[260] Meister Antifer hatte auf eine von Bona nach Algier führende Eisenbahn gerechnet: er war freilich zwanzig Jahre zu zeitig gekommen. Am folgenden Morgen war er deshalb sehr verdutzt über die Antwort, die er vom Hôtelier auf seine bezügliche Frage erhielt.
»Was?... Es giebt keine Eisenbahn von Bona nach Algier? rief er auffahrend.
– Nein, mein Herr, doch in einigen Jahren wird sie in Betrieb sein, und wenn Sie zu warten belieben...«, sagte der drollige Gastwirth.
Ben Omar hätte nichts sehnlicher gewünscht. Denn nun hieß es jedenfalls wieder zur See gehen, um Verzögerungen zu vermeiden. Pierre-Servan-Malo dachte freilich ganz anders.
»Geht etwa ein Schiff bald ab? fragte er gebieterischen Tones.
– Ja... noch diesen Morgen.
– Nun also: eingeschifft!«
Um sechs Uhr des Morgens verließ schon Meister Antifer mit seiner kleinen, theils selbstgewählten, theils ihm aufgedrängten Gesellschaft den Hafen von Bona.
Bei dieser kurzen Fahrt von wenigen hundert Kilometern brauchen wir uns nicht aufzuhalten.[260]
Gildas Tregomain hätte es zwar vorgezogen, sie im Bahnwagen zurückzulegen, um die Landschaft, die Umgebung der späteren Bahnlinie, in Augenschein zu nehmen, doch er hoffte sich ja in Algier schadlos zu halten. Meister Antifer irrte sich, wenn er da ein nach Westafrika gleich segelfertiges Schiff zu finden glaubte, und dann würde er Gelegenheit haben, seine Geduld zu üben. Während dem konnte man die herrlichsten Spaziergänge in der Umgebung, vielleicht sogar bis Blidah am Affenflusse, ausführen. Von der Hebung des Schatzes hatte der Frachtschiffer persönlich doch nichts, so wollte er wenigstens eine reiche Sammlung von Andenken aus der algerischen Hauptstadt mit heimbringen.
Um acht Uhr am Abend ging das recht schnell laufende Dampfschiff im Hafen von Algier schon vor Anker.
Trotz ihres Sternenglanzes war die Nacht, selbst in der Märzwoche, in diesen Breiten noch recht finster. Schwarz hob sich nach Norden hin die verschwimmende Masse der Stadt, abgerundet durch den Hügel ihrer Casbah... der so ersehnten Casbah!... vom Himmel ab. Was Tregomain beim Betreten der Stadt er kennen konnte, beschränkte sich darauf, daß man eine am Quai ausmündende Treppe hinaufsteigen mußte, daß sie dann einen schön beleuchteten Platz, wo er gern etwas verweilt hätte, zur Linken lassend, diesem Quai folgten und schließlich nach einer Gruppe hoher Gebäude, die zusammen das Hôtel de l'Europe bildeten, gelangten, wo Antifer und seine Gefährten freundliche Aufnahme fanden.
Nachdem sie sich in ihre Zimmer – die Juhels und Tregomain's lagen nebeneinander – etwas zurecht gemacht, begaben sie sich zum Souper nach dem Speisesaal hinunter. Hier verweilten sie bis gegen neun Uhr, und da bis zum Abgange eines Dampfers Zeit genug übrig war, legten sie sich nieder, um am nächsten Morgen gestärkt und frisch eine Reihe Spaziergänge durch die Stadt zu beginnen.
Ehe Juhel aber sich zur Ruhe begab, wollte er noch an seine Verlobte schreiben Der Brief konnte dann schon am nächsten Morgen mit abgehen und nach kaum drei Tagen in den Händen der Adressatin sein. Freilich enthielt er für Enogate nichts besonders Interessantes, außer daß Juhel wüthend war über die Entwickelung der Dinge und daß er sie von ganzem Herzen liebte – das letztere in der That nichts neues für die hübsche Bretagnerin. Hier ist noch hervorzuheben, daß, wenn Saouk und Ben Omar, Gildas Tregomain und[261] Juhel ihre Zimmer aufsuchten, Antifer und Zambuco, die beiden Schwäger – so darf man sie nach Unterzeichnung jenes Ehecontractes wohl nennen – das Hôtel nach dem Abendessen noch einmal verließen. Dem Frachtschiffer und dem jungen Kapitän mußte das auffallen, Ben Omar und Nazim mochten sich darüber sogar beunruhigen – sehr wahrscheinlich hätte der Malouin aber gar nicht geantwortet, wenn man ihn hierüber gefragt hätte.
Daß die beiden Erben von dem Verlangen verführt worden wären, die malerischen Stadtviertel Algiers (im Finstern!) zu betrachten oder aus bloßer Neugier die Ben-Azumstraße und andre oder die noch menschenbelebten Quais zu besuchen, das war unwahrscheinlich und wurde von ihren Gefährten auch gar nicht vermuthet.
»Nun... was mögen sie dann vorhaben?...« sagte Gildas Tregomain.
Auf der Fahrt hierher hatten der junge Kapitän und die andern bereits bemerkt, daß Meister Antifer wiederholt aus seinem Stillschweigen erwacht war und mit dem Banquier heimliche Worte gewechselt hatte. Zambuco schien dabei das zu billigen, was der andre ihm zuflüsterte. Worüber hatten sie sich also geeinigt? – Dieses späte Ausgehen ließ doch wohl auf einen vorbedachten Plan schließen.... doch auf welchen?... Konnte man sich bei zwei so merkwürdigen Gesinnungsgenossen nicht auf das Unerwartetste gefaßt machen?
Nach einem mit Juhel gewechselten Händedrucke hatte sich der Frachtschiffer indeß nach seinem Zimmer begeben. Hier öffnete er vor dem Auskleiden noch das Fenster, um ein wenig die gute algerische Luft zu athmen. Bei dem milden Sternenscheine konnte er eine weite Fläche überblicken und sah da die Rhede bis zum Cap Matifu und auf dieser die Signallichter der Schiffe, die zum Theil vor Anker lagen, zum Theil noch mit der Abendbrise dem Hafen zusteuerten. Längs des Strandes schimmerten die Fischerboote mit ihren Fackeln. Näher im Hafen wirbelten dichte Rauchwolken aus den gleichzeitig Funken ausspeienden Schornsteinen der Dampfer hervor, die sich zur Abfahrt rüsteten.
Jenseit des Cap Matifu dehnte sich das weite Meer aus, bis zur Grenze des Horizonts von einem Kranze prächtiger Sternbilder besetzt, die wie ein Kunstfeuerwerk aufglänzten.
Nach der Nacht zu urtheilen, mußte der nächste Tag sehr schön werden und die Sonne sich – die letzten Sterne auslöschend – strahlend erheben.
»Welch eine Lust, dachte Gildas Tregomain, diese vornehme Stadt Algier zu besuchen, hier nach der verwünschten Reise von Mascat aus und ehe man[262] auf's neue nach einem Eiland Nummer Zwei »abgeschossen« wurde, einige Tage hübsch auszuruhen. Ich habe von dem Restaurant Moïse, an der Pescadespitze, reden hören. Warum sollten wir morgen nicht eine schmackhafte Mahlzeit bei diesem Moïse einnehmen?...«
Da donnerte es, eben schlug es zehn Uhr, kräftig an die Zimmerthür.
»Bist Du es, Juhel? fragte Gildas Tregomain.
– Nein... ich bin's, Antifer.
– Ich mache sofort auf, alter Freund.
– Unnöthig.... Ziehe Dich an und packe Deinen Reisesack!
– Meinen Reisesack?
– Wir fahren binnen vierzig Minuten weiter.
– In vierzig Minuten?...
– Und säume nicht, die Postdampfer haben nicht die Gewohnheit, zu warten. Ich werde Juhel benachrichtigen.«
Der verblüffte Frachtschiffer fragte sich, ob er denn nicht träume.... Nein, er hörte auch an Juhels Thür pochen, und die Stimme des Onkels, der dem Neffen befahl, sich schleunigst zu erheben. Darauf seufzten die Stufen der Treppe unter den Schritten des Mannes.
Juhel, der noch beim Briefschreiben war, setzte noch eine Zeile hinzu und meldete Enogate, daß sie alle Algier noch heute Abend verlassen würden. Deshalb waren Zambuco und Antifer also ausgegangen, sie wollten sich erkundigen, ob nicht ein Dampfer nach der Westküste Afrikas abging. Ganz unerwarteter Weise fanden sie ein Schiff, das bereits die Vorbereitungen zur Abfahrt traf. Sofort hatten sie Plätze an Bord belegt und Antifer beeilte sich nur noch, Juhel und Gildas Tregomain, der Banquier aber Ben Omar und Nazim Meldung zu machen.
Während der Frachtschiffer seine Sachen wieder einpackte, fühlte er sich aufs grausamste enttäuscht. Doch hier half kein Verhandeln. Der Herr hatte gesprochen – die andern mußten gehorchen.
Da trat Juhel schon in das Zimmer Gildas Tregomain's ein und sagte:
»Das hatten Sie doch nicht erwartet?...
– Nein, mein Junge, obwohl man sich von Deinem Onkel jeder Tollheit versehen darf. Und ich, ich hatte schon auf eine Promenade von achtundvierzig Stunden durch ganz Algier gerechnet.... Und der Hafen.. der Versuchs-Garten... die Casbah![263]
– Ja, Herr Tregomain, es ist wahrlich das reine Pech, daß mein Onkel hier ein gleich segelfertiges Schiff treffen mußte.
– Gewiß... und schließlich setz' ich doch einmal auch meinen Kopf auf! rief der Frachtschiffer, der einmal seinem Ingrimm gegen den Freund Zügel schießen ließ.
– Ach, nein, Herr Tregomain, das thun Sie nicht, oder, wenn Sie es doch versuchten, so genügte es, daß mein Onkel, den Kiesel umherrollend, einen gewissen Blick auf Sie würfe....
– Hast Recht, lieber Juhel, antwortete Gildas Tregomain, der den Kopf sinken ließ.... Ich würde gehorchen.... Du kennst mich ja zu gut!... Schade ist's aber dennoch!... Das schöne Mittagsmahl, zu dem ich Euch nach dem Restaurant Moïse an der Pescadespitze führen wollte!...«
Vergebliches Wehklagen! Mit einem tiefen Seufzer beendigte der arme Mann seine Vorbereitungen. Zehn Minuten später fanden Juhel und er den Meister Antifer, den Banquier, Ben Omar und Nazim schon im Vorraum des Hôtels.
Auf den guten Empfang bei ihrer Ankunft folgten jetzt saure Mienen bei ihrem Weggang, wenn sie auch die Zimmer wie für vierundzwanzigstündige Benützung bezahlen mußten. Juhel warf seinen Brief in einem im Hause vorhandenen Briefkasten. Dann wanderten alle nach den Quais und stiegen die Treppe nach dem Hafen hinunter, während Gildas Tregomain einen letzten Blick über den noch hell erleuchteten Gouvernementsplatz schweifen ließ.
Eine halbe Kabellänge vom Ufer lag ein Dampfer vor Anker, dessen Kessel unter dem Drucke des angesammelten Dampfes hörbar erzitterte. Schwärzlicher Rauch wirbelte nach dem gestirnten Himmel empor. Ein betäubendes Pfeifen verrieth, daß der Dampfer sofort vom Lande abstoßen werde.
Ein an den Stufen des Quais liegendes Boot erwartete die Reisenden, um sie an Bord zu bringen. Meister Antifer und die Uebrigen stiegen hinein. Mit wenigen Ruderschlägen war das Schiff erreicht.
Ehe Gildas Tregomain noch recht zu Verstande gekommen war, sah er sich in seine Cabine geführt, die er mit Juhel theilen sollte. Meister Antifer und Zambuco bewohnten eine zweite und Ben Omar und Nazim eine dritte Cabine.
Dieser Dampfer, der »Catalan«, gehörte der Vereinigten Frachtengesellschaft von Marseille. Zum regelmäßigen Dienst an der Westküste Afrikas nach Saint-Louis und nach Dakar bestimmt, lief er auch Zwischenhäfen an, umPassagiere aufzunehmen und abzusetzen oder Waaren zu löschen und zu laden. Ziemlich gut ausgerüstet und eingerichtet, legte er zehn bis zwölf Knoten in der Stunde, also genug für seine Zwecke, zurück.
Eine Viertelstunde nach dem Eintreffen des Meister Antifer zerriß der Ton der Heulpfeife zum letzten Male die Luft. Dann wurden die Taue losgeworfen, der »Catalan« erzitterte leise, als seine Schraube sich zu drehen anfing und die Wasserfläche mit Schaum bedeckte; er glitt zwischen den weiter draußen liegenden Fahrzeugen hin und an den großen Frachtdampfern vorüber, die auf ihrer Stelle eingeschlafen schienen, folgte dem Canal zwischen der Festung und den Molen, gelangte damit ins freie Meer und schlug nun einen Cours nach Westen ein.
Da zeigte sich eine verschwommene Gruppe von weißen Bauwerken; das ist die Casbah, von der der Frachtschiffer nur eine unbestimmte Silhouette zu sehen bekommen sollte. Vor dem klippenreichen Ufer streckte sich noch eine Landzunge hinaus, die Pescadespitze mit dem Restaurant Moïse darauf, wo man ein so vorzügliches Essen bereitete.
Das war auch alles, was Gildas Tregomain an Erinnerungen von seinem Aufenthalte in Algier mitnahm.
Kaum aus dem Hafen heraus, lag Ben Omar natürlich schon auf der Bank seiner Cabine von der elendesten Seekrankheit ergriffen. Und wenn er nun gar daran dachte, daß er nach dem bevorstehenden Besuche des Bassins von Guinea von da auch wieder nach Hause fahren mußte.... Doch, auf dem zweiten Eilande mußte ja der Schatz entdeckt werden, mußte seine schöne Provision ihm zufallen. Ja, wenn nur noch einer von der Gesellschaft sich ebenso schlecht befunden hätte wie er.... Doch nein, keiner fühlte auch nur das geringste Unwohlsein.... Er allein mußte leiden.... Er empfand nicht einmal den so menschlichen Trost, andre seine Leiden theilen zu sehen.
Die Passagiere des »Catalan« bestanden zum größten Theile aus Seeleuten, die sich nach den Häfen der Küste zurückbegaben, nebst verschiedenen Singalesen und einer kleinen Anzahl Marinesoldaten, die an das Seefahren schon gewöhnt waren. Alle sollten nach Dakar, wo der Dampfer seine Fracht zu löschen hatte. Unterwegs sollte also kein Aufenthalt stattfinden. Meister Antifer konnte sich wahrhaftig Glück wünschen, gerade an Bord des »Catalan« gekommen zu sein. In Dakar angelangt, hatte man freilich das Ziel noch nicht erreicht, eine Bemerkung, die Zambuco wiederholt laut werden ließ.[267]
»Zugegeben, antwortete er, ich hatte aber niemals darauf gerechnet, einen Dampfer von Algier nach Dakar so schnell zu finden, und sind wir nur erst an letzterem Orte, so wird sich das weitere schon finden.«
Andres war natürlich nicht zu erfahren. Immerhin fürchteten die beiden Schwäger, daß jener letzte Theil der Reise ihnen noch rechte Verlegenheiten bereiten würde.
Während der Nacht folgte der »Catalan« der Küste in zwei bis drei Seemeilen Entfernung. Dabei zeigte sich das Leuchtfeuer von Temy, auch konnte man die dunkle Masse des Weißen Vorgebirges unklar erkennen. Im Laufe des nächsten Vormittags erschienen dann die Höhen von Oran, und eine Stunde später umschiffte der Dampfer das Vorgebirge, an dessen Rückseite sich die Rhede von Mers-el-Kebir ausdehnt.
Weiterhin lag nach Backbord die Küste von Marokko mit den entfernten Bergkämmen, die die wildreiche Landschaft des Riff beherrschen. Am Horizonte erschien Tetuan in hellem Sonnenschein, und wenige Meilen im Westen Ceuta auf einem Felsen zwischen zwei Buchten, wie ein Fort, das den einen Flügel des Thores zum Mittelmeere regiert, während der Schlüssel zum andern in den Händen Englands ist. Jenseit der Meerenge erglänzte endlich die endlose Fläche des Atlantischen Oceans.
Vom marokkanischen Ufer stiegen bewaldete Gipfel empor. Jenseit Tanger, das hinter einer Windung seines Golfes liegt, schimmerten Villas durch das Baumgrün und leuchteten Marabuts so hell, daß es einem die Augen blendete. Auf dem Meere standen viele Segler in Erwartung geeigneten Windes, um in die Meerenge von Gibraltar einlaufen zu können.
Der »Catalan« hatte solche Verzögerungen nicht zu fürchten. Weder Wind noch Strömung, die man an ihrem eigenthümlichen Anschlag an die Küste erkannte, konnten gegen die mächtige Schraube aufkommen, und abends gegen neun Uhr wühlte diese mit ihren drei Blättern das Wasser des Atlantischen Oceans auf.
Der Frachtschiffer und Juhel plauderten auf dem Oberdeck, ehe sie sich einige Stunden der Ruhe gönnten. Natürlich kam ihnen der gleiche Gedanke, als der »Catalan«, nach Südwest steuernd, die äußerste Spitze Afrikas umschiffte – ein Gedanke des Bedauerns.
»Ja, mein Junge, begann Gildas Tregomain, es wäre viel hübscher gewesen, von der Meerenge aus nach Steuerbord, statt nach Backbord zu fahren. Wir würden dann Frankreich wenigstens nicht die Schuhabsätze zukehren...[268]
– Um wer weiß wohin zu fahren, fiel Juhel ein.
– Ja, Sapperment, Juhel, ich habe auch Angst davor, erwiderte der Frachtschiffer. Doch besser, man trägt sein Leiden mit Geduld. Man kommt ja von überallher einmal zurück.... Selbst vom leibhaftigen Teufel! In wenigen Tagen werden wir in Dakar und von da aus im Busen von Guinea schwimmen....
– Wer weiß, ob wir in Dakar sofort ein Fahrzeug finden. Regelmäßige Schiffsverbindungen giebt es von dort aus nicht. Wir könnten leicht wochenlang aufgehalten werden, und wenn mein Onkel sich etwa einbildet...
– Er bildet sich ohne Zweifel alles ein!
– daß es ihm so leicht werden würde, sein Eiland Nummer Zwei zu erreichen, so täuscht er sich sehr. Wissen Sie, woran ich denke, Herr Tregomain?
– Nein, mein Junge, doch wenn Du mir's sagen willst...
– Ich denke, mein Großvater, Thomas Antifer, hätte diesen verteufelten Kamylk-Pascha ruhig auf der Klippe von Jaffa sitzen lassen sollen....
– Aber, Juhel, den armen Mann...
– Hätte er ihn dort gelassen, so hinterließ der Aegypter dem Retter nicht seine Millionen, und wäre das unterblieben, so brauchte mein Onkel diesen nicht nachzulaufen und Enogate wäre schon meine Frau!
– Das ist freilich wahr, meinte der Frachtschiffer. Wärst Du aber an der Stelle Deines Großvaters gewesen, Juhel, Du hättest dem armen Pascha auch das Leben gerettet. Da sieh, fuhr er fort und wies, um dem Gespräch eine andre Wendung zu geben, nach einem leuchtenden Punkt zur Linken, welches Leuchtfeuer ist denn das?
– Das ist das Licht vom Cap Spartel,« antwortete der junge Kapitän.
Es war in der That jener Leuchtthurm, der, auf der Westspitze des afrikanischen Festlandes aufragend und von den verschiedenen Seestaaten Europas unterhalten, seinen Schein am weitesten von der Küste über das Meer hinauswirft.
Von der Fahrt des »Catalan« ist nichts weiter zu berichten. Er wurde von der Witterung auffallend begünstigt. Bei andauerndem Landwind konnte er der Küste stets in geringer Entfernung folgen. Das Meer erhob sich nur in glatten Wellen, und es gehörte die große Empfindlichkeit eines Ben Omar dazu, um bei so schönem Wetter irgendwie zu leiden.
Die ganze Küste blieb in Sicht, die Höhen von Meklnez, von Mogador, der Berg Thesal, der seine Umgebung um tausend Meter überragt, Tarudant und das Vorgebirge Dschuby, mit dem die marokkanische Küste abschließt.[269]
Gildas Tregomain hatte nicht die Genugthuung, die Canarischen Inseln zu sehen, denn der »Catalan« kam einige fünfzig Meilen von Fuerteventura, der nächsten der Gruppe, vorüber. Dagegen konnte er das Cap Bojador begrüßen, ehe er den Wendekreis des Krebses passierte.
Das Weiße Vorgebirge wurde am Nachmittage des zweiten Mai gepeilt, dann sah man am nächsten Morgen Portendik und endlich die Ufer von Senegal sich vor den Blicken der Reisenden ausbreiten.
Wie gesagt, wollten alle Passagiere nach Dakar, so daß der »Catalan« keine Unsache hatte, in Saint-Louis, dem Regierungssitze dieser französischen Colonie, einzulaufen.
Dakar scheint indeß eine größere maritime Bedeutung zu haben als Saint-Louis. Die meisten überseeischen Dampfer, die den Dienst auf der Linie von Rio de Janeiro in Brasilien und von Buenos-Ayres in der Republik Argentina versehen, gehen hier vor Anker, ehe sie über den Aequator steuern. Höchst wahrscheinlich fand Meister Antifer in Dakar also nachher Transportmittel, um nach Loango zu gelangen.
Endlich am 5. umschiffte der »Catalan« das berühmte Cap des Grünen Vorgebirges, das in derselben Breite wie die gleichnamigen Inseln liegt. Er kam um die dreieckige Halbinsel herum, die von der äußersten Spitze des afrikanischen Festlandes wie eine Flagge nach dem Atlantischen Meer hinaushängt, und der Hafen von Dakar erschien im hintern Winkel der Halbinsel, nach einer Fahrt von achthundert Lieues von dem, von Gildas Tregomain so bedauerten Algier.
Dakar ist zwar französisches Land, das dem Senegalgebiet Frankreichs gehört – und doch, wie fern, wie fern von Frankreich!
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