigenen Bedarf schon mehr als genug besitzt!«
Um die Nacht nicht an diesem gefährlichen Strande zu verbringen, wurde die Jangada losgemacht und nach der Strömung geschoben.
Von Loreto aus wendete sich der Amazonenstrom zwischen den Inseln Arava, Cuyari und Urucutea etwas nach Südosten. Die Jangada glitt jetzt auf den schwarzen Wellen des Cajaru hin, die sich nach und nach mit dem helleren Wasser des Amazonenstromes vermischen. Nachdem man am Abend des 23. Juni[105] diesen Zufluß des linken Ufers hinter sich gelassen, fuhr dieselbe längs der großen Insel Jahuma friedlich weiter.
Der Sonnenuntergang am reinen Horizont versprach eine jener herrlichen tropischen Nächte, welche man in den gemäßigten Zonen fast gar nicht kennt. Ein leichter Wind kühlte die Luft. Bald stieg der Mond am sternenbeglänzten Himmel empor und ersetzte während einiger Stunden die in jenen niedrigen Breiten fehlende Dämmerung. Dabei leuchteten aber die Sterne in unvergleichlicher Reinheit. Die ungeheuere Fläche des Wasserbeckens schien sich bis ins Unendliche auszudehnen, so daß man sich auf ein Meer versetzt glaubte, und an den Enden dieser, über zweihunderttausend Millionen Meilen langen Achse erschienen im Norden der vereinzelte Diamant des Polarsternes, im Süden die vier Brillanten des südlichen Kreuzes.
Die Bäume des linken Ufers und die der Insel Jahuma wurden nur in ihren schwarzen Umrissen sichtbar. Nur an ihrer Silhouette konnte man die Stämme oder vielmehr die Säulenschäfte der Copahus unterscheiden, die sich schirmartig ausbreiten, die Gruppen von »Sandis«, aus denen ein dicklicher Saft gewonnen wird, der gleich dem Weine berauschen soll, die achtzig Fuß hohen »Vignaticos«, deren Gipfel bei der leichten Luftströmung schwankten.
»Welch' ergreifende Predigt, diese Wälder des Amazonenstromes!« hat man gewiß mit Recht gesagt. Man hätte auch noch hinzusetzen können: »Welch' entzückender Lobgesang, diese tropischen Nächte!«
Die Vögel ließen ihr letztes Abendlied erschallen; »Bentivis«, die in den Rosengebüschen des Ufers nisteten; »Niambus«, eine Art Rebhühner, deren Gesang aus vier vollkommen harmonirenden Tönen besteht und welchen andere Vögel wohl oder übel nachzuahmen suchten; »Kamichis« mit klagenden Tönen; Taucherenten, deren Geschrei gleich einem Signal auf das Geschrei anderer Genossen zu antworten scheint; »Canindes« mit scharfer durchdringender Stimme; und rothe »Aras«, die in den Blätterkronen der »Jaquetibas« umherflattern, deren glänzende Farben bei dem nächtlichen Dunkel verschwanden.
Auf der Jangada waren alle Leute auf dem Posten, aber gemächlich hingestreckt. Nur die hohe Gestalt des Steuermannes war auf dem Vordertheile zu sehen, wenn auch im Schatten der Nacht nur undeutlich zu unterscheiden. Einzelne Wachtposten mit langen Stangen auf der Schulter erinnerten an ein Lager tatarischer Reiter. Am Flaggenstocke hing die brasilianische Fahne am Vordertheile des Trains, der Wind war aber nicht stark genug das Flaggentuch zu entfalten.[106]
Um acht Uhr ertönten die drei ersten Glockenschläge zum Nachtgebete von dem Thürmchen der Kapelle.
Wiederum ertönen die hellen Glocken nach dem zweiten und dritten Verse und zuletzt begleiteten die schnelleren Schläge der kleineren Glocke die Salutation.
Die ganze Familie war nach dem schönen Junitage unter der Veranda sitzen geblieben, um noch eine Zeit lang die frische Luft zu genießen. Bis jetzt hatte man es jeden Abend so gehalten, und während Joam Garral immer stillschweigend sich begnügte, den Anderen zuzuhören, plauderten die jungen Leute bis zur Schlafenszeit.
»O, unser schöner Fluß! Unser prächtiger Amazonenstrom! rief das junge Mädchen, dessen Begeisterung für den großen südamerikanischen Strom überall hindurchbrach.
– Gewiß, ein Strom ohne Gleichen! antwortete Manoel, ich lerne dessen Reize immer mehr und mehr bewundern. Wir fahren jetzt auf demselben hinab wie vor Jahrhunderten Orellana, wie La Condamine, und ich erstaune nicht mehr darüber, daß diese so entzückende Schilderungen von jenem geliefert haben.
– Freilich etwas fabelhafte, bemerkte Benito.
– Aber, liebster Bruder, erwiderte das junge Mädchen in vollem Ernst, sage nichts Schlechtes von unserem Amazonenstrome!
– Es ist doch nicht schlecht von ihm gesprochen, Schwesterchen, wenn ich daran erinnere, daß er auch seine Sagen und Legenden hat!
– Ja, das ist wahr, sagte Minha, und noch dazu reizende Legenden.
– Wirklich? fragte Manoel, ich muß gestehen, daß diese noch nicht bis Para hinabgedrungen oder doch wenigstens mir nicht zu Ohren gekommen sind!
– Ei, was lehrt man denn aber in den Collegien in Belem? warf das junge Mädchen lachend ein.
– Ich sehe allmählich ein, daß man uns dort gar nichts lehrt, antwortete Manoel.
– Wie, mein werther Herr, fuhr Minha in komischem Ernste fort, Sie wissen außer anderen Sagen nichts davon, daß ein ungeheueres Reptil, mit Namen der Minhocao, den Amazonenstrom bisweilen besucht und daß das Wasser desselben steigt oder fällt, je nachdem die gigantische Schlange darin untertaucht oder es wieder verläßt?
– Hast Du diesen phänomenalen Minhocao denn schon einmal gesehen? fragte Manoel.[107]
– Leider nein, gestand Minha.
– Das ist doch schade, glaubte Fragoso bemerken zu müssen.
– Und die »Mae d'Agua«, fuhr das junge Mädchen fort, jene stolze und furchtbare Frau, deren Blick die Vorwitzigen, welche nach ihr schauen, bezaubert und unter das Wasser zieht!
– Ja wohl, eine Mae d'Agua giebt es wahrhaftig, rief die naive Lina. Man erzählt, daß sie zuweilen am Ufer selbst wandelt, aber wie eine Nixe verschwindet, wenn sich ihr Jemand nähert.
– Nun, Lina, begann Benito, Du wirst es mir sagen, wenn Du sie einmal wiedersiehst.
– Wohl damit die Nixe Sie wegfängt und nach dem Grunde des Stromes hinabzieht? Nein, Herr Benito, nimmermehr!
– Sie glaubt wahrlich steif und fest daran, kicherte Minha.
– O, es giebt sehr viele Leute, welche an den Baumstamm von Manao glauben! ließ sich Fragoso vernehmen, der keine Gelegenheit vorübergehen ließ, zu Gunsten Linas zu interveniren.
– An den Baumstamm von Manao? wiederholte Manoel. Welche Bewandtniß hat es mit dem Stamme?
– Herr Manoel, antwortete Fragoso, es scheint als ob es einen »Turumastamm« gäbe oder doch gegeben habe, der Jahr für Jahr zu derselben Zeit den Rio Negro herabkam, einige Tage bei Manao liegen blieb und dann bis Para hinabschwamm, wobei er an jedem Flußhafen kurze Zeit Halt machte und von den Indianern mit kleinen Fähnchen geschmückt wurde. In Belem angelangt, wendete er um, trieb den Amazonenstrom wieder hinauf und kehrte durch den Rio Negro nach dem Walde zurück, aus dem er geheimnißvoll gekommen war. Einmal hat man wohl versucht, ihn an's Land zu ziehen, da soll der Fluß aufgeschäumt und getobt haben, daß man davon abstehen mußte, ihn zu erlangen. Später soll ein Schiffskapitän ihn harpunirt haben, um ihn wegzuschleppen... auch da habe der Strom die Taue zerrissen und der Stamm soll wie ein Wunder verschwunden sein!
– Und was ist zuletzt aus ihm geworden? fragte die junge Mulattin.
– Er scheint sich bei seiner letzten Fahrt verirrt zu haben, und ist wohl statt den Rio Negro, den Amazonenstrom weiter hinauf geschwommen, seitdem aber nicht wieder gesehen worden.
– O, wenn wir den unterwegs fänden! rief Lina.[108]
– Wenn wir ihn finden, da setzen wir Dich darauf, Lina; er trüge Dich dann in seinen geheimnißvollen Wald und Du würdest selbst dabei zur märchenhaften Najade!
– Das wäre herrlich! jubelte das lustige junge Mädchen.
– Das sind ja Sagen in Hülle und Fülle, begann darauf Manoel, und ich gebe zu, daß der Strom ihrer werth ist. Doch es knüpfen sich auch wahre Geschichten an denselben. Ich kenne eine solche, und wenn ich nicht fürchtete, Euch traurig zu stimmen – denn sie ist sehr tragischer Natur – so würde ich sie zum Besten geben.
– Ach bitte, erzählen Sie, Herr Manoel, bat Lina, ich höre Erzählungen, die Einem Thränen auspressen, gar zu gern.
– Was, Du und weinen, Lina? spöttelte Benito.
– Gewiß, Herr Benito, aber ich weine gern lachend.
– Nun wohl, Manoel, so erzähle nur.
– Es handelt sich um das Schicksal einer Französin, welche im achtzehnten Jahrhundert an diesen Ufern das Unglück fürchterlich verfolgte.
– Wir hören gern zu, sagte Minha dazwischen.
– Ich beginne also. Im Jahre 1741, gesellte man zu Bouguer und La Condamine, den zwei französischen Gelehrten, welche ausgesandt waren, um einen Erdengrad unter dem Aequator zu messen, auch einen verdienstvollen Astronomen zu, Namens Godin des Odonais.
»Godin des Odonais reiste also ab, aber er begab sich nicht allein nach der Neuen Welt, sondern er nahm sein junges Weib, seine Kinder, den Schwiegervater und einen Schwager mit.
Alle kamen gesund und munter in Quito an. Hier begann für Madame des Odonais aber schon das Unglück, denn sie verlor binnen wenigen Monaten mehrere Kinder.
Nach Vollendung seiner Aufgabe gegen 1759, mußte Godin des Odonais Quito verlassen und begab sich nach Cayenne. In dieser Stadt angelangt, wollte er seine Familie nachkommen lassen; inzwischen war jedoch Krieg ausgebrochen und er mußte von der portugiesischen Regierung erst einen Erlaubnißschein auswirken, um seine Gattin und die Uebrigen unbehelligt ziehen zu lassen.
Wer hielte es für möglich, daß nun mehrere Monate verstrichen, bevor diese Erlaubniß ertheilt wurde?[109]
Verzweifelt über diese Verzögerung, entschloß sich Godin des Odonais im Jahre 1765 selbst den Amazonenstrom hinaufzureisen, um seine Frau in Quito abzuholen; gerade als er aufbrechen wollte, überfiel ihn plötzlich eine Krankheit, so daß er sein Vorhaben unmöglich ausführen konnte. Endlich hatten seine früheren Schritte doch Erfolg, und Frau des Odonais erhielt die Nachricht, daß der König von Portugal ihr die erforderliche Erlaubniß ertheilt und auch Befehl gegeben habe, ein Fahrzeug in Stand zu setzen, auf dem sie den Strom hinabfahren könne, um sich zu ihrem Manne zu begeben. Gleichzeitig sollte sie eine Escorte an einer der oberen Missionen des Amazonenstromes erwarten.
»Frau des Odonais fehlte es nicht an Muth, wie Ihr gleich sehen werdet. Sie zögerte keinen Augenblick und reiste, trotz der Gefahren einer solchen Fahrt quer durch den ganzen Continent, bald ab.
– Das war ihre Pflicht als Gattin, Manoel, ließ sich Yaquita vernehmen, ich hätte dasselbe gethan.
– Frau des Odonais, fuhr Manoel fort, begab sich zunächst nach Rio Bamba, südlich von Quito, und nahm ihren Stiefbruder, ihre Kinder und einen französischen Arzt mit. Zunächst kam es darauf an, die Mission an der brasilianischen Grenze zu erreichen, wo das Fahrzeug und die Escorte ihrer warten sollten.
Die Reise ließ sich anfänglich recht gut an; die Gesellschaft fuhr in einem Boote auf den Zuflüssen des Amazonenstromes nach diesem hinab. Nach und nach stellten sich aber Schwierigkeiten aller Art ein und dazu herrschten in der Gegend die Blattern. Zwar boten sich mehrere landeskundige Führer an, die meisten liefen aber in wenigen Tagen wieder davon, und der letzte, der einzige, der bei den Reisenden treu aushielt, ertrank im Bobonasa, als er dem französischen Arzte Hilfe bringen wollte.
»Das Boot stieß später gegen Felsen und auf den Fluthen treibende Stämme und wurde bald gänzlich unbrauchbar. Jetzt galt es, zu Lande weiter zu ziehen, immer am Rande undurchdringlicher Wälder hin, an dem man zuweilen mit Mühe einfache Blätterhütten errichtete. Der Arzt erbot sich, mit einem Neger, der Frau des Odonais niemals hatte verlassen wollen, voraus zu gehen, um Hilfe zu bringen. Beide brachen auf. Man erwartete sie mehrere Tage... Vergebens!... Sie kehrten niemals wieder!
»Inzwischen geht der Mundvorrath zu Ende. Die Verlassenen suchen vergebens, auf einem Floße den Bobonasa hinabzufahren. Sie müssen in den Wald[110] zurück und zu Fuße durch unentwirrbare Dickichte langsam weiterziehen. Das war zuviel für die armen Leute! Trotz der liebevollen Sorge der muthigen Französin sinken sie dahin, Einer nach dem Andern, und binnen wenigen Tagen sind Kinder, Aeltern, Diener, alle, alle todt!
– Ach, die arme Frau! rief Lina.
– Frau des Odonais steht nun allein, fuhr Manoel fort. Sie befindet sich noch tausend Meilen von ihrem Ziele, dem Ocean. Die Mutter ist es nicht mehr, die jetzt am Strom hinabwandert – die Mutter hat ja ihre Lieblinge verloren und alle mit eigener Hand in den Schoß der Erde gebettet!... Es ist die Gattin, die ihren Mann wiedersehen will.
»So wandert sie Tag und Nacht und kommt endlich wieder an den Bobonasa; dort findet sie glücklicherweise edelmüthige Indianer, welche sie nach der Mission befördern, wo die Escorte längst ihrer wartet.
»Aber sie kam allein an und hinter ihr ist ihr Weg mit Gräbern bezeichnet.
»Frau von Odonais erreichte Loreto, wo wir vor wenigen Tagen waren. Von diesem peruanischen Dorfe aus fuhr sie den Amazonenstrom ebenso hinab wie wir jetzt, und endlich nach neunzehnjähriger Trennung fand sie ihren Gatten wieder!
– Die arme Frau! sagte das junge Mädchen.
– Vor Allem, die arme Mutter!« setzte Yaquita hinzu.
In diesem Augenblick kam der Pilot nach dem Hintertheile der Jangada.
»Joam Garral, meldete er, wir sind jetzt dicht vor der Insel de la Ronde. Wir werden gleich die brasilianische Grenze passiren.
– Ja, ja, die Grenze!« murmelte Joam Garral.
Er erhob sich, ging nach dem Rande des Floßes und schaute nachdenklich nach der genannten Insel, an der die Strömung brandete. Dann strich er mit der Hand über die Stirn, als wolle er böse Gedanken verscheuchen.
»Die Grenze!« murmelte er, unfreiwillig den Kopf senkend.
Sehr bald darauf aber erhob er ihn wieder und sein Gesicht zeigte den Ausdruck eines Mannes, der entschlossen ist, seine Pflicht zu thun bis an's Ende.[111]
Buchempfehlung
Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«
74 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro