IV.

[27] Ole Kamp war seit einem Jahre abgereist. In seinem Briefe hatte er mitgetheilt, daß dieser Fischfang, der Winterfischfang an den Gestaden von New-Found-Land, ein recht beschwerlicher sei. Wenn die Leute hier Geld verdienen, so verdienen sie meist ziemlich viel; hier kommen jedoch häufig plötzliche Windstöße vor, welche binnen wenigen Stunden ganze Fischerflottillen zerstören. Dafür wimmelt es aber von Fischen in den Gründen von New-Found-Land und wenn die Mannschaften vom Glück begünstigt sind, finden sie auch reichen Ersatz für die Mühen und Gefahren, welche diese stürmische Gegend bietet.

Im Uebrigen sind die Norweger vortreffliche Seeleute, die über ihre harte Arbeit nicht murren. Inmitten der Fjords der Landesküste von Christiansand bis zum Nord-Cap, zwischen den Klippen von Finnmarken, in den schmalen Waffenstraßen der Loffoden fehlt es ihnen nie an Gelegenheit, sich mit den Launen des Meeres vertraut zu machen. Wenn sie über den Nordatlantischen Ocean segeln, um in größeren Gesellschaften nach den Fischgründen der Neuen Welt zu ziehen, haben sie schon manche Probe ihres kühnen Muthes abgelegt. Während der Kindheit haben sie schon genug von den Ausläufern der von Westen heranstürmenden Orkane kennen gelernt, um diesen auch an ihrer Ursprungsstelle in New-Found-Land ruhig Trotz zu bieten. Sie kämpfen hier nur gegen den Anfang jener schrecklichen Stürme – das ist der ganze Unterschied.

Die Norweger haben auch gerechte Ursache, etwas stolz zu sein. Ihre Vorfahren waren unerschrockene Seeleute, zur Zeit, als die Hanseaten sich des Handels im ganzen nördlichen Europa bemächtigt hatten. Vielleicht traten sie in grauer Vorzeit mehr als eine Art Seeräuber auf, doch die Seeräuberei war[27] damals einmal allgemein im Schwunge. Unzweifelhaft hat sich der Handel seitdem moralisch bedeutend gehoben, obwohl die Vermuthung gestattet ist, daß es dabei auch heute nicht ganz mit rechten Dingen zugehen möge.

Wie dem auch sei, die Norweger waren von jeher kühne Seeleute, sind es noch und werden es auch fernerhin sein. Ole Kamp war sicherlich nicht dazu geschaffen, seine Abstammung Lügen zu strafen. Seine erste Einführung und Ausbildung in jenen rauhen, mühseligen Arbeiten verdankte er einem nun ergrauten Küstenschiffer von Bergen, und auch die ganze Kindheit hatte er schon in diesem Hafen, einem der belebtesten des skandinavischen Königreichs, zugebracht. Ehe er sich auf die weite Fahrt hinaus begab, segelte und schaukelte er in den Fjords umher, stellte den Nestern der Wasservögel nach und betheiligte sich beim Fang der zahllosen Fische, aus denen der Stockfisch bereitet wird. Nachdem er dann Schiffsjunge geworden, hatte er zuerst die Ostsee übersegelt, war dann nach der Nordsee und selbst bis hinauf nach den Grenzen des Eismeeres gekommen. So machte er mehrere Reisen auf großen Fischerfahrzeugen mit und wurde schon Steuermann, als er kaum zwanzig Jahre zählte. Jetzt war er dreiundzwanzig Jahre alt.

In der Zeit zwischen seinen Seefahrten unterließ er es nie, die einzige Familie wieder aufzusuchen, welche er liebte und die ihm auf der Erde allein geblieben war.

Wenn er sich dann in Dal befand, konnte sich Joël keinen besseren Kameraden wünschen. Er begleitete diesen bei seinen Zügen durch die Berge bis nach den höchsten Plateaus von Telemarken. Erst durch die Fjords, nun durch die Fjelds – das war dem jungen Seemann so recht nach dem Sinn, und er blieb gewiß niemals zurück, außer wenn es geschah, um seiner Cousine Hulda Gesellschaft zu leisten.

Zwischen Ole und Joël hatte sich allmählich eine enge Freundschaft entwickelt, und in ganz naturgemäßer Folgerichtigkeit nahm dieses Gefühl gegenüber dem jungen Mädchen eine andere Form an, zumal da Joël ihn fast noch dazu ermunterte. Wo hätte seine Schwester auch in der ganzen Provinz einen besseren Burschen von gleich gewinnendem Wesen, einen ergebeneren Charakter, ein wärmer fühlendes Herz finden können? Huldas Glück mußte gesichert sein, wenn sie Ole zum Manne bekam. Es geschah also unter Zustimmung der Mutter, wie des Bruders, daß das junge Mädchen unter diesen Verhältnissen ihren natürlichen Gefühlen keinen Zwang auferlegte. Wenn es die Menschen im Norden[28] auch äußerlich nicht so zur Schau tragen, darf man sie doch keineswegs für unempfindlich halten. Nein, es ist eben so ihre Art, und diese ist vielleicht besser, als manche andere.

Kurz, eines Tages, als sich alle Vier in dem großen Zimmer des Erdgeschosses befanden, sagte Ole ohne jede weitere Einleitung:

»Da kommt mir ein Gedanke, Hulda!

– Und welcher? fragte das junge Mädchen.

– Mir scheint, wir Beide sollten einander heiraten.

– Das meine ich eigentlich auch.

– Ja, das ließe sich hören, fügte Frau Hansen hinzu, als ob es sich um eine schon lange besprochene Angelegenheit handelte.

– Und auf diese Weise, Ole, bemerkte Joël, würde ich natürlich Dein Schwager werden.

– Gewiß, sagte Ole; es steht aber fest, mein Joël, daß ich Dich dann nur noch mehr lieb haben werde.

– Wenn das möglich ist!

– Du wirst's ja sehen!

– Meiner Treu, ich bin ja schon jetzt befriedigt, versicherte Joël, der Oles Hand herzlich drückte.

– Nun, das wäre also abgemacht, Hulda? fragte Frau Hansen.

– Ja, liebe Mutter, antwortete das junge Mädchen.

– Du glaubst es wohl, Hulda, fuhr Ole fort, daß ich Dich eigentlich schon lange liebe, ohne etwas davon gesagt zu haben?

– Ich Dich auch, Ole.

– Wie's gekommen ist, weiß ich eigentlich gar nicht zu sagen.

– Und ich nicht minder.

– Gewiß kam's daher, Hulda, daß ich Dich jeden Tag hübscher und hübscher und immer besser werden sah...

– Du gehst etwas zu weit, mein lieber Ole!

– Gewiß nicht, und ich darf Dir das sagen, ohne daß Du darum zu erröthen brauchst, denn es ist die Wahrheit. Haben Sie's denn nicht bemerkt, Frau Hansen, daß ich Hulda so lieb hatte?

– Nun ja, ein wenig wohl.

– Und Du, Joël?

– Ich?... Ei, ganz bedeutend.[29]

– Offen gestanden, meinte Ole lächelnd, hättet Ihr mir das eher sagen können –

– Aber Deine Seereisen, Ole, mischte sich da Frau Hansen wieder ein, werden sie Dir nicht weit beschwerlicher erscheinen, wenn Du verheiratet bist?

– O, sie würden mir so schwer ankommen, daß ich eben gar nicht mehr fahren werde, wenn unsere Hochzeit stattgefunden hat.

– Du willst nicht mehr fahren?

– Nein, Hulda, könnte ich es über mich bringen, Dich ganze Monate zu verlassen?

– So willst Du jetzt zum letzten Male in See gehen?

– Ja; doch bei einigem Glück wird diese Fahrt mir gestatten, ein gut Stück Geld zu erübrigen, denn die Herren Gebrüder Help haben mir contractlich einen vollen Gewinnantheil zugesichert....

– Das sind doch brave Leute! sagte Joël.

– Sie sind jedes Lobes würdig, erwiderte Ole, und alle Seeleute in Bergen kennen sie auch und schätzen sie hoch.

– Aber, mein lieber Ole, bemerkte da Hulda, wenn Du dann nicht mehr fährst, was denkst Du später zu beginnen?

– Nun, ich werde der Theilhaber Joëls. Ich habe ja gute Füße, und sollten diese ja noch nicht ausreichen, werd' ich mir durch Uebung solche zu verschaffen wissen. Uebrigens hab ich noch an ein Geschäft gedacht, das vielleicht gar nicht übel wäre. Warum sollten wir nicht eine Art Botendienst zwischen Drammen, Kongsberg und den Gaards von Telemarken einrichten? Die jetzigen Verbindungen sind weder bequem, noch regelmäßig, und dabei wäre wohl noch Geld zu verdienen. Mit einem Wort, ich habe so meine Gedanken abgesehen von...

– Von was?

– O nichts! Das wird sich bei meiner Rückkehr zeigen. Ich sage Euch voraus, daß ich fest entschlossen bin, Alles zu thun, um Hulda zur beneidetsten Frau des ganzen Landes zu machen. Ja, ich bin's fest entschlossen.

– Wenn Du wüßtest, Ole, wie leicht das sein wird! antwortete Hulda, ihm die Hand entgegenstreckend. Ist's nicht zur Hälfte schon geschehen, und gibt es irgendwo ein ebenso glückliches Haus, wie unser Haus in Dal!«

Frau Hansen hatte einen Augenblick den Kopf hinweggewendet.

»Also, wiederholte Ole in freudigem Tone, die Sache ist abgemacht?

– Ja freilich, versicherte Joël.[30]

– Und wir brauchen nicht weiter darüber zu sprechen?

– Niemals.

– Es wird Dir doch nicht leid werden, Hulda?

– Gewiß nicht.

– Was die Bestimmung Eures Hochzeitstages betrifft, denk' ich, wir warten lieber Deine Heimkehr ab, fügte Joël hinzu.

– Zugegeben; doch ich müßte geradezu Unglück haben, wenn ich nicht vor Ablauf eines Jahres zurückgekehrt wäre, um Hulda nach der Kirche von Moel zu führen, wo der Pastor Andresen es nicht abschlagen wird, uns seinen besten Segen zu ertheilen!«

Auf diese Weise war also die Heirat Hulda Hansen's mit Ole Kamp beschlossen worden.

Acht Tage später sollte der junge Seemann auf seinem Schiffe in Bergen wieder eintreffen. Bevor sie jedoch von einander schieden, sollten die beiden Zukünftigen, nach der wirklich rührenden Sitte der skandinavischen Länder, erst feierlich verlobt werden.

In dem einfachen, ehrbaren Norwegen herrscht ziemlich allgemein der Gebrauch, sich öffentlich zu verloben, bevor man heiratet. Zuweilen wird die Hochzeit gar erst zwei bis drei Jahre später gefeiert. Erinnert das nicht an die Gepflogenheiten in den ersten Tagen der christlichen Kirche? Man darf aber nicht glauben, daß die Verlobung hier nur auf einen einfachen Austausch von Worten hinauskomme, deren Werth doch nur auf Treue und Glauben der Betheiligten beruht. Nein, das Gelübde wird hier ernster genommen, und wenn dieser Act auch nicht gerade durch das Gesetz anerkannt ist, so steht er als eine Art natürlichen Gesetzes doch überall in höchstem Ansehen.

Es handelte sich also bezüglich Huldas und Ole Kamp's um die Anordnung einer Ceremonie, welche der Pastor Andresen leiten sollte. In Dal selbst gab es keinen Geistlichen, ebenso wenig wie in den Gaards der Nachbarschaft Dagegen finden sich in Norwegen gewisse Orte, welche sich »Sonntagsstädte« nennen, wo sich ein Pfarrhof, ein »Praestegjeld« befindet. Dort versammeln sich zum Gottesdienst die bedeutenden Familien der Parochie. Sie haben meist sogar eine Art Absteigequartier, um sich vierundzwanzig Stunden, das heißt so lange Zeit, wie die Erfüllung ihrer religiösen Pflichten in Anspruch nimmt, aufzuhalten. Dann kehrt Alles wie von einem Pilgerzuge heim. Dal besitzt zwar eine Kapelle; dahin kommt der Geistliche aber nur auf besonderes Verlangen[31] und zur Ausübung von Amtsgeschäften, welche nicht öffentlicher, sondern privater Natur sind.

Moel liegt von hier übrigens nicht weit entfernt, nur etwas über dreiviertel Meilen – d. h. neun Kilometer von Dal bis zum Ende des Tinn-Sees. Der Pastor Andresen aber war ein gefälliger Mann und guter Fußgänger.

Pastor Andresen wurde also gebeten, der Verlobung in der doppelten Eigenschaft als Kirchendiener und Freund der Familie Hansen zu assistiren. Letztere kannte ihn und er sie schon seit längerer Zeit; er hatte Hulda und Joël aufwachsen sehen und liebte diese ebenso wie den »jungen Seebären« Ole Kamp. Nichts hätte ihm mehr Vergnügen gewähren können, als diese Heirat; das war eine Gelegenheit, die für das ganze Vestfjorddal zur Festlichkeit zu werden versprach.

Es versteht sich von selbst, daß Pastor Andresen eines schönen Morgens seine weißen Bäffchen anlegte, den Kreppüberwurf über den Arm schlug, der das Gebetbüchlein trug, und bei übrigens ziemlich regnerischem Wetter aufbrach. Er traf in Gesellschaft Joëls ein, der ihm entgegen gegangen war. Der Leser möge sich selbst ausmalen, welch' freundlichen Empfang er im Hause der Frau Hansen fand, und daß er natürlich das schönste Zimmer im Erdgeschoß angewiesen erhielt, das die ausgestreuten frischen Wachholderzweige wie eine Kapelle durchdufteten.

Am folgenden Tage, und zwar schon ziemlich zeitig, öffnete sich die kleine Kirche von Dal. Hier schwor vor dem Pfarrer und seinem Gebetbuche, in Gegenwart einiger Freunde und Nachbarn des Gasthauses, Ole, seine Hulda zu heiraten und Hulda schwor, Ole zu heiraten, wenn er von der letzten Fahrt zurückkam, die der junge Seemann eben noch unternehmen wollte. Ein Jahr Erwartung ist zwar lang, aber es vergeht ja auch zwei Liebenden, wenn Beide einander sicher sind.

Von nun an konnte Ole die, welche seine verlobte Braut geworden war, nur aus schwerwiegenden Grün den wieder verlassen, und Hulda durfte nicht die Treue brechen, die sie Ole geschworen, ja, wenn Ole nicht wenige Tage nachher abgereist wäre, so hätte er das Recht beanspruchen können, welches jene Ceremonie ihm verlieh: er konnte das junge Mädchen besuchen, wann es ihm beliebte, ihr schreiben, so oft er wollte, sie beim Spazierengehen Arm in Arm begleiten, selbst in Abwesenheit ihrer Familie, und bei allen Festlichkeiten und sonstigen Gelegenheiten den Vorzug genießen, allein mit ihr zu tanzen.[32]

Ole Kamp hatte jedoch nach Bergen zurückkehren müssen. Acht Tage später war der »Viken« nach den Fischgründen von Neufundland abgesegelt, und nun hatte Hulda nur die Briefe zu erwarten, welche ihr Verlobter mit jeder Postgelegenheit nach Europa zu senden versprochen hatte. Die stets mit Ungeduld erwarteten Briefe blieben denn auch nicht aus. Sie verbreiteten dann einen neuen Schimmer von Glück in dem seit der Abreise etwas traurigeren Hause.

Die Reise selbst verlief unter günstigen Verhältnissen. Der Fischfang war ergiebig und mußte einen ansehnlichen Ertrag liefern. Am Ende jedes Briefes[33] aber sprach Ole von einem gewissen Geheimnisse und von den Schätzen, die ihm dieses zuführen müsse. Dieses Geheimniß hätte Hulda gar so gerne gekannt, aber außer ihr auch Frau Hansen, aus Gründen, die der Leser nur schwer errathen dürfte.


Ole schwor hier Hulda zu heiraten. (S. 32)
Ole schwor hier Hulda zu heiraten. (S. 32)

Frau Hansen wurde nämlich allmählich immer düsterer, unruhiger und verschlossener, und ein Umstand, dessen sie nicht einmal ihren Kindern gegenüber erwähnte, konnte ihre Sorge leider nur vergrößern.

Drei Tage nach dem letzten Briefe von Ole, am 18. April, kehrte Frau Hansen allein aus der Sägemühle zurück – wo sie beim Werkführer Lengling einen Sack Holzspäne bestellt hatte – und war jetzt eben auf dem Heimwege. Nicht weit von ihrer Thür trat ein Mann auf sie zu, der offenbar nicht aus dieser Gegend war.

»Sie sind doch wohl Frau Hansen? fragte der Fremde.

– Ja, antwortete sie, doch ich kenne Sie nicht.

– O, das thut nichts, erwiderte der Mann. Ich bin diesen Morgen von Drammen gekommen und kehre auch dahin zurück.

– Von Drammen? rief Frau Hansen lebhaft.

– Kennen Sie wohl einen gewissen Herrn Sandgoïst, der daselbst wohnt?...

– Herrn Sandgoïst! wiederholte Frau Hansen, deren Gesicht bei Nennung dieses Namens erbleichte. Ja... den kenne ich.

– Nun wohl; als Herr Sandgoïst erfuhr, daß ich mich nach Dal begebe, hat er mich beauftragt, Ihnen einen Gruß von ihm zu überbringen.

– Und... weiter nichts?...

– Nichts, außer daß ich Ihnen sagen sollte, er werde Sie wahrscheinlich im nächsten Monat einmal aufsuchen! – Lassen Sie sich's wohl gehen, und gute Nacht, Frau Hansen!«[34]

Quelle:
Jules Verne: Ein Lotterie-Los. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LI, Wien, Pest, Leipzig 1888, S. 27-35.
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