XIV.

[126] Denselben Tag, an dem Sylvius Hog Bergen verlassen, war es im Gasthause zu Dal zu einem recht ernsthaften Auftritt gekommen.

Es schien, als ob nach der Abreise des Professors der gute Genius Joëls und Huldas mit der letzten Hoffnung auch alles Leben aus der ganzen Familie mit sich genommen habe. Es war ein völlig todtes Haus, das Sylvius Hog zurückgelassen hatte.

Während dieser zwei Tage traf übrigens kein Lustreisender in Dal ein. Joël hatte also keine Ursache, sich von da zu entfernen, und konnte bei Hulda bleiben, die er nur mit schwerem Herzen allein gelassen hätte.

Frau Hansen schien von ihrer geheimen Angst immer mehr und mehr beherrscht zu werden und alle Theilnahme an dem, was ihre Kinder berührte, selbst an dem Untergange des »Viken«, eingebüßt zu haben. In ihrem Zimmer zurückgezogen, lebte sie fast ganz für sich und zeigte sich nur noch, wenn gegessen werden sollte. Selbst wenn sie einmal ein Wort an Hulda oder Joël richtete, geschah es nur, um ihnen offene oder versteckte Vorwürfe wegen des Lotterie-Looses zu machen, von dem diese sich nicht trennen wollten.

Angebote auf dasselbe liefen nämlich zu wiederholten Malen ein, ja, es kamen solche von allen Ecken und Enden der Welt. Es war, als ob sich gewisser Köpfe die reine Tollheit bemächtigt hätte Nein! Es schien unmöglich, daß es einem solchen Loose nicht vorherbestimmt wäre, den Preis von hunderttausend Mark zu gewinnen; es schien, als ob es nur eine einzige Nummer in dieser Lotterie gäbe, und diese Nummer wäre jene 9672! Der Engländer aus Manchester und der Amerikaner aus Boston bemühten sich noch immer um die Wette; der Engländer hatte seinen Concurrenten jetzt um einige Pfund Sterling überholt, aber auch er wurde von Jenem bald mit mehreren hundert Dollars überboten. Das letzte Gebot belief sich auf achttausend Mark – was sich nur durch eine ausgebrochene wirkliche Monomanie erklären läßt, wenn es sich dabei nicht um eine Frage der Eigenliebe zwischen Amerika und Großbritannien handelte.[126]

Wie dem aber auch sein mochte, Hulda lehnte alle Angebote, und wenn es die vortheilhaftesten waren, rundweg ab, was natürlich zur Folge hatte, daß Frau Hansen sich recht bitter darüber beklagte.

»Und wenn ich Dir befehle, jenes Loos zu verkaufen, sagte sie eines Tages zu ihrer Tochter, ja, wenn ich Dir's nun befehle?

– Das würde mich höchst schmerzlich berühren, Mutter, und dennoch müßt' ich mit einer Ablehnung antworten.

– Wenn es aber sein müßte?

– Warum könnte es sein müssen, Mütterchen?«

Frau Hansen gab keine Antwort. Sie war gegenüber dieser unverblümt an sie gerichteten Frage ganz bleich geworden und zog sich, einige unverständliche Worte murmelnd, betroffen zurück.

»Hier muß etwas sehr Wichtiges zu Grunde liegen und zwar eine Angelegenheit, die unsere Mutter und Sandgoïst angeht, meinte Joël.

– Ja wohl, Bruder, und daraus drohen uns in Zukunft noch recht unangenehme Vorkommnisse zu erwachsen.

– Sind wir, meine arme Hulda, nicht seit einigen Wochen schon hart genug geprüft, und welches Unglück könnte uns noch besonders schrecken?

– Ach, warum zögert Herr Sylvius so sehr zurückzukommen? Wenn er hier ist, fühle ich mich gar nicht so verzweifelt...

– Und doch, was könnte er für uns thun?« unterbrach sie Joël.

Was lag nun wohl in der Vergangenheit der Frau Hansen verborgen, das sie ihren Kindern nicht anvertrauen wollte? Welch' mißverstandene Selbstliebe hinderte sie, ihnen den Grund ihrer Befürchtungen mitzutheilen? Hatte sie sich irgend welche Vorwürfe zu machen? Und warum versuchte sie andererseits, auf ihre Tochter Hulda wegen Ole Kamp's Looses und des Werthes, den dasselbe jetzt darstellte, einen solchen Druck auszuüben? Woher kam es, daß es sie so sehr danach verlangte, dasselbe in Geld umgesetzt zu sehen? – Hulda und Joël sollten es endlich erfahren.

Am Morgen des 4. Juli hatte Joël seine Schwester nach der kleinen Kapelle begleitet, wo diese jeden Tag für den Schiffbrüchigen ein Gebet verrichtete.

Er wartete dann und führte sie wieder nach Hause.

An jenem Tag sahen sie auf dem Heimwege schon von ferne ihre Mutter, die sich raschen Schrittes nach dem Gasthause begab.[127]

Sie war nicht allein, ein Mann begleitete sie, ein Mann der mit lauter Stimme sprach und dessen ganzes Auftreten etwas Befehlerisches an sich hatte.

Hulda und ihr Bruder waren verwundert stehen geblieben.

»Wer ist dieser Mann?« sagte Joël.

Hulda trat einige Schritte weiter vor.

»Ich erkenne ihn wieder, erklärte sie.

– Du erkennst ihn?

– Ja, das ist Sandgoïst!

– Sandgoïst aus Drammen, der schon in meiner Abwesenheit in unser Haus gekommen war?

– Ja!

– Und der sich da benahm, als wäre er der Herr und hätte gewisse Rechte... über unsere Mutter... vielleicht auch über uns?

– Derselbe, Bruder, und zweifelsohne kommt er heute, um diese Rechte anhängig zu machen...

– Welche Rechte denn?... Oh, heute werde ich also erfahren, welche Ansprüche der Mann zu haben meint, um in dieser Weise zu verfahren!«

Joël schwieg, wenn es ihm auch schwer ankam, und suchte, begleitet von seiner Schwester, unbemerkt etwas seitwärts zu kommen.

Einige Minuten später erreichten Frau Hansen und Sandgoïst die Thür des Gasthauses. Sandgoïst überschritt deren Schwelle zuerst. Die Thür schloß sich hinter ihm und Frau Hansen und Beide begaben sich nach der großen Gaststube.

Hulda und Joël näherten sich dem Hause, aus dem die grollende Stimme Sandgoïst's vernehmlich heraustönte. Sie blieben stehen und lauschten. Jetzt sprach Frau Hansen, aber in bittendem Tone.

»Treten wir ein!« sagte Joël.

Hulda mit recht gepreßtem Herzen und Joël, der vor Ungeduld, aber auch vor Ingrimm zitterte, begaben sich Beide auch nach der Gaststube, deren Thür sorgfältig geschlossen wurde.

Sandgoïst saß in dem großen Lehnstuhle und schien sich um das Erscheinen der Geschwister gar nicht zu kümmern. Er begnügte sich, den Kopf umzuwenden und sie durch die Brille zu betrachten.

»Ah, da ist ja die reizende Hulda, wenn ich nicht irre!« sagte er in einem Tone, der Joël höchlich mißfiel.


Sandgoïst saß in dem großen Lehnstuhle. (S. 128).
Sandgoïst saß in dem großen Lehnstuhle. (S. 128).

Frau Hansen stand in unterwürfiger und ängstlicher Haltung vor diesem Manne. Sie richtete sich aber, offenbar verlegen beim Erscheinen ihrer Kinder, jetzt höher auf[128]

»Und das ist ohne Zweifel ihr Bruder? fuhr Sandgoïst fort.

– Ja, ihr Bruder!« antwortete Joël bestimmt.

Dann traten Beide bis nahe an den Lehnstuhl heran.

»Was steht zu Ihren Diensten?« fragte der junge Mann.

Sandgoïst warf ihm einen übelwollenden Blick zu und ohne sich zu erheben, sagte er mit häßlicher, harter Stimme:[129]

»Das werden Sie noch hören, junger Bursch! Ja, Sie kommen eigentlich zur rechten Zeit. Es drängte mich, Sie zu sehen, und wenn Ihre Schwester im Stande ist, Vernunft anzunehmen, so werden wir uns ja verständigen. Aber setzen Sie sich nur erst, und Sie auch, junges Kind!«

Sandgoïst lud sie zum Sitzen ein, als ob er sich in seinem Hause befände. Joël gab ihm das nicht undeutlich zu verstehen.

»Aha, das paßt Ihnen wohl nicht? Alle Wetter, das ist ja ein Bursche, der nicht gerade nachgiebig aussieht!

– Und der sich weder um den Finger wickeln läßt, entgegnete Joël, noch Höflichkeiten von Anderen als Denen annimmt, die sie mit Recht zu bieten haben.

– Joël! ermahnte ihn Frau Hansen begütigend.

– Bruder... liebster Bruder!« setzte Hulda hinzu, deren Blick Joël bat, sich zu beherrschen.

Dieser mußte sich stark bemühen, der Bitte zu willfahren, und um seinem Verlangen, diese großprahlerische Persönlichkeit vor die Thür zu setzen, nicht so leicht nachgeben zu können, zog er sich in eine Ecke der Gaststube zurück.

»Kann ich nun sprechen?« fragte Sandgoïst.

Er erhielt von Frau Hansen weiter nichts als ein zustimmendes Zeichen statt jeder Antwort; doch das schien ihm zu genügen.

»Nun, so hören Sie, um was es sich handelt, und ich bitte Sie alle Drei um die nöthige Aufmerksamkeit, denn ich liebe es nicht, einunddasselbe zweimal zu sagen.«

Er sprach, wie man allzu deutlich erkannte, wie ein Mann, der das Recht besitzt, Anderen seinen Willen aufzunöthigen.

»Durch die Zeitungen, fuhr er fort, habe ich von dem Schicksale eines gewissen Ole Kamp gehört, einem jungen Seemanne aus Bergen, und dazu von einem Lotterie-Loose, das er seiner Braut Hulda in derselben Minute geschickt hat, wo sein Schiff, der »Viken«, verunglückte. Ebenso habe ich von allen Leuten erfahren, daß man dieses Loos, mit Rücksicht auf die Umstände, unter denen es aufgefunden wurde, so zu sagen für wie vom Himmel gesandt betrachte und man ihm deshalb einen besonders hohen Gewinn bei der bevorstehenden Ziehung in Aussicht stelle. Endlich ist mir auch zu Ohren gekommen, daß Hulda Hansen mehrfache, sogar recht beträchtliche Gebote für Ablassung desselben gethan worden seien.«[130]

Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er fort:

»Ist es an dem?«

Die Antwort auf diese letzte Frage ließ etwas auf sich warten.

»Ja, es ist so, sagte Joël dann. Und was weiter?

– Was weiter? wiederholte Sandgoïst. Ei, Folgendes: Alle diese Angebote beruhen nur auf einem thörichten Aberglauben, das ist meine Ansicht. Immerhin sind sie gethan worden und dürften mit der Annäherung des Ziehungstages wahrscheinlich noch wachsen. Ich bin der Meinung, das verspricht ein Geschäft, welches ich für eigene Rechnung in die Hand nehmen möchte. Aus diesem Grunde bin ich gestern aus Drammen weggefahren und bin hierhergekommen nach Dal, um mit Frau Hansen wegen Abtretung jenes Looses zu verhandeln und sie zu bestimmen, mir vor den anderen Bewerbern dabei den Vorzug zu geben.«

In der ersten aufwallenden Empfindung wollte Hulda schon Sandgoïst dieselbe Antwort ertheilen, wie sie sie auf alle Angebote dieser Art gegeben, obwohl er sich gar nicht unmittelbar an sie gewendet hatte, doch Joël hielt sie davon ab.

»Ehe ich dem Herrn Sandgoïst antworte, sagte er, möchte ich ihn fragen, ob er weiß, wem jenes Loos eigentlich gehört.

– Nun, der Hulda Hansen, meine ich doch.

– Richtig, dann sollte er die Frage, ob sie sich von demselben zu trennen geneigt ist, doch auch dieser vorlegen.

– Aber, Joël!... rief Frau Hansen.

– Lass' mich ausreden, Mütterchen, fuhr ihr Sohn fort. Gehörte dieses Loos nicht völlig rechtmäßig unserem Vetter Ole Kamp, und hatte Ole Kamp dann nicht das Recht, es seiner Braut gleichsam zu vermachen?

– Unbestreitbar, antwortete Sandgoïst ungefragt.

– So muß er sich also an Hulda Hansen wenden, wenn er's erlangen will.

– Zugegeben, Herr Silbenstecher, erwiderte Sandgoïst. Ich ersuche hiermit also Hulda, mir das von Ole Kamp erhaltene Loos mit der Nummer 9672 abzutreten.

– Herr Sandgoïst, erklärte das junge Mädchen mit fester Stimme, es sind mir für dieses Loos schon viele Anerbietungen gemacht worden, aber alle vergeblich. Auch Ihnen muß ich ganz so antworten, wie ich bisher geantwortet habe. Wenn mein Verlobter mir dieses Loos mit seinen letzten Abschiedsworten[131] gesendet hat, ist seine Absicht dahin gegangen, daß ich es für mich behalten, aber nicht verkaufen solle. Ich kann mich desselben also um keinen Preis entäußern.«

Nach diesen Worten wollte Hulda sich schon zurückziehen in der Meinung, daß dieses Gespräch, so weit es sie selbst anging, mit ihrer unzweideutigen Weigerung beendet sei. Auf einen Wink ihrer Mutter blieb sie jedoch noch da.

Frau Hansen hatte eine etwas verächtliche Bewegung gemacht, und aus dem Stirnrunzeln und den wetterleuchtenden Augen Sandgoïst's erkannte man, daß der Zorn in ihm aufzulodern drohte.

»Ja, bleiben Sie, Hulda, sagte er. Das kann nicht Ihr letztes Wort gewesen sein, und wenn ich auf meinem Verlangen beharre, geschieht es, weil ich ein unumstößliches Recht dazu habe. Ich denke übrigens, ich werde mich falsch ausgedrückt haben oder Sie haben mich mindestens falsch verstanden. Es versteht sich ja von selbst, daß die Gewinnaussichten dieses Looses nicht deshalb gewachsen sind, weil ein Schiffbrüchiger dasselbe in eine Flasche eingeschlossen und irgend ein Anderer diese glücklicher Weise aufgefunden hat. Mit den Anschauungen der großen Menge ist aber gar nicht zu rechnen, und es unterliegt keinem Zweifel, daß viele Leute gerade jenes Loos zu besitzen wünschen. Sie haben schon Kaufgebote darauf gethan und werden noch mehr thun. Ich wiederhole, die Sache bekommt damit die Bedeutung eines Geschäftes, und ein solches wollte ich Ihnen vorschlagen.

– Sie werden aber einige Mühe haben, sich darüber mit meiner Schwester zu verständigen, mein Herr, bemerkte Joël ironisch; wenn Sie ihr von einem Geschäfte sprechen, spricht sie dabei nur von einem Gefühl.

– Das sind leere Worte, junger Mann, antwortete Sandgoïst, und wenn ich mich erst vollständig erklärt habe, werden Sie einsehen, daß das, was mir ein gutes Geschäft für mich dünkt, auch für sie selbst als solches erscheint. Ich bemerke hierzu noch, daß es das Nämliche sogar für Frau Hansen werden würde, die dabei unmittelbar betheiligt ist.«

Joël und Hulda sahen sich an. Sollten sie jetzt vernehmen, was ihre Mutter ihnen bisher verheimlicht hatte?

»Lassen Sie mich fortfahren, sagte Sandgoïst. Ich habe nicht verlangt, daß dieses Los mir um denselben Preis abgetreten werde, den es Ole Kamp gekostet hat. Nein, ob mit Recht oder Unrecht, jedenfalls hat es zur Zeit einen gewissen Handelswerth erlangt, und deshalb bin ich auch zu einem Opfer bereit, um mir seinen Besitz zu sichern.[132]

– Sie hörten jedoch schon, entgegnete Joël, daß Hulda selbst alle höheren Angebote, als Sie ihr eines machen würden, rundweg abgeschlagen hat.

– Wahrhaftig! rief Sandgoïst. Höhere Angebote! Was wissen Sie davon?

– Gleichgiltig, welche Summe sie erreichten; meine Schwesten lehnt dieselben ab, und ich stimme ihr darin völlig bei.

– Oho, habe ich hierbei mit Joël oder Hulda Hansen zu thun?

– Meine Schwester und ich, wir sind nur eine Person, antwortete Joël. Merken Sie sich das, mein Herr, wenn Sie es noch nicht wissen!«

Ohne dadurch aus der Fassung zu kommen, zuckte Sandgoïst nur mit den Achseln. Dann fuhr er wie Einer, der seiner Beweisgründe sicher ist, fort:

»Wenn ich von einem Preise für das betreffende Lotterie-Loos sprach, hätte ich wohl dazu sagen sollen, daß ich Ihnen Vortheile zu bieten komme, welche Hulda, schon im Interesse ihrer Angehörigen, nicht in den Wind schlagen dürfte.

– Wirklich?...

– Und endlich, junger Brausekopf, erfahren Sie, daß ich nicht nach Dal gekommen bin, Ihre Schwester um Abtretung jenes Looses zu bitten. Alle Teufel, nein!

– Was wünschen Sie dann sonst?

– Ich wünsche nicht, ich verlange, ich fordere... weil ich will.

– Und mit welchem Rechte, rief Joël, heftiger werdend, wagen Sie, ein Fremder, in dieser Weise in mei ner Mutter Hause zu sprechen?

– Mit dem Rechte, welches jeder Mensch besitzt, antwortete Sandgoust, zu sprechen, wann und wie es ihm beliebt, wenn er in seinen vier Pfählen ist.

– In seinen vier Pfählen!«

Höchst entrüstet drang Joël auf Sandgoïst ein, der, obwohl er sonst nicht leicht erschrak, aus dem Lehnstuhle aufgesprungen war. Hulda hielt jedoch ihren Bruder zurück, während Frau Hansen, das Gesicht in den Händen versteckt, nach dem anderen Ende der Gaststube zurückwich.

»Bruder!... Denk' an unsere Mutter!«... bat das junge Mädchen.

Joël hielt sofort inne. Der Anblick der Mutter hatte seine Wuth gelähmt; ihre ganze Haltung verrieth, wie vollkommen sie in der Macht dieses Sandgoïst stehen müsse.

Als er Joël zaudern sah, raffte sich Letzterer wieder zusammen und nahm den vorher verlassenen Platz wieder ein.[133]

»Ja, in seinen eigenen vier Pfählen! rief er mit noch drohenderer Stimme. Seit dem Ableben ihres Mannes hat sich Frau Hansen in Speculationen eingelassen, die sämmtlich fehlschlugen. Das geringe Vermögen, welches Euer Vater hinterließ, hat sie auf's Spiel gesetzt und endlich bei einem Banquier in Christiania Anleihen aufnehmen müssen. Am Ende ihrer Hilfsquellen angelangt, hat sie dieses Haus als Pfand für eine Summe von fünfzehntausend Mark eintragen lassen, welche ihr gegen einen regelrecht ausgestellten Schuldschein geliehen wurden, gegen einen Schuldschein, den ich von dem Darleiher erstanden habe. Dieses Haus wird also, wenn ich nicht zum Termin bei Heller und Pfennig bezahlt werde, sehr bald mir gehören.

– Wann ist dieser Termin?

– Am 20. Juli, in achtzehn Tagen, erklärte Sandgoïst. Und an diesem Tage werde ich, ob Ihnen nun das gefällt oder nicht, hier innerhalb meiner eigenen vier Pfähle sein!

– Das werden Sie an jenem Datum nicht sein, außer wenn Sie bis dahin nicht voll befriedigt wären. Ich verbiete Ihnen also, so, wie Sie es gethan, vor meiner Mutter und meiner Schwester zu sprechen.

– Er verbietet es mir!... Mir!... rief Sandgoïst. Und verbietet's mir seine Mutter auch?

– Aber so sprich doch, Mutter, sagte Joël, der auf diese zutrat und ihre Hände auseinander zu drängen versuchte.

– Joël!... Lieber Bruder!... flehte Hulda. Aus Mitleid für sie bitte ich herzlich, beruhige Dich!«

Den Kopf gebeugt haltend, brachte es Frau Hansen nicht über sich, ihren Sohn anzusehen. Es verhielt sich allerdings so, daß sie bald nach dem Ableben ihres Mannes ihr Vermögen durch etwas gewagte Unternehmungen zu vergrößern versucht hatte. Das wenige baare Geld, welches sie besaß, war dabei schnell, wie Spreu im Winde, verschwunden, und bald hatte sie drückende und ihren Untergang nur befördernde Anlehen aufnehmen müssen. Jetzt war nun der Pfandschein einer auf ihr Haus eingetragenen Hypothek in die Hände Sandgoïst's von Drammen, an einen herzlosen Mann, einen im ganzen Lande bekannten und verabscheuten Wucherer übergegangen. Frau Hansen hatte ihn selbst zum ersten Male an dem Tage gesehen, wo er nach Dal gekommen war, um sich über den Werth ihres Anwesens durch den Augenschein ein Urtheil zu beschaffen. Das war also das Geheimniß, welches auf ihrem Herzen lastete. Ja, Sandgoïst[134] hatte recht wohl die Mittel in der Hand, seine Wünsche durchzusetzen. Das Loos, welches er heute haben wollte, würde binnen vierzehn Tage vielleicht gar keinen Werth mehr haben, und wenn er es jetzt nicht ausgeliefert erhielt, so bedeutete das den Untergang, den Verlust des Hauses, die Obdachlosigkeit und den schwersten Mangel für die Familie Hansen – mit einem Worte, das bitterste Elend.

Hulda wagte gar nicht, zu Joël die Augen zu erheben; Joël aber, den der Ingrimm übermannte, wollte nichts von der drohenden Zukunft hören. Er sah nur Sandgoïst vor sich, und wenn dieser Mann noch ein mal so wie vorhin in seiner Gegenwart sprach, würde er sich nicht bemeistern können...

Sandgoïst, der sich als Beherrscher der Sachlage fühlte, wurde nur noch härter und gebieterischer.

»Ich will einmal jenes Loos, und ich werde es erhalten! wiederholte er. Als Entgelt biete ich nicht einen Preis, der in thörichtem Verhältnisse zu dessen Werthe stände, aber ich bin bereit, den Verfalltag des von Frau Hansen unterschriebenen Schuldscheines hinauszuschieben, ihn um ein Jahr... um zwei Jahre zu verlegen. Bestimmen Sie selbst den Zeitpunkt, Hulda.«

Bei ihrem von der Angst erdrückten Herzen hätte Hulda gar nicht antworten können. Ihr Bruder nahm also für sie das Wort und rief:

»Das Loos Ole Kamp's kann von Hulda Hansen gar nicht verkauft werden. Meine Schwester weigert sich also dessen, wie Sie drohen und was Sie auch bieten mögen. Und nun entfernen Sie sich von hier!

– Entfernen? sagte Sandgoïst. Nein... noch werde ich mich nicht entfernen. Und wenn das von mir gemachte Angebot als unzureichend erachtet würde... so werde ich weiter gehen... Ja... gegen Auslieferung des Looses biete ich... biete ich...«

Sandgoïst mußte offenbar ein unbezwingliches Verlangen nach dem Besitze jenes Looses haben, mußte überzeugt sein, daß er damit ein sehr einträgliches Geschäft machen könne, denn er setzte sich an den Tisch, auf dem sich Papier, Federn und Tinte vorfanden und sagte bald nachher:


Hulda hielt ihren Bruder zurück. (S. 133.)
Hulda hielt ihren Bruder zurück. (S. 133.)

»Da sehen Sie sich an, was ich biete!«

Es war eine Quittung über die Summe, die Frau Hansen ihm schuldete und für welche sie das Haus in Dal als Pfand verschrieben hatte.

Mit bittend erhobenen Händen und halb zusammengesunken blickte Frau Hansen ihre Tochter an.[135]

»Jetzt aber, fuhr Sandgoïst fort, her mit dem Loose!... Ich will es! Will es heute... noch diesen Augenblick haben!... Ich gehe nicht fort von Dal, ohne es mitzunehmen! Ich will es, Hulda, ich muß es haben!«

Sandgoïst hatte sich dem bedauernswerthen Mädchen genähert, als wollte er sie durchsuchen, um ihr Oles Lotterie-Loos zu entreißen...

Jetzt konnte sich Joël aber nicht mehr bemeistern, vorzüglich als er die Schwester wie hilfesuchend seinen Namen rufen hörte.

»Werden Sie sich nun entfernen?« rief er drohend dem Wucherer zu.[136]

Da Sandgoïst dem Gebote noch immer nicht Folge leisten wollte, drang er schon auf ihn ein, als Hulda sich noch dazwischen warf.

»Mutter, rief sie, hier ist das Loos!«

Frau Hansen hatte hastig nach dem Stück Papier gegriffen, doch während sie es gegen Sandgoïst's Quittung austauschte, war Hulda fast bewußtlos in den Lehnstuhl gesunken.

»Hulda, Hulda! rief Joël. Komm' wieder zu Dir!... Ach, liebste Schwester, was hast Du gethan?[137]

– Was sie gethan hat? fiel Frau Hansen da ein. Was sie gethan hat? Ach, ich bin der schuldige Theil! Im Interesse meiner Kinder unternahm ich es, das hinterlassene Vermögen ihres Vaters vergrößern zu wollen, ja, ich habe ihre ganze Zukunft auf's Spiel gesetzt, habe das Unglück über dieses friedliche Haus heraufbeschworen, und Hulda... hat uns noch einmal errettet!... Das ist's, was sie gethan hat. Dank Dir, Hulda, tausend Dank!«


Sylvius Hog hatte diesen traurigen Bericht angehört. (S. 139.)
Sylvius Hog hatte diesen traurigen Bericht angehört. (S. 139.)

Sandgoïst war noch immer anwesend. Joël bemerkte ihn.

»Sie... hier... immer noch!« rief er.

Dann trat er auf Sandgoïst zu, faßte ihn an den Schultern, hob ihn in die Höhe und warf ihn, trotz seines Widerstrebens und seines Jammergeschreies, zur Thür hinaus.

Quelle:
Jules Verne: Ein Lotterie-Los. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LI, Wien, Pest, Leipzig 1888, S. 126-138.
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