Zweites Capitel.
Camdleß-Bay.

[21] Camdleß-Bay, so lautete der Name der Pflanzung, welche James Burbank gehörte. Hier wohnte der reiche Colonist mit seiner ganzen Familie. Der Name Camdleß rührte von einer der Buchten des Saint-John her, die sich ein wenig stromaufwärts von Jacksonville und am entgegengesetzten Ufer des Flusses öffnet. In Folge ihrer nahen Lage ward der Verkehr mit dieser Stadt Floridas sehr erleichtert. Ein gutes Boot brauchte bei Nord- oder Südwind, wenn es zum Hinwege die Ebbe und zum Rückwege die Fluth benützte, nicht mehr als eine Stunde, um die drei Meilen zurückzulegen, welche Camdleß-Bay von dem Hauptorte der Grafschaft Duval trennten.

James Burbank nannte eine der schönsten Besitzungen des Landes sein. Reich von Geburt und durch seine weitere Familie, gehörten zu seinem Vermögen[21] auch noch ausgedehnte Ländereien im Staate New-Jersey, der an den Staat New-York grenzt.

Diese Niederlassung am rechten Ufer des Saint-John war sehr glücklich gewählt, um daselbst eine Pflanzung von sehr beträchtlichem Werthe zu gründen. Zu den schon von Natur glücklichen Unterlagen hatte die Menschenhand kaum etwas hinzuzufügen. Der Grund und Boden eignete sich von selbst zur erfolgreichen Ausnützung in größtem Maßstabe. So zeigte auch die Pflanzung von Camdleß-Bay unter der Leitung eines intelligenten, thätigen Mannes im kräftigsten Alter, den neben zahlreichem geübten Personal auch reiche Capitalien unterstützten, das Bild des vollkommensten, blühendsten Gedeihens.

Bei einem Umfange von zwölf (englischen) Meilen umfaßte die Besitzung einen Flächeninhalt von viertausend Acres (= etwa dreitausend Hektar). Wohl gab es deren noch größere in den Südstaaten der Union, gewiß aber nirgends besser eingerichtete und verwaltete Besitzungen. Wohngebäude, Häuser für das Dienstpersonal, Schuppen, Ställe, Wohnstätten für die Sclaven, Wirthschaftsgebäude, Scheuern zur Aufspeicherung der Bodenerzeugnisse, Tennen zu deren weiterer Bearbeitung, Ateliers und Werkstätten, Schienenwege, welche von der Grenzlinie der Pflanzung nach einem kleinen Einschiffungshafen zusammenliefen, Straßen, Wege u. s. w. – Alles war mit Rücksicht auf die praktischen Bedürfnisse bestens vorgesehen und in Stand gehalten. Daß es ein Amerikaner aus dem Norden gewesen, der alle diese Anordnungen entworfen, überwacht und ausgeführt hatte, erkannte man auf den ersten Blick. Nur die Niederlassungen ersten Ranges in Virginia und vielleicht in Nord- und Südcarolina hätten der Besitzung von Camdleß-Bay an die Seite gestellt werden können. Der Grund und Boden der Pflanzung enthielt übrigens Highs-hummoks, das ist hochgelegenes Land, welches sich von Natur zum Anbau von Getreidearten eignet; ferner »Low-hummoks«, das sind Niederungen, in denen der Kaffee- und Cacaobaum vorzüglich gedeiht, und endlich »Marshs«, das sind eine Art sumpfiger Ebenen, auf denen mit Vortheil Reis und Zuckerrohr gezogen wird.

Bekanntlich gehört die Baumwolle von Georgia und Florida zu den geschätztesten Sorten auf den Märkten Europas und Amerikas, ein Vorzug, den sie der Länge und der Feinheit ihrer Fasern verdankt. Die Baumwollfelder mit ihren in regelmäßig verlaufenden Linien gepflanzten Stäben, ihren zartgrünen Blättern und den gelben Blüten, die an das Blaßgelb mancher Malven erinnern, bildeten auch eine der bedeutendsten Einkunftsquellen der Besitzung. Zur Zeit[22] der Ernte bedeckten sich diese, je einen bis anderthalb Acre (etwa vierzig bis sechzig Ar) enthaltenden Feldabtheilungen mit Hütten, in welchen dann mit Weib und Kind die Sclaven Unterkunft fanden, die mit dem Abschneiden der Samenkapseln und dem Ausziehen der Baumwolle (sammt den Kernen) aus den Hülsen, beschäftigt sind – übrigens eine ziemlich schwierige Arbeit, da die sich leicht zerbröckelnden Hülsen unversehrt bleiben müssen, weil sie sonst von den sei nen Fasern kaum wieder zu entfernen sind. Die an der Sonne getrocknete Baumwolle wird dann durch Mühlen mit Zahnrädern und Walzen, welche die noch darin befindlichen Kerne ausscheiden, gereinigt, mittelst hydraulischer Pressen fest zusammengedrückt, in Ballen mit Eisenreifen verpackt und so bis zur endlichen Ausfuhr aufgespeichert. Segelschiffe und Dampfer konnten dann diese Ballen im eigenen Hafen von Camdleß-Bay verladen.

Neben seinen Baumwollplantagen cultivirte James Burbank auch ausgedehnte Kaffee- und Zuckerrohrpflanzungen. Die ersteren bildeten Quartiere von tausend bis zwölfhundert, fünfzehn bis zwanzig Fuß hohen baumartigen Büschen, deren etwa kirschengroße Früchte je zwei Körner enthalten, welche nur ausgenommen und getrocknet werden. Die anderen erschienen mehr als eine Art Prairien – man könnte fast sagen, Sümpfe – mit neun bis zehn Fuß hohen Rohrstengeln, deren Wipfel sich hin und her wiegten, wie die Helmbüsche auf dem Marsche befindlicher Reiterhorden. In Camdleß-Bay wendete man diesen Pflanzen besondere Sorgfalt zu. Das gereifte Zuckerrohr lieferte den Zucker in Form eines süßen Saftes, den die in den Vereinigten Staaten vorzüglich entwickelte Raffinerie in gereinigten festen Zucker verwandelte; aus den Rückständen wurden dann noch die Syrups hergestellt, welche zur Bereitung des Tafias oder Rums dienen, und der Zuckerrohrwein, eine gegohrene Mischung des frisch ausgepreßten Saftes mit Ananas- oder Orangensaft.


»Da bin ich, Dy!... Ich komme! (S. 20.)
»Da bin ich, Dy!... Ich komme! (S. 20.)

Obwohl diese Cultur sich an Umfang mit der der Baumwolle nicht messen konnte, war sie doch sehr einträglich. Einige Gehege von Cacaobäumen, Felder mit Mais, Yams, Bataten, türkischem Weizen, Tabak und zwei- bis dreihundert Acres mit Reis trugen daneben noch ihren Theil zu den Erträgnissen der Musterpflanzung James Burbank's bei.

Noch ein anderer Betriebszweig lieferte jedoch einen Gewinnstantheil, der jenem von der Baumwollencultur ebenbürtig war, die Urbarmachung des unerschöpflichen Waldbestandes nämlich, der viele Acres der Pflanzung bedeckte. Ohne hier von den Erzeugnissen der Zimmet-, Pfeffer- und Orangen-, der[23] Citronen-, Feigen-, Mango- und Brotbäume zu reden, so wenig wie von den reichen Ernten fast aller europäischen Obstarten, welche in Florida aufs trefflichste gedeihen, wurden diese Wälder auch einer geregelten, aber unausgesetzten Abholzung unterworfen. Da gab es wahre Reichthümer von Campecheholz, Gazumas oder mexikanischen Ulmen, welche jetzt so mannigfaltige Verwendung finden, von Baobabs (Affenbrotbäumen), von Korallenholz mit blutrothem Stamm und ebenso gefärbten Blüthen, von Pfirsichen, gelbblüthigen Maronen- und schwarzen Wallnußbäumen, von Steineichen, australischen[24] Fichten, die ein vorzügliches Material für Zimmerarbeiten und Schiffsmasten liefern; von wilden Cacaobäumen, deren reife Samenkapseln die heiße Sonne des Südens gleich Petarden aufspringen macht; von Tannen, Tulpenbäumen, Weiden, Cedern und vor Allem von Cypressen, dem Baume, der auf der ganzen Halbinsel so ungeheuer häufig vorkommt, daß er oft Wälder von sechzig bis hundert Meilen Länge bildet.


Baumwollen-Ernte auf Camdleß-Bay. (S. 23.)
Baumwollen-Ernte auf Camdleß-Bay. (S. 23.)

James Burbank hatte sich deshalb veranlaßt gesehen, an verschiedenen Punkten der Niederlassung größere Sägemühlen zu errichten. Quer durch einige Rios und kleinere Zuflüsse des Saint-John hatte[25] er Wehre angelegt, welche deren friedlichen Lauf da und dort zu Wasserfällen umgestalteten, die nun wiederum genug mechanische Kraft zur Bearbeitung der Balken, Bohlen und Bretter lieferten, mit denen wohl hundert Schiffe alljährlich hätten voll beladen werden können.

Wir dürfen auch nicht vergessen, der weiten, fetten Prairien zu erwähnen, welche Pferde, Maulesel und zahlreiches Nutzvieh ernährten, dessen Producte allen Bedürfnissen des Herrenhauses und der Landwirthschaft genügten.

Was das Geflügel angeht, so gab es davon so viele verschiedene Arten, welche theils die Wälder bewohnten, theils auf den Feldern und Wiesengründen nisteten, daß man sich schwer eine Vorstellung machen kann, in welchem Maße dasselbe in Camdleß-Bay – wie übrigens in ganz Florida – vertreten war. Ueber den Waldungen zogen ihre Kreise weißköpfige Adler mit sehr großer Flügelspannweite, deren scharfer Schrei dem Tone einer zersprungenen Trompete ähnlich ist; Geier von außerordentlicher Wildheit und Blutgier neben Riesen-Rohrdommeln, mit spitzigem, fast einem Bayonnet gleichenden Schnabel. Am Flusse selbst und zwischen dem üppig aufgeschossenen Schilfrohr des Ufers, wie unter dem Gewirr riesiger Bambusstengel, bargen sich rosen- oder scharlachrothe Flamingos, blendend weiße Ibisse, von denen man zu sagen versucht war, sie seien eben erst von einem alten Denkmale Aegyptens weggeflogen; ferner Pelikane von überraschender Größe; Myriaden von Wasser- und Seeschwalben; sogenannte Krebsfresser mit grünem, pelzähnlichem Gefieder und einem Schopf auf dem Kopfe; Courlans mit purpurrothen Deckfedern und braunem, weißgetüpfeltem Flaum; Glanzvögel; Taucherkönige mit goldigen Reflexen, überhaupt eine ganze Welt von Tauchervögeln, wie Wasserhühner, sogenannte »Widgeons-Enten«, zur Gattung der Pfeifer gehörig; Kriechenten, Regentaucher, ohne die Sturmvögel, die Wasserscheerer zu zählen, so wenig wie die Kreuzschnäbel, Seeraben, Möven, die Spitzschwänze, welche jeder Windstoß bis über den Saint-John hinuntertrieb, und manchmal zeigten sich dazu auch noch Exoceten oder fliegende Fische, eine gute Prise für verschiedene Wasserraubvögel. Ueber die Prairien hinweg flatterten Wasser- und gewöhnliche Schnepfen, Courlis und marmorirte Leimschnepfen, Sultanhühner mit rothem, blauem, grünem gelbem und weißem Gefieder, gleich fliegenden Paletten, ferner Halskrausenhähne und Rebhühner, sowie Tauben mit weißem Kopfe und rothen Füßen. Was eßbare Vierfüßler angeht, so gab es langschwänzige Hafen, etwa Verbindungsglieder zwischen den Kaninchen und den Hafen Europas, und vorzüglich Damwild[26] in ganzen Rudeln; endlich sogenannte Racons oder Waschbären, Schildkröten, Ichneumons; aber freilich lauerten hier auch mehr als genug recht giftige Schlangen. Das waren also die Vertreter des Thierreiches in der herrlichen Niederlassung von Camdleß-Bay – ohne die Neger männlichen und weiblichen Geschlechts zu zählen, welche für den großartigen Betrieb nöthig waren. Denn was macht – um unsere auffallende Nebeneinanderstellung zu rechtfertigen – die ungeheuerliche Gewohnheit der Sclaverei aus diesen armen Menschen anderes als Thiere, welche gleich Saumthieren ge- oder verkauft werden?

Wie kam es aber, daß James Burbank, ein Parteigänger der Doctrin der Antisclaverei, ein Nordstaatler, der nur den Triumph des Nordens erwartete, die Sclaverei in seiner Pflanzung noch nicht aufgehoben hatte? Würde er zögern das zu thun, sobald die Umstände es gestatteten? Nein, gewiß nicht! Es war das auch nur noch eine Frage von Wochen, vielleicht von Tagen, da die föderalistische Armee schon einige Punkte des benachbarten Staates besetzt hatte und sich zu einem Einfall nach Florida bereitete.

James Burbank hatte übrigens in Camdleß-Bay schon alle Maßnahmen getroffen, welche das Loos seiner Sclaven erleichtern konnten. Auf der Pflanzung befanden sich gegen siebenhundert Schwarze beiderlei Geschlechts, welche in geräumigen, sorgsam unterhaltenen Baracken wohnten, genügend Nahrung erhielten und nie über ihre Kräfte zu arbeiten hatten. Dem Oberaufseher der Pflanzung, wie allen Unteraussehern, war anbefohlen, dieselben mit Gerechtigkeit und Milde zu behandeln. Alle Anforderungen wurden dabei bestens erfüllt, obwohl körperliche Züchtigungen in Camdleß-Bay grundsätzlich ausgeschlossen blieben. Das bildete einen auffallenden Unterschied mit den meisten übrigen Pflanzungen Floridas und ein System, welches seitens der Nachbarn James Burbank's nicht ohne Mißgunst angesehen wurde. Es erklärt sich, daß solche Verhältnisse Letzterem hierzulande eine schwierige Stellung bereiten mußten, vor allem gerade jetzt, wo das Loos der Waffen die Frage der Sclaverei entscheiden sollte.

Das zahlreiche Personal der Pflanzung war in gesunden und bequemen kleinen Häuschen untergebracht. Zu Gruppen von je fünfzig vereinigt, bildeten dieselben zehn Weiler oder Barackenlager, die sich längs fließender Gewässer hinzogen. Hier lebten die Schwarzen mit ihren Frauen und Kindern. Jede Familie war, soweit sich das thun ließ, mit einerlei Arbeit in den Feldern, den Wäldern oder Werkstätten beschäftigt, um deren Mitglieder auch während der Arbeitsstunden so wenig als möglich von einander zu trennen. An der Spitze[27] jener Weiler stand je ein Unteraufseher, eine Art Geschäftsführer, um nicht zu sagen Gemeindevorstand, welcher die Angelegenheiten der ihm direct Untergebenen leitete und selbst wieder der Centralstelle dieses Staates im Kleinen verantwortlich war. Diese Centralstelle bildete das Herrenhaus von Camdleß-Bay, das von einer Umwallung hoher Palissaden umschlossen wurde, deren dicht aneinanderschließende, lothrecht stehende Planken sich zur Hälfte unter dem Grün der üppigen Vegetation verbargen. Hier erhob sich also die Privatwohnung der Familie Burbank.

Halb Haus, halb Schloß, hatte diese Wohnung den ihr mit Recht zukommenden Namen Castle-House erhalten.

Schon seit einer Reihe von Jahren gehörte Camdleß-Bay den Vorfahren James Burbank's. Zu jener Zeit, wo noch Verwüstungen durch die Indianer zu befürchten waren, hatten sich die Besitzer genöthigt gesehen, wenigstens die eigene Wohnung zu befestigen. Die Zeit war ja noch nicht so fern, wo General Jessup Florida gegen die Seminolen zu vertheidigen hatte. Lange Jahre hindurch hatten die Ansiedler von jenen rastlosen Nomaden furchtbar zu leiden gehabt. Ihre Wohnungen wurden nicht allein durch freche Diebstähle geplündert, nein, auch nicht selten durch Blut befleckt und dann noch durch Feuer vollends vernichtet. Selbst die Städte waren wiederholt von solchen feindlichen Einfällen und Raubzügen bedroht gewesen. An manchen Stellen ragen noch die traurigen Ruinen empor, welche die Indianer von ihren Zügen hinterlassen haben. Weniger als fünfzehn Meilen von Camdleß-Bay und nahe dem Weiler Mandarin zeigt man noch heute »das blutige Haus«, in dem der Ansiedler Mr. Motte, dessen Frau und drei junge Töchter von den Missethätern scalpirt und nachher ermordet worden waren. In unseren Tagen ist der Vernichtungskampf zwischen dem Bleichgesicht und der Rothhaut jedoch als beendet zu betrachten. Die endgiltig besiegten Seminolen haben weit weg, nach dem Westen des Mississippi zurückweichen müssen. Man hört nicht mehr von ihnen sprechen, höchstens von einzelnen Haufen, welche noch den sumpfigen Theil des südlichen Florida durchziehen. Das Land hat also von diesen wilden Eingebornen nichts mehr zu fürchten.

Die früheren Verhältnisse erklären es jedoch, daß die Wohnungen der Ansiedler so hergestellt waren, um einem plötzlichen Ueberfall der Indianer Trotz bieten und wenigstens widerstehen zu können, bis die freiwilligen Bataillone herankamen, welche sich in den Städten und Weilern der Nachbarschaft organisirt hatten. Das Schlößchen Castle-House war also in dieser Weise gesichert worden.[28]

Castle-House erhob sich auf einer leichten Bodenwelle mitten in einem etwa drei Acres großen, abgeschlossenen Park, der einige hundert Yards hinter dem Ufer des Saint-John anfing. Ein ziemlich tiefer Wasserlauf umgab diesen Park, dessen Sicherheit eine große Plankenumwallung vervollständigte, durch welche nur ein einziger Eingang und zwar über eine den »Festungsgraben« überspannende Brücke führte. An der Rückseite des kleinen Hügels verbreiteten sich schöne, zu Wäldchen vereinigte Bäume über die sanften Abhänge des Parkes hinab, um den sie eine herrliche grüne Einfassung bildeten. Eine schattenfrische Allee von Bambus, dessen Stengel sich wie in einem gerippten Bogengewölbe kreuzten, führte, gleich einem sehr langen Kirchenschiff, von dem Quai des kleinen Hafens von Camdleß-Bay bis zu den ersten Rasenplätzen. Im Innern verbreiteten sich nämlich auf allen von den Bäumen nicht besetzten Flächen saftig grüne Grasflächen, durchschnitten von langen Fußwegen, welche, abgeschlossen durch weiße niedrige Geländer, auf einem sein übersandeten Platz vor dem Castle-House selbst ausmündeten.

Dieses sehr unregelmäßig erbaute Schlößchen bot mancherlei Ueberraschendes sowohl in der Gesammtheit seiner Anordnung wie bezüglich der Phantasie in seinen Details. Für den Fall aber, daß etwaige Angreifer auch die Plankenwand das Parkes überstiegen gehabt hätten, hätte es sich doch – gewiß ein nicht unwichtiger Umstand – auch noch selbst zu vertheidigen und eine mehrstündige Belagerung auszuhalten vermocht. Die Fenster seines Erdgeschosses waren mit Eisengittern versehen; das Hauptthor an der Vorderseite glich an Festigkeit einer Fallbrücke. An verschiedenen Punkten der aus einem marmorähnlichen Stein erbauten Mauern befanden sich herausspringende sogenannte »Pfefferbüchsen«, welche die Vertheidigung dadurch noch erleichterten, daß sie die Angreifer in der Flanke unter Feuer zu nehmen gestatteten.

Kurz, mit seinen auf das Nothwendigste beschränkten Oeffnungen, mit dem Mittelthurm, der das Ganze überragte und das Sternenbanner der Union trug, mit seinen Zinnen und den mehrfach ausgesparten Schießscharten, der Neigung seiner Mauern nahe dem Erdboden, den hoch aufragenden Dächern, und mit der Dicke seiner Wände, welche wiederum einzelne Schießscharten zeigten, glich dieses Gebäude weit mehr einer Festung, als einer Landwohnung oder einem Lusthause.

Wie schon erwähnt, war eine solche Anordnung des Ganzen nöthig gewesen, um die Bewohner desselben zu jener Zeit zu schützen, wo noch die[29] wüthenden Einfälle von Indianern auf dem Gebiete von Florida zur Tagesordnung gehörten. Es war sogar ein unterirdischer Gang vorhanden, der, unter der Palissade und dem umgebenden Wasserarm hinlaufend, Castle-House mit einer kleinen Bucht des Saint-John, der sogenannten Marino-Bucht, in Verbindung setzte. Dieser Gang konnte im Falle der dringendsten Gefahr noch zu einer unbemerkbaren Flucht dienen.

Gewiß waren zu jener Zeit die Seminolen, welche die Halbinsel fast alle verlassen hatten, nicht mehr zu fürchten. Wenn das auch schon von den letztvergangenen zwanzig Jahren galt, so konnte doch Niemand sagen, was die Zukunft in ihrem Schooße barg. Wer konnte wissen, ob diese Gefahr, welche James Burbank gewiß nicht mehr seitens der Indianer drohte, ihm nicht einmal von Seiten der eigenen Landsleute nahe treten könnte? War nicht gerade er, als vereinzelt wohnender Nordstaatler, hier im südlichen Lande allen Wechselfällen des Krieges ausgesetzt, der bisher schon so blutig verlaufen war und zahlreiche Repressalien hervorgerufen hatte?

Jedenfalls hatte die Nothwendigkeit, für die Sicherheit des Castle-House zu sorgen, diesem bezüglich der Bequemlichkeit im Inneren keinen Abbruch gethan. Alles war hier geräumig, die Zimmer luxuriös und vornehm ausgestattet. Die Familie Burbank fand hier, inmitten herrlicher Natur, alle Vortheile vereinigt, welche ein, großes Vermögen bieten kann, wenn es bei Denen, die dasselbe besitzen, mit wirklichem künstlerischen Sinn vereinigt ist.

Hinter dem Schlosse erstreckten sich in dem vorbehaltenen Park prächtige Gärten bis nach der Palissade, deren Planken hier unter Klettersträuchen und den Ranken von Passionsblumen völlig verschwanden. Myriaden von Colibris gaukelten und glänzten in der Luft umher. Haine von Orangen, Bosquets von Oelbäumen, Granaten, Pontederien mit himmelblauen Blüthendolden, Gruppen von Mangnolien, deren an Farbe altem Elfenbein gleichende Kelche die Luft mit würzigem Wohlgeruche erfüllten, Gebüsche von Palmen, die ihre zierlichen Fächer im Winde hin und her bewegten, Guirlanden von blaßvioletten Schlingpflanzen, Büschel von Tupeas mit grünen Rosetten, Yuccas mit ihrem scharfen Säbelgeklirr, rosafarbene Rhododendrons, Gesträuche von Myrthen und Pampelpomeranzen, mit einem Worte, Alles, was die Flora einer an die Tropenkreise grenzenden Zone nur hervorzubringen vermag, war auf diesen Beeten zum Ergötzen des Geruchs- und Gesichtssinnes vereinigt.[30]

An der Grenze der Umwallung und unter dem schützenden Dache von Cypressen und Affenbrotbäumen erhoben sich die Stallungen, Wagenschuppen, Hundeställe, die Baulichkeiten für die Milcherei und befanden sich daran anschließend die Hühnerhöfe. Dank dem dichten Gezweig jener schönen Bäume, das selbst die Sonne dieser Breitenlage nicht zu durchdringen vermochte, hatten die Hausthiere kaum etwas von der Hitze des Sommers zu leiden. Von den Rios der Nachbarschaft abgeleitete Adern fließenden Wassers unterhielten hier stets eine angenehme Kühle.

Man sieht hieraus, daß die speciell für die Bewohner von Camdleß-Bay vorbehaltene Stätte einen wunderschönen Mittelpunkt in der weiten Besitzung James Burbank's bildete. Weder das Knarren der Baumwollmühlen, noch das Krächzen der Sägen oder die Schläge der Aexte beim Fällen der Bäume, oder sonst ein Geräusch dieses so vielfältigen und ausgedehnten Betriebes, drang bis über die Planken der Umzäunung.

Nur die tausend Vögel der Fauna Floridas konnten fliegend von einem Baume zum anderen gelangen. Doch diese befiederten Sänger, deren Federschmuck mit den leuchtenden Blumen dieser Zone wetteiferte, waren hier nicht weniger willkommen, als die Wohlgerüche, mit welchen der sanfte Wind sich belud, wenn er die Prairien und Wälder der Nachbarschaft überfächelte.

Das war Camdleß-Bay, die Pflanzung James Burbanks und eine der reichsten des östlichen Florida.

Quelle:
Jules Verne: Nord gegen Süd. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LII–LIII, Wien, Pest, Leipzig 1889, S. 21-31.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Nord gegen Süd
Nord gegen Süd
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