Achtes Capitel.
Worin gezeigt wird, daß es nicht gerathen ist, eine gewisse Art Passagiere an Bord eines afrikanischen Küstenschiffes aufzunehmen.

[279] Am folgenden Tag unterhielten sich im Schatten eines gewaltigen Baobab zwei Männer mit großer Lebhaftigkeit. Die Hauptstraße von Loango hinausgehend hatten sie sich durch großen Zufall getroffen und einander verwundert angesehen.[279]

Da rief der eine:

»Du... hier?

– Ja... ich!« hatte der zweite geantwortet.

Auf einen Wink des ersteren, der Saouk war, war ihm der zweite, ein Portugiese, namens Barroso, vor die Stadt hinaus gefolgt.

Wenn Saouk nicht die Muttersprache Barroso's beherrschte, so war dieser doch der Seiner Excellenz völlig mächtig, da er lange Zeit in Aegypten gelebt hatte. Man sieht, es waren zwei alte Bekannte. Barroso gehörte früher zu der Rotte von Uebelthätern, die Saouk unterhielt, als er auf allerlei Raub ausging und von der Polizei des Vicekönigs, Dank dem Einflusse seines Vaters Murad, des Neffen Kamylk-Paschas, sehr wenig belästigt wurde. Nach einigen Greuelthaten, die denn doch nicht ungeahndet bleiben konnten, war Barroso verschwunden. Zunächst nach Portugal, wo er seine verbrecherischen Gelüste zügeln mußte, heimgekehrt, hatte er Lissabon verlassen, um in einer Factorei von Loango Beschäftigung zu suchen. Jener Zeit beschränkte sich der, durch die Unterdrückung der Sclavenausfuhr fast vernichtete Handel der Colonie auf die Verfrachtung von Elfenbein, Palmenöl, Arachiden und Acajouholz.

Jetzt befehligte der Portugiese, der schon früher zur See gefahren war, ein verhältnißmäßig großes Küstenfahrzeug, die »Portalegre«, die für Rechnung der Händler im Lande hier- und dorthin segelte.

Barroso, ein Mann mit solchem Vorleben, einem Gewissen, das keine Scrupel kannte, einer Kühnheit, die er sich bei seinem früheren »Berufe« erwarb, war ganz der Mann, den Saouk brauchte, um seinen teuflischen Plan durchzuführen. Am Fuße des Baobab stehend, dessen Stamm zwanzig Männer kaum umspannen konnten – doch was war das gegen die berühmte Banane von Mascat? – konnten sie, ohne die Befürchtung, gehört zu werden, von einer, die Sicherheit des Meister Antifer und seiner Begleiter arg bedrohenden Sache sprechen. Nachdem sich die beiden ihren Lebenslauf kurz mitgetheilt, ging Seine Excellenz ohne Umschweife auf sein Ziel los. Hütete sich Saouk dabei auch klüglich, Barroso den hohen Werth des Schatzes zu verrathen, so reizte er doch dessen Habgier durch den Köder, daß hier ein hübsches Geld zu verdienen sei.

»Indeß, setzte er hinzu, da brauch' ich als Unterstützung einen entschlossenen, muthigen Mann....


Es handelt sich darum, vier Männer verschwinden zu lassen.« (S. 281.)
Es handelt sich darum, vier Männer verschwinden zu lassen.« (S. 281.)

– Sie kennen mich, Excellenz, antwortete der Portugiese, und wissen, daß ich vor keiner Aufgabe zurückschrecke.[280]

– Wenn Du Dich nicht verändert hast, Barroso....

– Nein, bestimmt nicht!

– So wisse denn, daß es sich darum handelt, vier Männer verschwinden zu lassen vielleicht auch einen fünften, wenn es mir rathsam erscheint, mich eines gewissen Ben Omar zu entledigen, für dessen Schreiber, namens Nazim, ich hier gelte.

– Einen mehr oder weniger, darauf kommt's nicht an! versicherte Barroso.[281]

– Dem braucht man auch nur das Lebenslicht auszublasen, so kräht kein Hahn mehr nach ihm.

– Wie wollen Sie die Sache anstellen?

– So höre meinen Plan, antwortete Saouk, nachdem er sich überzeugt hatte, daß ihn niemand belauschen konnte. Die Leute, um die es sich handelt, drei Franzosen, der Malouin Antifer, sein Freund und sein Neffe, ferner ein tunesischer Banquier namens Zambuco, sind nach Loango gekommen, um von einem Schatze Besitz zu ergreifen, der auf einem Eiland des Busens von Guinea verborgen ist....

– Wo?... Wo denn? forschte Barroso lebhaft.

– Im Gewässer der Bai von Ma-Yumba, erwiderte der Aegypter. Sie beabsichtigen, bis zu diesem Orte zu Lande längs der Küste hinzuziehen, und ich dachte, man könnte sie überfallen, wenn sie mit ihren Schätzen nach Loango zurückkehren, um hier das Packetboot von San Paolo zu erwarten, das sie nach Dakar zurückführen soll.

– Nichts leichter als das, Excellenz! rief Barroso. Ich verpflichte mich, ein Dutzend ehrbarer Abenteurer aufzutreiben, die immer nach einem guten Geschäfte lungern und sofort bereit sein werden, Ihnen – natürlich für einen bestimmten, anständigen Preis – zu Diensten zu sein.

– Daran hab' ich nicht gezweifelt, Barroso, und in diesem öden Lande muß der Streich wohl gelingen.

– Gewiß, Excellenz, doch hab' ich Ihnen etwas vortheilhafteres vorzuschlagen.

– So sprich.

– Ich befehlige hier ein Küstenschiff von hundertfünfzig Tonnen, die »Portalegre«, das gewöhnlich Waaren von einem Hafen zum andern befördert. Mein Schiff soll binnen zwei Tagen gerade nach Baracka du Gabon, etwas nördlich von Ma-Yumba, abgehen.

– Ei, rief Saouk, das ist ein Glücksumstand, den wir ausnützen müssen! Der Meister Antifer wird sich beeilen, an Bord Deines Schiffes zu gehen, um die Mühen und Gefahren einer Fußtour am Ufer hin zu vermeiden. Du setzest uns da in Ma-Yumba ab, schaffst Deine Fracht nach Gabon und holst uns bei der Rückfahrt ab. Dann, während wir wieder nach Loango segeln...

– Einverstanden, Excellenz!

– Wie viel Mann hast Du an Bord?[282]

– Zwölf.

– Bist Du ihrer sicher?

– Wie meiner selbst.

– Was schaffst Du nach Gabon?

– Eine Ladung Arachiden und außerdem sechs, von einem Handlungshause in Baracka gekaufte Elephanten, die dieses nach einer holländischen Menagerie befördern soll.

– Du sprichst wohl nicht französisch, Barroso?

– Nein, Excellenz....

– So vergiß auch nicht, daß ich hier dafür gelte, das weder zu sprechen, noch zu verstehen. Ich werde deshalb auch Ben Omar beauftragen, den Malouin wegen der Reise auf Deinem Schiffe fragen zu lassen; er geht ohne Zweifel ohne Zögern darauf ein.«

Daran war in der That nicht zu zweifeln, und so gewann es den Anschein, als ob die beiden Erben und die übrigen auf der Rückfahrt durch den Busen von Guinea für immer verschwinden sollten.

Das Verbrechen hätte auch niemand verhindern, und niemand die Uebelthäter zur Rechenschaft ziehen können.

Loango steht nicht unter portugiesischer Herrschaft, wie Angola und Benguela. Es ist eines der damals noch unabhängigen Königreiche des Congobeckens zwischen dem Gabon im Norden und dem Zaïre im Süden. Jener Zeit erkannten die eingebornen Könige vom Cap Lopez bis zum Zaïre die Oberherrschaft des Souveräns von Loango an und zahlten an ihn Tribut, meist in Gestalt von Sclaven – wie die von Cassange, Tomba Libolo und verschiedene Vasallen, die nur sehr kleine Gebiete regieren. An Rangstufen in dieser Negergesellschaft giebt es: zuerst die des Königs nebst Familie, dann die der Prinzen von Geblüt, d. h. die, die von einer Prinzessin geboren sind, welche ihnen allein ihren Rang übererben kann, ferner die Gatten der Prinzessinnen, die suzerän sind, weiter die der Priester und Fetische oder »Yangas«, deren erster, Chitome, göttliche Verehrung genießt, endlich die der Zwischenhändler, der Kaufleute u.s.w., d. h. die des eigentlichen Volkes.

Sclaven giebt es genug, eigentlich zu viele. Jetzt werden sie in Folge des europäischen Vertrages über die Abschaffung dieses Handels zwar nicht mehr nach auswärts verkauft, die Fürsorge für Menschenwürde und Freiheit war es aber wohl nicht, die zu jener Maßregel gedrängt hat. Das war wenigstens[283] nicht die Ansicht Gildas Tregomain's, der sich als guter Menschenkenner erwies, als er sagte:

»Wäre nicht der Rübenzucker erfunden worden und servierte man noch heute nur Rohrzucker zum Kaffee, so würde der Sclavenhandel wohl noch jetzt und für alle Zeit fortbestehen!«

Erfreute sich der König von Loango aber auch völliger Unabhängigkeit, so folgt daraus nicht, daß die Landwege genügend überwacht und die Reisenden gegen jede Gefahr geschützt gewesen wären. Entschieden hätte man ein günstigeres Land oder ein geeigneteres Meer zur Ausführung eines Verbrechens gar nicht finden können.

Solche Gedanken gingen auch Juhel durch den Kopf, wenigstens so weit es das Landgebiet anging. Sein halb geistesabwesender Onkel beunruhigte sich darum zwar gar nicht, Juhel sah aber der zweihundert Kilometer langen Wanderung längs der Küste bis Ma-Yumba mit großer Besorgniß entgegen und sprach sich gegen den Frachtschiffer auch darüber aus.

»Ja, was willst Du, mein Junge, meinte dieser, der Wein ist abgezapft, nun muß er auch getrunken werden!

– Von Mascat nach Sohar, bemerkte Juhel, war es hiergegen nur ein Spaziergang, und dazu befanden wir uns dort auch noch in guter Gesellschaft.

– Nun, Juhel, könnten wir nicht in Loango eine Karawane aus Eingebornen bilden?

– Diesen Mohrenköpfen trau' ich ebensoviel wie den Hyänen, Panthern, Leoparden und Löwen ihres Landes.

– O, hier giebt's so viele Raubthiere?...

– In Ueberfluß, ohne die Lentas, das sind sehr giftige Vipern, die Cobras zu zählen, die einem ihren Speichel ins Gesicht spritzen, und ohne die zehn Meter langen Boas...

– Eine hübsche Gegend, mein Junge! Wahrlich, einen bessern Platz hätte der vortreffliche Pascha nicht auswählen können. Und die Eingebornen...

– Sind ziemlich beschränkt, wie alle Congolesen, aber doch gescheut genug, um zu stehlen, zu rauben und die Narren zu ermorden, die sich in diese abscheuliche Gegend wagen.«

Bei diesen Besorgnissen Juhels, die auch Tregomain theilte, empfanden sie es als eine wirkliche Erleichterung, als Saouk durch Vermittlung Ben Omar's dem Meister Antifer und dem tunesischen Banquier jenen Portugiesen Barroso[284] vorstellen ließ; das versprach, sie unendlichen Mühen und großen Gefahren zu entheben. Da Juhel doch kaum argwöhnen konnte, daß die beiden Schurken von früher her bekannt waren, erweckte das Angebot in ihm keinerlei Verdacht. Die Hauptsache blieb doch, daß die kleine Gesellschaft zu Wasser und – bei der herrschenden schönen Witterung – binnen zwei Tagen nach Ma-Yumba kommen sollte. Barroso wäre dann nach Baracka gesegelt, hätte sie mit dem Schatze später wieder abgeholt, nach Loango zurückbefördert, und von dort brachte sie endlich das nächste Packetboot nach Marseille.... Nein, günstiger hatten sich die Verhältnisse für Pierre-Servan-Malo niemals gestalten können, wenn für das Küstenschiff auch ein guter Preis zu zahlen war.

Zwei Tage mußten sie in Loango warten, bis das halbe Dutzend aus dem Binnenlande kommender Elephanten an Bord der »Portalegre« geschafft war. Gildas Tregomain – der sich überall zu unterrichten suchte – und Juhel spazierten inzwischen durch den Flecken, die »Banga«, wie die Congolesen sagen.

Loango oder Buala, die alte Stadt mit einem Umfange von etwa viereinhalb Kilometer, ist inmitten eines Palmenwaldes erbaut. Sie besteht nur aus einer Anzahl Factoreien, die von »Chirubeks«, das sind aus Raphiastengeln errichtete und mit Papyrusblättern überdachte Hütten, umgeben sind. Alle Handelsvölker haben hier ihre Comptoire. Doch wie viel neues gab's hier für den Frachtschiffer! Die Bretonen an der Rance ähneln kaum den halbnackten, mit Bögen, hölzernen Säbeln und gekrümmten Beilen bewaffneten Eingebornen von Loango. Der in einer alten, lächerlichen Uniform steckende König erinnert nur sehr entfernt an den würdigen Präfecten von Ille-et-Villaine. Die Ortschaften zwischen Saint-Malo und Dinan zeigen keine von riesigen Cocospalmen beschatteten Hütten. Endlich pflegen die Malouins keine Vielweiberei, wie die faulen Congolesen, die alle schweren Arbeiten den Frauen überlassen und sich hinlegen. wenn jene erkrankt sind. Der Boden der Bretagne kommt freilich dem von Loango nicht gleich. Hier genügt es, das Ackerland oberflächlich umzuwenden, um die reichsten Ernten zu erzielen, den »Manfrigo«, eine Riesenhirse mit bis zu einem Kilogramm schweren Aeren, den »Holcus«, der ohne jede Nachhilfe gedeiht, den »Luco«, der zur Brodbereitung dient, den Mais, der jährlich drei Ernten liefert, den Reis, die Pataten, den Maniac, den »Tamba«, eine Art Pastinaken, die »Isanguis« oder Linsen, den Tabak, in sumpfigen Gegenden das Zuckerrohr und in der Nachbarschaft des Zaïre den Wein, der einst von den Canarien und von Madeira aus hier eingeführt wurde, die Feigen,[285] die Bananen, die »Mambrochas« oder Orangen, die Citronen, Granatäpfel, die »Cudes«, das sind Früchte in der Form von Tannenzapfen, die eine mehlige Substanz enthalten, die »Neubanzams«, eine Art bei den Negern sehr beliebter Nüßchen, und die Ananas, die ganz wild wachsen.

Und dann die ungeheuern Bäume, die Wurzelträger (Leuchterbäume), die Santelbäume, Cedern, Tamarinden, Palmen, die vielen Baobabs, von denen man eine vegetabilische Seife und ein von den Negern sehr begehrtes Fruchtmark gewinnt.

Dazu die bunte Menge von Thieren, von Schweinen, Ebern, Zebras, Büffeln, Ziegen, Gazellen, Antilopenheerden, von Elephanten, Mardern, Zobeln, Schakalen, Unzen (das sind kleine Panther), Stachelschweinen, fliegenden Eichhörnchen, wilden Katzen, Tigerkatzen, ohne die unzähligen Arten von Affen, Schimpansen und kleinen »Löwenäffchen« mit langem Schwanze und bläulichem Gesicht, von Straußen, Pfauen, Krammetsvögeln, grauen und rothen Rebhühnern, eßbaren Heuschrecken, Bienen, endlich von Muskitos, »Canzos«, und von Schnaken und von Mücken mehr, als man sich wünschte. Ein erstaunliches Land, und aus welch unerschöpflicher Quelle hätte Gildas Tregomain schöpfen können, wäre es ihm vergönnt gewesen, hier Naturgeschichte zu studieren!

Man kann getrost behaupten, daß weder Meister Antifer noch der Banquier Zambuco hätte sagen können, ob Loango von Weißen oder von Schwarzen bevölkert sei. Ihre Augen blickten ganz anderswo hin. Sie suchten in der Ferne, mehr im Norden, eine unsichtbare Stelle, einen ganz einzigen Punkt der Erde, eine Art ungeheuern Diamanten mit verzauberndem Glanze, der Tausende von Karats wog und Millionen von Francs werth war. Ach, wie drängte es sie, den Fuß auf dieses Eiland Nummer Zwei zu setzen, auf das endliche Ziel ihrer abenteuerlichen Reise!

Am 22. Mai war das Fahrzeug mit Sonnenaufgang zum Absegeln fertig. Die am Abend vorher eingetroffenen Elephanten waren mit der so großen Herren schuldigen Sorgfalt eingeschifft worden. Prächtige Thiere, die einem Circus Renz Ehre gemacht hätten. Natürlich waren sie im Laderaume des breiten Schiffes untergebracht worden.

Vielleicht war es etwas unklug, ein Fahrzeug von nur hundertfünfzig Tonnen mit solchen Massen zu belasten, die sein Gleichgewicht in Gefahr bringen konnten. Juhel äußerte sich in diesem Sinne auch gegen den Frachtschiffer. Das Küstenschiff war jedoch ziemlich breit gebaut und hatte nur geringen Tiefgang, um[286] auch über seichtes Wasser ans Land gehen zu können. Es trug zwei weit von einander abstehende Masten mit viereckigen Segeln, denn ein Fahrzeug dieser Art kommt nur bei Rückenwind gut vorwärts, und wenn es nicht schnell läuft, so ist es wenigstens so construiert, um angesichts der Küste sicher zu segeln.

Jetzt war überdies das Wetter sehr schön. In Loango, wie in ganz Guinea, beginnt die Regenzeit im September und endigt bei aufspringenden Nordwestwinden etwa Mitte Mai. Wenn es dann bis zum September schön bleibt, so herrscht dafür eine unerträgliche, auch durch den reichlichen Thau der Nacht kaum gemilderte Hitze. Seit ihrer Einschiffung schmolzen unsre Reisenden sozusagen zusammen. Ueber vierunddreißig Centigrade im Schatten! Nach manchen, freilich nicht recht glaubwürdigen Berichterstattern, die mit dem seligen Münchhausen verwandt sein mochten, sollen die Hunde hier zu Lande immer gezwungen sein zu springen, um sich an dem glühenden Boden nicht die Pfoten zu verbrennen, auch fände man hier zuweilen Eber gleich gesotten in ihrer Bucht. Gildas Tregomain war nahe daran, solche Geschichtchen für baare Münze hinzunehmen.....

Gegen acht Uhr früh ging die »Portalegre« unter Segel. Passagiere, Menschen und Elephanten, waren vollzählig da, immer die bekannten Gruppierungen: Meister Antifer und Zambuco, mehr als je hypnotisiert von jenem Eiland Nummer Zwei, bei dessen Signalisierung durch den Ausguck ihnen gewiß ein schwerer Stein vom Herzen fiel; Gildas Tregomain und Juhel, von denen der eine die Meere Afrikas um des bretonischen Gewässers und des Hafens von Saint-Malo willen vergaß, und der andre nichts andres zu thun hatte, als sich durch Einathmung der Brise zu erfrischen, und Saouk und Barroso, die mit einander plauderten, was ja nicht auffallen konnte, da sie die gleiche Sprache sprachen und das Fahrzeug dem Meister Antifer nur in Folge ihres Zusammentreffens zur Verfügung gestellt worden war.

Die Mannschaft bestand aus einem halben Dutzend Kerlen von mehr oder weniger portugiesischem, doch jedenfalls abschreckendem Aussehen. Bemerkte das der in seine Gedanken versunkene Onkel auch nicht, so theilte doch der Neffe den Eindruck den jene auf ihn machten, dem Frachtschiffer mit.


Eine unerschöpfliche Quelle, aus der Gildas Tregomain Naturgeschichte hätte studieren können. (S. 286.)
Eine unerschöpfliche Quelle, aus der Gildas Tregomain Naturgeschichte hätte studieren können. (S. 286.)

Dieser meinte, bei einer solchen Hitze sei es gewagt, die Leute nach der äußern Erscheinung zu beurtheilen, und wenn sich's um ein afrikanisches Fahrzeug handle, dürfe man nicht so hohe Ansprüche machen.


Die Panther und Löwen, die durch das Dickicht trotteten. (S. 291.)
Die Panther und Löwen, die durch das Dickicht trotteten. (S. 291.)

Bei dem eben wehenden Winde mußte die Fahrt längs der Küste herrlich werden. Portentosa Africa! würde Gildas[287] Tregomain gerufen haben, wenn er das pompöse Epitheton gekannt hätte, mit dem einst die Römer diesen Erdtheil begrüßten. Wahrlich, wäre ihr Geist nicht ganz wo anders gewesen, so müßten Meister Antifer und seine Gefährten, als sie z.B. an der Factorei Chilln vorüberkamen, die Naturschönheiten dieser Küste rückhaltlos bewundert haben. Der Frachtschiffer allein sah sich um wie Einer. der Erinnerungen von seiner Reise mit nach Hause bringen will. Was hätte man sich aber auch Entzückenderes vorstellen können, als diese Reihe tiefgrüner Wälder auf den ersten Bodenwellen, da und dort überragt von prächtigen Berghöhen,den »Strauch«, um die weiter landeinwärts zarte Dunstschleier wogten. Von Meile zu Meile zeigt das Ufer Einschnitte, um einer Wasserader aus dichten Waldmassen, unter denen selbst die Tropensonne sie nicht auszutrocknen vermag, den Austritt zu gestatten. Das ganze Wasser derselben gelangt freilich nicht bis zum Meere. Zahlreiche Vögel, Pfauen, Strauße, Pelikane und Taucherenten, die hier umherschwärmen, trinken manchen Tropfen davon weg. Daneben kommen ganze Heerden schlanker Antilopen heran und große Gesellschaften von »Empolangas« (Elennthiere vom Cap) löschen ihren Durst aus den Flüssen. Dort wälzen sich darin wieder ungeheure Dickhäuter herum, die gleich eine Tonne des klaren Wassers verschlucken können, plumpe Flußpferde, die von weitem röthlichen Schweinen ähneln und deren Fleisch von den Eingebornen, wie es scheint, nicht verachtet wird.

Gildas Tregomain bemerkte auch gegen Meister Antifer, neben dem er auf dem Verdeck stand:

»Gelt, alter Freund, solche Hyppopotamussüße mit Erbsbrei... könnte Dich das nicht locken?«

Pierre-Servan-Malo begnügte sich mit einem Achselzucken und warf dem Frachtschiffer einen jener Blicke zu, die gar nichts sagen.

»Er versteht mich schon nicht mehr!« murmelte Gildas Tregomain, dessen Taschentuch ihm als Fächer diente.

Am Rande der Küste bemerkte man auch Affengesellschaften, die heulend und zähnefletschend von Baum zu Baum sprangen, wenn sich die »Portalegre« ihnen einmal mehr näherte.

Um die genannten Vögel und Thiere hätten sich unsre Reisenden bei einer Fußwanderung von Loango nach Ma-Yumba gewiß keine Sorge gemacht. Eine ernsthafte Gefahr aber bilden die Panther und Löwen, die da und dort durch das Dickicht trotteten – wunderbar geschmeidige Thiere, denen zu begegnen nicht rathsam ist. Gegen Abend drang das heisere Gebrüll, das verdächtige Bellen bei sonstiger auffallender Stille wie das Grollen fernen Sturmes bis zum Schiffe herüber. Die Elephanten im Raume wurden dadurch unruhig und trampelten herum, daß der ganze Rippenbau der »Portalegre« erzitterte. Entschieden bildeten sie eine etwas beunruhigende Fracht für die Passagiere.

Vier Tage gingen in dieser Weise hin. Nichts unterbrach die Einförmigkeit der Ueberfahrt. Das Meer lag bei dem Prachtwetter so glatt da, daß selbst Ben Omar kein Unwohlsein verspürte. Kein Rollen, kein Stampfen und[291] obwohl in der Tiefe schwer belastet, folgte die »Portalegre« kaum den langen Hebungen und Senkungen des Wassers, die als leichte Brandung über das Ufer ausliefen.

Der Frachtschiffer hätte nimmer geglaubt, daß eine Fahrt auf dem Meere so friedlichstill verlaufen könnte.

»Das kommt einem ja vor, als wäre man auf der »Charmante Amélie« zwischen den Ufern der Rance, sagte er zu seinem jungen Freunde.

– Jawohl, erwiderte Juhel, doch mit dem Unterschiede, daß auf der »Amélie« kein Kapitän wie dieser Barroso und kein Passagier wie dieser Nazim war, dessen Intimität mit dem Portugiesen mir mehr und mehr verdächtig erscheint.

– Ach, was sollten sie denn besondres ausklügeln, mein Junge? antwortete Gildas Tregomain. Das wäre etwas spät, denn nun müssen wir doch bald am Ziele sein.«

Als am 27. Mai mit Sonnenaufgang das Cap Banda umschifft war, befand sich das Fahrzeug in der That nur noch zwanzig Meilen von Ma-Yumba. Das erfuhr Juhel durch Vermittelung Ben Omar's, der es selbst von Saouk hörte, welcher Barroso darum gefragt hatte.

Am Abend sollte man also in dem kleinen Hafen des Loangostaates eintreffen. Schon wich die Küste hinter der Matootispitze zurück und bildete eine breite Bai, in deren Hintergrunde die Ortschaft selbst sich versteckt. Wenn das Eiland Nummer Zwei existierte, wenn es die nach der letzten Angabe berechnete Stelle einnahm, so mußte man es in dieser Bai aufsuchen.

Meister Antifer und Zambuco starrten schon unausgesetzt durch ihr Fernrohr, dessen Ocular sie immer und immer wieder abputzten.

Leider hatte sich der Wind fast ganz gelegt. Das Fahrzeug kam höchstens noch zwei Knoten in der Stunde vorwärts.

Gegen ein Uhr war die Matootispitze umschifft. Ein Freudenschrei an Bord! Die zukünftigen Schwäger hatten gleichzeitig eine Reihe Inselchen in der Bai entdeckt. Gewiß gehörte das von ihnen gesuchte zu diesen Eilanden. Doch welches war es? Das sollte morgen durch eine Sonnenbeobachtung festgestellt werden.

Fünf bis sechs Meilen östlich erschien Ma-Yumba auf seiner Sandspitze zwischen dem Meere und dem Sumpfe von Banya, mit seinen Factoreien und blendend weißen Häusern zwischen den Bäumen. Am Strande glitten einige[292] Fischerbarken gleich großen weißen Vögeln umher. Doch welche Ruhe herrschte in dieser Bai! Ein Boot hätte nicht regungsloser auf einem See – was sagen wir? – auf einem Teiche oder einer Fläche Oel liegen können. Der Widerschein der fast senkecht herabschießenden Sonnenstrahlen zitterte in der warmen Luft. Gildas Tregomain »rieselte« wie ein Springbrunnen in einem königlichen Park, wenn alle Künste spielen.

Die »Portalegre« kam, Dank einigen schwachen Windstößen aus Westen, näher heran. Die Eilande der Bai traten deutlicher hervor. Sechs oder sieben, schwammen sie gleich Blumenkörben auf dem Wasser.

Um sechs Uhr abends befand sich das Fahrzeug ihnen gegenüber. Meister Antifer und Zambuco wichen nicht mehr vom Vordertheile. Saouk, der sich etwas vergaß, konnte seine Ungeduld nicht mehr bezwingen und rechtfertigte durch sein Verhalten Juhels Verdacht nur noch weiter. Die drei Männer verschlangen das erste dieser Eilande geradezu mit den Augen, als erwarteten sie, aus seiner Seite eine Garbe von Millionen wie aus einem goldnen Krater hervorbrechen zu sehen.

Hätten sie freilich gewußt, daß das Eiland, in dessen Eingeweiden Kamylk-Pascha seinen Schatz verborgen hatte, aus nacktem, baum- und strauchlosem Felsgestein bestand, so würden sie jedenfalls gerufen haben:

»Nein!... Das hier ist es noch nicht!«

Seit 1831, d. h. im Laufe von einundreißig Jahren, konnte die Natur genanntes Eiland freilich längst mit dichtem Grün bedeckt haben.

Friedlich, die Segel vom leisen Abendwinde kaum geschwellt, glitt das Fahrzeug neben ihm hin, um seine Nordspitze zu umschiffen. Schlief die Brise ganz ein, so sah man sich genöthigt, Anker zu werfen und den Tag abzuwarten.

Da ließ sich plötzlich neben dem Frachtschiffer, der auf der Regeling des Steuerbords lehnte, ein klagendes Seufzen vernehmen.

Gildas Tregomain drehte sich um.

Das Seufzen rührte von Ben Omar her.

Der Notar ist bleich, bläulich im Gesicht, seine Lippen zucken... er ist seekrank.

Bei einem so ruhigen Wetter, so spiegelglatten Wasser?

Ja, und es ist fast kein Wunder zu nennen, daß das arme Männchen jämmerlich erkrankt ist.[293]

Das Fahrzeug ist nämlich in unangenehmes und ganz unerklärliches Rollen gekommen, d.h. es schwankt von einer Langseite zur andern fühlbar auf und ab.

Die Mannschaft rennt nach vorn... nach hinten. Der Kapitän Barroso läuft herzu.

»Was giebt es denn? fragt Juhel.

– Was ist denn los?« fragt Tregomain.

Handelt es sich um eine unterseeische Eruption, deren Stöße die »Portalegre« zum kentern zu bringen drohen?...

Doch weder Meister Antifer, noch Zambuco oder Saoukscheinen überhaupt etwas zu bemerken.

»Ah... die Elephanten!« ruft Juhel.

Richtig, die Elephanten waren's, die dieses Rollen erzeugten. Durch eine unerklärliche Laune sind sie darauf verfallen, sich abwechselnd auf die Vorder- und auf die Hinterbeine zu stellen. Dadurch bringen sie das Schiff in furchtbares Schwanken, das ihnen zu gefallen scheint, wie dem Eichhörnchen sein Rundlauf im Rollkäfig. Doch welche Eichhörnchen, diese riesigen Dickhäuter!

Das Rollen wird immer stärker, die Regeling taucht ins Wasser, das Fahrzeug droht sich einmal über Back- und dann wieder über Steuerbord mit Wasser anzufüllen....

Barroso stürzt mit einigen seiner Leute in den Laderaum. Sie versuchen die tollen Thiere zu beruhigen.

Vergebens. Den Rüssel schwingend, mit den Ohren klappend und mit dem Schweif wedelnd, schaukeln sich die Elephanten lustig weiter, die »Portalegre« rollt... rollt... rollt und das Wasser rauscht im Schwall über Bord.

Jetzt dauerte es nicht lange: Binnen zehn Minuten hatte das Meer den Laderaum gefüllt und das Küstenschiff sank unter, während allmählich das Geschrei der unklugen Rüsselthiere verstummte.[294]

Quelle:
Jules Verne: Meister Antiferߣs wunderbare Abenteuer. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXV–LXVI, Wien, Pest, Leipzig 1895, S. 279-289,291-295.
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