Neuntes Capitel.
Kazonnde.

[325] Am 26. Mai langte die Karawane zu Kazonnde an. Fünfzig Percent der bei der letzten Razzia Gefangenen gingen auf dem Wege hierher zu Grunde. Dessenungeachtet war das Geschäft für die Agenten noch ein gutes zu nennen; die Nachfragen drängten sich und der Preis für Sklaven stieg auf den Märkten Afrikas

Angola betrieb zu jener Zeit einen sehr ausgedehnten Negerhandel. Die portugiesischen Behörden in San Pablo de Loanda hätten diesem schwerlich Einhalt thun können, denn die Züge schlagen die Richtung nach dem Innern Afrikas ein. Die Baracken an der Küste strotzten von Gefangenen; die wenigen Sklavenschiffe, denen es gelang, durch die Kreuzer längs der Küste zu entkommen, genügten nicht, jene nach den spanischen Kolonien Amerikas überzuführen.

Kazonnde, etwa 300 Meilen von der Mündung der Coanza gelegen, ist einer der wichtigsten »Lakonis«, d.h. einer der hervorragendsten Märkte dieser Provinz. Auf einem großen Platze, der »Tchitoka«, werden die Geschäfte abgewickelt; dort stellt man die Sklaven aus und verkauft sie. Von diesem Punkte strahlen sozusagen die Karawanen nach allen Himmelsrichtungen aus, ziehen aber vorzüglich nach der Gegend der großen Seen weiter.

Kazonnde zerfällt, wie alle größeren Städte Central-Afrikas, in zwei bestimmt unterschiedene Theile, nämlich in das Quartier der arabischen, portugiesischen oder eingebornen Händler, in dem sich deren Baracken befinden, und in die Residenz des Negerkönigs, d.i. irgend ein roher Trunkenbold, der durch Schrecken regiert und von der Naturalverpflegung lebt, welche ihm die Sklavenhändler in reichem Maße liefern.[325]

In Kazonnde gehörte damals fast das ganze Handelsquartier jenem Jose-Antonio Alvez, von dem zwischen Harris und Negoro, den zwei in seinem Solde stehenden Agenten, die Rede war. Dort befand sich das Haupt-Etablissement dieses Sklavenhändlers, der noch ein zweites in Bihe und ein drittes zu Cassange, in Benguela, besaß, wo ihm Lieutenant Cameron einige Jahre später begegnete.

Eine große Central-Straße, auf jeder Seite mehrere Gruppen von Häusern, sogenannte »Tembes«, mit flachem Dache und übertünchten Lehmmauern, deren viereckiger Hof als Aufenthaltsort des Schlachtviehs dient, am Ende der Straße die große, von Baracken eingerahmte »Tchitoka«; über das Ganze hinausragend einige ungeheure Bananen mit prächtiger Verzweigung, da und dort ein Paar große Palmen, im Staube der Straße einige zwanzig, aus Rücksichten der öffentlichen Gesundheitspflege geduldete Raubvögel – das ist etwa das Bild des Handelsquartiers in Kazonnde.

Unfern davon fließt der Luhi, eine noch nicht sicher bestimmte Wasserader, welche jedoch wahrscheinlich einen Zufluß oder Nebenzufluß des Congo, jenes zweiten Armes des Zaïre, bildet.

Die Residenz des Königs von Kazonnde (übrigens auch Kazonndji genannt), welche an das Handelsquartier grenzt, besteht nur aus mehreren Haufen schmutziger Hütten, die auf dem Raume einer Quadratmeile verstreut liegen. Einige derselben haben freien Zugang, andere sind mit einer Palissade von Rohr oder mit vielfach verflochtenem Feigengebüsch umgeben. Ein besonderes, von Papyrushecken umschlossenes Gehege, etwa dreißig, den Sklaven des Häuptlings als Wohnung dienende Hütten, eine andere Gruppe solcher für seine Weiber, ein etwas größerer und höherer, in Manioc-Pflanzungen halb versteckter »Tembe« – das ist der Sitz des Königs von Kazonnde, eines Mannes von fünfzig Jahren, Namens Moini Loungga, der von der Stellung, wie sie seine Vorgänger noch zu behaupten wußten, schon sehr viel eingebüßt hat. Kaum gebietet er noch über 4000 Krieger, während die vornehmsten portugiesischen Sklavenhändler deren 20.000 haben, und jetzt konnte er nicht mehr, wie ehemals, seiner Laune täglich zwanzig bis dreißig Sklaven hinopfern.

Dieser König war übrigens ein durch Ausschweifungen aller Art geschwächter Greis, ein wilder, durch starke Liqueure innerlich sozusagen verbrannter Wüstling, der seine Unterthanen, seine Minister oder Officiere aus[326] reiner Laune verstümmelte, den Einen die Nase oder die Ohren, den Anderen einen Fuß oder eine Hand abschnitt, und dessen Tod, der in Bälde bevorstand, wohl von Keinem mit Bedauern erwartet wurde.

Höchstens ein einziger Mann in ganz Kazonnde konnte durch das Ableben Moini Loungga's verlieren. Es war das der Sklavenhändler Jose-Antonio Alvez, der mit dem Trunkenbold, dessen Autorität die ganze Provinz anerkannte, auf bestem Fuße stand. Er allein konnte wohl fürchten, daß nach jenem, im Falle das Recht der Regierung seiner ersten Frau, der Königin Moina, bestritten wurde, das Land Moini Loungga's von einem benachbarten Prätendenten, einem der Könige von Ukusu, in Besitz genommen würde. Dieser, ein jüngerer, thatkräftigerer Mann, hatte sich schon einiger, zu Kazonnde gehöriger Dörfer bemächtigt, wobei ihn ein anderer Sklavenhändler, ein Concurrent von Alvez, nämlich jener schwarze Vollblut-Araber Tipo-Tipo unterstützte, mit dem Cameron bald darauf in N'yangwe zusammentraf.

Jose-Antonio Alvez, der wirkliche Souverän unter der scheinbaren Herrschaft jenes verthierten Negers, dessen Laster er absichtlich großgezogen und ausgenutzt hatte, stand schon in vorgeschrittenem Alter und war nicht, wie man vermuthen sollte, »Msungu«, d.h. ein Abkömmling weißer Race. Er hatte eben nichts Portugiesisches als seinen Namen, den er wahrscheinlich einst nur mit Rücksicht auf seine Handelsthätigkeit annahm. Er war in der That ein Neger, wohl bekannt unter der ganzen dortigen Handelswelt, und nannte sich eigentlich Kenndele. Geboren in Dondo, an den Ufern der Coanza, begann er seine Laufbahn als ein einfacher Agent für Sklavenmäkler und brachte es bis zum Händler von größtem und bestem Rufe, d.h. in der Haut eines alten Spitzbuben, der sich als den ehrlichsten Mann der Welt hinzustellen liebte.

Derselbe Alvez war es, den Cameron im Jahre 1874 in Kliemmba, der Hauptstadt von Kassongo, traf und der ihn mit seiner Karawane bis zu den Etablissements von Bihe, eine Strecke von 700 Meilen, dahinleitete.

Nach dem Eintreffen in Kazonnde hatte man den ganzen Sklavenzug nach dem großen Platze der Stadt geführt.

Es war am 26. Mai. Dick Sands Berechnungen erwiesen sich demnach als richtig. Von dem am Ufer der Coanza aufgeschlagenen Lager aus hatte die Reise 38 Tage in Anspruch genommen. Fünf der[327] entsetzlichsten Wochen, welche Menschen wohl überhaupt zu durchleben im Stande sind.

Der Einzug in Kazonnde fand gegen Mittag statt. Die Tamboure wirbelten und die Cudu-Hörner ertönten mitten unter dem Knattern der Feuerwaffen. Die Soldaten der Karawane feuerten zum Gruße ihre Flinten in die Luft ab und die Diener Antonio Alvez' ließen nicht auf die gleiche Antwort warten. Das ganze Raubgesindel schien über das Wiedersehen nach viermonatlicher Trennung ordentlich glücklich zu sein. Jetzt sollten sie auch ausruhen können, um durch Ausschweifung und Völlerei die verlorene Zeit wieder einzuholen.

Die in der Mehrzahl bis auf's Aeußerste erschöpften Gefangenen zählten noch etwa 250 Köpfe. Nachdem man sie wie eine Viehheerde vor sich her getrieben, wurden sie nun in Baracken eingepfercht, welche die Farmer Amerikas nicht einmal als Ställe benutzt hätten. Dort warteten ihrer schon 12- bis 1500 andere Sklaven, die am zweitnächsten Tage mit ihnen auf dem Markte von Kazonnde zum Verkauf gestellt werden sollten. Die Baracken füllten sich nun mit den Sklaven der Karawane bis zum Uebermaß. Die lästigen Gabelhölzer hatte man ihnen zwar abgenommen, ihre Ketten mußten sie aber auch jetzt noch weiter tragen.


Gleichzeitig mit Alvez erschien sein Freund Coïmbra. (S. 332.)
Gleichzeitig mit Alvez erschien sein Freund Coïmbra. (S. 332.)

Die Pagazis waren auf dem Platze geblieben, nachdem sie ihre Elfenbeinlast für die Händler von Kazonnde daselbst niedergelegt hatten. Sie wurden mit einigen Yards zu möglichst hohem Preise berechneten Callicots oder anderer Stoffe abgelohnt, und zogen sich zurück, um sich einer anderen Karawane anzuschließen.

Der alte Tom und seine Gefährten sahen sich also endlich von der Halsfessel befreit, welche sie fünf Wochen lang getragen hatten. Bat und sein Vater konnten einander doch einmal wieder in die Arme sinken. Alle drückten sich wehmüthig die Hände. Zu sprechen wagten sie kaum. Was hätten sie auch Anderes über die Lippen bringen sollen als Worte der fast hoffnungslosen Verzweiflung? Bat, Acteon und Austin, drei Männer im kräftigsten Alter, hatten den Strapazen wohl zu widerstehen vermocht; der durch Entbehrungen aller Art geschwächte alte Tom aber war am Ende seiner Kräfte. Nur wenige Tage noch, und sein Leichnam wäre, gleich dem der alten Nan, liegen geblieben als Beute für die Raubthiere des Landes.[328]

Sogleich nach ihrer Ankunft hatte man jene Vier in eine enge Baracke eingesperrt, deren Thür sich unmittelbar hinter ihnen schloß. Dort fanden sie einige Nahrungsmittel vor und erwarteten den Eintritt des Sklavenhändlers, dem gegenüber sie, wiewohl voraussichtlich ohne Erfolg, unter Betonung ihrer Nationalität als Amerikaner gegen ihre Vergewaltigung protestiren wollten.[329]

Dick Sand selbst war unter besonderer Aufsicht eines Havlidars zurückgeblieben.

Endlich befand er sich in Kazonnde und bezweifelte keinen Augenblick, daß Mistreß Weldon, der kleine Jack, sowie Vetter Benedict schon vor ihm angelangt seien. Er hatte sie begierig gesucht auf dem Wege durch die Stadt, und die Blicke gesandt bis in's Innere der »Tembes« an der Straße, wie über die weite, jetzt ziemlich menschenleere Tchitoka.

Mrs. Weldon war nicht zu finden.

»Sollte man sie doch nicht hierher gebracht haben? fragte sich Dick Sand. Aber wo wäre sie dann? Nein, Herkules wird mich nicht falsch berichtet haben. Uebrigens spielen ja hierbei Harris' und Negoro's heimliche Absichten gewiß eine wichtige Rolle!... Und diese... ja, ich sehe auch diese nicht!...«

Eine unnennbare Angst kam über Dick Sand. Daß die gefangen gehaltene Mrs. Weldon ihm nicht sichtbar ward, ließ sich am Ende erklären. Harris und Negoro aber – vorzüglich der Letztere – mußten doch alle Ursache haben, den jetzt in ihrer Gewalt befindlichen Leichtmatrosen wiederzusehen, und wäre es nur, um sich ihres Triumphes zu freuen, um ihn zu insultiren, zu quälen und sich an ihm zu rächen. Sollte er aus ihrer Abwesenheit den Schluß ziehen, daß sie eine andere Richtung eingeschlagen und Mrs. Weldon nach einem anderen Punkte Afrikas entführt hätten? Selbst wenn die Gegenwart Harris' und Negoro's nur das Signal zu seiner Bestrafung wäre, so hätte er sie doch herbeigewünscht weil ihm das die Gewißheit gab, daß Mrs. Weldon und ihr Kind sich gleichfalls hier befänden.

Dick Sand erinnerte sich auch, daß Dingo seit der Nacht, da er ihm das Billet von Herkules überbrachte, nicht wieder erschienen sei. Eine auf gut Glück fertig gemachte Antwort, durch welche er Herkules empfahl, nur an Mrs. Weldon zu denken, sie nie aus dem Gesichte zu verlieren und sich möglichst von allem Vorgehenden unterrichtet zu erhalten, hatte er nicht an den Ort ihrer Bestimmung befördern können. Wenn Dingo es einmal glücklich ausführen konnte, bis in die Reihen der Karawane heranzuschleichen, warum ließ ihm Herkules es nicht ein zweites Mal versuchen? War das treue Thier bei einem solchen mißglückten Versuche umgekommen, oder hatte sich Herkules, indem er Mrs. Weldon's Spuren nachging, wie es[330] Dick Sand gewiß selbst gethan hätte, in die Tiefen des bewaldeten Plateaus Inner-Afrikas verirrt, in der Hoffnung, vielleicht irgend eine Factorei anzutreffen?

Was konnte Dick Sand darüber denken, wenn wirklich weder Mrs. Weldon noch ihre Entführer hier waren? Er hatte sich – vielleicht also doch mit Unrecht – so versichert gehalten, sie in Kazonnde wiederzufinden, daß er es gleich einem furchtbaren Schlage empfand, sie jetzt nicht zu sehen. Es ergriff ihn ein Gefühl von Verzweiflung, das er kaum zu bemeistern vermochte. Sein Leben hatte für ihn, wenn er damit Denen, an welchen er mit voller Liebe hing, nicht mehr nützen konnte, auch keinen Werth mehr; dann wünschte er sich fast den Tod herbei. Aber wenn er also dachte, so kannte er doch seinen eigentlichen Charakter blutwenig. Unter den wuchtigen Schicksalsschlägen war das Kind zum Manne herangereift und seine augenblickliche Entmuthigung hatte nur die Bedeutung eines der menschlichen Natur unverweigerbaren Tributs.

Da erdröhnte ein furchtbares Concert von Fanfaren und wildem Geschrei. Dick Sand, der sich in den Sand der Tchitoka niedergelassen hatte, erhob sich sofort wieder. Jedes neue Ereigniß konnte ihn ja auf die Spuren der Gesuchten führen. Der eben Verzweifelnde hoffte jetzt schon wieder.

»Alvez! Alvez!« diesen Namen rief eine Menge Eingeborener und Soldaten, welche nach dem weiten Platze hereinströmten. Der Mann, in dessen Hand das Loos so vieler Unglücklichen lag, sollte endlich erscheinen. Möglicher Weise begleiteten ihn seine Agenten Harris und Negoro. Dick Sand stand aufrecht, mit weit geöffneten Augen. Die beiden Verräther sollten den jungen, fünfzehnjährigen Matrosen hier ungebeugt, fest, Auge in Auge vor sich sehen. Der Kapitän des »Pilgrim« war nicht geschaffen, vor dem früheren Schiffskoch zu zittern!

Am Ende der Hauptstraße zeigte sich ein Hamac, eine Art Kitanda, mit ausgeflicktem, verschossenem und da und dort in Fetzen flatterndem Sonnendache. Ein bejahrter Neger stieg aus demselben, das war der Sklavenhändler Jose-Antonio Alvez.

Einige Diener, welche mit wichtiger Miene umherflunkerten, begleiteten den Gebieter.[331]

Gleichzeitig mit Alvez erschien sein Freund Coïmbra, ein Sohn des Generals Coïmbra aus Bihe und, nach Lieutenant Cameron's Bericht, der größte Strauchdieb der Provinz, ein schmutziger, sittenloser Kerl, mit wildem, krausem Haar, gelbem Gesichte und bekleidet mit einem zerlumpten Hemd und einem Rocke aus Schilf. Man hätte unter seinem aus den Nähten gegangenen Strohhute eher ein altes, abschreckendes Weib gesucht. Dieser Coïmbra, war der Vertraute Alvez', eine ihm verschriebene Seele, der Organisator der Razzias und das würdige Subject, die Banditen des Sklavenhändlers zu befehligen.

Letzterer selbst sah vielleicht etwas weniger schmutzig aus als sein Ebenbild in der Verkleidung eines alten Türken am Morgen nach einem Carneval; jedenfalls entsprach er aber nicht im Mindesten der landläufigen Vorstellung von jenen Chefs der Factoreien, welche den Sklavenhandel im Großen treiben.

Zu Dick Sand's größter Enttäuschung befanden sich weder Harris noch Negoro in Alvez' Gefolge. Sollte der junge Gefangene also auf die Hoffnung verzichten, sie in Kazonnde wieder zu finden?

Inzwischen wechselte der Chef der Karawane, der Araber Ibn Hamis, einen Händedruck mit Alvez und Coïmbra, die ihm ihre Glückwünsche darbrachten. Die fünfzig Percent Sklaven, welche von der anfänglichen Gesammtsumme fehlten, veranlaßten Alvez zwar zu einer leisen Verzerrung seines Gesichtes; Alles in Allem blieb das Geschäft doch noch immer ein gutes zu nennen.

Mit dem Menschenwaare-Vorrathe in seinen Baracken konnte dieser Sklavenhändler die Nachfrage aus dem Binnenlande decken und auch noch Sklaven gegen Elfenbein eintauschen, oder gegen die »Hannas« aus Kupfer, d.i. eine Art Andreaskreuz, in welcher Form das genannte Metall nach dem Innern von Afrika gebracht wird.

Auch den Havlidars ward ihre Anerkennung zu Theil; bezüglich der Träger gab der Händler Befehl zur sofortigen Auszahlung ihres Lohnes.

Jose-Antonio Alvez und Coïmbra sprachen ein Kauderwelsch von Portugiesisch und dem Dialecte der Eingebornen, so daß sie ein Bewohner von Lissabon schwerlich verstanden haben würde. Auch Dick Sand verstand also nichts von dem, was die »Händler« unter einander abmachten. War vielleicht die Rede von seinen Gefährten und von ihm selbst, die so heimtückischer[332] Weise in den Zug der Gefangenen eingereiht wurden? Dem jungen Leichtmatrosen schwand darüber jeder Zweifel, als sich auf eine Handbewegung des Arabers Ibn Hamis ein Havildar nach der Baracke begab, in der Tom, Austin, Bat und Acteon eingeschlossen waren.

Gleich darauf führte man Alvez die vier Amerikaner vor.

Dick Sand näherte sich langsam; er wollte sich von dieser Scene nichts entgehen lassen.

Jose-Antonio Alvez' Gesicht nahm einen wohlzufriedenen Ausdruck an, als er die gutgewachsenen, kräftigen Neger erblickte, denen einige Ruhe in Verbindung mit etwas kräftiger Nahrung bald ihre natürliche Stärke wiedergeben mußte. Für den alten Tom hatte er freilich nur einen Blick der Geringschätzung. Das Alter verminderte ja seinen Verkaufswerth; die drei Anderen versprachen dagegen bei dem nächsten Lakoni von Kazonnde einen hohen Preis zu erzielen.

Alvez stöberte aus seiner Erinnerung auch einige englische Wörter auf, welche solche Agenten wie Harris ihm gelehrt haben mochten, und der alte Thor glaubte sich verpflichtet, seine neuen Sklaven ironischer Weise willkommen zu heißen.

Tom verstand des Sklavenhändlers Rede; er trat vor und sagte, indem er auf sich und seine Begleiter hinwies:

»Wir sind freie Männer und Bürger der Vereinigten Staaten!«

Alvez verstand ihn offenbar; er antwortete mit höhnischer Miene und verächtlichem Achselzucken:

»Ja... ja... Amerikaner! Nun, willkommen... willkommen!

– Willkommen!« fügte Coïmbra noch einmal hinzu.

Der Sohn des Commandanten von Bihe schritt auf Austin zu, prüfte ihn, wie der Kaufmann eine Waarenprobe, betastete ihm Brust und Schultern und wollte ihm endlich den Mund öffnen, um nach den Zähnen zu sehen.

In diesem Augenblicke erhielt aber Señor Coïmbra eine so wohlgezielte, kräftige Ohrfeige, wie sie kaum jemals dem Sohne eines Majors zu Theil geworden sein mochte.

Der Vertraute Alvez' taumelte zehn Schritte rückwärts. Mehrere Soldaten stürzten auf Austin los, der in Gefahr kam, das Aufwallen seines Zornes theuer zu bezahlen.[333]

Alvez hielt sie durch eine Handbewegung zurück. Er lachte sogar noch über das Mißgeschick seines Freundes Coïmbra, der von seinen noch vorhandenen fünf oder sechs Zähnen bei dieser Affaire zwei Stück eingebüßt hatte.

Jose-Antonio Alvez gab nicht zu, daß man den Werth seiner »Waare« verminderte; überdies war er ein lustiger Charakter und hatte seit langer Zeit nicht so herzlich gelacht.

Er tröstete wenigstens den ganz außer Fassung gebrachten Coïmbra, und dieser nahm, als man ihn wieder richtig auf die Füße gebracht, mit einer nicht mißzuverstehenden Drohung gegen den kecken Austin an der Seite des Sklavenhändlers seinen Platz wieder ein.

Da wurde Dick Sand, von einem Havildar escortirt, dem Alvez vorgeführt.

Offenbar wußte dieser schon, wer der junge Leichtmatrose war, woher er kam und wie man ihn am Ufer der Coanza gefangen hatte.

Nachdem er ihn mit listig-boshaften Blicken betrachtet, rief er in schlechtem Englisch:

»Aha, der kleine Yankee!

– Gewiß, Yankee! antwortete Dick Sand. Was soll nun hier mit mir und meinen Gefährten werden?

– Yankee! Yankee! Kleiner Yankee!« wiederholte Alvez.

Hatte er die an ihn gerichtete Frage nicht verstanden oder nur nicht verstehen wollen?

Dick Sand wiederholte auch seine Anfrage und wandte sich dabei gleichzeitig an Coïmbra, dessen Gesichtszüge, so sehr diese auch durch den Mißbrauch starker alkoholischer Getränke entstellt waren, es doch verriethen, daß er kein Eingeborner sei.

Coïmbra begnügte sich einfach, die früher an Austin gerichtete, drohende Handbewegung zu wiederholen, gab aber keine Antwort.

Inzwischen führte Alvez mit dem Araber Ibn Hamis ein lebhaftes Gespräch, dessen Inhalt offenbar die Angelegenheit Dick Sand's und seiner Freunde berührte. Jedenfalls wollte man sie auch fernerhin gesondert halten, und wer konnte wissen, ob sich ihnen jemals wieder Gelegenheit bieten würde, einige Worte zu wechseln.[334]

»Meine lieben Freunde, begann Dick Sand halblaut, als ob er nur mit sich selbst spräche, ich erhielt durch Dingo eine Nachricht von Herkules Er ist der Karawane nachgefolgt. Harris und Negoro führten damals Mistreß Weldon, Jack und Herrn Benedict davon. Wohin? – wenn sie nicht hier in Kazonnde sind, weiß es ich dann nicht. Geduld und Muth! Haltet Euch für jeden Augenblick bereit. Gott habe endlich Erbarmen mit uns!

– Und Nan? fragte der alte Tom.

– Nan ist todt!

– Die Erste!

– Und die Letzte!..... erwiderte Dick Sand, dafür wollen wir sorgen!...«

In diesem Augenblicke legte sich eine Hand auf seine Schulter und er hörte die, mit einem ihm wohlbekannten, freundlichen Tone gesprochenen Worte:

»Ah, wenn ich nicht irre, mein junger Freund. Sehr erfreut, Sie wiederzusehen!«

Dick Sand wandte sich um.

Harris stand vor ihm.

»Wo ist Mistreß Weldon? rief Dick Sand, dem Amerikaner näher rückend.

– O weh, antwortete Harris, der ein ihm gänzlich fernliegendes Mitgefühl erheuchelte, die arme Mutter! Wie hätte sie es erleben können...

– Todt! schrie Dick Sand. Und ihr Kind?

– Das arme Baby, fuhr Harris in dem nämlichen Tone fort, mußten es solche Strapazen nicht tödten?...«

Alles, was Dick Sand liebte, war also nicht mehr! Was geht da aber in ihm vor? Eine unwiderstehliche Erregung edlen Zornes und ein Bedürfniß nach Rache, das er um jeden Preis befriedigen mußte, erfüllen seine ganze Seele.

Dick Sand stürzt sich auf Harris, reißt ein Jagdmesser aus dem Gürtel des Amerikaners und gräbt es ihm in's Herz.

»Verflucht!...« rief Harris zusammenbrechend.

Der schändliche Verräther war todt![335]

Quelle:
Jules Verne: Ein Kapitän von fünfzehn Jahren. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXVII–XXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1879, S. 325-336.
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