Zweiundzwanzigstes Capitel.
In dem sich schließlich Alles aufklärt, was bisher völlig unerklärlich erschien.

[203] Noch bevor Godfrey eine Antwort finden konnte, knatterten mehrere Flintenschüsse in kurzer Entfernung vom Will-Tree.

Gleichzeitig stellte sich im rechten Augenblicke einer jener als wirkliche Katarakten auftretenden Gewittersturzregen ein, der seine Ströme über die brennenden Zweige ergoß, als die Flammen schon die Bäume zu ergreifen drohten, auf welche der Will-Tree sich stützte.

Was sollte Godfrey von dieser Reihe unerklärlicher Zustände denken? Carefinotu, der plötzlich englisch sprach wie ein geborener Londoner, ihn bei seinem Namen nannte und die unmittelbar bevorstehende Ankunft des Onkels Will ankündigte, und dazu jener Knall von Feuerwaffen, welcher eben die Luft erschütterte!

Er fragte sich, ob er wohl von Sinnen sei, aber er hatte auch nur die Zeit, sich eine solche unlösliche Frage zu stellen.

Schon wurde nämlich – kaum fünf Minuten nach den ersten Flintenschüffen – eine Gruppe Seeleute sichtbar, welche unter dem Blätterdache der Bäume dahinschritten.

Godfrey und Carefinotu ließen sich noch immer am Stamme herabgleiten, dessen Innenwände weiterbrannten.

Doch eben als Godfrey den Fuß auf den Boden setzte, hörte er sich anrufen, und zwar von zwei Stimmen, die er trotz seiner Erregung unmöglich verkennen konnte.

»Neffe Godfrey, ich habe die Ehre, Dich zu begrüßen!

– Godfrey! Lieber Godfrey!

Onkel Will!... Phina!... Ihr Beiden!...« rief Godfrey ganz außer sich.

Drei Secunden später lag er in den Armen des Einen und preßte die Andere in die seinen.

Gleichzeitig erkletterten auf einen Wink des Capitän Turcotte, der die kleine Truppe befehligte, zwei Matrosen den Stamm der Sequoia, um Tartelett[203] zu befreien, und »pflückten« ihn mit aller seiner Person gebührenden Hochachtung »ab«.

Und dann flogen Antworten, Fragen und Erklärungen blitzschnell hin und her.

»Onkel Will, Ihr!

– Ja, wir!

– Und wie hast Du die Insel Phina auffinden können?

– Die Insel Phina? erwiderte William W. Kolderup. Du willst wohl sagen, die Insel Spencer! O, das war nicht so schwer, den ich hab' sie ja vor kaum sechs Monaten gekauft.

– Die Insel Spencer!...

– Der Du meinen Namen gegeben hast, lieber Godfrey? sagte das junge Mädchen.

– Der neue Name gefällt mir und wir werden ihn beibehalten, bemerkte der Onkel; bis jetzt ist es für die Geographen noch die Insel Spencer, welche kaum drei Tagereisen von San Francisco entfernt liegt und nach welcher Dich zu senden mir ganz nützlich erschien, um Dich die Rittersporen eines Robinson verdienen zu lassen.

– O, Onkel, liebster Onkel, was sagst Du da! rief Godfrey. Wenn Du wahr sprichst, kann ich Dir nur antworten, daß ich dieselben redlich verdient habe. Aber sage mir, wie ist es mit dem Untergange des Dream?

– Gar nichts! Spiegelfechterei! erwiderte William W. Kolderup in heiterster Laune. Der Dream versank ganz gemächlich nach meinen, dem Capitän Turcotte ertheilten Instructionen, indem er Wasserballast einnahm. Du hast Dir natürlich gesagt, daß er ganz regelrecht unterging; doch als Capitän Turcotte die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß Ihr, Du und Tartelett, die Küste ohne Schwierigkeit erreichen würdet, ließ er die Maschine rückwärts arbeiten. Drei Tage später traf er in San Francisco wieder ein, und er selbst hat uns auch heute, am vorausbestimmten Tage, nach der Insel Spencer geführt.

– Also ist beim Schiffbruch kein Mann der Besatzung um's Leben gekommen? fragte Godfrey.

– Niemand... höchstens der unglückliche Chinese, der sich an Bord geschlichen hatte und nicht wieder aufgefunden wurde.

– Aber jene Pirogue?...

– War gefälscht; ich hatte sie selbst bauen lassen.

– Und die Wilden?...[204]

– Die Wilden, welche Eure Flintenschüsse zum Glück nicht trafen, waren ebenso gefälscht.

– Aber Carefinotu?...

– Gefälscht! Carefinotu, oder vielmehr mein treuer Jup Braß, der allem Anscheine nach seine Rolle als Freitag vortrefflich gespielt hat.

– Gewiß, versicherte Godfrey, zweimal, bei der Begegnung mit einem Tiger, hat er mir das Leben gerettet.

– Ja, aber Bär und Tiger waren gefälscht! rief William W. Kolderup, laut auflachend. Beide verpackt und eingeschifft, ohne daß Du es bemerktest, gleichzeitig mit Jup Braß und seinen Begleitern.

– Doch sie bewegten ja Kopf und Tatzen?

– Vermittelst einer Feder, welche Jup Braß während der Nacht und wenige Stunden vor dem Zusammentreffen, das er herbeiführte, aufzog.

– Wie? Alles das falsch?... wiederholte Godfrey mehrmals, etwas beschämt, sich durch diese Flunkereien haben fangen zu lassen.

– Ja, es wäre Dir auf Deiner Insel zu gut ergangen, lieber Neffe; Du mußtest doch einige aufregende Abwechslung haben.

– Nun, Onkel Will, antwortete Godfrey, der die Sache jetzt auch von der lustigen Seite auffaßte, wenn Du uns in dieser Weise prüfen wolltest, warum sandtest Du dann die Kiste mit allen den Gegenständen, welche wir so nöthig brauchten?

– Eine Kiste? erwiderte William W. Kolderup. Welche Kiste? Ich habe Dir niemals eine Kiste zugeschickt. Sollte etwa zufällig?...«

Er wandte sich mit diesen Worten gegen Phina, welche den Kopf abwendend die Augen niederschlug.

»Also wirklich?... Eine Kiste! Doch dann muß Phina Mitschuldige haben.«

Onkel Will drehte sich dabei dem Capitän Turcotte zu, der jetzt laut auflachte.

»Ja, was denken Sie, Herr Kolderup, sagte er, Ihnen kann ich wohl zuweilen widerstehen... aber der Miß Phina... das ist zu schwer!... Und vor vier Monaten, als Sie mich zur Ueberwachung der Insel hierher beorderten, setzte ich ein Boot mit der betreffenden Kiste aus...

– Liebe Phina, meine beste Phina! rief Godfrey, die Hand gegen das junge Mädchen ausstreckend.

– Turcotte, Sie hatten mir aber versprochen, mein Geheimniß zu bewahren!« antwortete Phina erröthend.[205]

Den mächtigen Kopf hin- und herwiegend, bemühte sich der Onkel William W. Kolderup vergeblich, seine Rührung zu verbergen.

Wenn Godfrey beim Anhören der vom Onkel Will gegebenen Erklärung ein gutmüthiges Lächeln nicht zurückhalten konnte, so lachte doch Professor Tartelett keineswegs. Er fühlte sich gegenüber dem Geschehenen wie vernichtet, der Gegenstand einer solchen Mystification gewesen zu sein, er der Lehrer des Tanz- und Anstandsunterrichts. So trat er denn mit aller Würde vor:

»Herr William W. Kolderup, sagte er, wird doch, denke ich, nicht behaupten wollen, daß das Krokodil, dem ich bald elend zum Opfer gefallen wäre, aus Carton zusammengepappt und mit einer Sprungfeder versehen war?

– Ein Krokodil? antwortete der Onkel.

– Ja, Herr Kolderup, mischte sich da Carefinotu ein, dem wir nun seinen alten Namen Jup Braß wieder geben wollen, ja, ein richtiges Krokodil, das Herrn Tartelett anfiel und das ich in meiner Sammlung doch nicht mitgebracht hatte.«

Godfrey berichtete nun über die Vorfälle der letzten Zeit, über das Auftreten einer großen Zahl von Raubthieren, wirklicher Löwen, wirklicher Tiger, leibhaftiger Panther, ferner über die Erscheinung wahrer Schlangen, von denen man doch während der ersten vier Monate kein Exemplar auf der Insel entdeckt hatte.

Jetzt kam die Reihe verblüfft zu sein an William W. Kolderup, der von alledem nichts begriff. Die Insel Spencer – das war seit Langem bekannt – beherbergte kein Raubzeug und sollte nach dem Wortlaute der Auctionsankündigung nicht ein einziges schädliches Thier enthalten.

Er verstand auch nicht, welche Bewandtniß es mit dem mehrmals und an verschiedenen Stellen aufgestiegenen Rauch haben könne, dessen Ursprunge Godfrey vergeblich nachgeforscht hatte. Er sah sogar etwas unwillig aus, da das Vorgefallene in ihm den Gedanken erweckte, daß hier doch nicht Alles nach den Vorschriften, welche aufzustellen ihm allein zukam, ausgeführt worden sei.

Was Tartelett betraf, so war dies ein Mann, der sich nichts weißmachen ließ. Er wollte nichts zugeben, weder den fingirten Schiffbruch, noch die gefälschten Wilden oder die künstlichen Thiere, vor Allem aber wollte er keinesfalls auf den erworbenen Ruhm verzichten, durch seinen ersten Flintenschuß den Häuptling eines polynesischen Stammes niedergestreckt zu haben – in Wahrheit einen der Diener aus dem Hôtel Kolderup, der sich übrigens ebenso wohlauf befand, wie er selbst.

Nun war Alles erzählt, Alles erklärt, bis auf die ernste Frage der wirklichen wilden Thiere und des unbekannten Rauches; das machte auch den Onkel[206] Will nachsinnen; als Mann der Praxis vertagte er jedoch, sich bemeisternd, die Lösung dieser Räthsel und wendete sich an seinen Neffen mit den Worten:

»Godfrey, Du hast Inseln immer so sehr geliebt, daß ich sicher bin, Dir eine Freude zu bereiten und Deinen Wünschen entgegen zu kommen, wenn ich Dir ankündige, daß diese hier Dir, Dir allein angehören soll. Nimm sie als ein Geschenk von mir; schalte und walte darauf nach Gutdünken! Es kommt mir nicht in den Sinn, Dich mit Gewalt von hier wegzuführen, und Dich von derselben zu trennen. Bleibe ein Robinson Dein Leben lang, wenn Dein Herz dafür spricht...

– Ich, rief Godfrey, ich? Mein ganzes Leben lang?«

Da trat Phina aus dem kleinen Kreise hervor.

»Godfrey, fragte sie, willst Du wirklich auf Deiner Insel bleiben?

– Eher sterben!« rief er mit betheuernder Handbewegung, welche seine Aufrichtigkeit gewährleistete.

Aber er beschränkte diesen Beschluß sogleich wie der.

»Nun ja, sagte er, die Hand des jungen Mädchens ergreifend, ja, ich will hier bleiben, doch unter drei Bedingungen: Erstens, daß Du, liebe Phina, mit hier bleibst; zweitens, daß Onkel Will verspricht, bei uns zu wohnen, und drittens, daß der Geistliche des »Dream« uns noch heute feierlich traut!

– Auf dem »Dream« befindet sich kein Priester, Godfrey, antwortete der Onkel Will, das weißt Du selbst recht gut, aber in San Francisco, denk ich, wird's wohl noch welche geben; dort finden wir wohl mehr als einen würdigen Pastor, der uns diesen kleinen Dienst leistet. Ich denke also, Deine Gedanken zu treffen, wenn ich sage, daß wir morgen wieder in See gehen werden.«

Phina und der Onkel Will wünschten nun, Godfreys Insel weiter kennen zu lernen. Sie lustwandelten also unter der Mammuthgruppe längs des Baches und nach der kleinen Brücke hin.

Von der Wohnstätte im Will-Tree war leider nichts übrig; die Feuersbrunst hatte die ganze Einrichtung im hohlen Fuße des Riesenbaumes vernichtet. Ohne das Eintreffen William W. Kolderup's wären unsere Robinsons bei dieser Winterzeit, nach Zerstörung aller ihrer Habe und mit den wirklichen wilden Thieren, welche auf der Insel hausten, gewiß sehr schlimm daran gewesen.

»Onkel Will, sagte noch Godfrey, wenn ich der Insel den Namen Phinas gegeben hatte, so laß mich hinzufügen, daß der Baum, in dem wir wohnten, bei uns der »Will-Tree« hieß.


Die Lage wurde noch verzweifelter. (S. 200.)
Die Lage wurde noch verzweifelter. (S. 200.)

– Sehr schön, antwortete der Onkel, wir werden ein Samenkorn desselben mitnehmen, um es in meinen Garten in Frisco zu stecken.«[207]

Bei diesem Spaziergange bemerkte man zwar in der Ferne einzelne Raubthiere, diese wagten aber die zahlreiche und wohl bewaffnete Matrosenschaar vom Dream nicht anzugreifen. Ihr Vorhandensein blieb indeß noch immer ein Räthsel.

Dann ging man an Bord, nicht ohne daß Tartelett um die Erlaubniß gebeten hätte, »sein Krokodil« als Trophäe mitzunehmen, was ihm gerne zugestanden wurde.[208]

Am Abend waren Alle im Salon des »Dream« versammelt, wo das Ende der Prüfungen Godfrey Morgan's und seine Verlobung mit Phina Hollaney durch ein frohes Mal gefeiert wurde.

Am nächsten Tage, dem 20. Januar, lichtete der »Dream« unter der Führung des Capitäns Turcotte die Anker. Um acht Uhr Morgens sah Godfrey nicht ohne einige Bewegung am westlichen Horizonte gleich einem Schatten die Insel zerfließen, auf der er über fünf Monate lang eine so rauhe, aber zeitlebens unvergeßliche Schule durchgemacht hatte.[209]

Bei herrlichem Meere und günstigem Winde, der die Mitbenützung der Segel gestattete, ging die Fahrt rasch von statten. Jetzt steuerte der Dream gerade auf sein Ziel los, suchte Niemand zu täuschen, machte keine unzähligen Umwege, wie bei der ersten Reise. Jetzt verlor er in der Nacht nicht wieder den Weg, den er im Laufe des Tages zurückgelegt hatte.

Am 23. gegen Mittag legte er denn, nachdem er durch das Goldene Thor in die weite Bucht von San Francisco eingelaufen, ruhig am Werft der Merchant-Street an.

Aber was sah man da?


»Onkel Will!... Phina!...« (S. 203.)
»Onkel Will!... Phina!...« (S. 203.)

Man sah aus dem Raum einen Mann heraufsteigen, der, nach Erkletterung des »Dream« in der Nacht, als das Schiff noch vor der Insel Phina ankerte, sich auf demselben zum zweiten Male versteckt gehalten hatte.

Und wer war dieser Mann?

Es war der Chinese Seng-Vou, der die Rückreise ebenso wie die Herfahrt zu benützen wußte. Seng-Vou trat auf William W. Kolderup zu.

»Möge Herr Kolderup mir vergeben, sagte er sehr höflich. Als ich an Bord des Dream Passage nahm, setzte ich voraus, er dampfte direct nach Shangai, von wo ich in meine Heimat zurück wollte; jetzt, da er wieder in San Francisco eingelaufen ist, schiffe ich mich aus.«

Alle standen verwundert vor dieser Erscheinung und wußten nicht, was sie dem, alle lächelnd betrachtenden Eindringlinge antworten sollten.

»Du bist aber doch, sagte endlich William W. Kolderup, nicht sechs Monate lang im Grunde des Schiffsraumes geblieben, mein' ich?

– Nein, bestätigte Seng-Vou.

– Und wo hast Du Dich verborgen?

– Auf der Insel.

– Du? rief Godfrey.

– Ja, ich!

– Und jener Rauch also –

– Nun, ich mußte mir doch Feuer machen.

– Und es kam Dir gar nicht in den Sinn, Dich uns zu nähern, das gemeinschaftliche Leben zu theilen?

– Ein Chinese lebt am liebsten allein, antwortete Seng-Vou trocken. Er genügt sich selbst und braucht keinen Andern!«

Mit diesen Worten verneigte sich der originelle Kauz gegen William W. Kolderup, verließ das Schiff und verschwand.[210]

»Das ist das Holz aus dem die richtigen Robinsons geschnitzt werden, rief der Onkel Will. Sieh' den an und prüfe, ob Du ihm gleichst. Die angelsächsische Race wird Mühe haben, Leute solchen Schlages in sich aufgehen zu lassen.

– Gut, sagte Godfrey, die Raucherscheinungen sind nun durch die Anwesenheit Seng-Vou's erklärt; aber die wilden Thiere?...

– Und mein Krokodil!« setzte Tartelett hinzu.

Der hierüber wirklich verlegene Onkel Will, der sich in diesem Punkte nun selbst mystificirt fühlte, strich mit der Hand über die Stirne, wie um eine Wolke zu verjagen.

»Das werden wir später erfahren, sagte er. Wer nur nachzuforschen versteht, dem erklärt sich zuletzt noch Alles!«

Wenige Tage später wurde mit höchstem Glanze die Hochzeit des Neffen und des Mündelkindes William W. Kolderup's gefeiert. Wie die jungen Gatten von den Freunden des reichsten Handelsherrn geehrt und beglückwünscht wurden, das mag sich der freundliche Leser selbst ausmalen.

Bei der Ceremonie zeichnete sich Tartelett durch tadellose Haltung, durch Vornehmheit, durch sein »comme il faut« aus, und der Schüler machte dem berühmten Lehrer des Tanz- und Anstandsunterrichts alle Ehre.

Tartelett hatte aber noch einen Gedanken. Da er sein Krokodil nicht als Busennadel verwenden konnte – was er sehr bedauerte – beschloß er, es einfach ausstopfen zu lassen. So würde das Ungeheuer gut präparirt und mit weit offenem Rachen einen Hauptschmuck seines Zimmers abgeben.

Das Krokodil wurde also einem berühmten Conservator zugesendet, der es wenige Tage später nach dem Hôtel zurücklieferte. – Da liefen Alle zusammen, um das Unthier anzustaunen, dem Tartelett um ein Härchen bald als Futter gedient hätte.

»Sie wissen doch, Herr Kolderup, begann der Conservator, woher dieses Thier stammt? Er überreichte dabei seine Rechnung.

– Nein, antwortete Onkel Will.

– Es trug aber auf seinem Brustpanzer ja ein aufgeklebtes Etiquette.

– Ein Etiquette? rief Godfrey.

– Hier ist es,« sagte der berühmte Conservator.

Er zeigte dabei ein Stück Leder vor, auf dem, mit unauslöschlicher Tinte geschrieben die Worte standen:

Sendung von Hagenbeck in Hamburg an I. R. Taskinar in Stockton.

V. St. v. N. A.[211]

Als William W. Kolderup diese Inschrift gelesen, brach er in ein wahrhaft homerisches Gelächter aus.

Jetzt begriff er Alles.

Sein Gegner, I. R. Taskinar, sein geschlagener Mitbewerber um die Insel, hatte aus Rache eine ganze Schiffsladung Raubthiere, Reptilien und anderes schädliches Zeug, von dem in der alten und neuen Welt weitbekannten Menagerielieferanten Hamburgs gekauft, und diese, auf mehreren Fahrten nächtlicher Weile auf die Insel Spencer geschafft. Das hatte ihm gewiß ein tüchtiges Stück Geld gekostet, aber doch den Erfolg gehabt, das Eigenthum seines Rivalen zu schädigen, wie es die Engländer – wenn den Berichten darüber zu trauen ist – mit Martinique machten, bevor sie es Frankreich zurückgaben.

Jetzt gab es kein Geheimniß mehr bezüglich der merkwürdigen Vorfälle auf der Insel Phina.

»Ein guter Streich! rief William W. Kolderup. Ich hätte auch nichts Besseres zu ersinnen gewußt, als dieser alte Spitzbube Taskinar.

– Aber mit diesen schrecklichen Insassen, meinte Phina, ist die Insel Spencer...

– Die Insel Phina, fiel Godfrey ein.

– Die Insel Phina, wiederholte die junge Frau lächelnd, gänzlich unbewohnbar.

– Bah, erwiderte der Onkel Will, wir warten eben mit dem Beziehen derselben, bis dort der letzte Löwe den letzten Tiger verzehrt hat.

– Und dann, liebe Phina, fragte Godfrey, wirst Du Dich nicht scheuen, mit mir daselbst einen Sommer zu verbringen?

– Mit Dir, mein bester Freund, scheue ich mich vor nichts, antwortete Phina, und da Du Alles in Allem Deine Reise um die Welt noch nicht ausgeführt hast....

– So machen wir sie zusammen, rief Godfrey. Und wenn ein böser Stern mich je zu einem wirklichen Robinson ausersehen sollte...

– So hast Du wenigstens die ergebenste Frau Robinson an Deiner Seite!«

Quelle:
Jules Verne: Der grüne Strahl. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XLII, Wien, Pest, Leipzig 1887.
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